BGer B 20/2000
 
BGer B 20/2000 vom 29.12.2000
[AZA 7]
B 20/00 Vr
I. Kammer
Präsident Lustenberger, Bundesrichter Schön, Borella, Rüedi
und Bundesrichterin Leuzinger; Gerichtsschreiber Hadorn
Urteil vom 29. Dezember 2000
in Sachen
L.________, Beschwerdeführer,
gegen
1. Winterthur-Stiftung für die obligatorische berufliche
Vorsorge, Paulstrasse 9, Winterthur,
2. Winterthur Stiftung für Personalversicherungen, Paulstrasse
9, Winterthur, Beschwerdegegnerinnen, beide vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Martin Laur, Mühlebachstrasse 42, Horgen,
und
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
A.- L.________, alleiniger Verwaltungsrat der X.________ AG, war obligatorisch bei der Winterthur-Stiftung für obligatorische berufliche Vorsorge sowie im überobligatorischen Bereich bei der Winterthur Stiftung für Personalversicherungen vorsorgeversichert. Am 27. August 1993 fiel die X.________ AG in Konkurs. In der Folge nahm L.________ eine selbstständige Erwerbstätigkeit auf und ersuchte beide Vorsorgestiftungen um Barauszahlung der jeweiligen Freizügigkeitsleistungen. Die zwei Vorsorgeeinrichtungen kamen diesem Gesuch in der Weise nach, dass sie von den bei ihnen vorhandenen Freizügigkeitsleistungen jeweils verrechnungsweise die noch nicht bezahlten Prämien in Abzug brachten und den Saldo an L.________ überwiesen.
B.- L.________ erhob Klage gegen beide Stiftungen mit dem Antrag, ihm Fr. 63'083.- bzw. Fr. 21'493.- zuzüglich Zins zu 5 % seit 28. August 1993 zu bezahlen. Mit Entscheid vom 17. Januar 2000 wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich diese ab.
C.- L.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem sinngemässen Antrag, die Stiftungen seien zu verpflichten, die Freizügigkeitsleistungen vollumfänglich auszuzahlen.
Beide Vorsorgeeinrichtungen und das Bundesamt für Sozialversicherung schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.- a) Die vorliegende Streitigkeit unterliegt der Gerichtsbarkeit der in Art. 73 BVG erwähnten richterlichen Behörden, welche sowohl in zeitlicher als auch in sachlicher Hinsicht zuständig sind (BGE 122 V 323 Erw. 2, 120 V 18 Erw. 1a, je mit Hinweisen).
b) Beim Prozess um Freizügigkeitsleistungen (Entstehung, Höhe, Erfüllung usw.) handelt es sich um einen Streit um Versicherungsleistungen, weshalb sich die Überprüfungsbefugnis des Eidgenössischen Versicherungsgerichts nach Art. 132 OG richtet. Danach ist die Kognition nicht auf die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens beschränkt, sondern sie erstreckt sich auch auf die Angemessenheit der angefochtenen Verfügung. Das Gericht ist dabei nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden und kann über die Begehren der Parteien zu deren Gunsten oder Ungunsten hinausgehen. Ferner ist das Verfahren in der Regel kostenlos (Art. 134 OG; BGE 114 V 36 Erw. 1c).
2.- a) Die Verrechenbarkeit sich gegenüberstehender Forderungen stellt nach Lehre und Rechtsprechung einen allgemeinen Rechtsgrundsatz dar, der für das Zivilrecht in Art. 120 ff. OR ausdrücklich verankert ist, aber auch im Verwaltungsrecht zur Anwendung gelangt. Unter Vorbehalt verwaltungsrechtlicher Sonderbestimmungen können im Prinzip Forderungen und Gegenforderungen des Bürgers und des Gemeinwesens miteinander verrechnet werden. Der Verrechnungsgrundsatz gilt insbesondere auch im Bundessozialversicherungsrecht, und zwar selbst in jenen Zweigen, welche dies nicht ausdrücklich vorsehen; allerdings kennen die meisten Gebiete der Sozialversicherung eine ausdrückliche Regelung (BGE 110 V 185 Erw. 2 mit Hinweisen; Rhinow/Krähenmann, Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband, S. 94 f., Haefelin/Müller, Grundriss des allgemeinen Verwaltungsrechts,
2. Aufl. , S. 35 Rz 151 und S. 152 Rz 642 ff.; Urs Ursprung, Die Verrechnung öffentlichrechtlicher Geldforderungen, ZBl 80, 1979, S. 152 ff.; Rüedi, Allgemeine Rechtsgrundsätze des Sozialversicherungsprozesses, in: Schluep et al.
[Hrsg. ], Recht, Staat und Politik am Ende des zweiten Jahrtausends, Bern 1993, S. 454). Im Bereich der Berufsvorsorge ist die spezielle Frage der Verrechenbarkeit von Forderungen, welche der Arbeitgeber an die Vorsorgeeinrichtung abgetreten hat, gesetzlich - in restriktivem Sinn - geregelt (Art. 39 Abs. 2 BVG; vgl. dazu BGE 114 V 33 sowie das in SZS 1991 S. 32 teilweise publizierte Urteil J. vom 30. August 1990, B 18/90).
Wie im Privatrecht, ist auch im Verwaltungs- und insbesondere im Sozialversicherungsrecht eine Verrechnung nur möglich, wenn folgende grundsätzliche Voraussetzungen erfüllt sind: Forderung und Gegenforderung, die verrechnet werden sollen, müssen zwischen den gleichen Rechtsträgern bestehen; die zur Verrechnung gebrachte Forderung muss fällig und rechtlich durchsetzbar sein (Imboden/Rhinow, Verwaltungsrechtsprechung, 6. Aufl. , Bd. I, S. 196 f.). Bestreitet der Verrechnungsgegner im Prozess die Verrechnungsforderung, muss sie der Verrechnende beweisen (Wolfgang Peter, Basler Kommentar, 2. Aufl. , N 23 zu Art. 120 OR; nicht veröffentlichtes Urteil M. vom 1. September 1998, B 45/97).
b) Der Konkurs über die Firma des Beschwerdeführers wurde am 27. August 1993 eröffnet. Nach seinen eigenen Angaben machte sich der Versicherte hierauf noch im gleichen Jahr selbstständig und verlangte die Barauszahlung der Freizügigkeitsleistungen. Der Freizügigkeitsfall hat sich somit vor dem 1. Januar 1995 ereignet, an welchem Tag das Freizügigkeitsgesetz in Kraft trat. Demzufolge ist vorliegend auf die gesetzlichen Bestimmungen abzustellen, die vor 1995 Geltung hatten. Für den obligatorischen Bereich ist dies Art. 39 Abs. 2 BVG. Danach darf ein Leistungsanspruch mit Forderungen, die der Arbeitgeber der Vorsorgeeinrichtung abgetreten hat, nur verrechnet werden, wenn sie sich auf Beiträge beziehen, die nicht vom Lohn abgezogen worden sind.
c) In der weitergehenden Vorsorge enthält das Berufsvorsorgerecht keine Bestimmungen über die Verrechnung (Art. 49 Abs. 2 BVG e contrario). Vor Inkrafttreten des BVG hat das Bundesgericht die Verrechenbarkeit von Verantwortlichkeitsansprüchen der Stiftung gegen ein Mitglied des Stiftungsrates mit dessen Ansprüchen auf Barauszahlung als Destinatär bejaht (BGE 106 II 155). In BGE 111 II 167 Erw. 2 erklärte das Bundesgericht die Verrechnung von Vorsorgegeldern dann als unzulässig, wenn dies zu einer Zweckentfremdung der eigens für die Vorsorge angesammelten Gelder führen würde. Das erwähnte nicht veröffentlichte Urteil M. zielt in die selbe Richtung, erklärt es doch die Verrechnung der bar auszuzahlenden Freizügigkeitsleistung mit der Forderung der Vorsorgeeinrichtung aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit des Organs der Arbeitgeberfirma grundsätzlich als zulässig. In dem in BGE 126 V noch nicht veröffentlichten Urteil V. vom 6. November 2000 (B 67/99) verneinte das Eidgenössische Versicherungsgericht die Verrechenbarkeit einer bar ausbezahlten Freizügigkeitsleistung im obligatorischen Bereich mit Forderungen, die dem Arbeitgeber aus deliktischen Handlungen des Angestellten entstanden waren und welche jener an die Pensionskasse zediert hatte.
3.- Vor der Vorinstanz waren der Tatbestand der Barauszahlung gemäss Art. 331c Abs. 4 OR und die Höhe der beiden von den Stiftungen verrechnungsweise geltend gemachten Forderungen unbestritten. Danach hatte die in Konkurs gefallene Firma Beiträge an die Pensionskassen im Umfang der von diesen zur Verrechnung gebrachten Forderungen nicht abgeliefert. Zwar bestreitet der Beschwerdeführer im vorliegenden Prozess sinngemäss die zwei Forderungen der Vorsorgeeinrichtungen, äussert sich jedoch nicht substanziiert dazu. Die Vorinstanz hat beide masslich überprüft und für richtig befunden. Darauf ist abzustellen, womit die von den beiden Stiftungen errechneten Beträge von Fr. 63'083.- bzw.
Fr. 21'493.- masslich zu bestätigen sind.
4.- Im Weiteren hat die Vorinstanz zutreffend erkannt, dass die aktienrechtliche Verantwortlichkeit des Beschwerdeführers im Sinne von Art. 754 OR als alleiniger Verwaltungsrat der in Konkurs gefallenen Firma infolge seines grobfahrlässigen Verhaltens gegeben ist. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird nichts vorgebracht, was die vorinstanzliche Auffassung als bundesrechtswidrig erscheinen lässt. Da die zur Verrechnung gebrachten Forderungen der Stiftungen nicht vom Arbeitgeber abgetreten worden sind, fallen sie unter die Ausnahmebestimmung des Art. 39 Abs. 2 BVG und können demnach verrechnet werden.
Insofern unterscheidet sich der vorliegende Fall grundlegend vom erwähnten, noch nicht veröffentlichten Urteil V.. Zudem führt die Verrechnung im vorliegenden Fall zu keiner zweckwidrigen Verwendung von Vorsorgegeldern, weshalb auch im Lichte von Art. 331c Abs. 4 OR und BGE 111 II 167 keine Bedenken dagegen entstehen.
5.- Obwohl die Vorsorgeeinrichtungen nach dem Gesagten obsiegen, ist ihnen keine Parteientschädigung zuzusprechen.
Denn Träger oder Versicherer der beruflichen Vorsorge nach BVG haben in der Regel keinen solchen Anspruch, wenn sie in Erfüllung der ihnen übertragenen öffentlich-rechtlichen Aufgaben handeln (BGE 126 V 149 Erw. 4, 118 V 169 Erw. 7).
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
I.Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
II.Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
III. Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.
IV.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 29. Dezember 2000
Im Namen des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der I. Kammer:
Der Gerichtsschreiber: