BGE 129 V 450
 
69. Auszug aus dem Urteil i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen 1. S., 2. ASGA Pensionskasse des Gewerbes und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen
 
B 105/01 vom 5. September 2003
 
Regeste
Art. 73 Abs. 1 und 2 BVG: Klageverfahren vor dem kantonalen Berufsvorsorgegericht.
Der Entscheid des kantonalen Berufsvorsorgegerichts, mit welchem ein Leistungsanspruch entsprechend dem Klagebegehren der versicherten Person lediglich dem Grundsatz nach festgestellt, nicht aber betraglich ermittelt wird, ist bundesrechtskonform.
 
Sachverhalt


BGE 129 V 450 (450):

A.- Der 1965 geborene S. war als Angestellter der Firma X. seit 1. Mai 1997 bei der ASGA Pensionskasse des Gewerbes, St. Gallen, (nachfolgend: Pensionskasse) für die obligatorische und die weitergehende berufliche Vorsorge versichert. Im Herbst 1997 erkrankte er an einer chronischen Dickdarmentzündung (Morbus Crohn). Am 11. November 1997 musste er die Tätigkeit als Aussendienstmitarbeiter krankheitsbedingt aufgeben. Nachdem die IV-Stelle des Kantons Zürich ihm mit Vorbescheid vom 15. Juli 1999

BGE 129 V 450 (451):

eine halbe Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 60% ab November 1998 in Aussicht gestellt hatte, ersuchte S. die Pensionskasse um Ausrichtung von Invalidenleistungen aus der obligatorischen und der weitergehenden beruflichen Vorsorge. Mit Schreiben vom 25. November 1999 hielt die Pensionskasse an ihrem bereits früher vertretenen Standpunkt fest, wonach der Versicherte nur Leistungen aus der obligatorischen beruflichen Vorsorge beanspruchen könne.
B.- S. liess am 7. September 2000 beim Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen gegen die Pensionskasse Klage einreichen mit dem Begehren, die Beklagte sei zu verpflichten, ihm "rückwirkend ab 1. Dezember 1999 eine überobligatorische Pensionskassenrente bei einem Invaliditätsgrad von 60% gemäss Versicherungsausweis auszurichten und die reglementarische Prämienbefreiung zu gewähren". Mit Entscheid vom 24. Oktober 2001 hiess das Versicherungsgericht die Klage gut und verpflichtete die Pensionskasse, dem Versicherten die ihm zustehenden Leistungen aus weitergehender Vorsorge auszurichten (Dispositiv-Ziffer 1).
C.- Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese über den Anspruch von S. auf Invalidenleistungen im überobligatorischen Bereich der beruflichen Vorsorge neu entscheide. Zur Hauptsache macht es geltend, der vorinstanzliche Entscheid komme im Ergebnis einer unzulässigen Rückweisung der Sache an die Vorsorgeeinrichtung gleich. Das kantonale Gericht hätte selber über die Höhe der dem Versicherten zustehenden Leistungen aus der überobligatorischen Vorsorge entscheiden müssen.
Das kantonale Gericht und S. lassen sich mit dem Begehren um Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vernehmen, während die Pensionskasse unter Hinweis auf die zwischenzeitlich erfolgte Festsetzung der Invalidenleistungen aus der weitergehenden Vorsorge, mit welcher sich der Versicherte einverstanden erklärt hatte, beantragt, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei als gegenstandslos abzuschreiben.
 
Aus den Erwägungen:
2. Nach ständiger Rechtsprechung ist das Berufsvorsorgegericht nach Art. 73 Abs. 1 BVG nicht befugt, die Streitsache zu ergänzenden Abklärungen und neuer Verfügung an die Vorsorgeeinrichtung

BGE 129 V 450 (452):

zurückzuweisen (BGE 117 V 242 Erw. 2b, BGE 115 V 239). Es besteht kein Anlass, diese Rechtsprechung in Frage zu stellen, ist doch eine Rückweisung in einem Klageverfahren der ursprünglichen Verwaltungsrechtspflege, das keine Verfügung zum Ausgangspunkt hat, ausgeschlossen. Entsprechend hat denn auch das Eidgenössische Versicherungsgericht kantonale Gerichtsentscheide, deren Dispositiv auf Rückweisung an die Vorinstanz lautete, aufgehoben und die Sache in Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an die Vorinstanz zurückgewiesen (Urteile J. vom 3. Juni 2002, B 59/00, und R. vom 4. September 2001, B 14/01).
3.2 Was den kantonalen Prozess betrifft, vermag die Argumentation des BSV, das auf Verpflichtung der Vorsorgeeinrichtung, dem Versicherten die Leistungen aus der weitergehenden Vorsorge auszurichten, lautende Dispositiv des angefochtenen Entscheides komme letztlich einer unzulässigen Rückweisung an die Vorsorgeeinrichtung gleich, nicht zu überzeugen, da sie entscheidende Gesichtspunkte ausser Acht lässt. Wohl trägt sie der Besonderheit Rechnung, dass im Recht der beruflichen Vorsorge auf kantonaler Ebene das Klageverfahren (der ursprünglichen Verwaltungsgerichtsbarkeit) gilt und es an einer anfechtbaren Verfügung gebricht. Sie übergeht jedoch den weiteren, gerade darin begründeten Umstand, dass die fehlende Verfügung auch nicht den Streitgegenstand bilden kann. Dieser ergibt sich einzig aus den Rechtsbegehren der Klage, und allenfalls, soweit zulässig, der Widerklage (MEYER-BLASER,

BGE 129 V 450 (453):

Streitgegenstand im Streit - Erläuterungen zu BGE 125 V 413, in: SCHAFFHAUSER/SCHLAURI [Hrsg.], Aktuelle Rechtsfragen der Sozialversicherungspraxis, St. Gallen 2001, S. 9 ff., insbesondere S. 38).
Auf Grund der Dispositionsmaxime steht es im Belieben der klägerischen Partei, den Streit zu definieren, den sie dem Berufsvorsorgegericht vortragen will. Beschränkt sie sich, wie dies in der Regel zutrifft, darauf, mittels Klage einen berufsvorsorgerechtlichen Anspruch gegenüber der Vorsorgeeinrichtung dem Grundsatz nach, wie hier auf überobligatorische Invalidenleistungen, geltend zu machen, besteht für das Gericht keine Möglichkeit, den Streit auf nicht eingeklagte Punkte, wie die frankenmässige Bezifferung des allenfalls bejahten Anspruchs, auszudehnen. Nur im Rahmen des von der klägerischen Partei bestimmten Streitgegenstandes hat es nach Art. 73 Abs. 2 BVG den Sachverhalt von Amtes wegen festzustellen. Der Untersuchungsgrundsatz kann nicht dazu dienen, den Streitgegenstand auf nicht eingeklagte Punkte auszudehnen. Das angerufene kantonale Berufsvorsorgegericht hat entweder - bei Fehlen der Prozess- oder Sachurteilsvoraussetzungen - ein Prozessurteil (Nichteintreten) oder ein Sachurteil zu fällen. Dieser Entscheid wird zur Verfügung im Sinne von Art. 97 in Verbindung mit Art. 98 lit. g OG und damit zum Anfechtungsgegenstand einer hiegegen eingereichten Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Streitgegenstand im letztinstanzlichen Verfahren kann demnach nur sein, worüber das kantonale Gericht auf Klage hin entschieden hat. Eine Verfahrensausdehnung auf vom kantonalen Gericht im Klageverfahren nicht beurteilte Rechtsverhältnisse fällt ausser Betracht (MEYER-BLASER, a.a.O., S. 38).
3.4 Hat das kantonale Gericht über den allein im Grundsatz eingeklagten, streitigen Anspruch entschieden, und geht es in der Folge einzig noch um die Berechnung der Leistung, ist auch abgesehen davon, dass das Massliche des Anspruchs nicht zum Streitgegenstand gehört, nicht ersichtlich, weshalb das Berufsvorsorgegericht die (bis anhin gar nicht zur Diskussion gestandene) Berechnung vornehmen soll. Vielmehr hat zunächst die Vorsorgeeinrichtung, die im Gegensatz zum Gericht über die hiezu erforderlichen Unterlagen und Computerprogramme verfügt, die Höhe der Leistung dem Ausgang des Gerichtsverfahrens entsprechend zu ermitteln. Dieses Vorgehen entspricht der Verfahrensökonomie

BGE 129 V 450 (454):

sowie den Geboten der Einfachheit und Raschheit des Verfahrens nach Art. 73 Abs. 2 BVG. Im Weiteren gilt es zu berücksichtigen, dass es sich bei der Vorsorgeeinrichtung um eine mit öffentlichrechtlichen Aufgaben betraute Organisation des Bundesrechts handelt, die unter staatlicher Aufsicht steht und die Offizialmaxime sowie die verfassungsmässigen Grundrechte zu beachten hat (vgl. BGE 117 V 309). Dies spricht neben dem Umstand, dass das Klageverfahren nach BVG, wenn auch nur rudimentär, in Art. 73 Abs. 2 BVG geregelt ist und einfach, rasch sowie kostenlos zu sein hat, für die Nähe des erstinstanzlichen Klageverfahrens zum Sozialversicherungsprozess, in welchem auf Beschwerde hin über Leistungsansprüche regelmässig ebenfalls nur dem Grundsatz nach entschieden wird, wogegen die Berechnung der Leistung ebenfalls der Verwaltung obliegt.
3.5 Für das umschriebene und von der Vorinstanz gewählte Vorgehen sprechen weitere Argumente grundsätzlicher Natur. Es ist vorzuziehen, dass die Vorsorgeeinrichtung die Berechnung der Rentenhöhe oder die Überentschädigungsberechnung selbst vornimmt. Dies garantiert eine rechtsgleiche Behandlung der Versicherten, indem Regelungen des jeweiligen Leistungsreglements gleich gehandhabt werden. Den Interessen der Versicherten wird dadurch in prozessökonomischer Weise Rechnung getragen, indem sie zunächst ohne übermässig hohen Aufwand einen Anspruch auf Invalidenleistungen gerichtlich feststellen lassen und gegen die in der Folge durch die Vorsorgeeinrichtung vorgenommene Berechnung der Leistung wiederum klageweise vorgehen können, falls diese den anwendbaren Leistungsreglementen widerspricht. Schliesslich berücksichtigt das vom BSV in Frage gestellte Vorgehen die Aufgabenteilung zwischen Gericht und Vorsorgeeinrichtung. Während das Berufsvorsorgegericht mit dem juristischen Instrumentarium eine ihm vorgelegte Rechtsfrage zu entscheiden hat, ist die umfassende Abwicklung des Versicherungsverhältnisses auf Grund des Reglements Aufgabe der Kasse. Der die Vorsorgeeinrichtung zur Erbringung von Invalidenleistungen verpflichtende Entscheid des kantonalen Berufsvorsorgegerichts ist schliesslich auch kein Teilurteil, sondern ein instanzabschliessendes Endurteil, soweit mit der Klage einzig die Leistungspflicht der Vorsorgeeinrichtung als solche dem Gericht zum Entscheid unterbreitet wurde.
4. Im vorliegenden Fall hat das kantonale Gericht über den eingeklagten Anspruch entschieden. Es ist bundesrechtskonform, dass

BGE 129 V 450 (455):

es sich dabei auf den Streitgegenstand beschränkt und die betragliche Festsetzung der dem Versicherten zustehenden Leistungen aus der weitergehenden Vorsorge der Pensionskasse überlassen hat.