BGer 4P.139/2002
 
BGer 4P.139/2002 vom 10.10.2002
Tribunale federale
{T 0/2}
4P.139/2002 /kem
Urteil vom 10. Oktober 2002
I. Zivilabteilung
Bundesrichterinnen und Bundesrichter Walter, Präsident,
Klett, Rottenberg Liatowitsch
Gerichtsschreiberin Boutellier.
A.________,
B.________,
Beschwerdeführer, beide vertreten durch Fürsprecher Peter Gomm, Postfach, 4603 Olten,
gegen
Stiftung Inselspital Bern, Freiburgstrasse 18, 3011 Bern,
Beschwerdegegner, vertreten durch Fürsprecher Prof. Dr. Eugen Marbach, Konsumstrasse 16A, 3007 Bern,
Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Art. 9 BV (Staatshaftung aus ärztlicher Tätigkeit)
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, vom 22. April 2002.
Sachverhalt:
A.
A.________ (Beschwerdeführerin), wurde im Sommer 1945 im Landeskrankenhaus Voitsberg in Österreich ein erstes Mal an der Schilddrüse operiert. Ihr wurde die vergrösserte Schilddrüse (Struma, Kropf) teilweise entfernt, wobei es zu einer Beeinträchtigung des linken Stimmbandes kam. Anfang 1996 ersuchte die Beschwerdeführerin ihren damaligen Hausarzt um Untersuchung der Schilddrüse. Es folgten Abklärungen am Bürgerspital Solothurn, am Inselspital Bern sowie bei einem Spezialarzt für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. Bei diesen Untersuchungen wurde eine erneute Vergrösserung der Schilddrüse (Rezidivstruma) mit einem ca. 3 cm grossen kalten Knoten im mittleren Drittel am lateralen Rand diagnostiziert. Die zuständigen Ärzte des Inselspitals empfahlen im September 1996 eine Operation zur Teilentfernung der Rezidivstruma. Nach Vornahme der präoperativen Massnahmen wurde die Beschwerdeführerin am 20. Februar 1997 im Inselspital hospitalisiert, worauf am 21. Februar 1997 der Eingriff unter der Leitung von Oberarzt PD Dr. med. C.________ durchgeführt wurde. Nach der Operation wurde bei der Beschwerdeführerin eine beidseitige irreversible Stimmbandlähmung festgestellt. Seither kann sie nur mit einer Kanüle sprechen.
B.
Am 12. Januar 2001 klagten die Beschwerdeführerin und ihr Ehegatte (Beschwerdeführer) beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern gegen die Stiftung Inselspital Bern (Beschwerdegegnerin) und forderten Fr. 80'000.-- Genugtuung für die Beschwerdeführerin und Fr. 40'000.-- Genugtuung für den Beschwerdeführer. Mit Urteil vom 22. April 2002 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, die Klage ab. Das Verwaltungsgericht erwog zwar, dass die Beschwerdegegnerin der Aufklärungspflicht über die Risiken der Operation nicht bzw. nicht im erforderlichen Ausmass nachgekommen sei. Es kam jedoch zum Schluss, bei objektivierter Betrachtung müsse die hypothetische Einwilligung der Beschwerdeführerin als erwiesen gelten.
C.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 28. Mai 2002 beantragen die Beschwerdeführer, der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern sei aufzuheben. Sie rügen das Verwaltungsgericht habe das Willkürverbot und den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Sowohl die Beschwerdegegnerin wie auch das Verwaltungsgericht schliessen auf Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde muss eine kurz gefasste Darlegung enthalten, welche verfassungsmässigen Rechte und inwiefern sie durch den angefochtenen Entscheid verletzt worden sind (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). Das Bundesgericht prüft im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde nur Rügen, die genügend klar und detailliert erhoben werden, und soweit möglich belegt sind (BGE 128 III 50 E. 1c mit Hinweisen). Auf ungenügend begründete Rügen und rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt es nicht ein (BGE 125 I 492 E. 1b S. 495 mit Hinweisen).
Soweit die Beschwerdeführer lediglich rügen, die Sachlage sei von der Beschwerdegegnerin im Beweisverfahren übertrieben dargestellt worden um eine Notfallsituation zu konstruieren, und es habe keine Veranlassung für ein rasches Prozedere bestanden, legen sie in keiner Weise dar, inwiefern verfassungsmässige Rechte verletzt worden sein sollten. Sie begnügen sich mit der Darlegung der eigenen Ansicht des Sachverhaltes. Auf diese Rüge ist nicht einzutreten.
2.
2.1 Der Anspruch auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV umfasst für die entscheidende Behörde die Pflicht, die ihr rechtzeitig und formgültig angebotenen Beweismittel abzunehmen, es sei denn, diese beträfen eine nicht erhebliche Tatsache oder seien offensichtlich untauglich, die streitige Tatsache zu beweisen (BGE 124 I 241 E. 2 mit Hinweisen). Die Behörde kann auf ein beantragtes Beweismittel verzichten, wenn sie ohne Willkür in vorweggenommener Beweiswürdigung annehmen darf, eine weitere Beweiserhebung würde ihre Überzeugung nicht beeinflussen (BGE 122 II 464 E. 4a mit Hinweis).
2.2 Gemäss Art. 9 BV hat jede Person Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür behandelt zu werden. Willkürlich ist ein Entscheid nicht schon dann, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre, sondern erst dann, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, zur tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Willkür liegt nur vor, wenn nicht bloss die Begründung eines Entscheides, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist (BGE 127 I 54 E. 2b, mit Hinweisen).
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts verfügt der Sachrichter im Bereich der Beweiswürdigung über einen weiten Ermessensspielraum (BGE 120 Ia 31 E. 4 b mit Hinweisen). In der Beschwerdeschrift muss unter Auseinandersetzung mit der Begründung des angefochtenen Entscheides aufgezeigt werden, inwiefern Beweise geradezu unhaltbar oder der tatsächlichen Situation offensichtlich zuwiderlaufend gewürdigt worden sind, oder erhebliche Beweise übersehen oder willkürlich ausser Acht gelassen wurden (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 125 I 492 E. 1b mit Hinweisen). Dagegen genügt es nicht, wenn der Beschwerdeführer lediglich einzelne Beweise anführt, die er anders als im angefochtenen Entscheid gewichtet wissen möchte.
Wird dem kantonalen Gericht Willkür in der Ermittlung des Sachverhaltes vorgeworfen, so hat der Beschwerdeführer zudem darzutun, dass die willkürlichen Feststellungen erhebliche Tatsachen betreffen und sich auf den Entscheid ausgewirkt haben, rechtfertigt sich dessen Aufhebung doch von vornherein nur, wenn er sich nicht nur in einzelnen Punkten seiner Begründung sondern auch im Ergebnis als verfassungswidrig erweist (BGE 122 III 130 E. 2a mit Hinweisen).
3.
Die Beschwerdeführer rügen, das Verwaltungsgericht habe mit der Annahme der hypothetischen Einwilligung das Willkürverbot und den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
3.1 Das Bundesgericht hat sich in BGE 117 Ib 197 E. 5 in einem Direktprozess ausführlich mit den Voraussetzungen der Annahme einer hypothetischen Einwilligung auseinander gesetzt. In Anwendung von aargauischem kantonalem Recht hat das Bundesgericht erwogen, dass ein Patient nicht rechtsgültig in die Behandlung einwilligen kann, wenn er nicht umfassend über die Risiken einer Operation informiert wird. Liegt keine Einwilligung des Patienten vor, ist der Arzt beweispflichtig, dass der Patient auch eingewilligt hätte, wenn er über die Risiken aufgeklärt worden wäre. Vom Patienten kann jedoch verlangt werden, dass er glaubhaft macht oder zumindest behauptet, weshalb er auch bei gehöriger Aufklärung die Einwilligung zur Vornahme des Eingriffes verweigert hätte. Wirkt der Patient nicht mit, kann nach objektiviertem Massstab darauf abgestellt werden, ob die Ablehnung des Eingriffs vom Standpunkt eines vernünftigen Patienten aus unverständlich ist. Das Verwaltungsgericht hat in casu die bundesgerichtliche Praxis zur Auslegung des bernischen kantonalen Rechts beigezogen, was die Beschwerdeführer nicht als verfassungswidrig beanstanden.
In eingehender Würdigung der Beweise ist das Verwaltungsgericht zum Schluss gekommen, es sei der Beschwerdeführerin nicht gelungen plausibel zu machen, weshalb sie bei gehöriger Aufklärung aus damaliger Sicht vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte. Die Beschwerdeführerin habe nicht darlegen können, warum sie in Kenntnis ihres besorgniserregenden Zustandes und der äusserst ungünstigen Prognose ihre Einwilligung verweigert hätte, zumal sie sich auch bei gehöriger Aufklärung nicht für eine erfolgversprechende Alternative hätte entscheiden können, denn eine solche sei von vornherein nicht in Betracht gefallen. Daher sei massgebend, ob die Ablehnung vom Standpunkt einer vernünftigen Person aus unverständlich gewesen wäre, was vorliegend bejaht werden müsse.
3.2
3.2.1 Die Beschwerdeführer rügen, das Verwaltungsgericht habe willkürlich missachtet, dass sie im kantonalen Verfahren dargelegt hätten, weshalb die Patientin auch bei genügender Aufklärung nicht in die Operation eingewilligt hätte. Da jedoch die Beschwerdeführerin in der Einvernahme ausgesagt hat, sie wisse nicht, wie ihre Haltung hinsichtlich des Eingriffes gewesen wäre, wenn sie um ihre Lebensgefahr gewusst hätte, ist der Schluss des Verwaltungsgerichtes, die Beschwerdeführerin habe nicht plausibel dargelegt, weshalb sie die Einwilligung verweigert hätte, nicht willkürlich. Daran ändert auch nichts, wenn das erhöhte Risiko des Verlustes der Stimme, bzw. einer Stimmbandlähmung in die Erwägungen einbezogen wird, denn die Beschwerdeführerin hätte keine Alternative zum Eingriff gehabt. Das Verwaltungsgericht ist nicht in Willkür verfallen, wenn es schloss, die Beschwerdeführerin habe nicht plausibel dargelegt, dass sie bei gehöriger Aufklärung die Einwilligung verweigert hätte. Somit konnte das Verwaltungsgericht nach objektiviertem Massstab prüfen, ob eine vernünftige Person in derselben Situation in den Eingriff eingewilligt hätte.
3.2.2 Die Beschwerdeführer machen geltend, die Annahme eines besorgniserregenden Gesundheitszustandes durch das Verwaltungsgericht sei willkürlich, da ein solcher aus den vorliegenden Beweisen nicht hervorgehe. Auch seien die Erwägungen des Verwaltungsgerichts widersprüchlich und daher willkürlich, weil das Bestehen einer Notfallsituation einerseits als nicht entscheidend gewertet worden sei, andererseits die hypothetische Einwilligung mit dem besorgniserregenden Zustand der Patientin begründet werde. Da aus den übereinstimmenden Aussagen der Fachärzte hervorgeht, der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin habe sich verschlechtert und ein weiteres Zuwarten sei im Interesse der Patientin nicht zu verantworten gewesen, durfte das Verwaltungsgericht willkürfrei auf einen besorgniserregenden Zustand der Patientin schliessen. Den Beschwerdeführern gelingt nicht darzulegen und es ist auch nicht ersichtlich, dass im angefochtenen Entscheid die Begriffe "eigentliche Notfallsituation" und "besorgniserregender Zustand" gleichbedeutend verwendet wurden. Somit konnte das Verwaltungsgericht ohne Verletzung des Willkürverbotes einerseits die hypothetische Einwilligung mit dem kritischen Gesundheitszustand und der ungünstigen Prognose der Patientin begründen, und andererseits als nicht erheblich erachten, ob vor der Operation eine eigentliche Notfallsituation bestand.
3.2.3 Die Beschwerdeführer rügen im Weiteren, der Grundsatz des rechtlichen Gehörs sei verletzt, da ein besorgniserregender Zustand der Beschwerdeführerin angenommen worden sei, ohne Anordnung des beantragten spezialärztlichen Gutachtens; zudem habe das Verwaltungsgericht das Protokoll der Eintrittsuntersuchung vom 20. Februar 1997 nicht in die Gesamtwürdigung einbezogen. Das Verwaltungsgericht durfte ohne Verletzung verfassungsmässiger Rechte in antizipierter Beweiswürdigung davon ausgehen, dass weitere Beweisabnahmen das Ergebnis der Beweiswürdigung nicht mehr beeinflussen konnten. Dadurch dass die Anordnung eines weiteren spezialärztlichen Gutachtens, welches von den Beschwerdeführern verlangt wurde, unterblieb, wurde der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzt. Zudem haben die Beschwerdeführer nicht dargelegt, inwiefern sich das beantragte spezialärztliche Gutachten oder das Protokoll der Eintrittsuntersuchung auf das Ergebnis des Entscheides hätten auswirken können. Auch mit der Rüge, es sei sachlich nicht zu vertreten und daher willkürlich auf die Aussagen von Prof. D.________ abzustellen, können die Beschwerdeführer nicht durchdringen, da aus der Beschwerde nicht zu ersehen ist, weshalb die Berücksichtigung der Aussage von Prof. D.________, die lediglich die Einschätzung der anderen Ärzte bestätigt, willkürlich sein könnte.
4.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten wird. Dem Verfahrensausgang entsprechend werden die Beschwerdeführer kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 2 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 5'000.-- wird den Beschwerdeführern unter solidarischer Haftbarkeit auferlegt.
3.
Die Beschwerdeführer haben die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren unter solidarischer Haftbarkeit mit insgesamt Fr. 6'000.-- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 10. Oktober 2002
Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: