BGer H 24/1998 |
BGer H 24/1998 vom 04.07.2000 |
[AZA 7]
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H 24/98 Hm
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III. Kammer
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Bundesrichter Schön, Spira und Bundesrichterin Widmer;
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Gerichtsschreiber Grünvogel
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Urteil vom 4. Juli 2000
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in Sachen
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G.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Ubald Bisegger, Mellingerstrasse 6, Baden,
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gegen
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Ausgleichskasse der Aargauischen Industrie- und Handelskammer, Entfelderstrasse 11, Aarau, Beschwerdegegnerin,
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und
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Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau
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A.- Die Firma X.________ (nachfolgend Firma) war der Ausgleichskasse der Aargauischen Industrie- und Handelskammer angeschlossen. Am 1. März 1993 wurde über die Firma der Konkurs eröffnet, in welchem die Ausgleichskasse eine Forderung für nicht bezahlte paritätische Sozialversicherungsbeiträge aus der Zeit von August 1992 bis zur Konkurseröffnung in Höhe von Fr. 272'544. 20 eingab (inkl. Verwaltungskosten, Verzugszinsen, Mahngebühren und Betreibungsspesen). Am 4. Mai 1994 erstattete die im Nachgang der ersten Gläubigerversammlung als ausseramtliche Konkursverwaltung eingesetzte Projektgruppe A.________ den Gläubigern einen ersten Zwischenbericht; am 12. April 1995 lud sie zur zweiten Gläubigerversammlung ein. Der Kollokationsplan lag vom 1. bis 11. Juni 1994 zur Einsicht auf. Mit Verfügung vom 15. Januar 1996 forderte die Ausgleichskasse von G.________, ehemaliger Präsident und einziges Mitglied des Verwaltungsrates, Schadenersatz in der Höhe von Fr. 283'661. 15. Der Inpflichtgenommene legte dagegen Einspruch ein.
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B.- Nachdem die Konkursverwaltung der Ausgleichskasse mit Anzeige vom 21. Februar 1996 mitgeteilt hatte, dass von der im Konkurs zugelassenen Forderung ein Betrag von Fr. 231'005. 75 ungedeckt bleibe, erhob die Ausgleichskasse beim Versicherungsgericht des Kantons Aargau Klage mit dem Antrag auf Zahlung von Schadenersatz in besagter Höhe. Nach Durchführung eines zweifachen Schriftenwechsels, Aktenergänzungen bei der Ausgleichskasse und dem Handelsgericht des Kantons Aargau sowie am 21. Oktober 1997 abgehaltener öffentlicher Schlussverhandlung hiess das Versicherungsgericht die Klage mit Entscheid vom 9. Dezember 1997 teilweise gut und verpflichtete G.________, der Ausgleichskasse Schadenersatz von Fr. 136'042. 25 zu bezahlen.
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C.- G.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Begehren, der vorinstanzliche Gerichtsentscheid sei aufzuheben und die Klage abzuweisen; eventuell sei die Angelegenheit für weitere Beweiserhebungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Während die Ausgleichskasse Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt, verzichtet das Bundesamt für
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Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
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1.- Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
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Weil der Schadenersatzprozess nach Art. 52 AHVG nicht unter den Begriff der Abgabestreitigkeiten im Sinne von
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Art. 114 Abs. 1 OG fällt, darf das Gericht weder zu Gunsten noch zu Ungunsten der Parteien über deren Begehren hinausgehen; an die Begründung der Begehren ist es nicht gebunden (BGE 119 V 392 Erw. 2b).
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2.- Das kantonale Gericht hat unter Hinweis auf Gesetz (Art. 52 AHVG) und Rechtsprechung (vgl. statt vieler: BGE 123 V 15 Erw. 5b) die Voraussetzungen richtig dargelegt, unter denen ein verantwortliches Organ einer juristischen Person der Ausgleichskasse den durch schuldhafte Missach- tung der Vorschriften über die Beitragsabrechnung und -be- zahlung (Art. 14 Abs. 1 AHVG; Art. 34 ff. AHVV) entstande- nen Schaden zu ersetzen hat. Dabei hat es insbesondere die hier in erster Linie interessierende Haftungsvoraussetzung des zumindest grobfahrlässigen Verschuldens (BGE 121 V 244 Erw. 4b und 5, 119 V 87 Erw. 5a, 108 V 186 Erw. 1b; ZAK 1992 S. 248 Erw. 4b mit Hinweisen, 1986 S. 224 Erw. 5b) aufgezeigt. Darauf kann verwiesen werden. Zutreffend sind auch die Ausführungen zur Verwirkung der Schadenersatzforderung (Art. 82 AHVV; BGE 119 V 92 Erw. 3) und zum Zeitpunkt der Kenntnis des Schadens (BGE 116 V 76 Erw. 3b, 113 V 183 Erw. 3b; AHI 1996 S. 161 Erw. 3b; ZAK 1992 S. 252 Erw. 5c, 479 Erw. 3b; vgl. auch BGE 121 V 240; AHI 1995 S. 163 Erw. 4c-d).
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3.- Inwieweit die Vorinstanz den rechtserheblichen Sachverhalt mangelhaft im Sinne von Art. 105 Abs. 2 OG festgestellt haben sollte, wie vom Beschwerdeführer geltend gemacht wird, ist nicht erkennbar. Es steht ihr im Rahmen der freien Beweiswürdigung durchaus zu, Beweisofferten auszuschlagen, die rechtlich nicht erhebliche Tatsachen betreffen oder von vornherein untauglich sind, ohne dies ausdrücklich im Entscheid zu erwähnen (BGE 117 Ia 268 Erw. 4b mit Hinweis). Ebenso kann das Gericht trotz des das Verfahren beherrschenden Untersuchungsgrundsatzes von Beweiserhebungen absehen, welche am feststehenden Ergebnis nichts mehr ändern könnten (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 124 V 94 Erw. 4b, 122 V 162 Erw. 1d mit Hinweisen; so z.B. den Notar U. Schmid als Zeugen über den behaupteten Umstand, der Beschwerdeführer habe im Februar 1993 noch einen Teilverkauf einer Liegenschaft zur Rettung der Unternehmung ins Auge gefasst, einzuvernehmen; Erw. 5 hienach). Sodann hatten die Parteien anlässlich der am 21. Oktober 1997 durchgeführten mündlichen Schlussverhandlung Gelegenheit, sich zu den beigezogenen Handelsgerichtsakten zu äussern, womit es auch nicht gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör verstösst, wenn die Vorinstanz zur Sachverhaltsklärung darauf abgestellt hat (Näheres zum Anspruch auf rechtliches Gehör: BGE 124 I 51 Erw. 3a, 242 Erw. 2, 124 II 137 Erw. 2b, 124 V 181 Erw. 1a, 375 Erw. 3b, je mit Hinweisen).
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4.- Wie von der Vorinstanz zutreffend und einlässlich dargetan - worauf zu verweisen ist -, konnte die Ausgleichskasse die für die Geltendmachung des Anspruchs erforderliche Kenntnis des Schadens frühestens mit dem Erhalt der Einladung der Konkursverwaltung zur zweiten Gläubigerversammlung vom 12. April 1995 erlangen, weshalb die Kasse die Schadenersatzverfügung vom 15. Januar 1996 innerhalb der einjährigen Verwirkungsfrist des Art. 82 Abs. 1 AHVV erlassen hat.
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Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, überzeugt nicht. Zwar gab die Konkursverwaltung in ihrem ersten Rundschreiben vom 4. Mai 1994 insoweit eine Prognose über die zu erwartenden Verluste ab, als sie die per 1. März 1993 bewerteten freien Aktiven von rund Fr. 820'000. - den provisorisch im noch zur Veröffentlichung anstehenden Kollokationsplan aufgenommenen Forderungen gegenüberstellte. Gleichzeitig wies sie aber darauf hin, bezüglich möglicher Verantwortlichkeiten die als richtig erscheinenden Massnahmen bereits in die Wege geleitet zu haben. Was sie damit meinte, zeigt die von ihr nur kurze Zeit später (am 27. Juni 1994) beim Handelsgericht des Kantons Aargau eingereichte Verantwortlichkeitsklage gegen Organe der konkursiten Firma in der Höhe von über Fr. 1,3 Mio. Bei voller Gutheissung dieser Klage hätte dies - ausgehend von den im Schreiben vom 4. Mai 1994 als provisorisch im Kollokationsplan aufgenommen aufgeführten Forderungen - bei einer entsprechenden Solvenz der Beklagten eine volle Befriedigung der ersten beiden Gläubigerklassen und damit auch der zur zweiten Klasse gehörenden Ausgleichskasse (Art. 219 Abs. 4 zweite Klasse lit. f-h SchKG in der bis Ende 1996 gültig gewesenen und hier anwendbaren Fassung) bedeutet. Allein der Umstand, dass die Konkursverwaltung von sich aus einzelne Organe ins Recht zu fassen versuchte, zeigt auf, dass sie die dabei geltend gemachten Forderungen nach einer ersten Prüfung der Sach- und Rechtslage als begründet sowie als erhältlich betrachtete, weshalb für die Ausgleichskasse nach dem Erhalt des besagten Rundschreibens vom 4. Mai 1994 noch nicht absehbar war, ob ihre Forderung durch die Dividende, die sie im Konkurs erwarten durfte, sehr wahrscheinlich nicht voll gedeckt sein würde (BGE 121 V 242 Erw.
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3c/bb mit Hinweis).
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5.- Das kantonale Gericht hat verbindlich festgestellt (vgl. Erw. 1 hievor), dass die nachmalige Konkursitin die paritätischen Sozialversicherungsbeiträge für die Zeit ab August 1992 bis zur Konkurseröffnung am 1. März 1993 nicht abgeliefert hat. Allerdings betrachtete die Vorinstanz den Beschwerdeführer für die Zahlungsperioden August bis Oktober 1992 als exkulpiert, sodass aus der Folgezeit bis zur Konkurseröffnung ein Schaden von Fr. 136'042. 25 resultierte. Damit verstiess die Firma gegen die Beitragszahlungspflicht und missachtete Vorschriften im Sinne von Art. 52 AHVG. Dieses Verschulden der Arbeitgeberin hat die Vorinstanz zu Recht dem Beschwerdeführer als einzigem Verwaltungsratsmitglied und Verwaltungsratspräsidenten als grobfahrlässiges Verhalten angerechnet: Nach dem Scheitern der Kreditverhandlungen am 10. Dezember 1992 mit den Gläubigerbanken und der damit verbundenen Pflicht, bis Ende Dezember 1992 zwei Darlehen in der Höhe von Fr. 11,5 Mio. zurückzuzahlen, durfte der Beschwerdeführer angesichts der massiven Überschuldung des Betriebes, wie sie bereits im provisorischen Zwischenabschluss per 30. September 1992 zum Ausdruck kam, ungeachtet der weiteren Sanierungsbemühungen (u.a. Versuch eines Teilverkaufs der Liegenschaft der Firma in der Höhe von Fr. 1,5 Mio. im Februar 1993) nicht (mehr) davon ausgehen, dass es sich bei den finanziellen Schwierigkeiten der Firma um bloss vorübergehende Liquiditätsprobleme handelte. Vielmehr musste spätestens ab diesem Zeitpunkt ernsthaft mit der Notwendigkeit einer Betriebsschliessung gerechnet werden. Unter diesen Umständen wäre er verpflichtet gewesen, für eine ordnungsgemässe Bezahlung der ab dem 10. Dezember 1992 fälligen Beiträge zu sorgen. Im Hinblick auf den drohenden Konkurs hätte er keine Lohnzahlungen mehr veranlassen dürfen, ohne die jeweiligen Sozialversicherungsbeiträge ordnungsgemäss abzuführen. Daraus folgt aber auch, dass für die Verschuldensfrage ohne Belang ist, wer die Kreditverhandlungen letztlich zum Scheitern gebracht hat, was der Beschwerdeführer bei seinen Vorbringen übersieht.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
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II. Die Gerichtskosten von Fr. 5000. - werden dem Beschwerdeführer auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.
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III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
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Luzern, 4. Juli 2000
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Im Namen des
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Eidgenössischen Versicherungsgerichts
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Der Präsident der III. Kammer:
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Der Gerichtsschreiber:
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