BGE 139 V 482 |
62. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich gegen D. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
8C_1035/2012 vom 30. Juli 2013 |
Regeste |
Art. 9b Abs. 1 AVIG; verlängerte Rahmenfrist für den Leistungsbezug im Falle von Erziehungszeiten. |
Sachverhalt |
A. (...) D. meldete sich am 7. Dezember 2009 zur Arbeitsvermittlung an und stellte am 9. Dezember 2009 Antrag auf Arbeitslosenentschädigung für die Zeit ab 1. Januar 2010, wobei sie angab, sie sei bereit und in der Lage, Vollzeit zu arbeiten. Zuletzt war sie - jeweils in einem 100 %-Pensum - vom 7. April bis 31. Dezember 2008 (...) für die Firma X. und vom 5. Januar bis 31. Dezember 2009 (...) für die Gesellschaft Y. tätig gewesen. Am 30. September 2010 heiratete sie, am 7. Oktober 2010 brachte sie einen Sohn und am 23. November 2011 eine Tochter zur Welt. In der Rahmenfrist für den Leistungsbezug vom 4. Januar 2010 bis 3. Januar 2012 bezog sie Leistungen der Arbeitslosenversicherung, unterbrochen durch die Mutterschaftsentschädigungen vom 7. Oktober 2010 bis 12. Januar 2011 und vom 23. November 2011 bis 28. Februar 2012. In den Monaten Februar bis Juni 2010 wurde ihr ein Zwischenverdienst angerechnet. |
Mit Verfügung vom 22. März 2012 verneinte die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ab 1. Februar 2012 mit der Begründung, D. habe - bei 9,846 Beitragsmonaten - weder die Beitragszeit erfüllt noch liege ein Beitragsbefreiungsgrund vor. Daran hielt sie auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 14. Mai 2012).
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B. In Gutheissung der dagegen geführten Beschwerde hob das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich den Einspracheentscheid vom 14. Mai 2012 auf mit der Feststellung, D. habe mit Wirkung ab 4. Januar 2012 Anspruch auf eine Verlängerung der Rahmenfrist für den Leistungsbezug um zwei Jahre und sie habe ab diesem Zeitpunkt Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung, sofern die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt seien (Entscheid vom 22. November 2012).
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C. Die Arbeitslosenkasse erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid des kantonalen Gerichts vom 22. November 2012 sei in Bestätigung des Einspracheentscheides vom 14. Mai 2012 aufzuheben.
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D. lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen, während das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) die Gutheissung der Beschwerde beantragt. Das kantonale Gericht verzichtet auf eine Vernehmlassung.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: |
Erwägung 3 |
3.2 Die Rahmenfrist für den Leistungsbezug von Versicherten, die sich der Erziehung ihrer Kinder gewidmet haben, wird gemäss Art. 9b Abs. 1 AVIG um zwei Jahre verlängert, sofern zu Beginn der einem Kind unter zehn Jahren gewidmeten Erziehung eine Rahmenfrist für den Leistungsbezug läuft (lit. a) und im Zeitpunkt der Wiederanmeldung die Anspruchsvoraussetzung der genügenden Beitragszeit nicht erfüllt ist (lit. b). Die Rahmenfrist für die Beitragszeit von Versicherten, die sich der Erziehung ihrer Kinder gewidmet haben, beträgt vier Jahre, sofern zu Beginn der einem Kind unter zehn Jahren gewidmeten Erziehung keine Rahmenfrist für den Leistungsbezug lief (Art. 9b Abs. 2 AVIG). |
(...)
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6. Zu Beginn der Erziehungszeiten beider - unter zehnjährigen - Kinder lief eine Rahmenfrist für den Leistungsbezug (Art. 9b Abs. 1 lit. a AVIG) und die Beschwerdegegnerin kann für den Zeitraum vom 4. Januar 2010 bis 3. Januar 2012 keine genügende Beitragszeit vorweisen (Art. 9b Abs. 1 lit. b AVIG). Die Vorinstanz bejaht zudem die Voraussetzung der Wiederanmeldung bei der Arbeitslosenversicherung im Sinne von Art. 9b Abs. 1 lit. b AVIG mit Wirkung ab 4. Januar 2012, da sie annimmt, eine solche setze keine Abmeldung von der Versicherung voraus. Für die Annahme einer Wiederanmeldung genüge es, dass die Versicherte den Organen der Arbeitslosenversicherung mitgeteilt habe, nach Ablauf der ersten Rahmenfrist für den Leistungsbezug am 3. Januar 2012 weiterhin Leistungen beziehen zu wollen. SECO und Verwaltung sind dagegen der Auffassung, von einer Wiederanmeldung könne bei nur durch Mutterschaftsentschädigungen und vorübergehend angerechneten Zwischenverdienst unterbrochenem Leistungsbezug nicht ausgegangen werden. Zu prüfen ist damit, was unter einer Wiederanmeldung im Sinne von Art. 9b Abs. 1 lit. b AVIG zu verstehen ist. |
Erwägung 7.2 |
7.2.3 Nach der ratio legis des Art. 9b AVIG soll Personen, die infolge Geburt eines Kindes oder wegen Erziehungsaufgaben ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen, der Wiedereinstieg ins Erwerbsleben erleichtert werden (BGE 139 V 37 E. 5.3.1 S. 39; THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 2214 Rz. 113). Art. 9b Abs. 1 AVIG zielt auf Personen, die sich während einer laufenden Rahmenfrist für den Leistungsbezug der Kindererziehung widmen. Sind oder bleiben versicherte Personen hingegen nach der Geburt der Kinder bei der Arbeitslosenversicherung angemeldet, stehen sie dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Sie sind somit bereit und in der Lage, unverzüglich eine Arbeitsstelle anzutreten und müssen für die jederzeit mögliche Aufnahme der neuen Erwerbstätigkeit andere Betreuungspersonen oder -institutionen für ihre Kinder bereits beanspruchen oder zumindest organisiert haben. Bei ihnen fehlt es an der Kausalität zwischen der fehlenden Beitragszeit und der Kindererziehung. |
Erwägung 8 |
Erwägung 9 |
9.1 Nach Ansicht der Vorinstanz ist an einer Wiederanmeldung zum Bezug von Arbeitslosenentschädigung im Sinne von Art. 9b Abs. 1 lit. b AVIG nicht zu zweifeln, nachdem die Versicherte nach Ablauf der Rahmenfrist für den Leistungsbezug vom 4. Januar 2010 bis 3. Januar 2012 den Organen der Arbeitslosenversicherung wiederholt und unmissverständlich mitgeteilt habe, dass sie nach Ablauf der Rahmenfrist für den Leistungsbezug am 3. Januar 2012 weiterhin Leistungen beziehen wolle. Bei dieser Argumentation wird übersehen, dass eine Wiederanmeldung eine vorgängige Abmeldung voraussetzt. Die Beschwerdegegnerin erhielt unbestrittenermassen ab 4. Januar 2010 Arbeitslosentaggelder, von Februar bis Juni 2010 unter Anrechnung eines Zwischenverdienstes, und anschliessend unterbrochen durch den zweimaligen Bezug von Mutterschaftsentschädigung nach den Geburten vom 7. Oktober 2010 und 23. November 2011. Sie blieb während der zweijährigen Rahmenfrist für den Leistungsbezug durchgehend zur Stellenvermittlung und zum Bezug von Arbeitslosenentschädigung angemeldet. Ihre Arbeitslosigkeit wurde nicht infolge der Betreuung ihrer Kinder unterbrochen, denn sie stand dem Arbeitsmarkt weiterhin zur Verfügung. Der Interpretation des kantonalen Gerichts, wonach der Gesetzgeber davon abgesehen habe, den Anspruch von versicherten Personen auf eine Verlängerung der Rahmenfrist für den Leistungsbezug auszuschliessen, welche neben der Kindererziehung gleichzeitig bei den Organen der Arbeitslosenversicherung zur Stellenvermittlung und zum Leistungsbezug gemeldet gewesen seien, kann nicht gefolgt werden. Die Beschwerdegegnerin stand dem Arbeitsmarkt auch nach der Geburt ihrer Kinder durchwegs zur Verfügung. So bestätigte sie am 30. Oktober 2010, dass ihr Sohn ab 7. Januar 2011 von Montag bis Sonntag, jeweils von 7.00 bis 17.00 Uhr von einer Drittperson betreut werde. Eine Stelle hätte sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit unverzüglich antreten müssen. Nur unter diesem Vorbehalt hatte sie sich während ihrer Arbeitslosigkeit der Kinderbetreuung widmen können. Die Beschwerdeführerin weist gestützt auf diese unbestrittene Sachlage zutreffend darauf hin, dass die Versicherte nicht wegen der Kinderbetreuung, sondern einzig deswegen nicht erwerbstätig war, weil sie keine Arbeitsstelle hatte. Damit fehlt der - in Orientierung am Zweck der Gesetzesbestimmung notwendige - Kausalzusammenhang zwischen der fehlenden Beitragszeit im Hinblick auf die Eröffnung einer neuen Rahmenfrist für den Leistungsbezug und den Erziehungszeiten. |
9.2 Die abweichende Auslegung des kantonalen Gerichts widerspricht der ratio legis. Es ist der Beschwerdeführerin beizupflichten, dass eine solche auf eine ungerechtfertigte Besserstellung der Personengruppe hinausläuft, welche sich während einer laufenden Rahmenfrist für den Leistungsbezug trotz Erziehungsaufgaben weiterhin dem Arbeitsmarkt zur Verfügung hält. Denn die Erleichterung, welche Art. 9b Abs. 1 AVIG bietet, soll denjenigen Versicherten vorbehalten sein, welche ihre Erwerbstätigkeit bzw. ihre Arbeitssuche in der Absicht unterbrechen, für die Erziehung eines oder mehrerer Kinder unter zehn Jahren zur Verfügung zu stehen. Ihnen soll durch die gesetzliche Bestimmung der Wiedereinstieg in die Erwerbstätigkeit erleichtert werden. Demgegenüber würde die Anwendung der Norm auf Personen, welche ihre arbeitsmarktliche Verfügbarkeit während der laufenden Rahmenfrist für den Leistungsbezug trotz der Geburt eines oder mehrerer Kinder nicht unterbrechen, eine vom Gesetzgeber nicht vorgesehene Privilegierung gegenüber den übrigen Versicherten bedeuten, welche ebenfalls durchgehend auf Arbeitssuche sind. |