BGer 7B.135/2005
 
BGer 7B.135/2005 vom 23.12.2005
Tribunale federale
{T 0/2}
7B.135/2005 /bnm
Urteil vom 23. Dezember 2005
Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
Besetzung
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Marazzi,
Gerichtsschreiber Schett.
Parteien
X.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Thomas Schütt,
gegen
Kantonsgericht von Graubünden, Kantonsgerichtsausschuss, als Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs, Poststrasse 14, 7002 Chur.
Gegenstand
Arrestvollzug,
SchKG-Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts von Graubünden, Kantonsgerichtsausschuss, als Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs, vom 13. Juni 2005.
Die Kammer zieht in Erwägung:
1.
1.1 Auf Veranlassung von X.________ (geb. 1991, Sohn von Y.________) stellte der Bezirksgerichtspräsident Maloja am 22. März 2005 je einen Arrestbefehl gegen Y.________ und Z.________ (Konkubinatspartnerin von Y.________) über Fr. 55'000.-- gestützt auf Art. 271 Abs. 1 Ziff. 2 und 5 SchKG aus. Grund der Arrestforderung bilden ein Unterhaltsvertrag, der Verlustschein vom 21. Oktober 2003 sowie die Eheschutzverfügung vom 18. Februar 1999. Verarrestiert wurden unter anderem der Monatslohn des Schuldners von netto Fr. 4'400.-- zuzüglich Kinderzulagen, ferner Konten bei der Bank W.________ sowie zwei Fahrzeuge. Die Arrestbefehle wurden durch das Betreibungsamt A.________ gleichentags vollzogen.
Gegen die Arrestbefehle vom 22. März 2005 erhoben sowohl Y.________ als auch Z.________ Einsprache beim Arrestrichter. Mit Entscheiden vom 28. und 29. April 2005 trat der Bezirksgerichtspräsident Maloja auf deren Beschwerden zufolge versäumter Einsprachefrist nicht ein. Dagegen führten Y.________ und Z.________ Beschwerde an den Kantonsgerichtsausschuss, welcher mit Urteilen vom 13. Juni 2005 die Beschwerden guthiess und die Sache zur materiellen Behandlung der Arresteinsprachen an die Vorinstanz zurückwies.
1.2 Gegen die Arresturkunde des Betreibungsamtes Oberengadin führten Y.________ und auch Z.________ Beschwerde an den Kantonsgerichtsausschuss als Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen für den Fall, dass ihre Arresteinsprachen nicht gutgeheissen würden. Sie beantragten die Aufhebung des Arrestvollzuges vom 22./29. März 2005 wegen Rechtswidrigkeit und Unverhältnismässigkeit.
Mit Entscheid vom 13. Juni 2005 hiess die Aufsichtsbehörde die Beschwerden von Z.________ und Y.________ teilweise gut, soweit darauf einzutreten war, und hob die Arresturkunden Nr. 1 und Nr. 2 teilweise auf und wies die Sache zur weiteren Abklärung sowie Abänderung und Ergänzung der Arresturkunden an das Betreibungsamt A.________ zurück.
1.3 X.________, vertreten durch seine Mutter, V.________, hat bei der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts Beschwerde eingereicht. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und verlangt, die pfändbare Lohnquote des Schuldners sei auf monatlich Fr. 1'421.90, eventualiter auf monatlich Fr. 440.35 festzusetzen. Sodann ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung.
Der Kantonsgerichtsausschuss hat bei der Aktenübersendung beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit auf sie einzutreten sei (Art. 80 OG). Auf Gegenbemerkungen wird unter Hinweis auf den angefochtenen Entscheid verzichtet.
Das Betreibungsamt A.________ hat sich nicht vernehmen lassen. Die Beschwerdegegner beantragen in ihrer Stellungnahme vom 17. November 2005 die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne. Sodann stellen sie das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege.
2.
2.1 Die Vorinstanz hat mit Bezug auf die Beschwerde von Z.________ entschieden, das Rechtsmittel sei im Sinne der Erwägungen teilweise gutzuheissen, soweit darauf einzutreten sei. Die angefochtene Arresturkunde Nr. 1 sei teilweise aufzuheben und die Sache zur weiteren Abklärung und Abänderung beziehungsweise Ergänzung der Arresturkunde an das Betreibungsamt A.________ zurückzuweisen.
Hinsichtlich der Beschwerde von Y.________ hat die Aufsichtsbehörde ausgeführt, der Arrestgläubiger behaupte und aus dem Arrestbefehl gehe hervor, der Beschwerdeführer verdiene nicht Fr. 2'430.25 sondern wesentlich mehr (Fr. 4'400.-- netto zuzüglich Kinderzulagen). Andererseits stimmten die Angaben des Arrestschuldners/Lohngläubigers und seiner Arbeitgeberin über die Höhe des Lohnes (im Sinne des tieferen Betrages von Fr. 2'430.25) überein. In einer solchen Situation sei vom Überschuss über den unpfändbaren Lohn (Notbedarf) nur jener Teil des Lohnes fest zu pfänden oder zu arrestieren, der unbestritten sei. Vorliegend sei dieser Betrag Null, denn der unbestrittene Lohn (Fr. 2'430.25) sei kleiner als der Notbedarf (Fr. 2'432.60). Der Rest, das heisse die Differenz zwischen dem Notbedarf und dem vom Arrestgläubiger behaupteten Lohn (Fr. 1'967.40 [Fr. 4'000.-- - Fr. 2'432.60]) sei lediglich als bestrittene Forderung zu arrestieren. Dem Drittschuldner könne nicht - auch nicht vorläufig - befohlen werden, auch jenen Teil des angeblich höheren Lohnes monatlich direkt dem Betreibungsamt abzuliefern, hinsichtlich dessen er seine Schuldnerschaft bestreite. Anders als im Falle der Pfändung einer unbestrittenen Lohnforderung, wo es nicht zu einer Verwertung komme, weil das liquide Substrat direkt vom Arbeitgeber an das Betreibungsamt fliesse, komme es im Falle der Pfändung einer bestrittenen Lohnforderung zu einer Verwertung. Falls das Verfahren bis in dieses Stadium gelange, sei der bestrittene Teil durch Versteigerung der Lohnforderung als solcher beziehungsweise durch ihre Überweisung gemäss Art. 131 SchKG zu verwerten. In diesem Sinne sei die Beschwerde von Y.________ teilweise gutzuheissen, die Arresturkunde Nr. 2 in ihrer Position aufzuheben und zur Verbesserung zurückzuweisen.
2.2 Der Beschwerdeführer macht in der Hauptsache geltend, gemäss BGE 111 III 13 E. 5 ff. könne bei der Lohnpfändung in das Existenzminimum des Schuldners eingegriffen werden, wenn es sich um in Betreibung gesetzte Unterhaltsbeiträge handle, auf die der Gläubiger zur Deckung seines Notbedarfs angewiesen sei. Gestützt auf die vom Bundesgericht angewendete Formel ergebe sich bei einem Einkommen des Schuldners von monatlich Fr. 2'430.25, seinem Notbedarf von monatlich Fr. 2'432.60 und bei einem Notbedarf des Beschwerdeführers und Unterhaltsberechtigten von monatlich Fr. 500.-- eine pfändbare Lohnquote von monatlich Fr. 414.35.
Der Beschwerdeführer hat sich im kantonalen Beschwerdeverfahren darauf berufen. Die Vorinstanz hat den Eingriff ins Existenzminimum des Schuldners jedoch ohne nähere Begründung abgelehnt. Gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts kann in den Notbedarf des Schuldners eingegriffen werden für Unterhaltsforderungen aus dem letzten Jahr vor Zustellung des Zahlungsbefehls. Das Privileg wird damit begründet, die aus dieser Zeit stammenden Unterhaltsbeiträge seien noch zu den laufenden Unterhaltsbedürfnissen des Berechtigten zu zählen. Weiter zurückliegende Alimentenforderungen hingegen stellten eigentliches Kapital dar, für das das Eingriffsprivileg nicht mehr geltend gemacht werden könne (BGE 89 III 65 E. 1 S. 67; Georges vonder Mühll, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Hrsg. Staehelin/Bauer/Staehelin, SchKG II, N. 41 zu Art. 93 SchKG, S. 954). Die Aufsichtsbehörde Basel-Stadt hat in ihrem Entscheid vom 3. Oktober 2001 (BlSchK 2002, S. 146/147) entschieden, dagegen sei mit Recht eingewendet worden, dass kein Grund dafür bestehe, nicht auch hier die Art. 219 Abs. 4 Erste Klasse lit. c in Verbindung mit Art. 146 Abs. 2 SchKG zur Anwendung zu bringen, die das Vorrecht auf die in den letzten sechs Monaten vor dem Fortsetzungsbegehren entstandenen Unterhalts- und Unterstützungsbeiträge begrenzten. Damit werde erreicht, dass das Verteilungs- und das Eingriffsprivileg darin übereinstimmten (Georges Vonder Mühll, a.a.O.). Vorliegend habe das zur Folge, dass die in den Monaten Januar bis September 2000 entstandenen und in Betreibung gesetzten Unterhaltsbeiträge nicht privilegiert zu behandeln seien, weil sie früher als sechs Monate vor dem Fortsetzungsbegehren vom 27. März 2001 entstanden seien. Dieser Entscheid der Aufsichtsbehörde wird in zwei neu erschienenen Kommentaren erwähnt (zustimmend Pierre-Robert Gilliéron, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 4. Aufl. 2005, N. 1003, S. 201; Michel Ochsner, in: Commentaire romand, Basel 2005, N. 135 und 139 zu Art. 93 SchKG, S. 429/430, welcher das auf sechs Monate beschränkte Eingriffsprivileg eher abzulehnen scheint).
Dieser Frage muss jedoch im vorliegenden Fall nicht weiter nachgegangen werden. Denn gemäss Arrestbefehl vom 22. März 2005 basiert die Arrestforderung auf dem Verlustschein vom 21. Oktober 2003, welcher für verfallene Unterhaltsbeiträge für die Zeit vom April 2002 bis 31. März 2003 ausgestellt worden war. Daraus folgt, dass der gestützt auf Art. 271 Abs. 1 Ziff. 5 SchKG abgestützte Arrestbefehl für Unterhaltsforderungen erlassen wurde, die fast zwei Jahre vorher in Betreibung gesetzt worden waren. Unter diesen Umständen ist aber ein Eingriff in das Existenzminimum des Unterhaltsschuldners nicht mehr zulässig, weil dies nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nur für Unterhaltsforderungen aus dem letzten Jahr vor Zustellung des Zahlungsbefehls (BGE 111 III 13 E. 5 S. 15 mit Hinweisen) - bzw. hier vor Zustellung des Arrestbefehls (BGE 116 III 10 E. 2) - zulässig ist.
2.3 Weiter bringt der Beschwerdeführer vor, zum anerkannten Lohn des Beschwerdegegners sei ein Naturaleinkommen in Höhe von monatlich Fr. 200.-- zu addieren. Der gleiche Betrag sei aufzurechnen, weil der Schuldner stets die Möglichkeit habe, ein Auto seiner Arbeitgeberin zu benützen. Diese Vorbringen können nicht entgegen genommen werden, denn neue Tatsachen sind vor Bundesgericht nicht zulässig (Art. 79 Abs. 1 OG).
Schliesslich ist der Beschwerdeführer der Auffassung, der Schuldner könnte bei einem Arbeitseinsatz von 100 statt 80% monatlich Fr. 607.55 mehr verdienen. Zu diesem Einwand hat die Vorinstanz zu Recht ausgeführt, hypothetische Aufrechnungen seien unstatthaft. Falls der Beschwerdeführer damit sinngemäss die von der Vorinstanz angenommene "bestrittene" Einkommenspfändung infrage stellen sollte, so könnte darauf mangels hinreichender Begründung nicht eingetreten werden (Art. 79 Abs. 1 OG; BGE 119 III 49 E. 1).
2.4 Nach dem Dargelegten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
3.
Das Beschwerdeverfahren ist grundsätzlich kostenlos (Art. 20a SchKG und Art. 61 Abs. 2 lit. a GebV SchKG), und es darf keine Parteientschädigung zugesprochen werden (Art. 62 Abs. 2 GebV SchKG). Das Gesuch der Beschwerdegegner um Befreiung von Gerichtskosten ist daher gegenstandslos.
Die Voraussetzungen zur Gewährung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes sind jedoch sowohl für den Beschwerdeführer als auch für die Beschwerdegegner erfüllt (Art. 152 OG).
Demnach erkennt die Kammer:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
2.1 Das Gesuch des Beschwerdeführers wie auch dasjenige der Beschwerdegegner um Gewährung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes wird gutgeheissen.
2.2 Rechtsanwalt Dr. Thomas Schütt und Rechtsanwalt Marco Pool wird aus der Bundesgerichtskasse je ein Honorar von Fr. 1'000.-- ausgerichtet.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, den Beschwerdegegnern, dem Betreibungsamt A.________ und dem Kantonsgericht von Graubünden, Kantonsgerichtsausschuss, als Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 23. Dezember 2005
Im Namen der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber: