BGer B 69/2001 |
BGer B 69/2001 vom 14.05.2003 |
Eidgenössisches Versicherungsgericht
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Tribunale federale delle assicurazioni
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Tribunal federal d'assicuranzas
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Sozialversicherungsabteilung
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des Bundesgerichts
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Prozess
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{T 7}
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B 69/01
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Urteil vom 14. Mai 2003
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I. Kammer
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Besetzung
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Präsident Schön, Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiberin Riedi Hunold
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Parteien
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O.________, 1947, Deutschland, Beschwerdeführer,
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gegen
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X.________ AG, Beschwerdegegnerin
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Vorinstanz
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Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau
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(Entscheid vom 20. Juni 2001)
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Sachverhalt:
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A.
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O.________ (geboren 1947) war seit 1. Mai 1981 bei der X.________ AG angestellt. Das Arbeitsverhältnis wurde aus gesundheitlichen Gründen sowie wegen Differenzen über Lohnabrechnungen auf 31. Dezember 1999 aufgelöst. Die Versicherungs-Gesellschaft Y.________ als Vorsorgeeinrichtung für die Arbeitnehmer der X.________ AG überwies im Februar 2000 die Austrittsleistung.
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Mit Klage vom 25. Oktober 1999 machte O.________ geltend, seine Arbeitgeberin habe die ihm von seinem Lohn abgezogenen Pensionskassenbeiträge nicht weitergeleitet und den versicherten Lohn nicht korrekt gemeldet. Deshalb sei die Austrittsleistung auch nicht richtig berechnet. In seinem Schreiben vom 6. November 1999, der Replik vom 18. Dezember 1999 sowie in seiner unaufgefordert eingereichten Eingabe vom 18. Januar 2000 beanstandete er zudem unkorrekte Abzüge bei den AHV-, Arbeitslosenversicherungs- und NBU-Beiträgen sowie dass ihn seine Arbeitgeberin durch den Wechsel der Vorsorgeeinrichtung im Jahre 1995 von der Sammelstiftung BVG der Bank Z.________ zur Versicherungs-Gesellschaft Y.________ geschädigt habe; darüber hinaus machte er weitere finanzielle Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag geltend.
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B.
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Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wies die Klage infolge fehlender Passivlegitimation der X.________ AG mit Entscheid vom 20. Juni 2001 ab.
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C.
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O.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben, da nicht die Vorsorgeeinrichtung, sondern seine ehemalige Arbeitgeberin für seinen Schaden aufzukommen habe.
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Die X.________ AG enthält sich in ihrer Stellungnahme vom 17. August 2001 eines Antrags. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.
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D.
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Mit Eingabe vom 17. August 2001 ersucht O.________ um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
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1.
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Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
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2.
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Unbestrittenermassen liegt eine Streitigkeit im Sinne von Art. 73 Abs. 1 BVG vor. Uneinigkeit besteht jedoch, ob der Versicherte eine entsprechende Klage gegen die ehemalige Arbeitgeberin oder die Vorsorgeeinrichtung zu richten hat.
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3.
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3.1 Mit Urteil W. vom 30. Mai 1989 (B 5/87), in welchem das nach der Auflösung des Arbeitsverhältnisses gestellte Begehren um Nachzahlung von Beiträgen an die Vorsorgeeinrichtung durch die Arbeitgeberin zu beurteilen war, entschied das Eidgenössische Versicherungsgericht, der mit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses entstehende Anspruch auf Freizügigkeitsleistung wende sich stets gegen eine Vorsorge-, allenfalls gegen die Auffangeinrichtung, nie jedoch gegen den ehemaligen Arbeitgeber, auch wenn dieser die abgezogenen Beiträge für die berufliche Vorsorge nie an eine Vorsorgeeinrichtung überwiesen habe (SZS 1990 S. 203 Erw. 3). Diese Rechtsprechung präzisierte das Eidgenössische Versicherungsgericht mit Urteil K. vom 14. Dezember 1998 (B 21/98) dahin gehend, dass dies nicht nur bei Fälligkeit einer Austrittsleistung gelte, sondern auch bei Eintreten des Versicherungsfalles in Form von Altersleistungen (SZS 2000 S. 161 Erw. 4c). In seinem Urteil P. vom 6. Dezember 1999 (B 4/99), in welchem das nach frühzeitigem Übertritt in den Ruhestand gestellte Begehren um Nachzahlung von Pensionskassenbeiträgen durch die Arbeitgeberin zu beurteilen war, änderte das Eidgenössische Versicherungsgericht seine Rechtsprechung und erkannte, dass das Begehren um Nachzahlung von Beiträgen, d.h. Meldung eines höher zu versichernden Verdienstes und Bezahlung entsprechend höherer Beiträge, eine Streitigkeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Sinne von Art. 73 Abs. 1 BVG sei (SZS 2002 S. 499; Regest mit Anmerkung bei Meyer-Blaser, 1995-1999: Die Rechtsprechung von Eidgenössischem Versicherungsgericht und Bundesgericht zum BVG, SZS 2000 S. 316). Nachdem im letztgenannten Urteil die Passivlegitimation des Arbeitgebers auch nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses anerkannt wurde und es für die Abrechnungspflicht des Arbeitgebers unerheblich ist, ob sie nach Eintritt des Versicherungs- oder Freizügigkeitsfalles geltend gemacht wird, ist im Sinne einer einheitlichen Rechtsprechung zu präzisieren, dass der ehemalige Arbeitgeber passivlegitimiert ist, sofern der Arbeitnehmer Ansprüche gestützt auf Art. 66 Abs. 3 BVG geltend macht (vgl. hiezu auch Meyer-Blaser, Die Rechtswege nach dem Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge [BVG], ZSR 1987 I S. 614), ungeachtet dessen, ob die Auflösung des Arbeitsverhältnisses eine Versicherungsleistung (Alters-, Hinterlassenen-, Invalidenleistung) oder - in der Terminologie von Art. 2 FZG - eine Austrittsleistung nach sich zieht; wird jedoch konkret die Höhe der Leistung beanstandet, ist die Vorsorge-, allenfalls die Auffangeinrichtung, nicht aber der Arbeitgeber passivlegitimiert.
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3.2 Im Verfahren der ursprünglichen Verwaltungsrechtspflege gemäss Art. 73 Abs. 1 BVG bildet Sachurteilsvoraussetzung, dass die klagende Partei an dem von ihr gestellten Rechtsbegehren ein schutzwürdiges Interesse rechtlicher oder tatsächlicher Natur (Rechtsschutzinteresse) hat (BGE 128 V 48 Erw. 3a mit Hinweisen). Man kann sich fragen, ob eine vorsorgeversicherte Person in jedem Fall ein schutzwürdiges Interesse an der auf die Erfüllung der Auskunfts- und Beitragszahlungspflicht durch die Arbeitgeberin gerichteten Klage hat, ist doch ihr hauptsächliches Interesse auf die richtige Bemessung einer bereits fälligen oder zukünftigen Leistung durch die Vorsorgeeinrichtung gerichtet. Nur im Hinblick darauf dürfte sich die Frage der richtigen Beitragszahlung durch die Arbeitgeberin stellen. Würde aus diesem Grund ein Rechtsschutzinteresse an einem prozessualen Vorgehen gegen die Arbeitgeberin grundsätzlich verneint, müssten indessen Ausnahmen zugelassen werden für Fälle, in denen die Bemessung der Vorsorgeleistung gemäss Reglement doch nicht unabhängig vom Verhalten der Arbeitgeberin vorgenommen werden kann, in denen die zukünftige Ermittlung der Leistungsbemessungsfaktoren durch Zeitablauf erheblich erschwert würde oder in denen der Arbeitnehmer die Lohnabzüge für - gegenüber dem Reglement - zu hoch hält (sich der Streit mithin wirklich auf die Beitragshöhe konzentriert). Um nicht im Beitragsprozess derartige Abgrenzungen, die letztlich für das Rechtsverhältnis zwischen anderen Personen - der vorsorgeversicherten Person und der Vorsorgeeinrichtung - bedeutsam sind, treffen zu müssen, ist von einer derart differenzierenden Prüfung des Rechtsschutzinteresses abzusehen und in Weiterführung der mit SZS 2002 S. 499 eingeleiteten Rechtsprechung auf Klagen von Vorsorgeversicherten gegen Arbeitgeber betreffend Auskunfts- und Beitragspflicht einzutreten.
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3.3 Nach dem Gesagten ist die ehemalige Arbeitgeberin des Beschwerdeführers passivlegitimiert, soweit er eine falsche Abrechnung der Beschwerdegegnerin mit der Vorsorgeeinrichtung geltend macht. Bezüglich der beanstandeten Höhe der Austrittsleistung ist sie es jedoch nicht. Die Sache ist deshalb an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie die gerügten Verletzungen von Art. 66 Abs. 3 BVG prüfe. Sie wird dabei auch darüber zu befinden haben, ob die Vorsorgeeinrichtung der Arbeitgeberin beizuladen ist, und schliesslich, ob bezüglich der übrigen Vorbringen die sachliche Zuständigkeit gegeben ist, und bejahendenfalls auch über diese entscheiden.
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4.
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Da es nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen, sondern um die Beitragsabrechnungspflicht des Arbeitgebers geht (Erw. 1), ist das Verfahren kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario; SZS 2002 S. 502 Erw. 7a). Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens hat die unterliegende Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 135 in Verbindung mit Art. 156 Abs. 1 OG). Das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung im Sinne der Befreiung von den Gerichtskosten ist infolge Obsiegens des Versicherten gegenstandslos.
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Die Verbeiständung durch einen Anwalt war nicht geboten, da der Beschwerdeführer selber in der Lage war, seine Rechte zu wahren und seine Sache wirksam zu vertreten. Das Begehren um unentgeltliche Verbeiständung ist demnach abzuweisen.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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1.
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Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid vom 20. Juni 2001 aufgehoben und die Sache an das Versicherungsgericht des Kantons Aargau zurückgewiesen wird, damit es über die Klage vom 25. Oktober 1999 neu entscheide.
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2.
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Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
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3.
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Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung wird abgewiesen.
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4.
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Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
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Luzern, 14. Mai 2003
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Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
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Der Präsident der I. Kammer: Die Gerichtsschreiberin:
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i.V.
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