BGE 130 V 117
 
19. Auszug aus dem Urteil i.S. Vaudoise Allgemeine Versicherungs-Gesellschaft gegen Krankenkasse Visp und Umgebung, betreffend B. und Kantonales Versicherungsgericht des Wallis
 
U 172/03 vom 30. Dezember 2003
 
Regeste
Art. 6 Abs. 1 UVG; Art. 9 Abs. 1 UVV (gültig gewesen bis 31. Dezember 2002): Unfallbegriff, ungewöhnlicher äusserer Faktor.
 


BGE 130 V 117 (118):

Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 2
2.1 Nach Lehre und Rechtsprechung kann das Merkmal des ungewöhnlichen äusseren Faktors in einer unkoordinierten Bewegung (RKUV 2000 Nr. U 368 S. 100 Erw. 2d mit Hinweisen; MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, S. 176 f.) bestehen. Bei Körperbewegungen gilt dabei der Grundsatz, dass das Erfordernis der äusseren Einwirkung lediglich dann erfüllt ist, wenn ein in der Aussenwelt begründeter Umstand den natürlichen Ablauf einer Körperbewegung gleichsam "programmwidrig" beeinflusst hat. Bei einer solchen unkoordinierten Bewegung ist der ungewöhnliche äussere Faktor zu bejahen; denn der äussere Faktor - Veränderung zwischen Körper und Aussenwelt - ist wegen der erwähnten Programmwidrigkeit zugleich ein ungewöhnlicher Faktor (RKUV 1996 Nr. U 253 S. 204 Erw. 4c, 1994 Nr. U 180 S. 38 Erw. 2 mit Hinweisen; Urteil Z. vom 7. Oktober 2003 Erw. 2.2, U 322/02; vgl. auch ADRIAN VON KAENEL, Unfall am Arbeitsplatz, in: MÜNCH/ GEISER [Hrsg.], Handbücher für die Anwaltspraxis, Band V, Schaden - Haftung - Versicherung, Basel 1999, S. 584 f.).
2.2.1 Im Urteil M. vom 14. September 1992, U 43/92, (teilweise publiziert in RKUV 1992 Nr. U 156 S. 258 ff.) ging es um eine Versicherte, die unmittelbar nach einem Hechtsprung im Bereich des Knöchels Schmerzen verspürte. Das Eidgenössische Versicherungsgericht führte dabei aus, die erlittene Verletzung deute darauf hin, dass die betreffende Übung nicht in korrekter Weise abgeschlossen worden sei; auch habe die Versicherte plausibel dargelegt, dass sie tatsächlich schlecht gelandet sei. Wesentlich für die

BGE 130 V 117 (119):

Annahme einer Programmwidrigkeit war für das Gericht in jenem Urteil, dass die Versicherte eine geübte Turnerin war, sodass eine derart schlechte Landung als ungewöhnlich erschien (kritisch dazu UELI KIESER, ATSG-Kommentar: Kommentar zum Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000, Zürich 2003, N 17 zu Art. 4 mit weiteren Hinweisen; ALFRED BÜHLER, Der Unfallbegriff, in: ALFRED KOLLER [Hrsg.], Haftpflicht- und Versicherungstagung 1995, St. Gallen 1995, S. 244 f. mit Hinweisen).


BGE 130 V 117 (120):

2.2.6 Im Urteil F. vom 10. Januar 2003, U 385/01, war der Fall eines Versicherten zu beurteilen, welcher beim Jiu-Jitsu Training eine Halswirbeldistorsion erlitten hatte. Der Versicherte gab an, er sei beim Bodenkampf unter seinen Trainingspartner geraten und habe versucht, diesen nach oben zu drücken, um sich von ihm zu lösen. Durch diese Bewegung sei grosser Druck auf sein Genick entstanden, sodass der Kopf nach vorne eingeknickt sei, was zur Stauchung und Quetschung der Halswirbelsäule geführt habe. Die Vorinstanz und das Eidgenössische Versicherungsgericht kamen zum Schluss, das vom Versicherten ausgeübte Drücken nach oben stelle keine unkoordinierte Bewegung dar, weil der äussere Bewegungsablauf nicht durch etwas Programmwidriges gestört worden sei, woraus eine unphysiologische Beanspruchung einzelner Körperteile hätte resultieren können.
Das Unfallmerkmal des ungewöhnlichen äusseren Faktors ist im vorliegenden Fall zu bejahen. Zwar trifft es zu, dass Eishockey eine schnelle und mit viel Einsatz geführte Kampfsportart ist. Mit harten Körperkontakten und Körperangriffen ist zu rechnen. Diese sind in reglementarisch umschriebenen Grenzen erlaubt. Es ist unbestritten, dass der Körper hiebei grossen Kräften ausgesetzt ist. Die Körperattacken und das Fallen gehören somit zu den üblichen Umständen dieser Sportart und es mag zutreffen, dass sie auch trainiert werden. Indessen kann der ungewöhnliche äussere Faktor, der dem Unfallbegriff inhärent ist, auch darin bestehen, dass eine Körperbewegung "programmwidrig" beeinflusst worden ist. Der auf diese Weise unkoordinierte Bewegungsablauf stellt dann den ungewöhnlichen äusseren Faktor dar.
Der Versicherte hat sich beim Check gegen eine Bande verletzt. Durch diesen Vorgang ist der natürliche Ablauf der

BGE 130 V 117 (121):

Körperbewegung programmwidrig beeinflusst worden. Darin liegt die Ungewöhnlichkeit des Geschehens. Es mag zwar zutreffen, dass derartige Körperattacken im Eishockey häufig vorkommen. Das ändert indessen nichts daran, dass sie zu einer unvorhersehbaren Beeinträchtigung des Bewegungsablaufs führen, welcher der betroffene Spieler gleichsam ausgesetzt ist. Der vom Spieler vorgesehene Ablauf wird durch die äussere Einwirkung des Gegenspielers gestört. Jeder Spieler muss zwar damit rechnen, dass er gefoult wird, er kann indessen nicht voraussehen, wie sich die Körperattacke auf den natürlichen Bewegungsablauf - und nicht etwa auf den Körper, was unwesentlich ist (vgl. BGE 122 V 232 Erw. 1) - auswirken wird. Darin liegt die Ungewöhnlichkeit dieser Einwirkung (vgl. auch RKUV 1993 Nr. U 165 S. 59 Erw. 3b; BÜHLER, a.a.O., S. 244).
Das Ereignis vom 26. Dezember 2001 stellt demnach einen Unfall im Rechtssinne dar, weshalb der kantonale Entscheid nicht zu beanstanden ist.