BGE 136 V 65 |
9. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Pensionskasse X. gegen E. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
9C_595/2009 vom 19. März 2010 |
Regeste |
Art. 23 und 49 Abs. 2 BVG; Tragweite des Anrechnungsprinzips bei Erhöhung des Invaliditätsgrades. |
Erhöht sich der gesetzliche Mindestanspruch einer invaliden Person von einer Teil- auf eine Vollrente, hat eine betragsmässige Anrechnung der reglementarischen Rente zu erfolgen, auch wenn sich diese nach einem geringeren Invaliditätsgrad bemisst (Anrechnungsprinzip); die Kumulation der bisherigen reglementarischen mit einer neuen obligatorischen Teilrente ist unzulässig (Präzisierung der Rechtsprechung; E. 3.8). |
Sachverhalt |
A. Der 1958 geborene E. war vom 1. April 1995 bis 30. Oktober 1996 Angestellter der Y. AG und deswegen bei der Pensionskasse X. (nachfolgend: PK X.) für die berufliche Vorsorge versichert. Wegen psychischer Beeinträchtigungen war er seit Mitte September 1995 teilweise oder vollständig arbeitsunfähig. Nachdem verschiedene berufliche Eingliederungsmassnahmen gescheitert waren, sprach ihm die IV-Stelle des Kantons St. Gallen eine halbe Rente bei einem Invaliditätsgrad von 56 % vom 1. September 1996 bis 31. Dezember 2000 sowie unter Zugrundelegung einer Invalidität von 71 % ab 1. Januar 2001 eine ganze Rente der Invalidenversicherung zu (Verfügungen vom 29. März 1999 und 28. August 2002). Demgegenüber verweigerte die PK X. Invalidenleistungen aus beruflicher Vorsorge, weil die massgebliche Arbeitsunfähigkeit schon vor Stellenantritt bei der Firma Y. AG eingetreten sei. |
Am 4. November 2004 liess E. gesetzliche und reglementarische Invalidenleistungen (nebst Zins) mit Klage gegen die PK X. geltend machen, welche das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 4. Juli 2006 abwies. In Gutheissung der dagegen erhobenen Verwaltungsgerichtsbeschwerde bejahte das Bundesgericht mit Urteil B 95/06 vom 4. Februar 2008 die Leistungspflicht der PK X. und wies die Sache an die Vorinstanz zurück, damit diese im Sinne der Erwägungen verfahre und über die Klage vom 4. November 2004 neu entscheide.
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B. In Gutheissung der Klage vom 4. November 2004 sprach das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 27. Mai 2009 E. ab 1. November 1998 eine überobligatorische Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 56 % und ab 1. Januar 2001 zusätzlich den Betrag einer halben obligatorischen Invalidenrente nach BVG (SR 831.40) zu, wobei die PK X. den genauen Betrag festzusetzen haben werde (Disp.-Ziff. 1). Weiter wurde die PK X. verpflichtet, auf den auszurichtenden Rentenleistungen ab 4. November 2004 einen Verzugszins von 5 % zu bezahlen (Disp.-Ziff. 2), ein Vergleich über die Berechnung der Überentschädigung gerichtlich genehmigt (Disp.-Ziff. 3) und - unter Verzicht auf die Erhebung von Gerichtskosten (Disp.-Ziff. 4) - E. eine Parteientschädigung von Fr. 1'000.- zugesprochen (Disp.-Ziff. 5).
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C. Die PK X. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, unter Aufhebung der Disp.-Ziff. 1 und 5 des Entscheides vom 27. Mai 2009 sei E. ab 1. November 1998 und auch ab 1. Januar 2001 eine überobligatorische Invalidenrente auf der Basis eines Invaliditätsgrades von 56 % zuzusprechen. Zudem sei E. zu verpflichten, ihr für das vorinstanzliche Verfahren eine Parteientschädigung zu bezahlen.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Aus den Erwägungen: |
Erwägung 3 |
3.1 Nach Art. 23 BVG (in der hier anwendbaren, bis 31. Dezember 2004 geltenden Fassung) hat Anspruch auf eine Invalidenrente, wer im Sinne der Invalidenversicherung zu mindestens 50 % invalid ist und bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat, versichert war. Entscheidend im Rahmen von Art. 23 BVG ist einzig der Eintritt der relevanten Arbeitsunfähigkeit (zu diesem Begriff vgl. BGE 130 V 343 E. 3.1 S. 345 f. mit Hinweisen; SZS 2003 S. 521, B 49/00 E. 3), unabhängig davon, in welchem Zeitpunkt und in welchem Masse daraus ein Anspruch auf Invalidenleistungen entsteht. Die Versicherteneigenschaft muss nur bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit gegeben sein, dagegen nicht notwendigerweise auch im Zeitpunkt des Eintritts oder der Verschlimmerung der Invalidität. Für eine einmal aus - während der Versicherungsdauer aufgetretener - Arbeitsunfähigkeit geschuldete Invalidenleistung bleibt die Vorsorgeeinrichtung somit leistungspflichtig, selbst wenn sich nach Beendigung des Vorsorgeverhältnisses der Invaliditätsgrad ändert. Entsprechend bildet denn auch der Wegfall der Versicherteneigenschaft keinen Erlöschungsgrund (Art. 26 Abs. 3 BVG e contrario; BGE 123 V 262 E. 1a S. 263; BGE 118 V 35 E. 5 S. 45). Die Leistungspflicht einer Vorsorgeeinrichtung für eine erst nach Beendigung des Vorsorgeverhältnisses eingetretene oder verschlimmerte Invalidität setzt indessen in jedem Fall voraus, dass zwischen relevanter Arbeitsunfähigkeit und nachfolgender Invalidität ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht (BGE 123 V 262 E. 1c S. 264 f.; BGE 120 V 112 E. 2c/aa und 2c/bb S. 117 f. mit Hinweisen), was das Bundesgericht im konkreten Fall mit Urteil B 95/ 06 vom 4. Februar 2008 bejahte. |
3.4 Die Vorinstanz hat zutreffend festgehalten, dass der Versicherte - entsprechend der Verfügung der Invalidenversicherung vom 28. August 2002 - ab 1. Januar 2001 bei einem Invaliditätsgrad von 71 % (mindestens) Anspruch auf eine volle Rente der obligatorischen beruflichen Vorsorge hat. In Bezug auf die weitergehende Vorsorge ist sie der Auffassung, nach Art. 15 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 des Vorsorgereglements führe im konkreten Fall das Fortschreiten der Krankheit zu keiner Erhöhung der Vorsorgeleistungen. |
Das Versicherungsverhältnis zwischen der Vorsorgeeinrichtung und dem Beschwerdegegner wurde mit Ablauf der an das auf Ende Oktober 1996 gekündigte Arbeitsverhältnis anschliessenden Nachdeckungsfrist (Art. 10 Abs. 3 BVG) aufgelöst. Die rund 4 Jahre später erfolgte und zu einem Invaliditätsgrad von 71 % führende Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist daher (im Gegensatz zum Eintritt der Invalidität im Umfang von 56 %) nicht als Versicherungsfall im Sinne des Reglements aufzufassen; eine Anpassung der Rente aus weitergehender Vorsorge ist demnach ausgeschlossen. |
3.8 Die bisherige reglementarische Leistung wurde als Teilrente für einen Invaliditätsgrad von 56 % ausgerichtet, welcher eine halbe gesetzliche Invalidenrente gegenüberzustellen war. Neu ist aufgrund des gestiegenen Invaliditätsgrades der Mindestanspruch auf eine obligatorische Vollrente zu wahren. Die Teilrente unterscheidet sich von der Vollrente bloss im Umfang; es handelt sich daher um graduelle Abstufungen eines einzigen Anspruchs; von eigenständigen Leistungsarten wie etwa im Verhältnis von Invaliden- zu Kinderrenten (vgl. BGE 133 V 575 E. 4.2 S. 577) kann nicht gesprochen werden. In zeitlicher Hinsicht ist der Eintritt der massgeblichen Erhöhung des Invaliditätsgrades ausschlaggebend. Dass sich die reglementarische Leistung auch zu diesem Zeitpunkt aufgrund des bisherigen Invaliditätsgrades von 56 % bemisst (E. 3.5), ist nicht von Belang. Es hat somit eine betragsmässige Anrechnung der (im konkreten Fall unveränderten) reglementarischen Rente an den gesetzlichen Mindestanspruch zu erfolgen. Das Ergebnis entspricht dem gesetzlichen Konzept der überobligatorischen Vorsorge, welches eine weitgehende Gestaltungsfreiheit entsprechender Einrichtungen nicht nur in Bezug auf Invaliditätsbegriff und versichertes Risiko (E. 3.2), sondern auch hinsichtlich weiterer Tatbestände wie Rentenabstufung, versicherte Lohnbestandteile, Teuerungsausgleich (vgl. BGE 127 V 264) oder Umwandlungssatz vorsieht. Bei der gegebenen Konstellation ist die Kumulation der bisherigen reglementarischen mit einer neuen obligatorischen Teilrente unzulässig. Soweit aus Urteilen des Eidg. Versicherungsgerichts (etwa SZS 1997 S. 557, B 40/93 E. 5a; SZS 1995 S. 467, B 4/94 E. 5; SZS 2008 S. 363, B 74/06 E. 2.1 in fine mit weiteren Hinweisen) etwas anderes hervorgehen könnte, ist dies hiermit zu präzisieren. |
3.9 Die Vorinstanz hat nicht offensichtlich unrichtig und daher für das Bundesgericht verbindlich (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG) festgestellt, die überobligatorischen Leistungen für einen Invaliditätsgrad von 56 % seien höher als der obligatorische Anspruch bei einem solchen von 71 %. Nach dem Gesagten hat der Versicherte keinen Anspruch auf eine Erhöhung der Rente. Bei diesem Ergebnis wird die Vorinstanz über die Parteientschädigung für das kantonale Verfahren neu zu befinden haben, wobei u.a. dessen grundsätzliche Kostenfreiheit (Art. 73 Abs. 2 BVG; BGE 126 V 143 E. 4b S. 150 f.) zu beachten ist.
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