BGE 132 V 42 |
6. Auszug aus dem Urteil i.S. S. gegen Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) des Kantons Aargau und Versicherungsgericht des Kantons Aargau |
C 280/05 vom 6. Januar 2006 |
Regeste |
Art. 25 Abs. 1 ATSG; Art. 4 Abs. 4 ATSV; alt Art. 79 Abs. 2 und 3 AHVV (gültig gewesen bis 31. Dezember 2002): Frist zur Einreichung eines Erlassgesuchs. |
Aus den Erwägungen: |
1. Die Rückerstattungsforderung der Arbeitslosenkasse vom 1. Oktober 2002 über Fr. 18'629.55 ist mit unangefochten gebliebenem und damit in Rechtskraft erwachsenem Entscheid des kantonalen Gerichts vom 1. April 2003 bestätigt worden. Soweit die Argumentation in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde darauf hinausläuft, die Rechtmässigkeit der Rückerstattungsforderung als solche in Frage zu stellen, ist deshalb darauf nicht mehr einzutreten. Gegenstand des angefochtenen Entscheids vom 6. Juli 2005 bildet einzig noch die vorinstanzliche Erkenntnis, dass das Gesuch des heutigen Beschwerdeführers um Erlass der Rückerstattungsschuld zu spät gestellt worden sei und die Verwaltung deshalb darauf von vornherein nicht mehr hätte eintreten dürfen. |
(...)
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Erwägung 3 |
3.1 Ein neues Erlassgesuch hat der Beschwerdeführer dem Amt für Wirtschaft und Arbeit erst am 23. Juni 2003 als Reaktion auf eine Zahlungsaufforderung der Arbeitslosenkasse vom 18. Juni 2003 eingereicht. Daraufhin leitete die kantonale Amtsstelle Abklärungen finanzieller Art in die Wege und erliess schliesslich am 11. August 2004 eine ablehnende Verfügung, weil die Rückerstattung keine grosse wirtschaftliche Härte bedeuten würde. Wie zuvor schon die Einsprachestelle des Amtes für Wirtschaft und Arbeit in ihrem Entscheid vom 12. Oktober 2004 gelangte auch das kantonale Versicherungsgericht im angefochtenen Entscheid vom 6. Juli 2005 zum Schluss, dass das Erlassgesuch vom 23. Juni 2003 nicht innert der in Art. 4 Abs. 4 ATSV vorgesehenen 30-tägigen Frist gestellt worden ist und deshalb nicht mehr materiell hätte beurteilt werden dürfen. |
"Der Erlass wird von der Ausgleichskasse auf schriftliches Gesuch des Rückerstattungspflichtigen hin verfügt. Das Gesuch ist zu begründen und innert 30 Tagen seit der Zustellung der Rückerstattungsverfügung der Ausgleichskasse einzureichen. Vorbehalten bleibt Absatz 3."
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Abs. 3 von alt Art. 79 AHVV sah vor, dass die Ausgleichskasse den Erlass von sich aus verfügen kann, wenn die Voraussetzungen gemäss Absatz 1 offensichtlich erfüllt sind.
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Bereits in BGE 110 V 26 f. Erw. 2 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht erkannt, dass der Frist in alt Art. 79 Abs. 2 AHVV nur der Charakter einer Ordnungsvorschrift zukommt. Zur Begründung führte es an, bei der Beurteilung der grossen Härte als einer der Erlassvoraussetzungen sei von den wirtschaftlichen Verhältnissen in dem Zeitpunkt auszugehen, in welchem der Rückerstattungspflichtige bezahlen sollte; wollte man sich wörtlich an (alt) Art. 79 Abs. 2 AHVV halten, wäre später, nach Ablauf der mit Erlass der Rückerstattungsverfügung ausgelösten Frist, eine Berufung auf grosse Härte ausgeschlossen, was sich mit dem Wortlaut des Art. 47 Abs. 1 AHVG nicht vereinbaren lasse; wählt der Empfänger einer Rückerstattungsverfügung den Beschwerdeweg und nicht die Möglichkeit des sofortigen Erlassgesuchs, müsse es ihm erlaubt sein, sich auch noch nach rechtskräftiger Verpflichtung zur Rückerstattung auf die grosse Härte derselben zu berufen und ein Erlassgesuch einzureichen. Im Weiteren erwog das Gericht, Art. 79 Abs. 3 AHVV gestatte den Ausgleichskassen, den Erlass von sich aus zu verfügen, sofern die Voraussetzungen dazu offensichtlich erfüllt sind; es sei nicht ersichtlich, wie der Verfall des Anspruches auf Erlass mit der Tatsache vereinbar sein soll, dass die Verwaltung gleichzeitig befugt ist, von Amtes wegen zu verfügen; daher könne nur gefolgert werden, dass die von Art. 79 Abs. 2 AHVV vorgesehene Frist bloss Ordnungscharakter hat (BGE 110 V 27 Erw. 2; vgl. deutsche Übersetzung in: ZAK 1987 S. 165 Erw. 2). |
Letzterem Gesichtspunkt muss die notwendige Beachtung geschenkt werden. Auch wenn der abweichende Wortlaut von Art. 4 Abs. 4 ATSV das Vorliegen einer Verwirkungsfrist nicht mehr so klar wie derjenige von alt Art. 79 Abs. 2 AHVV ausschliesst, steht das Fehlen einer entsprechenden Kompetenzdelegation an den Verordnungsgeber zur Fristansetzung der Annahme einer Verwirkungsfrist entgegen. Es muss daher damit sein Bewenden haben, dass die 30-tägige Frist in Art. 4 Abs. 4 ATSV lediglich eine Ordnungsvorschrift darstellt. Dies steht auch mit dem Bestreben des Gesetzgebers in Einklang, welcher mit dem ATSG grundsätzlich keine substanziellen Neuerungen schaffen, sondern lediglich die bisherige Rechtslage in einem für alle betroffenen Sozialversicherungszweige gleichermassen geltenden Erlass einheitlich kodifizieren wollte. Im Übrigen wird in Art. 3 Abs. 3 ATSV - ähnlich wie früher in alt Art. 79 Abs. 3 AHVV - wiederum vorgesehen, dass der Versicherer den Verzicht auf die Rückforderung verfügen kann, wenn offensichtlich ist, dass die Voraussetzungen für den Erlass gegeben sind. Auch dies spricht - wie schon unter der Rechtsprechung zu alt Art. 79 Abs. 2 und 3 AHVV (Erw. 3.3 hievor in fine) - dafür, der Frist zur Stellung eines Erlassgesuchs lediglich Ordnungscharakter beizumessen. |