Urteilskopf
133 V 563
71. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. K. gegen Ausgleichskasse Luzern sowie Verwaltungsgericht des Kantons Luzern (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_136/2007 vom 11. Oktober 2007
Regeste
Art. 9 Abs. 2 lit. e AHVG;
Art. 18 Abs. 1 AHVV;
Art. 33 Abs. 1 lit. d DBG: Abzugsfähigkeit von Einlagen in die berufliche Vorsorge bei Selbstständigerwerbenden.
Vom rohen Einkommen abgezogen werden können bei Selbstständigerwerbenden nicht nur die aufgrund einer normativen Verpflichtung geleisteten, sondern auch die freiwillig erbrachten, von den Statuten oder vom Reglement der Vorsorgeeinrichtung bloss ermöglichten Einlagen in die berufliche Vorsorge (E. 2.4).
Aus den Erwägungen:
1.1 Nach
Art. 9 Abs. 2 lit. e AHVG werden die persönlichen Einlagen in Einrichtungen der beruflichen Vorsorge, soweit sie dem üblichen Arbeitgeberanteil entsprechen, vom beitragspflichtigen rohen Einkommen abgezogen. Für die Ausscheidung und das Ausmass der nach Art. 9 Abs. 2 lit. a-e zulässigen Abzüge sind die Vorschriften über die direkte Bundessteuer massgebend (
Art. 18 Abs. 1 AHVV). Kraft dieses Verweises gilt auch für den Abzug in der AHV grundsätzlich Art. 33 Abs. 1 lit. d des Bundesgesetzes vom 14.
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Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer (DBG; SR 642.11), wonach die gemäss Gesetz, Statut oder Reglement geleisteten Einlagen, Prämien und Beiträge an Einrichtungen der beruflichen Vorsorge von den Einkünften abgezogen werden. Der in
Art. 18 Abs. 1 AHVV enthaltene Verweis auf das Steuerrecht steht jedoch unter dem Vorbehalt anderslautender Vorschriften im AHVG. Ein solcher der bundessteuerrechtlichen Ordnung derogierender Umstand ist unter dem Gesichtspunkt des Normzweckes sowie der angestrebten Gleichbehandlung Unselbstständig- und Selbstständigerwerbender darin zu erblicken, dass gemäss
Art. 9 Abs. 2 lit. e AHVG ein Abzug vom rohen Einkommen lediglich in der Höhe des "üblichen Arbeitgeberanteils" zulässig ist (
BGE 129 V 293 E. 3.2.2.4 S. 299), was gemäss der gesetzeskonformen (
BGE 132 V 209 E. 5 und 6 S. 213 f.) Rz. 1104 der Wegleitung des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) über die Beiträge der Selbständigerwerbenden und Nichterwerbstätigen in der AHV, IV und EO (WSN) in analoger Anwendung von
Art. 66 Abs. 1 BVG einen Abzug nur zur Hälfte gestattet.
1.2 Wie das Eidg. Versicherungsgericht entschieden hatte, können unter die abzugsfähigen Einlagen im Sinne von
Art. 9 Abs. 2 lit. e AHVG auch die Einlagen zum Einkauf fehlender Versicherungsjahre fallen; die nur die ordentlichen bzw. laufenden Einlagen als abzugsfähig anerkennende Rz. 1104 WSN in der bis 31. Dezember 2004 gültig gewesenen Fassung bezeichnete das Gericht als gesetzwidrig (
BGE 129 V 293; Urteil H 109/01 vom 22. Mai 2003). In Nachachtung dieser Rechtsprechung hat das BSV die WSN mit Wirkung auf den 1. Januar 2005 dahingehend geändert, dass sowohl laufende Beiträge als auch Einkaufssummen zum Abzug zugelassen werden (Rz. 1103 WSN in der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung; vgl. auch Rz. 1104 WSN in der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung betreffend die Höhe des Abzugs bei laufenden Beiträgen). Des Weitern hat es auf den 1. Januar 2006 eine neue Rz. 1104.1 in die WSN eingefügt, gemäss welcher Einkaufssummen nur abziehbar sind, wenn und soweit die Statuten oder das Reglement der Vorsorgeeinrichtung zwingend eine Beteiligung des Arbeitgebers am Einkauf der Arbeitnehmenden vorschreiben (Satz 1). Eine Kann-Vorschrift genügt nicht (Satz 2). Ist zwar die Beteiligung, nicht aber deren Umfang (Prozentsatz oder Betrag) vorgesehen, liegt keine zwingend vorgeschriebene Beteiligung vor (Satz 3). Gleichzeitig hat das BSV in Rz. 2162 der Wegleitung über den massgebenden Lohn in der AHV, IV und EO (WML) für die
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Einlagen der Arbeitgeber in die berufliche Vorsorge ihrer Arbeitnehmer im Sinne von
Art. 8 lit. a AHVV eine analoge Regelung getroffen.
2.1 Gemäss Art. 12 Ziff. 4 des Reglements der Pensionskasse X. kann die versicherte Person im Rahmen des gesetzlich Erlaubten (
Art. 79a BVG [seit 1. Januar 2006:
Art. 79a-79c BVG]) zusätzliche Beitragsjahre einkaufen. Es ist unbestritten, dass diese Reglementsbestimmung die Möglichkeit, aber keine zwingende Verpflichtung zum Einkauf vorsieht. Die Vorinstanz hat daher gestützt auf Rz. 1104.1 WSN den Abzug verweigert. Der Beschwerdeführer erachtet dies als Widerspruch zu Gesetz und bundesgerichtlicher Rechtsprechung. Streitig ist somit, ob Einkäufe nur dann abgezogen werden dürfen, wenn sie im Sinne von Rz. 1104.1 WSN statutarisch oder reglementarisch zwingend vorgeschrieben sind.
2.2 Vorab ist zu bemerken, dass Rz. 1104.1 WSN gemäss ihrem Wortlaut die Beteiligung des Arbeitgebers am Einkauf der Arbeitnehmer betrifft und mithin auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt, in welchem ein Selbstständigerwerbender für sich selbst einen Einkauf tätigt, keine Anwendung findet. Die Beiträge des Arbeitgebers an den Einkauf der Arbeitnehmer werden aufgrund von
Art. 9 Abs. 2 lit. d AHVG vom Einkommen des Arbeitgebers abgezogen, was aufgrund von
Art. 27 Abs. 2 lit. c DBG, welche Norm
Art. 81 Abs. 1 BVG entspricht, auch steuerrechtlich gilt. Die WSN regelt diese Abzüge unter der Überschrift "3.4.4 Zuwendungen für Personalwohlfahrt und gemeinnützige Zwecke" in Rz. 1101. Die entsprechenden Zuwendungen des Arbeitgebers gelten auch beim Arbeitnehmer nicht als massgebender Lohn (
Art. 8 lit. a AHVV).
Einlagen des Selbstständigerwerbenden für seine eigene berufliche Vorsorge, wie sie hier im Streite liegen, sind demgegenüber in Art. 9 Abs. 2 lit. e AHVG normiert, welche Bestimmung steuerrechtlich Art. 33 Abs. 1 lit. d DBG entspricht (vgl. Art. 81 Abs. 2 BVG). Sie sind in der WSN unter dem Titel "3.4.5 Persönliche Einlagen in Einrichtungen der beruflichen Vorsorge und der 3. Säule" (Rz. 1103-1106) geregelt.
2.3 Das BSV begründet das Erfordernis eines zwingend vorgeschriebenen Einkaufs mit der Gleichbehandlung mit den Arbeitnehmenden. Es beruft sich dazu auf das Urteil H 32/04 vom 6. September 2004, publ. in: AHI 2004 S. 253, in dessen E. 4.2 das Eidg.
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Versicherungsgericht ausgeführt hatte, als reglementarische Beiträge des Arbeitgebers an Vorsorgeeinrichtungen im Sinne von
Art. 8 lit. a AHVV gälten nur diejenigen Beiträge, welche aufgrund des Reglements oder der Statuten der Vorsorgeeinrichtung geschuldet seien. Dazu genüge es nicht, dass das Reglement einen durch den Arbeitgeber finanzierten Einkauf zulasse, sondern es müsse ihn (grundsätzlich oder in einem bestimmten Zusammenhang) verlangen.
2.4 Dieses Urteil betraf allerdings nicht einen in den Statuten oder im Reglement der Vorsorgeeinrichtung festgelegten Einkauf von Versicherungsjahren, sondern eine in einem Sozialplan vorgesehene Abfindung an eine austretende Arbeitnehmerin, wobei eine Zweckbindung für die Altersvorsorge nur als Regel galt, von welcher Ausnahmen zugelassen werden konnten (AHI 2004 S. 253, E. 3, H 32/04). Deshalb wären dort auch die Voraussetzungen für einen Abzug gemäss
Art. 9 Abs. 2 lit. d AHVG nicht erfüllt gewesen. Dem Urteil lag somit nicht ein mit der hier vorliegenden Konstellation vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. Zu prüfen bleibt, ob die in E. 4.2 desselben gemachte Aussage - wonach für die Anwendbarkeit von
Art. 8 lit. a AHVV erforderlich ist, dass die Einzahlung normativ vorgeschrieben ist (vgl.
BGE 133 V 556) - sich auf die Abzugsfähigkeit nach
Art. 9 Abs. 2 lit. e AHVG übertragen lässt.
2.4.1 Mit Blick darauf, dass die berufliche Vorsorge für die Selbstständigerwerbenden grundsätzlich freiwillig ist (
Art. 4 und 44 BVG), wäre es systemwidrig, bei ihnen einen Einkauf nur dann zum Abzug zuzulassen, wenn dieser zwingend vorgeschrieben ist. Denn wenn schon überhaupt die Leistung von Beiträgen freiwillig ist, kann es auch keine Pflicht zur Leistung von Einkaufssummen geben. In der Praxis sehen denn auch in aller Regel die einschlägigen Statuten und Reglemente für die freiwillige Vorsorge nur die Möglichkeit, aber keine Pflicht zum Einkauf vor. Die Auffassung von Vorinstanz, Beschwerdegegnerin und BSV hätte zur Folge, dass die von Gesetz und Rechtsprechung anerkannte Möglichkeit, Einlagen für den Einkauf von Versicherungsjahren vom beitragspflichtigen Einkommen abzuziehen, für Selbstständigerwerbende toter Buchstabe bliebe. Für die Abzugsfähigkeit der laufenden Beiträge der Selbstständigerwerbenden setzt denn auch Rz. 1104 WSN folgerichtig nicht voraus, dass eine Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen besteht. Es ist nicht einzusehen, weshalb diese Voraussetzung in Bezug auf Einlagen für den Einkauf gelten sollte. Eine
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solche Ungleichbehandlung wäre nicht gerechtfertigt: Laufende Beiträge und Einlagen für den Einkauf dienen demselben Zweck, nämlich einem möglichst lückenlosen Vorsorgeschutz (
BGE 129 V 293 E. 3.2.2.3 S. 298).
2.4.2 In der in
BGE 129 V 293 nicht publizierten E. 3.3.1 hatte das Eidg. Versicherungsgericht ausgeführt, ob ein Abzug persönlicher Einkaufssummen vom rohen Einkommen nach
Art. 9 Abs. 2 lit. e AHVG überhaupt zulässig sei, bestimme sich aufgrund der Statuten und des Reglements der Vorsorgeeinrichtung des in Frage stehenden Selbstständigerwerbenden. Diese müssten bei Arbeitgebern eine Beteiligung am Einkauf fehlender Beitragsjahre der Arbeitnehmer in die 2. Säule vorsehen. Aus dieser Erwägung ergibt sich entgegen der Auffassung des BSV nur, dass die Statuten oder das Reglement einen Einkauf (als Möglichkeit) vorsehen müssen, aber nicht, dass sie eine Pflicht zum Einkauf enthalten müssen.
2.4.3 Die in der genannten E. 3.3.1 von
BGE 129 V 293 weiter enthaltene Aussage, bei einem Selbstständigerwerbenden ohne Arbeitnehmer sei danach zu fragen, ob er als Unselbstständigerwerbender aufgrund der beruflichen Stellung im Betrieb üblicherweise Anspruch auf Übernahme eines Teils der Einkaufssumme durch den Arbeitgeber hätte, und lediglich wenn dies zu bejahen sei, finde
Art. 9 Abs. 2 lit. e AHVG Anwendung, bezieht sich auf den Grundsatz der Angemessenheit, der auch im Steuerrecht gilt (ZWEIFEL/ ATHANAS, Kommentar zum schweizerischen Steuerrecht, I/2a, Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer [DBG], Basel 2000, N. 23 zu
Art. 33 DBG; vgl. heute auch Art. 1-1b der Verordnung vom 18. April 1984 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge [BVV 2; SR 831.441.1]). Solange keine abweichende Regelung besteht, gelten diesbezüglich AHV-rechtlich dieselben Überlegungen wie steuerrechtlich (
Art. 18 Abs. 1 AHVV).
2.4.4 Art. 33 Abs. 1 lit. d DBG setzt für die Abzugsfähigkeit voraus, dass die Einlagen "gemäss Gesetz, Statut oder Reglement" geleistet werden. Dementsprechend ist nur ein in Statuten oder Reglement vorgesehener Einkauf abzugsberechtigt (Urteil 2A.279/2006 vom 26. Februar 2007, E. 2.2). Dabei muss die
Möglichkeit zum Einkauf vorgesehen sein (MARTIN STEINER, Steuerliche Grenzen einer Individualisierung der zweiten Säule, StR 52/1997 S. 379 ff., 382; ISABELLE VETTER-SCHREIBER, Berufliche Vorsorge, Zürich 2005, S. 279; vgl. auch
Art. 9 Abs. 2 FZG). Hingegen ergibt sich aus dem
BGE 133 V 563 S. 568
Wortlaut des Gesetzes nicht, dass nur
vorgeschriebene Einkäufe abzugsberechtigt wären. Vielmehr sind nach Lehre und Praxis auch freiwillig geleistete Einkäufe abzugsfähig (Schweizerische Steuerkonferenz, Vorsorge und Steuern, Zürich 2002, S. A.3.1.2; HANS-ULRICH STAUFFER, Berufliche Vorsorge, Zürich 2005, S. 654; RICHNER/ FREI/KAUFMANN, Handkommentar zum DBG, Zürich 2003, N. 72 zu
Art. 33 DBG). Schranken bilden neben den (in Bezug auf Einkäufe allerdings differenzierten) Erfordernissen der Kollektivität, Gleichbehandlung und Planmässigkeit sowie des Versicherungsprinzips (
Art. 1 Abs. 1 BVG;
Art. 1c-1h BVV 2;
BGE 131 II 627 E. 4.1 S. 632 und E. 4.4 S. 634; ASA 75 S. 159, E. 2, 2A.408/2002; ASA 71 S. 384, E. 3, 2A.11/2000) die beitragsmässige Begrenzung gemäss
Art. 79a BVG (in der vom 1. Januar 2001 bis 31. Dezember 2005 gültig gewesenen Fassung) bzw. heute
Art. 79a-79c BVG (in Kraft seit 1. Januar 2006) sowie die übergangsrechtliche Regelung von
Art. 205 DBG, ferner die Grundsätze der Angemessenheit (vgl.
Art 1-1b BVV 2 in der - hier allerdings ratione temporis noch nicht anwendbaren - am 1. Januar 2006 in Kraft getretenen Fassung) sowie Umgehungstatbestände (
BGE 131 II 627 E. 5.2 S. 635 f.). Diese Voraussetzungen gelten gemäss
Art. 18 Abs. 1 AHVV auch für die Abzugsfähigkeit in der AHV, wobei hier immer nur die Hälfte abgezogen werden kann (vgl. vorne E. 1.1).
2.4.5 Insgesamt ergibt sich, dass bei Selbstständigerwerbenden nicht nur die aufgrund einer normativen Verpflichtung geleisteten, sondern auch die
freiwillig erbrachten, d.h. von den Statuten oder vom Reglement bloss
ermöglichten Einlagen in die berufliche Vorsorge vom rohen Einkommen gemäss
Art. 9 Abs. 2 lit. e AHVG abgezogen werden können.
2.5 Wie dargelegt (E. 2.1), sieht das hier massgebende Reglement in Art. 12 Ziff. 4 die Möglichkeit von Einkäufen vor. Des Weitern steht fest, dass die Einlage auch steuerrechtlich zum Abzug zugelassen worden ist. Es sind keine Gründe ersichtlich, weshalb die steuerrechtliche Beurteilung nicht auch für die AHV massgebend sein sollte. Die Einkaufssumme ist deshalb im Umfang von 50 % (vgl. vorne E. 1.1) auch AHV-rechtlich abzugsfähig, wie dies der Versicherte beschwerdeweise verlangt hat.