BGer I 282/1999 |
BGer I 282/1999 vom 10.05.2000 |
[AZA 7]
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I 282/99 Hm
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I. Kammer
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Präsident Lustenberger, Bundesrichter Schön, Borella, Spira und Meyer; Gerichtsschreiber Krähenbühl
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Urteil vom 10. Mai 2000
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in Sachen
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K.________, 1948, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt H.________,
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IV-Stelle Zug, Baarerstrasse 11, Zug, Beschwerdegegnerin,
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Verwaltungsgericht des Kantons Zug, Zug
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A.- Mit Verfügung vom 14. Juli 1997 sprach die IV- Stelle Zug K.________ rückwirkend ab 1. Januar 1996 eine ganze Invalidenrente mit Zusatzrente für die Ehefrau zu. Von der gesamten Nachzahlung in Höhe von Fr. 42'560. - brachte sie Fr. 26'482. 40 in Abzug, wovon sie Fr. 15'186. 40 an die ELVIA Versicherungen und Fr. 11'296. - an die SWICA Gesundheitsorganisation zwecks Verrechnung mit von diesen erbrachten und nunmehr teilweise zurückgeforderten Taggeldleistungen überwies.
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B.- Mit Entscheid vom 25. März 1999 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zug die hiegegen erhobene Beschwerde hinsichtlich der Ausrichtung eines Teilbetreffnisses der Rentennachzahlung an die ELVIA ab, während es bezüglich der Überweisung an die SWICA auf das Rechtsmittel nicht eintrat.
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C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt K.________ die Aufhebung des kantonalen Entscheids beantragen, soweit sich dieser auf die Verrechnung mit Taggeldleistungen der ELVIA bezieht.
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Die IV-Stelle und die als Mitinteressierte zur Vernehmlassung eingeladene ELVIA schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) beantragt deren Gutheissung mit Rückweisung der Sache an die Verwaltung.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
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1.- a) Soweit das kantonale Gericht auf die Beschwerde nicht eingetreten ist, weil die SWICA am 12. Juni 1997 vorgängig die Krankentaggeld-Rückforderung sowie deren Verrechnung mit der Rentennachzahlung der Invalidenversicherung verfügt und der Versicherte dagegen keine Einsprache erhoben hatte, wird der vorinstanzliche Entscheid mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht angefochten.
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b) Materiell zu prüfen ist daher einzig, ob das kantonale Gericht die Beschwerde gegen die Verfügung vom 14. Juli 1997 zu Recht abgewiesen hat, soweit darin von der gesamten Rentennachzahlung ein Betrag von Fr. 15'186. 40 abgezogen und mit einer Rückforderung der ELVIA verrechnet worden ist.
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Da es somit nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen geht (BGE 121 V 18 Erw. 2 mit Hinweis), hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
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2.- Unter den Verfahrensbeteiligten besteht Einigkeit darüber, dass sich das Vorgehen der Verwaltung nicht auf Art. 20 Abs. 2 AHVG, welcher im invalidenversicherungsrechtlichen Bereich auf Grund von Art. 50 Abs. 1 IVG sinngemäss anwendbar ist, stützen lässt. Bei den dem Beschwerdeführer auf privatrechtlicher Grundlage ausgerichteten Krankentaggeldern, welche die ELVIA nunmehr teilweise zurückfordert, handelt es sich nicht um Leistungen, welche in das Anwendungsgebiet des Art. 20 Abs. 2 lit. a-c AHVG fallen.
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3.- Ebenso unbestritten ist, dass die Voraussetzungen für eine Drittauszahlung zur Abwendung der Gefahr unzweckmässiger Leistungsverwendung (Art. 45 AHVG in Verbindung mit Art. 50 Abs. 1 IVG; Art. 76 AHVV in Verbindung mit Art. 84 IVV; vgl. BGE 118 V 88) nicht erfüllt sind, insbesondere auch nicht nach Massgabe der über die gesetzlich vorgesehenen Bedingungen hinausgehenden Rechtspraxis (vgl. BGE 118 V 91 Erw. 1b mit Hinweisen).
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4.- Zu prüfen bleibt einzig, ob die von der Verwaltung verfügte und vorinstanzlich geschützte Drittauszahlung an die ELVIA gestützt auf Art. 85bis IVV bestätigt werden kann.
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a) Mit Verordnungsnovelle vom 27. September 1993 (in Kraft seit 1. Januar 1994) erhielt die IVV u.a. neu den Art. 85bis mit dem Randtitel "Nachzahlungen an bevorschussende Dritte". Ihre ausdrückliche gesetzliche Grundlage erhalten hat diese Bestimmung mit der Ergänzung des Art. 50 IVG durch den mit Wirkung ab 1. Januar 1997 im Rahmen der 10. AHV-Revision eingefügten Abs. 2, gemäss welchem Nachzahlungen von Leistungen in Abweichung von Art. 20 Abs. 1 AHVG an Drittpersonen oder Drittstellen ausgerichtet werden können, welche im Hinblick auf die Leistung der Invalidenversicherung Vorschussleistungen erbracht haben (Satz 1; vgl. Meyer-Blaser, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung, in: Murer/Stauffer [Hrsg. ], Die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Zürich 1997, S. 289 f.).
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b) Nach Abs. 1 von Art. 85bis IVV (in der seit 1. Januar 1999 geltenden Fassung) können Arbeitgeber, Einrichtungen der beruflichen Vorsorge, Krankenversicherungen, öffentliche und private Fürsorgestellen oder Haftpflichtversicherungen mit Sitz in der Schweiz, welche im Hinblick auf eine Rente der Invalidenversicherung Vorschussleistungen erbracht haben, verlangen, dass die Nachzahlung dieser Rente bis zur Höhe ihrer Vorschussleistung verrechnet und an sie ausbezahlt wird (Satz 1); vorbehalten bleibt die Verrechnung nach Art. 20 AHVG (Satz 2); die bevorschussenden Stellen haben ihren Anspruch mit besonderem Formular frühestens bei der Rentenanmeldung und spätestens im Zeitpunkt der Verfügung der IV-Stelle geltend zu machen (Satz 3).
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Laut Abs. 2 gelten als Vorschussleistungen einerseits freiwillige Leistungen, sofern die versicherte Person zu deren Rückerstattung verpflichtet ist und sie der Auszahlung der Rentennachzahlung an die bevorschussende Stelle schriftlich zugestimmt hat (lit. a), und andererseits auf Grund eines Vertrages oder eines Gesetzes erbrachte Leistungen, soweit aus dem Vertrag oder dem Gesetz ein eindeutiges Rückforderungsrecht infolge der Rentennachzahlung abgeleitet werden kann (lit. b).
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Abs. 3 schliesslich sieht vor, dass die Nachzahlung höchstens im Betrag der Vorschussleistung und für den Zeitraum, in welchem diese erbracht worden ist, der bevorschussenden Stelle ausbezahlt werden darf.
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c) Die vorliegend interessierende Regelung in Art. 85bis Abs. 2 lit. b IVV hat in den beiden andern amtlichen Fassungen des Französischen und des Italienischen, welche für die Belange der Auslegung grundsätzlich gleichrangig sind (BGE 119 V 127 Erw. 4a), folgenden Wortlaut:
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"2 Sont considérées comme une avance, les prestations
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a. (...);
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b. versées contractuellement ou légalement, pour autant que le droit au remboursement, en cas de paiement d'une rente, puisse être déduit sans équivoque du contrat ou de la loi. "
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"2Sono considerati anticipi le prestazioni:
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a. (...);
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b. versate contrattualmente o legalmente, nella misura in cui il diritto al rimborso, in caso di pagamento di una rendita, possa essere dedotto senza equivoco dal contratto o dalla legge. "
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5.- a) Zu Art. 85bis IVV, welcher lediglich mit Wirkung ab 1. Januar 1999 in der deutschsprachigen Fassung redaktionell geändert worden ist (AS 1998 2581: "Verfügung" statt "Beschluss" der IV-Stelle), hat sich das Eidgenössische Versicherungsgericht vor allem im Zusammenhang mit Vorschussleistungen der öffentlichen Hand (Sozialhilfe) geäussert. In BGE 123 V 33 Erw. 5c/cc bezeichnete es die im Rahmen vorfrageweiser Prüfung vertretene Auffassung der kantonalen Rekurskommission, wonach das zürcherische Sozialhilfegesetz in den § 19 und 20 sowie 27 und 28 kein 'eindeutiges Rückforderungsrecht' im Sinne von Art. 85bis Abs. 2 lit. b IVV enthalte, nicht als willkürlich. Gleich entschieden hat es im nicht veröffentlichten Urteil S. vom 30. April 1998 (I 56/98), in welchem es, ebenfalls im Rahmen vorfrageweiser Willkürprüfung, ein 'eindeutiges Rückforderungsrecht' auf Grund des waadtländischen Sozialhilfegesetzes verneinte.
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b) aa) Vorinstanz und Verwaltung wie auch die mitbeteiligte ELVIA wollen ein 'eindeutiges Rückforderungsrecht' im Sinne von Art. 85bis Abs. 2 lit. b IVV aus den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) der Taggeldversicherung für Unternehmungen ableiten. Unter dem Titel:"Wasgeschieht, wenn der Versicherte auch Anspruch auf Leistungen von Dritten hat?" lauten deren einschlägige Ziffern 24-27:
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"24 Erhält der Versicherte für die Krankheit eine Leistung von staatlichen oder betrieblichen Versicherungen oder von einem haftpflichtigen Dritten, ergänzen wir nach Ende der Wartefrist den von diesen Versicherungen nicht ersetzten Teil des effektiven Erwerbsausfalles, höchstens jedoch das auf der Police aufgeführte Taggeld.
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(...).
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25 Erbringen wir Leistungen anstelle eines haftpflichtigen Dritten, hat uns der Versicherte seine Ansprüche im Umfang unserer Leistungen abzutreten.
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26 Steht der Rentenanspruch einer staatlichen oder betrieblichen Versicherung noch nicht fest und erbringen wir das versicherte Taggeld, können ab Beginn des Rentenanspruchs die zu viel erbrachten Leistungen zurückgefordert werden.
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27 Bei Versicherung fester Leistungen haben die Ziff. 24-26 keine Gültigkeit. "
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bb) Ziff. 26 AVB enthält somit eine Bestimmung über die Rückforderung. Dieses Rückforderungsrecht richtet sich indessen ausdrücklich gegen den Versicherten selbst und nicht gegen den ebenfalls Leistungen erbringenden Sozialversicherungsträger. Diesen Rechtsumstand hatte die kantonale Rekurskommission in dem in BGE 123 V 25 beurteilten Fall als für die Verneinung eines 'eindeutigen Rückforderungsrechtes' im Sinne von Art. 85bis Abs. 2 lit. b IVV entscheidend betrachtet, was das Eidgenössische Versicherungsgericht, wie erwähnt (Erw. 5a), im Rahmen der Willkürprüfung nicht beanstandete. An dieser Betrachtungsweise ist auch bei freier Prüfung des Bundesrechts (Art. 104 lit. a OG) festzuhalten. Der Anspruch auf die in Art. 85bis IVV vorgesehene Drittauszahlung geht weit über den blossen Rückerstattungsanspruch hinaus, welcher einem Versicherungsträger wegen unrechtmässigen Leistungsbezuges - etwa aus Gründen der Überversicherung - gegenüber dem Versicherten zusteht. Die Drittauszahlung setzt nicht nur die materiellrechtliche Begründetheit der Rückforderung und die Rückkommensvoraussetzungen (BGE 110 V 176) voraus, sondern geht mit einem Schuldner- und Gläubigerwechsel einher, welcher die Verrechnung von Nachzahlung und Rückforderung erst möglich macht. Dem BSV ist daher beizupflichten, wenn es unter Hinweis auf das nicht veröffentlichte Urteil P. vom 20. Mai 1999 (I 397/98) verlangt, dass ein gegenüber der Invalidenversicherung bestehender direkter Rückerstattungsanspruch normativ festgehalten sein muss, damit von einem 'eindeutigen Rückforderungsrecht' gesprochen werden kann. Als Beispiel einer solchen Regelung führt es Art. 48 Abs. 5ter des Beamtengesetzes (BtG; SR 172. 221.10) an, welcher lautet:
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"Bezieht ein Versicherter der Pensionskasse des Bundes eine Invalidenleistung nach deren Statuten und den festen Zuschlag, so wird bei einer allfälligen Nachzahlung einer Invalidenrente nach dem Bundesgesetz über die Invalidenversicherung der feste Zuschlag mit der nachzubezahlenden Invalidenrente verrechnet. "
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Diese Auffassung wird auch vom Verwaltungsgericht des Kantons Bern geteilt, welches erst unter der Herrschaft des auf den 1. Juli 1998 entsprechend geänderten Art. 25 des Gesetzes des Kantons Bern über das Fürsorgewesen vom 3. Dezember 1961 (Fürsorgegesetz; FüG BE; BSG 860. 1) ein 'eindeutiges Rückforderungsrecht' angenommen hat (BVR 2000/3 S. 138 Erw. 6a).
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c) Was für öffentlichrechtliche Leistungen mit Vorschusscharakter gilt, hat auch für privatrechtliche Vorleistungen massgebend zu sein. Ein direktes Rückforderungsrecht gegenüber der nachträglich leistenden Invalidenversicherung muss in den vertraglichen Grundlagen, etwa in den AVB, festgehalten werden. Daran fehlt es im vorliegend zu beurteilenden Fall, weshalb das Vorgehen der Verwaltung und die dieses schützende Erkenntnis des kantonalen Gerichts vor Bundesrecht nicht Stand zu halten vermögen. Besondere Verhältnisse wie im nicht veröffentlichten Urteil W. vom 3. Dezember 1993 (I 405/92), in welchem das Eidgenössische Versicherungsgericht die Drittauszahlung trotz fehlender ausdrücklicher gesetzlicher Grundlage bestätigen konnte, weil der Leistungsbezug nur unter ausdrücklichem Vorbehalt der Verrechnung mit einer später für die gleiche Zeit zugesprochenen Invalidenrente erfolgt war, sind nicht ersichtlich.
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6.- Da nicht der Anspruch auf Versicherungsleistungen zu beurteilen war, ist das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht kostenpflichtig (Umkehrschluss aus Art. 134 OG). Dem Prozessausgang entsprechend sind die Gerichtskosten von der unterliegenden Verwaltungsstelle zu tragen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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I. In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug vom 25. März 1999 und die Verfügung der IV-Stelle Zug vom 14. Juli 1997 bezüglich der Drittauszahlung von Fr. 15'186. 40 an die ELVIA Versicherungen aufgehoben.
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II. Die Gerichtskosten von Fr. 800. - werden der IV-Stelle Zug auferlegt.
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III. Die IV-Stelle Zug hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2'500. - (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
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IV. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zug wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.
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V. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug, der Ausgleichskasse des Kantons Zug, dem Bundesamt für Sozialversicherung und der ELVIA Versicherungen zugestellt.
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Luzern, 10. Mai 2000
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Im Namen des
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Eidgenössischen Versicherungsgerichts
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Der Präsident der I. Kammer:
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Der Gerichtsschreiber:
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