BGer 1A.283/2000
 
BGer 1A.283/2000 vom 20.11.2000
[AZA 0/2]
1A.283/2000/boh
I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
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20. November 2000
Es wirken mit: Bundesrichter Aemisegger, Präsident der
I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter Féraud,
Ersatzrichterin Pont Veuthey und Gerichtsschreiber Forster.
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In Sachen
B.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Jürg Brand und Fürsprecher Martin Winterberger, Talstrasse 82, Zürich,
gegen
B undesamt für Justiz, Abteilung Internationales, Sektion Auslieferung,
betreffend
Auslieferungshaft, hat sich ergeben:
A.-Aufgrund eines Fahndungsersuchens von Interpol Washington bzw. des U.S. Department of Justice (Office of International Affairs) wurde der amerikanische Staatsangehörige B.________ am 4. Februar 2000 auf dem Flughafen Zürich-Kloten festgenommen und in vorläufige Auslieferungshaft versetzt. Anlässlich seiner Befragung vom 6. Februar 2000 widersetzte sich der Verfolgte einer vereinfachten Auslieferung an die USA. Haftbeschwerden des Verfolgten wurden von der Anklagekammer des Bundesgerichtes mit Urteilen vom 7. März, 24. März und 6. April 2000 abgewiesen.
B.-Mit diplomatischer Note vom 29. März 2000 übermittelte die Botschaft der USA in Bern dem Bundesamt für Polizei ein förmliches Auslieferungsgesuch. Dem Verfolgten wird Betrug und Geldwäscherei vorgeworfen. Am 7. Juli 2000 bewilligte das Bundesamt für Justiz die Auslieferung. Dagegen gelangte der Verfolgte mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 10. August 2000 an das Bundesgericht (Verfahren 1A.221/ 2000).
C.-Mit Eingabe an das Bundesamt für Justiz vom 30. Oktober 2000 stellte B.________ das Gesuch um unverzügliche Entlassung aus der Auslieferungshaft (eventualiter unter Anordnung von Ersatzmassnahmen). Mit Verfügung vom 31. Oktober 2000 übermittelte das Bundesamt für Justiz das Haftentlassungsgesuch zuständigkeitshalber dem Bundesgericht.
Mit Schreiben vom 7. November 2000 verzichtete das Bundesamt für Justiz auf eine (über die Ausführungen im Übermittlungsschreiben vom 31. Oktober 2000 hinausgehende) Vernehmlassung. Am 10. und 13. November 2000 reichte der Verfolgte beim Bundesgericht weitere Eingaben betreffend Haftentlassung ein. Am 16. November 2000 erfolgte seine förmliche Replik.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.-a) Der Verfolgte kann im Auslieferungsverfahren jederzeit ein Haftentlassungsgesuch stellen und ablehnende Verfügungen der zuständigen Bundesverwaltungsbehörde an die Anklagekammer des Bundesgerichtes weiterziehen (Art. 50 Abs. 3, Art. 48 Abs. 2 IRSG). Während der Dauer einer beim Bundesgericht hängigen Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Auslieferungsentscheid ist die (damit befasste) I. öffentlichrechtliche Abteilung zur Prüfung von Gesuchen um Entlassung aus der Auslieferungshaft zuständig (BGE 117 IV 359 E. 1a S. 360 f.). Beim Bundesamt für Justiz eingehende Haftbeschwerden sind in diesem Verfahrensstadium von Amtes wegen an das Bundesgericht weiterzuleiten.
Das Haftentlassungsgesuch vom 30. Oktober 2000 wird im vorliegenden Beschwerdeverfahren (1A. 283/2000) behandelt, während die Frage der Zulässigkeit der Auslieferung separat (im Verfahren 1A.221/2000) zu prüfen ist.
2.-Die Entlassung aus der Auslieferungshaft ist an strengere Voraussetzungen geknüpft als die Entlassung aus der Untersuchungshaft (BGE 111 IV 108 E. 2 S. 110). Die Auslieferungshaft kann nur ausnahmsweise aufgehoben werden, wenn dies nach den Umständen angezeigt erscheint (Art. 50 Abs. 3 IRSG). Im Auslieferungsverfahren bildet nämlich die Verhaftung des Verfolgten während des ganzen Verfahrens die Regel (BGE 117 IV 359 E. 2a S. 362). Dieser Grundsatz soll der Schweiz die Erfüllung ihrer staatsvertraglichen Auslieferungspflichten ermöglichen (BGE 109 Ib 223 E. 2c S. 227).
Auch Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK anerkennt ein schwebendes Auslieferungsverfahren ausdrücklich als zulässigen Haftgrund.
Von Auslieferungshaft kann namentlich abgesehen werden, wenn der Verfolgte sich voraussichtlich der Auslieferung nicht entzieht und die Strafuntersuchung nicht gefährdet (Art. 47 Abs. 1 lit. a IRSG), wenn er ohne Verzug nachweisen kann, dass er zur Zeit der Tat nicht am Tatort war (Art. 47 Abs. 1 lit. b IRSG), falls er nicht hafterstehungsfähig ist (Art. 47 Abs. 2 IRSG), falls das Auslieferungsersuchen und dessen Unterlagen nicht rechtzeitig eintreffen (Art. 50 Abs. 1 IRSG), falls die Auslieferung offensichtlich unzulässig ist (Art. 51 Abs. 1 IRSG) oder abgelehnt wird (Art. 56 Abs. 2 IRSG), oder falls der ersuchende Staat nicht rechtzeitig für die Übernahme des Auszuliefernden sorgt (Art. 61 IRSG). Die Ausschlussgründe für Auslieferungshaft sind im Gesetz zwar nicht abschliessend geregelt.
Die Bestimmung von Art. 50 Abs. 3 IRSG (wonach die Auslieferungshaft "in jedem Stande des Verfahrens ausnahmsweise aufgehoben" werden kann, "wenn dies nach den Umständen angezeigt erscheint") enthält jedoch keinen selbständigen Haftentlassungsgrund; sie stellt eine allgemeine Verfahrensvorschrift dar (vgl. BGE 117 IV 359 E. 2a S. 361 f.).
3.-a) Im vorliegenden Fall sind das Auslieferungsgesuch und dessen Unterlagen von der ersuchenden Behörde rechtzeitig übermittelt worden. Die Auslieferung ist weder offensichtlich unzulässig, noch wurde sie abgelehnt. Ebenso wenig wurde die Übernahmefrist von Art. 61 IRSG missachtet.
Die Frage der Zulässigkeit der Auslieferung ist im Übrigen nicht im vorliegenden Haftprüfungsverfahren zu beurteilen; sie bildet vielmehr Gegenstand des separaten Auslieferungsbeschwerdeverfahrens (1A. 221/2000).
b) Wie bereits dargelegt, bildet im Auslieferungsverfahren die Verhaftung des Verfolgten die Regel. Die Entlassung aus der Auslieferungshaft ist an strengere Voraussetzungen geknüpft als die Entlassung aus der Untersuchungshaft.
Von Auslieferungshaft kann allenfalls abgesehen werden, wenn der Verfolgte sich voraussichtlich der Auslieferung nicht entzieht und die Strafuntersuchung nicht gefährdet (Art. 47 Abs. 1 lit. a IRSG).
Der Beschwerdeführer ist US-amerikanischer Staatsangehöriger.
Wie sich aus den Akten ergibt, handelt es sich beim Verfolgten um einen sehr vermögenden sowie mobilen und reisegewandten Geschäftsmann. Wie er im Auslieferungsersuchen selbst ausführlich dargelegt hat, droht ihm im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung in den USA eine empfindliche Freiheitsstrafe. Gemäss den Darlegungen im Rechtshilfeersuchen hat der Verfolgte versucht, sich dem Zugriff der amerikanischen Justiz zu entziehen. Ausserdem habe er über Mittelsleute und Tarnfirmen in verschiedenen Staaten Vermögenswerte in Millionenhöhe angelegt. Bei dieser Sachlage ist von einer erheblichen Fluchtgefahr auszugehen, welche auch durch mildere Ersatzmassnahmen (Kaution, Pass- und Schriftensperre, Meldepflicht usw.) nicht ausreichend gebannt werden könnte. Die Fortdauer der Haft steht daher sowohl mit der Verfassung (Art. 10 Abs. 2, Art. 31 BV) als auch mit Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK und Art. 47 Abs. 1 lit. a IRSG im Einklang. Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem
4. Februar 2000 in Auslieferungshaft, somit seit gut neun Monaten. Angesichts der Schwere der Tatvorwürfe (laut Ersuchen handelt es sich um Betrug und Geldwäscherei in Millionenhöhe) und der ihm nach eigener Darstellung drohenden mehrjährigen Freiheitsstrafe ist auch keine übermässige Haftdauer gegeben.
c) Der Beschwerdeführer verweist auf die "Berichterstattung zu den Talfahrten der Internetaktien am neuen Markt und insbesondere zum Miracle-Debakel". Seiner Ansicht nach sei es "offensichtlich, dass die hier geschilderten Vorkommnisse weit über das hinaus" gingen, "was gemäss Auslieferungsersuchen" zu seinen Lasten dargelegt werde. Insbesondere liege in seinem Fall kein strafrechtlich relevanter Schaden vor.
Aus diesen Vorbringen ist keinerlei Haftentlassungsgrund ersichtlich. Insbesondere vermögen sie keinen liquiden Alibibeweis (im Sinne von Art. 47 Abs. 1 lit. b bzw. Art. 53 IRSG) zu begründen (vgl. dazu BGE 123 II 279 E. 2b S. 281 f.; 113 Ib 276 E. 3b - c S. 281 - 83, je mit Hinweisen.). Soweit sich der Beschwerdeführer auf Auslieferungshindernisse beruft (fehlende beidseitige Strafbarkeit, Lückenhaftigkeit des Rechtshilfeersuchens usw.), sind seine Vorbringen im Auslieferungsbeschwerdeverfahren (1A. 221/2000) zu prüfen.
d) Von Auslieferungshaft kann schliesslich abgesehen werden, wenn der Verfolgte nicht hafterstehungsfähig ist oder andere Gründe dies rechtfertigen (Art. 47 Abs. 2 IRSG).
Der Beschwerdeführer macht geltend, er befinde sich "offenbar in einem nicht mehr unbedenklichen Gesundheitszustand".
Er leide "seit rund 2 - 3 Wochen" an "geschwollenen Gelenken, starkem Durchfall und grossem Gewichtsverlust", und es gebe bei ihm "Anzeichen psychischen Verfalls". Er verweist in diesem Zusammenhang auf ein Schreiben seines Rechtsvertreters vom 13. November 2000 an das Inselspital Bern. Darin werden "den mit dem Fall B.________ betrauten Sachbearbeitern aller Stufen in den USA zivil- und strafrechtliche Verfahren" angedroht, "sollte sich herausstellen, dass" der Verfolgte "durch Unterlassungen in der schweizerischen Auslieferungshaft krank geworden ist oder sich eine Krankheit verschlimmert hat". Ausserdem werden medizinische Untersuchungen im Inselspital Bern in Aussicht genommen. In der Replik vom 16. November 2000 wird ausgeführt, der Beschwerdeführer habe sich "im Flughafengefängnis eine Viruskrankheit oder eine bakterielle Entzündung zugezogen" bzw.
er habe "kritische Blutwerte". Die "Frage der Hafterstehungsfähigkeit" könne jedoch "erst aufgrund der im Verlauf der nächsten Woche zu erwartenden Arztberichte definitiv beantwortet werden".
Zwar ist jeder Freiheitsentzug zwangsläufig mit erheblichen (insbesondere psychischen) Belastungen für den Betroffenen verbunden. Der Beschwerdeführer legt jedoch nicht dar, dass er an einer Krankheit leide, die in der Auslieferungshaft nicht ausreichend medizinisch behandelt werden könnte, oder dass er in anderer Weise objektiv hafterstehungsunfähig wäre. Auch aus den Akten ergeben sich keine entsprechenden Hinweise. Diesbezüglich bleiben jedenfalls die von ihm selbst in Aussicht gestellten medizinischen Untersuchungen abzuwarten.
4.-Nach dem Gesagten ist die Haftbeschwerde als unbegründet abzuweisen.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend, sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.-Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.-Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt
3.-Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Bundesamt für Justiz, Abteilung Internationales, Sektion Auslieferung, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 20. November 2000
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
Der Präsident:
Der Gerichtsschreiber: