139 V 367
Urteilskopf
139 V 367
48. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Bundesamt für Sozialversicherungen gegen T. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_833/2012 vom 19. Juni 2013
Regeste
Art. 22 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 FZG ; Barauszahlung der im Rahmen der Ehescheidung zu teilenden Austrittsleistungen.
Wer im Scheidungszeitpunkt nachweislich bereits selbstständig erwerbstätig ist und nicht der obligatorischen beruflichen Vorsorge untersteht, kann sich die zu übertragende Summe unter denselben Voraussetzungen, wie sie für eine Barauszahlung des in der freiwilligen beruflichen Vorsorge angesparten Alterskapitals gelten (vgl. BGE 135 V 418; BGE 134 V 170), bar auszahlen lassen (E. 3.5 und 3.6).
A. T. wurden im Rahmen seiner 2010 erfolgten Ehescheidung Fr. 4'109.90 als Vorsorgeausgleich auf ein Freizügigkeitskonto bei der Zürcher Kantonalbank überwiesen. Seine Gesuche vom 9. Januar
BGE 139 V 367 S. 368
und 9. Februar 2011, ihm die Freizügigkeitsleistung wegen seiner selbstständigen Tätigkeit bar auszuzahlen, blieben ohne Erfolg.Am 25. März 2011 reichte T. Klage beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich ein und beantragte, die Freizügigkeitsstiftung der Zürcher Kantonalbank (nachfolgend: Freizügigkeitsstiftung) sei zu verpflichten, das auf ihn lautende Freizügigkeitskonto aufzuheben und ihm den Saldo von ca. Fr. 4'109.90 auszuzahlen.
B. Mit Entscheid vom 30. August 2012 hiess das Sozialversicherungsgericht die Klage in dem Sinne gut, als es feststellte, dass T. Anspruch auf Barauszahlung seiner Freizügigkeitsleistung habe, soweit hinreichend belegt sei, dass er selbstständig erwerbend sei und der obligatorischen beruflichen Vorsorge nicht unterstehe; unerheblich bleibe, ob die Barauszahlung zur Finanzierung der selbstständigen Erwerbstätigkeit genutzt werde oder nicht. In der Folge überwies es die Sache an die Freizügigkeitsstiftung zur Nennung und Prüfung der entsprechenden Legitimationsmittel.
C. Dagegen erhebt das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag auf Aufhebung des Entscheids vom 30. August 2012 und Rückweisung des Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht zu neuem Entscheid.
T. schliesst auf die Bestätigung des Entscheids vom 30. August 2012 und weist neu darauf hin, dass er im Mai 2012 in die Unselbstständigkeit gewechselt habe. Die Freizügigkeitsstiftung beantragt, in Gutheissung der Beschwerde des BSV sei der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts vollumfänglich aufzuheben und die Klage abzuweisen. Das Sozialversicherungsgericht verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Aus den Erwägungen:
2.1 Gemäss Art. 5 Abs. 1 FZG (SR 831.42) können Versicherte die Barauszahlung der Austrittsleistung verlangen, wenn sie die Schweiz endgültig verlassen (lit. a) oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit aufnehmen und der obligatorischen beruflichen Vorsorge nicht mehr unterstehen (lit. b) oder aber wenn die Austrittsleistung weniger als ihr Jahresbeitrag beträgt (lit. c).
BGE 139 V 367 S. 369
2.2 Der Wortlaut von Art. 5 Abs. 1 lit. b FZG, der hier im Vordergrund steht, ist unmissverständlich. Die Barauszahlung setzt (kumulativ) die Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit und das Fehlen eines Versicherungsobligatoriums voraus (SVR 2011 BVG Nr. 24 S. 91, 9C_610/2010 E. 4.2.2). Es sind keine Gründe ersichtlich, von diesem Wortlaut abzuweichen. Ratio legis von Art. 5 Abs. 1 lit. b FZG ist die finanzielle Unterstützung beim Aufbau einer Unternehmung; dies als Ausnahme vom Grundsatz, dass das Vorsorgeguthaben als Altersvorsorge erhalten bleiben soll (SVR 2011 BVG Nr. 24 S. 91, 9C_610/2010 E. 4.2.3). Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass der Aufbau einer selbstständigen Existenz als Grundlage für eine ausreichende Altersvorsorge durch Selbstvorsorge dient, weshalb der Versicherte keiner beruflichen Vorsorge mehr bedarf (GEISER/SENTI, in: BVG und FZG, 2010, N. 41 zu Art. 5 FZG; RIEMER/RIEMER-KAFKA, Das Recht der beruflichen Vorsorge in der Schweiz, 2. Aufl. 2006, S. 139 Rz. 119; Mitteilungen des BSV über die berufliche Vorsorge Nr. 11 vom 28. Dezember 1988 Rz. 59 mit Hinweis auf die Botschaft zum BVG vom 19. Dezember 1975, BBl 1976 I 149, 240 oben zu Art. 30 E-BVG).
2.3 Der Beschwerdegegner machte resp. macht nicht geltend, im Zeitpunkt der Scheidung eine selbstständige Erwerbstätigkeit aufgenommen zu haben. Vielmehr begründete er seinen Anspruch auf Barauszahlung damit, dass er damals bereits selbstständig erwerbend war.
3.1 Art. 122 ZGB räumt jedem Ehegatten Anspruch auf die Hälfte der für die Ehedauer zu ermittelnden Austrittsleistung des anderen Ehegatten ein, wenn mindestens ein Ehegatte einer Einrichtung der beruflichen Vorsorge angehört und bei keinem Ehegatten ein Vorsorgefall eingetreten ist (Abs. 1). Stehen den Ehegatten gegenseitige Ansprüche zu, so ist nur der Differenzbetrag zu teilen (Abs. 2).
Ein Ehegatte kann in der Vereinbarung auf seinen Anspruch ganz oder teilweise verzichten, wenn eine entsprechende Alters- und Invalidenvorsorge auf andere Weise gewährleistet ist. Das Gericht kann die Teilung ganz oder teilweise verweigern, wenn sie aufgrund der güterrechtlichen Auseinandersetzung oder der wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Scheidung offensichtlich unbillig wäre ( Art. 123 Abs. 1 und 2 ZGB ).
3.2 Bei Ehescheidung werden die für die Ehedauer zu ermittelnden Austrittsleistungen nach den Artikeln 122 und 123 des
BGE 139 V 367 S. 370
Zivilgesetzbuches (ZGB) sowie den Artikeln 280 und 281 der Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (ZPO) geteilt; die Artikel 3-5 FZG sind auf den zu übertragenden Betrag sinngemäss anwendbar (Art. 22 Abs. 1 FZG).
3.3 Die Vorinstanz vertritt die Meinung, der Anwendungsbereich von Art. 5 FZG gehe im Scheidungsfalle insofern über die eigentlichen Tatbestände von Abs. 1 hinaus, als verschiedene Gesetzesbestimmungen eine analoge oder sinngemässe Anwendbarkeit von Art. 5 FZG vorsehen. Dass die wortgetreue Anwendung des Art. 5 Abs. 1 FZG nicht zur Anwendung komme, rechtfertige sich auch, weil es sich beim Vorsorgekapital, das im Rahmen eines Scheidungsverfahrens an den Ehepartner übertragen werde, nicht um von diesem selber angespartes Kapital handle. Ausserdem führe die wortwörtliche Anwendung des Art. 5 Abs. 1 FZG zu stossenden und rechtsungleichen Ergebnissen. So wäre eine Barauszahlung für denjenigen zulässig, der die Schweiz nach der Ehescheidung endgültig verlasse, während sie für den Ehepartner, der bereits vor der Scheidung die Schweiz für immer verlassen habe, unmöglich bliebe. Ferner vermöge ein Ehepartner, der im Zeitpunkt der Scheidung noch in einem unselbstständigen Arbeitsverhältnis steht, die Voraussetzung der Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit zu erfüllen, was für den bereits vor der rechtskräftigen Scheidung Selbstständigerwerbenden unerreichbar bleibe. Dies könne nicht Sinn und Zweck der genannten Bestimmung sein, weshalb sich eine wortwörtliche Anwendung von Art. 5 Abs. 1 FZG zu Gunsten einer vom Gesetz vorgesehenen sinngemässen Anwendung verbiete.
Das BSV macht im Wesentlichen geltend, die Auslegung durch das kantonale Gericht entspreche weder dem Willen des Gesetzgebers noch der Lehrmeinung oder der Rechtsprechung.
3.4 Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach dem Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zu Grunde liegenden Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden. Die Gesetzesauslegung hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Norm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der ratio legis. Dabei befolgt das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es namentlich ab, die einzelnen
BGE 139 V 367 S. 371
Auslegungselemente einer hierarchischen Prioritätsordnung zu unterstellen. Die Gesetzesmaterialien können beigezogen werden, wenn sie auf die streitige Frage eine klare Antwort geben (BGE 137 V 434 E. 3.2 S. 437 mit Hinweisen).
3.5.1 Der Wortlaut des zweiten Teilsatzes von Art. 22 Abs. 1 FZG besagt lediglich, dass die Art. 3, 4 und 5 FZG im Scheidungsfall nicht direkt, sondern sinngemäss, d.h. "nur" vergleichbar, anzuwenden sind. Er lässt Raum sowohl für eine versicherungstechnische als auch inhaltliche Analogie.
3.5.2 Art. 3, 4 und 5 FZG beziehen sich auf den Fall, dass eine versicherte Person aus ihrer Vorsorgeeinrichtung austritt, und regeln die Erfüllung ihres Austrittsleistungsanspruchs resp. den Erhalt ihres Vorsorgeschutzes (vgl. auch den Titel des 2. Abschnittes: Rechte und Pflichten der Vorsorgeeinrichtung bei Austritt von Versicherten). Der zweite Teilsatz von Art. 22 Abs. 1 FZG hat wohl ebenfalls die Austrittsleistung zum Inhalt, jedoch nicht die eigene und nicht in Verbindung mit einem Austritt (vgl. E. 3.1). Er beinhaltet primär eine Schuldenregelung zwischen den Ehegatten, die von vorsorgerechtlichem Charakter ist, wobei der zu übertragende Betrag dem beruflichen Vorsorgeschutz erhalten bleiben soll (vgl. den Titel des 5. Abschnittes: Erhaltung des Vorsorgeschutzes in besonderen Fällen; vgl. auch E. 3.5.3 nachfolgend). Insoweit stellt der zweite Teilsatz von Art. 22 Abs. 1 FZG vor allem eine Zahlungsmodalität dar (vgl. HANS-ULRICH STAUFFER, Berufliche Vorsorge, 2. Aufl. 2012, S. 514 Rz. 1390). Das Wort "sinngemäss" weist demnach - in systematischer Hinsicht - einen versicherungstechnischen Gehalt auf, indem für den scheidungsrechtlichen Vorsorgeausgleich die gleichen Erfüllungsregeln resp. der gleiche Vorsorgeschutz zur Anwendung gelangen resp. gelangt, wie wenn es um die eigene Austrittsleistung geht.
Nichts Gegenteiliges ergibt sich aus dem Umstand, dass "verschiedene Gesetzesbestimmungen eine analoge oder sinngemässe Anwendbarkeit von Art. 5 FZG vorsehen", wie die Vorinstanz erwogen hat. Gemäss Art. 14 FZV (SR 831.425) gilt Art. 5 FZG für Freizügigkeitseinrichtungen sinngemäss. Das BSV hielt dazu in seinen Erläuterungen, die es mit Schreiben vom 6. Oktober 1994 verschiedenen Institutionen wie u.a. dem Bundesgericht zustellte, fest: "Für die vorzeitige Barauszahlung des Vorsorgekapitals wird auf die Bestimmungen in Artikel 5 FZG verwiesen. Das bedeutet, dass eine
BGE 139 V 367 S. 372
Barauszahlung des Vorsorgekapitals geltend gemacht werden kann, wenn die Tatbestände und Voraussetzungen dieser Bestimmung gegeben sind. Allerdings kann diese gesetzliche Regelung angesichts der unterschiedlichen Einrichtungen und Situationen nicht unbesehen übernommen werden, worauf das Wort sinngemäss hinweist. So kann nach Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b FZG bei einer Freizügigkeitseinrichtung nicht verlangt werden, dass die versicherte Person nicht mehr dem Obligatorium der beruflichen Vorsorge untersteht. Auch die Voraussetzung, dass der sog. geringe Betrag nach Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe c FZG nicht mehr als einen Jahresbeitrag ausmachen darf, hat in diesem Zusammenhang nicht dieselbe Bedeutung wie bei einer Vorsorgeeinrichtung. Es soll hier jedoch dem Sinn der Bestimmung nach Bezug genommen werden können auf den Jahresbeitrag bei der letzten Vorsorgeeinrichtung vor der Übertragung der Freizügigkeitsleistung auf eine Freizügigkeitseinrichtung" (Schreiben des BSV abgedruckt in: CARL HELBLING, Personalvorsorge und BVG, 8. Aufl. 2006, S. 268 f.). Dem Wort "sinngemäss" - im systematischen Kontext mit Art. 5 FZG - kommt demnach auch andernorts versicherungstechnische Relevanz zu.
3.5.3 Mit dem Verweis in Art. 22 Abs. 1 FZG auf Art. 3-5 FZG folgte der Gesetzgeber wortwörtlich dem Entwurf des Bundesrates. Hintergrund ist, dass die Mittel der beruflichen Vorsorge bei einer Scheidung grundsätzlich weiter dieser dienen sollen (Botschaft vom 26. Februar 1992 zu einem Bundesgesetz über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge, BBl 1992 III 533, 599 Abs. 3 Ziff. 635.3 zu Art. 22 E-FZG; vgl. auch Botschaft vom 15. November 1995 über die Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Scheidung], BBl 1996 I 1, 104 Abs. 2 Ziff. 233.432 zu Art. 122 E-ZGB). Die gewählte Formulierung ("sinngemäss") gab im Rahmen der parlamentarischen Beratungen zu keiner Diskussion Anlass - weder in Bezug auf das FZG noch hinsichtlich des revidierten Scheidungsrechts. Zwar hielt der Bundesrat, wie das BSV meint, in den Erörterungen zum dem Parlament vorgelegten Entwurf von Art. 22 FZG fest, "eine Barauszahlung kommt allenfalls unter den Voraussetzungen von Artikel 5 in Frage" (BBl 1992 III 599 Ziff. 635.3), resp. "unter den Voraussetzungen von Artikel 5 FZG ist im übrigen eine Barauszahlung denkbar" (BBl 1996 I 107 Abs. 1 Ziff. 233.441 zu Art. 22 E-FZG). Entgegen der Auffassung des BSV lässt sich indessen daraus nicht zwingend ableiten, der Gesetzgeber habe im Scheidungsfall keine Lockerung der Barauszahlungsgründe
BGE 139 V 367 S. 373
gewollt. Die fraglichen Aussagen dürfen nicht isoliert betrachtet werden, sondern sind im Gesamtzusammenhang zu sehen: Früher konnte eine Frau, die wegen Verheiratung ihre Erwerbstätigkeit aufgab, sich ihre Freizügigkeitsleistung auszahlen lassen und für die Bedürfnisse des (in Gründung befindenden) gemeinsamen Haushaltes verwenden (Art. 30 Abs. 2 lit. c BVG in der bis Ende 1994 geltenden Fassung; AS 1983 804). In der Folge stand die Ehefrau im Falle einer Scheidung nicht selten ohne genügende Vorsorge da. Dem sollte anlässlich der Konzeptionierung des Freizügigkeitsgesetzes u.a. aus Gründen der Gleichbehandlung von Mann und Frau Einhalt geboten werden (BBl 1992 III 576 oben Ziff. 632.4 zu Art. 5 E-FZG). Der dabei - unter dem Titel Ehescheidung - gemachte Hinweis des Bundesrates auf die Barauszahlungsmöglichkeit gemäss Art. 5 Abs. 1 FZG lässt sich deshalb auch in dem Sinne verstehen, dass er lediglich signalisieren wollte, dass eine Barauszahlung auch zukünftig nicht per se ausgeschlossen sei. Ein klarer Wille des Gesetzgebers, die Barauszahlungsgründe von Art. 5 Abs. 1 FZG im Fall einer Ehescheidung 1:1 anzuwenden, ist demnach nicht auszumachen.
3.5.4 Wer von der unselbstständigen Erwerbstätigkeit in eine selbstständige wechselt, verfügt in diesem Moment - soweit nicht mehr der obligatorischen beruflichen Vorsorge unterstehend - über die Möglichkeit, sich das angesparte Alterskapital gemäss Art. 5 Abs. 1 lit. b FZG bar auszahlen zu lassen. Wer im Scheidungszeitpunkt bereits selbstständig erwerbstätig ist, kommt nicht (mehr) in den Genuss eines solchen Wahlrechts, auch wenn er gar keiner beruflichen Vorsorge (mehr) bedarf (vgl. E. 2.2). Dessen ungeachtet kann nicht von Rechtsungleichheit gesprochen werden, da sich die beiden Konstellationen sachlich erheblich unterscheiden. Zum einen handelt es sich bei dem nach Art. 22 Abs. 1 FZG zu übertragenden Vorsorgekapital nicht um eine selber angesparte Austrittsleistung (vgl. E. 3.5.2 Abs. 1). Zum andern basiert die Übertragung nicht auf einer beruflichen, sondern persönlichen resp. familiären Änderung der Verhältnisse. Dem steht jedoch - mit Blick auf den hier zu beurteilenden Fall - folgende Gegebenheit gegenüber: Wer selbstständig erwerbend ist und nicht der obligatorischen Versicherung unterstellt ist, sich aber der freiwilligen Vorsorge angeschlossen hat, kann sich gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung die entsprechenden geäufneten Mittel in klar bestimmten Schranken, namentlich zum Zwecke betrieblicher Investitionen, auszahlen lassen, wenn er den Vorsorgevertrag kündigt und seine vertragliche Beziehung mit seiner Vorsorgeeinrichtung beendet (BGE 135 V 418 und BGE 134 V 170).
BGE 139 V 367 S. 374
Nachdem Selbstständigerwerbende sich jederzeit - zumindest solange kein Vorsorgefall eingetreten ist - freiwillig versichern lassen können (sei es bei einer Vorsorgeeinrichtung oder bei der Auffangeinrichtung [vgl. Art. 44 BVG und Art. 28 der Verordnung vom 18. April 1984 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVV 2; SR 831.441.1)]), kann dies auch erst im Scheidungsfall erfolgen und der gemäss Art. 22 Abs. 1 FZG zustehende Betrag auf die freiwillige Vorsorge übertragen werden, um ihn sodann bar erhältlich zu machen. Werden dabei die rechtlichen und von der höchstrichterlichen Rechtsprechung gesetzten Grenzen eingehalten, liegt kein Umgehungsgeschäft vor. Der Umweg verursacht jedoch - vor allem auf Seiten der Vorsorge- oder Auffangeinrichtung - nicht unbedeutende Kosten (Kontoeröffnung und -saldierung innert kurzer Zeit). Es ist daher zweckmässig und in Ausrichtung auf die herrschende Rechtslage objektiv angemessen, einem (nachgewiesenermassen) Selbstständigerwerbenden und nicht der obligatorischen beruflichen Vorsorge Unterstehenden die Möglichkeit einzuräumen, sich den im Scheidungsfall zu übertragenden Betrag unter den gleich restriktiven Bedingungen, wie sie für eine Barauszahlung des in der freiwilligen beruflichen Vorsorge angesparten Alterskapitals gelten (vgl. BGE 135 V 418 und BGE 134 V 170), bar auszahlen zu lassen. Dies gilt umso mehr, als der gesetzlich statuierte Vorsorgegedanke bei Selbstständigerwerbenden keine vordergründige Rolle (mehr) spielt (vgl. E. 2.2). Mit anderen Worten kann ein Selbstständigerwerbender die Barauszahlung des ihm scheidungsrechtlich zustehenden Vorsorgekapitals verlangen, wenn er sich wirtschaftlich in der gleichen Situation wie ein freiwillig Versicherter befindet.Soweit sich das BSV auf das vorne (vgl. E. 2.2) zitierte Urteil SVR 2011 BVG Nr. 24 S. 91, 9C_610/2010 beruft, lässt es ausser Acht, dass dort eine andere als die hier zu beurteilende Sachverhaltskonstellation vorlag; streitig war die Barauszahlung der Austrittsleistung an den berechtigten Ehegatten, der eine Invalidenrente aus vorehelicher Zeit bezog.
3.6 Im Lichte der Auslegung von Art. 22 Abs. 1 FZG ergibt sich somit für die vorliegende Situation grundsätzlich das folgende Ergebnis: Wer im Scheidungszeitpunkt nachweislich bereits selbstständig erwerbstätig ist und nicht der obligatorischen beruflichen Vorsorge untersteht, kann sich die zu übertragende Summe unter denselben Voraussetzungen, wie sie für eine Barauszahlung des in der freiwilligen beruflichen Vorsorge angesparten Alterskapitals gelten, bar auszahlen lassen.