BGer C 191/1998
 
BGer C 191/1998 vom 11.01.2000
«AZA»
C 191/98 Ca
III. Kammer
Bundesrichter Schön, Spira und Bundesrichterin Widmer; Gerichtsschreiberin Kopp Käch
Urteil vom 11. Januar 2000
in Sachen
Amt für Arbeit, Unterstrasse 22, St. Gallen, Beschwerdeführer,
gegen
W.________, 1956, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. S.________,
und
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen
A.- Die 1956 geborene W.________ arbeitete vom 9. November 1992 bis 31. August 1995 als kaufmännische Angestellte; anschliessend war sie arbeitslos. Am 11. Juni 1996 wies das Arbeitsamt der Stadt X.________ W.________ an, sich bei der O.________ AG als Büromitarbeiterin zu bewerben, was sie am 12. Juni 1996 tat. Eine Anstellung ist nicht zu Stande gekommen.
Mit Verfügung vom 28. Oktober 1996 stellte das Kantonale Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (KIGA) St. Gallen W.________ wegen Ablehnung einer zumutbaren Arbeit für 26 Tage in der Anspruchsberechtigung ein.
B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 27. Februar 1998 teilweise gut und wies die Sache zur Vornahme der erforderlichen Abklärungen sowie allfällig neuer Verfügung an das KIGA zurück.
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt das KIGA (ab 1. Juli 1999 Amt für Arbeit, nachfolgend AfA) die Aufhebung des Entscheids des Versicherungsgerichts und die Bestätigung seiner Verfügung vom 28. Oktober 1996.
W.________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen. Das Bundesamt für Wirtschaft und Arbeit (ab 1. Juli 1999 Staatssekretariat für Wirtschaft, nachfolgend seco) hat sich nicht vernehmen lassen.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.- Streitig und zu prüfen ist die Einstellung der Beschwerdeführerin in der Anspruchsberechtigung auf Arbeitslosentaggelder für die Dauer von 26 Tagen ab 12. Juni 1996. Diese Frage beurteilt sich auf Grund der bei Verwirklichung des einstellungsrechtlich relevanten Sachverhaltes geltenden Rechtssätze (BGE 124 V 227 Erw. 1 mit Hinweis), somit nach den in diesem Zeitpunkt gültig gewesenen Bestimmungen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AVIG) und der Arbeitslosenversicherungsverordnung (AVIV).
2.- a) Das kantonale Gericht hat die vorliegend massgebenden Bestimmungen über die Einstellung in der Anspruchsberechtigung wegen Nichtbefolgens von Weisungen des Arbeitsamtes, namentlich der Nichtannahme einer zugewiesenen zumutbaren Arbeit (Art. 17 Abs. 1 und 3 sowie Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG), über den Begriff der zumutbaren Arbeit (Art. 16 AVIG) sowie über die verschuldensabhängige Dauer der Einstellung (Art. 30 Abs. 3 AVIG in Verbindung mit altArt. 45 Abs. 2 AVIV) zutreffend dargelegt. Erwähnt sei nochmals, dass gemäss Rechtsprechung der Einstellungstatbestand der Nichtannahme einer zugewiesenen zumutbaren Arbeit auch dann erfüllt ist, wenn die versicherte Person die Arbeit zwar nicht ausdrücklich ablehnt, es aber durch ihr Verhalten in Kauf nimmt, dass die Stelle anderweitig besetzt wird. Arbeitslose Versicherte haben bei den Verhandlungen mit dem künftigen Arbeitgeber klar und eindeutig die Bereitschaft zum Vertragsabschluss zu bekunden, um die Beendigung der Arbeitslosigkeit nicht zu gefährden (BGE 122 V 38 Erw. 3b; ARV 1984 Nr. 14 S. 167).
b) Die Einstellung in der Anspruchsberechtigung dient dazu, die Schadenminderungspflicht der Versicherten durchzusetzen. Sie hat die Funktion einer Haftungsbegrenzung der Versicherung für Schäden, die die Versicherten hätten vermeiden oder vermindern können. Als versicherungsrechtliche Sanktion bezweckt sie die angemessene Mitbeteiligung der versicherten Person am Schaden, den sie durch ihr Verhalten der Arbeitslosenversicherung in schuldhafter Weise natürlich und adäquat kausal verursacht hat (BGE 124 V 227 Erw. 2b, 122 V 40 Erw. 4c/aa mit Hinweisen). Als Verwaltungssanktion ist die Einstellung vom Gesetzmässigkeits-, Verhältnismässigkeits- und Verschuldensprinzip beherrscht (zum Ganzen: Thomas Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Bd. Soziale Sicherheit, Rz 691). Ein Selbstverschulden der versicherten Person liegt vor, wenn und soweit der Eintritt oder das Andauern der Arbeitslosigkeit nicht objektiven Faktoren zuzuschreiben ist, sondern in einem nach den persönlichen Umständen und Verhältnissen vermeidbaren Verhalten liegt, für das die Versicherung die Haftung nicht übernimmt (ARV 1998 Nr. 9 S. 44 Erw. 2b, 1982 Nr. 4 S. 39 Erw. 1a). In beweisrechtlicher Hinsicht muss der Einstellungstatbestand mit dem im Sozialversicherungsrecht üblichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erfüllt sein (ARV 1993/94 Nr. 31 S. 225 Erw. 3a; Nussbaumer, a.a.O., Rz 693).
3.- Unbestritten ist vorliegend, dass sich die Beschwerdegegnerin auf Anweisung des Arbeitsamtes hin bei der O.________ AG beworben hat, dass eine Anstellung indessen nicht zu Stande gekommen ist. Streitig ist der Grund für dieses Nichtzustandekommen. Zu prüfen ist daher, ob der Versicherten mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit ein Verschulden daran zugeschrieben werden kann, und allenfalls ob die Arbeit zumutbar gewesen wäre.
4.- a) Das KIGA begründet seine Verfügung damit, die Anstellung sei gemäss Rückmeldung der Firma wegen zu hoher Lohnvorstellungen der Beschwerdegegnerin nicht zu Stande gekommen, dies obschon sie darauf aufmerksam gemacht worden sei, dass auf Grund des versicherten Verdienstes ein Lohn ab Fr. 3800.- als zumutbar beurteilt werden müsse.
b) Die Versicherte macht demgegenüber geltend, nach Einreichung der Bewerbungsunterlagen habe sie mit Herrn M.________ von der O.________ AG ein Telefongespräch geführt. Er habe sie u.a. nach früheren Stellen und deren Anforderungsprofil gefragt. So seien sie auch auf den bisherigen Verdienst zu sprechen gekommen. Sie habe diesen genannt und mit ihrer anerkannten Weiterbildung in Fremdsprachen sowie der recht breit gefächerten beruflichen Erfahrung begründet. Er habe daraufhin die Stelle als eher administrative Arbeit, an welcher absolut keine Fremdsprachen angewendet oder verlangt werden, beschrieben. Die Firma sei nur an einer Besetzung als Feststelle, nicht aber als zeitlich begrenzte Zwischenverdienststelle interessiert gewesen, weshalb Herr M.________ versprochen habe, das Arbeitsamt entsprechend zu informieren.
c) Bei den Akten liegt diesbezüglich lediglich ein Schreiben der O.________ AG vom 31. Oktober 1996 an die Beschwerdegegnerin. Darin wird ausgeführt, dass sie anlässlich des erwähnten Telefongesprächs zur Erkenntnis kommen mussten, dass die Bewerberin für diese Anstellung nicht in Frage komme. Gründe dafür seien in den Gehaltsvorstellungen gelegen, die absolut nicht in ihren Rahmen gepasst hätten, sowie der Wunsch zur Einsetzung der Fremdsprachenkenntnisse. Ergänzend wurde erwähnt, die Arbeitsvermittlung sei offensichtlich von falschen Voraussetzungen ausgegangen, denn man habe eine Feststelle besetzen wollen und sei nie an einer Mitarbeiterin nur für eine Zwischenverdienststelle interessiert gewesen. In der Rückmeldung an das Arbeitsamt vom 12. Juni 1996 begründete die O.________ AG das Nichtzustandekommen der Anstellung mit zu hohen Lohnvorstellungen und der Nichteinsetzbarkeit von Fremdsprachenkenntnissen.
5.- Wie das kantonale Gericht in seinem Entscheid darlegt, geht aus den Akten das Verhalten der Versicherten im Zusammenhang mit Bewerbung und Nichtzustandekommen der Anstellung nicht klar hervor. Weder lässt sich ihnen entnehmen, wer die Absage erteilt hat, noch ob und in welchem Umfang die Beschwerdegegnerin Bereitschaft zur Annahme der Stelle bekundet hat. Nicht ersichtlich ist schliesslich auch die Höhe des Lohnangebots, weshalb die Frage, ob die Arbeitslosigkeit durch diese Stelle beendet worden wäre oder ob eine Zwischenverdiensttätigkeit vorgelegen hätte, die nur zusammen mit Kompensationsleistungen zumutbar gewesen wäre, nicht beantwortet werden kann. Letzterenfalls wäre die Firma an einer Anstellung gar nicht interessiert gewesen. Es kann somit nicht mit dem erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der Einstellungstatbestand der Nichtannahme einer zumutbaren Arbeit erfüllt ist, weshalb die Vorinstanz die Sache zu Recht zur Vornahme weiterer Abklärungen zurückgewiesen hat. Daran vermögen insbesonders die beweisrechtlichen Einwendungen des KIGA nichts zu ändern.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
III. Das Kantonale Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit,
St. Gallen, hat der Beschwerdeführerin für das Verfah-
ren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine
Parteientschädigung von Fr. 1500.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
IV. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsge-
richt des Kantons St. Gallen, der Kantonalen Arbeits-
losenkasse St. Gallen und dem Staatssekretariat für
Wirtschaft zugestellt.
Luzern, 11. Januar 2000
Im Namen des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der III. Kammer:
Die Gerichtsschreiberin: