BGer B 25/2000
 
BGer B 25/2000 vom 24.09.2001
[AZA 7]
B 25/00 Ge
IV. Kammer
Präsident Borella, Bundesrichter Rüedi und Kernen;
Gerichtsschreiberin Fleischanderl
Urteil vom 24. September 2001
in Sachen
Aargauische Beamtenpensionskasse, Neugutstrasse 4, 5001 Aarau, Beschwerdeführerin,
gegen
F.________, Beschwerdegegner,
und
Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau
A.- Der am 3. Juni 1936 geborene F.________, Vater einer am 13. Oktober 1981 geborenen Tochter, war seit
19. Mai 1964 beim Kantonalen Steueramt und ab 1978 als Sekretär bei der Steuerrekurskommission des Kantons Aargau tätig. Nachdem er sich im Alter von 63 Jahren hatte pensionieren lassen, teilte ihm die Aargauische Beamtenpensionskasse (nachfolgend: BPK), bei welcher er berufsvorsorgerechtlich versichert war, mit Rentenbescheid vom 9. Juli 1999 mit, ab 1. Juli 1999 stünden ihm nebst einer monatlichen Altersrente in der Höhe von Fr. 6'274. 65 eine Kinderrente von Fr. 784. 35 pro Monat bzw. von 12,5 % der jeweils ausbezahlten Altersrente zu.
B.- F.________ erhob Klage gegen die BPK und stellte folgende Anträge:
"Es sei festzustellen, dass die § 54bis und 37 Abs. 1
der Statuten 1995 insoweit gegen Art. 4 BV verstiessen,
als damit seine Ansprüche auf Kinderrente zur Alterspension
anders geregelt würden als die Ansprüche auf
Waisenrente. Es seien daher
a) die Besitzstandswahrung im Sinne von § 54bis der
Statuten 1995 auch bezüglich der Kinderrenten nach den
bis 31. Dezember 1994 gültigen Statuten der BPK zu
gewähren;
b) eventualiter sei der Anspruch auf Kinderrente zu
Alterspension analog der Regelung für die Waisenrente
in § 37 Abs. 1 der Statuten 1995 auf 25 % der Altersrente
festzusetzen.
Die mit Fr. 784. 35 verfügte monatliche Kinderrente sei
daher auf Fr. 1'930. 65, eventualiter auf Fr. 1'586. 65
festzusetzen.. "
Mit Entscheid vom 19. Januar 2000 hiess das Versicherungsgericht des Kantons Aargau die Klage teilweise gut und verpflichtete die BPK, F.________ ab 1. Juli 1999 eine monatliche Rentenleistung von insgesamt Fr. 7'840. 85 bzw.
gemäss Berichtigungsentscheid vom 14. März 2000 Fr. 7'843. 30 auszurichten.
C.- Die BPK führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, es sei der angefochtene Entscheid insofern aufzuheben, als die BPK in teilweiser Gutheissung der Klage des F.________ verpflichtet wurde, ab 1. Juli 1999 eine monatliche Rentenleistung von Fr. 7'840. 85 auszurichten.
Es sei der angefochtene Entscheid ferner dahingehend anzupassen, dass die Alterskinderrente gemäss § 37 Abs. 1 der Versicherungsbedingungen der BPK auf die Hälfte der Waisenrente, d.h. konkret auf Fr. 784. 35 monatlich festzusetzen sei; dementsprechend sei die gesamte Rentenleistung des F.________ herabzusetzen; alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen.
Während F.________ auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.- Die vorliegende Streitigkeit unterliegt der Gerichtsbarkeit der in Art. 73 BVG erwähnten richterlichen Behörden, welche sowohl in zeitlicher als auch in sachlicher Hinsicht zuständig sind (BGE 122 V 323 Erw. 2, 120 V 18 Erw. 1a, je mit Hinweisen).
2.- Streitig und zu prüfen ist die Höhe der dem Beschwerdegegner zustehenden, durch die BPK zur Altersrente auszurichtenden Kinderrente.
a) Nach Art. 17 BVG haben Versicherte, denen eine Altersrente zusteht, für jedes Kind, das im Falle ihres Todes eine Waisenrente beanspruchen könnte, Anspruch auf eine Kinderrente in Höhe der Waisenrente. Gemäss Art. 21 Abs. 2 BVG beträgt die Waisenrente beim Tod eines Altersrentners 20 % der Altersrente.
b) Laut § 37 Abs. 1 der Versicherungsbedingungen (VB) der Beschwerdeführerin vom 25. Oktober 1958, Ausgabe 1995, (in Kraft seit 1. Januar 1995) haben Versicherte, denen eine Altersrente zusteht, für jedes Kind, das im Falle ihres Todes eine Waisenrente beanspruchen könnte, Anspruch auf eine Kinderrente in der Höhe der halben Waisenrente. Nach § 36 Abs. 1 betragen die Waisenrenten pro Waise 25 % der Altersrente, die der Versicherte bezog bzw. die der Versicherte im ordentlichen Rücktrittsalter bei gleichbleibender versicherter Besoldung hätte erreichen können.
§ 37 Abs. 1 der bis 31. Dezember 1994 gültigen VB, Ausgabe 1990, sah demgegenüber vor, dass Versicherte, denen ein Anspruch auf eine Altersrente zusteht, für jedes Kind, das im Falle ihres Todes eine Waisenrente beanspruchen könnte, Anspruch auf eine Kinderrente in der Höhe der Waisenrente haben. Für eine Waise betrug die Rente gemäss § 36 Abs. 1 der damaligen VB 20 % der versicherten Besoldung.
3.- Dem Beschwerdegegner steht nach BVG eine jährliche Kinderrente von Fr. 1'834. 35 zu (Schreiben der BPK vom 29. Oktober 1996), während sich die ihm auszurichtende Kinderrente effektiv auf mindestens Fr. 9'412. 20 beläuft (Rentenbescheid der BPK vom 9. Juli 1999, gestützt auf § 37 Abs. 1 der VB 1995). Da die Höhe der strittigen Rente die durch das BVG festgesetzte Minimalleistung somit bei Weitem übersteigt, betrifft der vorliegende Rechtsstreit das überobligatorische Versicherungsverhältnis.
4.- a) Die Vorsorgeeinrichtungen sind im Rahmen des BVG in der Gestaltung ihrer Leistungen, in deren Finanzierung und in ihrer Organisation frei (Art. 49 Abs. 1 BVG).
Dies bedeutet indes nicht, dass sie für die weitergehende Vorsorge nur die in Art. 49 Abs. 2 BVG ausdrücklich vorbehaltenen Vorschriften des BVG zu beachten hätten. Vielmehr sind sie in ihrer Vertragsgestaltung von Verfassungs wegen an die Grundsätze der Rechtsgleichheit, des Willkürverbotes und der Verhältnismässigkeit gebunden (BGE 115 V 109 Erw. 4b).
b) Vorinstanz und Beschwerdegegner vertreten die Auffassung, die auf den 1. Januar 1995 vorgenommene Änderung des § 37 Abs. 1, wonach lediglich noch Anspruch auf eine Alterskinderrente in der Höhe der halben Waisenrente besteht, widerspreche dem verfassungsmässig garantierten Gleichbehandlungsgebot, da Kinder- und Waisenrenten - auch im überobligatorischen Vorsorgebereich - grundsätzlich gleich zu bemessen seien.
Die Beschwerdeführerin macht demgegenüber geltend, auf Grund von erheblichen Unterschieden zwischen den betreffenden Leistungsarten könne der Grundsatz der Gleichbehandlung von Alterskinder- und Waisenrenten im Bereich der weitergehenden beruflichen Vorsorge nicht angerufen werden.
5.- a) Statuten und Reglemente öffentlich-rechtlicher Vorsorgeeinrichtung sind auch zu Ungunsten der Versicherten abänderbar, soweit die Änderungen nicht wohlerworbene Rechte verletzen und nicht gegen das Willkürverbot oder die Rechtsgleichheit verstossen (Erw. 3b des zur Publikation in der Amtlichen Sammlung vorgesehenen Urteils W. vom 26. Juli 2001, B 99/00; BGE 117 V 234 Erw. 5 mit Hinweisen). Nach ständiger Rechtsprechung verletzt ein Erlass den Grundsatz der rechtsgleichen Behandlung (Art. 4 Abs. 1 aBV; Art. 8 Abs. 1 BV), wenn er rechtliche Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnissen nicht ersichtlich ist, oder wenn er Unterscheidungen unterlässt, die sich auf Grund der Verhältnisse aufdrängen (BGE 126 V 52 f. Erw. 3b mit Hinweisen). Der Grundsatz der Rechtsgleichheit verlangt, dass Gleiches nach Massgabe seiner Gleichheit gleich und Ungleiches nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich behandelt wird. Er ist demnach verletzt, wenn zwei gleiche tatsächliche Situationen ohne sachlichen Grund unterschiedlich behandelt werden (BGE 125 I 168 Erw. 2a mit Hinweisen; SVR 2000 EL Nr. 3 S. 8 f.
Erw. 4b).
b) Entgegen der Betrachtungsweise der Mehrheit des kantonalen Gerichts sowie des Beschwerdegegners lassen sich im überobligatorischen Bereich der beruflichen Vorsorge sachliche Gründe für eine Ungleichbehandlung von Waisen- und Kinderrenten finden. So unterscheiden sich die beiden Leistungskategorien zunächst bezüglich der versicherten Risiken (Alter, Tod), welche den Anspruch auf Leistungen auslösen.
Sodann kommt der Kinderrente - im Gegensatz zur Waisenrente - insofern akzessorischer Charakter zu, als sie nur zur Ausrichtung gelangt, wenn Anspruch auf eine Altersrente besteht (BGE 121 V 107 Erw. 4c mit Hinweis). Sie steht den versicherten Altersrentnern mithin als eigenständiger Anspruch neben ihrem eigenen Altersrentenanspruch, d.h. ergänzend, zu, während das Kind selber kein eigenes Forderungsrecht besitzt. Demgegenüber erhalten beim Tod der versicherten Person deren Kinder unter bestimmten Voraussetzungen (unmittelbar durch das Gesetz [Art. 18-22 BVG] oder durch das Reglement der Vorsorgeeinrichtung [vgl. in casu § 34 Abs. 1 der VB 1995]) einen selbstständigen Anspruch auf eine Waisenrente (vgl. Hans Michael Riemer, Das Recht der beruflichen Vorsorge in der Schweiz, Bern 1985, S. 121 Rz 36; Carl Helbling, Personalvorsorge und BVG,
6. Aufl. , Bern 1995, S. 159). Die Kinderrente erhöht demnach - so die Beschwerdeführerin zu Recht - den Leistungsanspruch der versicherten Person. Ferner stellt die Waisenrente als Hinterlassenenleistung vollumfänglich Unterhaltsersatz dar (Thomas Locher, Grundriss des Sozialversicherungsrechts,
2. Aufl. , Bern 1997, S. 256 Rz 3), wogegen die Kinderrente - zumindest teilweise - den Ersatz des Einkommensbestandteils der im Erwerbsleben durch den Arbeitgeber ausgerichteten Kinderzulagen bezweckt. Im Weiteren lässt sich auch aus dem Umstand, dass sowohl im obligatorischen BVG-Bereich (Art. 17 in Verbindung mit Art. 21 BVG) wie auch in der AHV (Art. 35ter und 37 Abs. 1 AHVG) die Kinder- und Waisenrenten grundsätzlich gleich bemessen werden, nichts zu Gunsten des vorinstanzlich mehrheitlich vertretenen Standpunktes schliessen. Wie in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde korrekt ausgeführt wird, dienen die vergleichsweise niedrigen Leistungen dieser Sozialversicherungszweige dazu - im Gegensatz zum überobligatorischen Berufsvorsorgebereich -, den Existenzbedarf angemessen zu decken (Art. 112 Abs. 2 lit. b BV) bzw. die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise zu ermöglichen (Art. 113 Abs. 2 lit. a BV; vgl. u.a. Hans Michael Riemer, a.a.O., S. 30 Rz 17). Im Lichte dieser übergeordneten Konzeption erscheint die Gleichstellung der Höhe von Kinder- und Waisenrente in den betreffenden Bereichen sachgerecht, währenddem die Nichtübernahme dieser Regelung in der überobligatorischen Vorsorge keine rechtsungleiche Behandlung darstellt. Was alsdann die finanziellen Verhältnisse eines Altersrentners mit Kinderrente im Vergleich zu einem Kind mit Waisenrente anbelangt, bestehen bereits auf Grund der Berechnungsgrundlagen Unterschiede. Die Kinderrente beträgt gemäss Art. 17 in Verbindung mit Art. 21 Abs. 2 BVG 20 % der zugesprochenen Altersrente, wogegen beispielsweise Kindern von verstorbenen Versicherten, welche (noch) keine Alters- oder Invalidenrente bezogen haben, nach Art. 21 Abs. 1 BVG eine Waisenrente in Höhe von 20 % der vollen Invalidenrente auszurichten ist, auf die der verstorbene Versicherte Anspruch gehabt hätte. Da dieser Invalidenrente Altersgutschriften zu Grunde gelegt werden, welche auf dem koordinierten Lohn des (verstorbenen) Versicherten während seines letzten Versicherungsjahres in der Vorsorgeeinrichtung basieren (Art. 24 Abs. 2 und 3 BVG), können die entsprechenden Hinterlassenenleistungen, je nach dem Zeitpunkt des Todes der versicherten Person, sehr tief sein. Analoges gilt im Übrigen in Bezug auf die Invalidenkinderrente gemäss Art. 25 BVG. Diese ist zwar ebenfalls in Höhe der Waisenrente auszurichten (20 % der vollen Invalidenrente; Art. 21 BVG), wird aber nach den für die Invalidenrente geltenden Regeln (Art. 24 BVG) berechnet (Art. 25 Satz 2 BVG), sodass der effektiv vergütete Betrag (von Invaliden- und Invalidenkinderrente) je nach Einzelfall sehr unterschiedlich ausfällt. Im Gegensatz dazu ist die Höhe von Alters- und Alterskinderrente insofern weniger grossen Schwankungen ausgesetzt, als diese einzig auf dem - kalkulierbareren - Risikofaktor "Alter" beruht.
c) Aus dem Gesagten erhellt, dass im Bereich der überobligatorischen Berufsvorsorge sachliche Gründe bestehen, die Alterskinderrente in reduziertem Umfang auszurichten.
Die in § 37 Abs. 1 der VB 1995 getroffene Regelung ist demnach weder zweckwidrig, noch kann darin eine rechtsungleiche Behandlung erblickt werden. Dem Beschwerdegegner stehen damit im Rahmen der weitergehenden Vorsorge keine über die im geltenden Reglement statuierten - die BVG-Minimalleistungen gewährleistenden - hinausgehende Leistungsansprüche zu.
6.- Nach Gesetz (Art. 159 Abs. 2 OG) und Rechtsprechung (BGE 118 V 169 f. Erw. 7, 117 V 349 Erw. 8; RKUV 1995 Nr. U 212 S. 66 f. Erw. 6) haben die Träger der beruflichen Vorsorge gemäss BVG keinen Anspruch auf Parteientschädigung.
Von dieser Regel abzuweichen besteht vorliegend kein Anlass, weshalb dem diesbezüglichen Begehren der Beschwerdeführerin nicht stattgegeben werden kann.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
I. In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden
der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons
Aargau vom 19. Januar 2000 und dessen Berichtigungsentscheid
vom 14. März 2000 insoweit aufgehoben,
als die Beschwerdeführerin verpflichtet wird, dem Beschwerdegegner
ab 1. Juli 1999 eine monatliche Rentenleistung
von Fr. 7'843. 30 auszurichten. Die Alterskinderrente
des Beschwerdegegners wird auf Fr. 784. 35 monatlich
festgesetzt.
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
III. Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
IV.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 24. September 2001
Im Namen des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der IV. Kammer:
Die Gerichtsschreiberin: