BGer 2P.95/2006 |
BGer 2P.95/2006 vom 27.07.2006 |
Tribunale federale
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{T 0/2}
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2P.95/2006 /leb
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Urteil vom 27. Juli 2006
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II. Öffentlichrechtliche Abteilung
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Besetzung
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Bundesrichter Merkli, Präsident,
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Bundesrichter Hungerbühler, Müller
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Gerichtsschreiber Küng.
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Parteien
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X.________,
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Beschwerdeführer, vertreten durch
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Advokat Valentin Pfammatter,
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gegen
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Staatsrat des Kantons Wallis,
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Regierungsgebäude, Postfach 478, 1951 Sitten,
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Gemeinde Steg VS, 3940 Steg VS.
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Gegenstand
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Art. 9 BV (Verkehrsbeschränkung/Wintersperre),
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Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Staatsrats des Kantons Wallis vom 22. Februar 2005.
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Sachverhalt:
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A.
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X.________ wohnt seit Oktober 1998 an der alten Talstrasse von Steg (VS) nach Mittal (VS). Nach Fertigstellung der neuen Strasse Gampel/Steg-Goppenstein mit dem Mittaltunnel beschloss der Grosse Rat des Kantons Wallis am 19. Mai 1999, die stark lawinen- und steinschlaggefährdete alte Strasse von der Kantonsstrasse (interkantonale Hauptstrasse) zur kantonalen Nebenstrasse "mit funktionellen Verkehrsbeschränkungen" zu deklassieren. Der Beschluss wurde im Amtsblatt des Kantons Wallis vom 2. Juli 1999 publiziert. Das mit dem Vollzug dieses Grossratsbeschlusses betraute Departement für Verkehr, Bau und Umwelt des Kantons Wallis (nachfolgend: Departement) gab am 9. November 1999 im Amtsblatt des Kantons Wallis vom 26. November 1999 unter dem Titel "Schliessung der Kantonsstrassen im Winter" bekannt, dass gewisse Strassenabschnitte, worunter der hier streitige, "für jeglichen Verkehr geschlossen werden, sobald die Situation und die Wetterbedingungen im Winter dies erfordern"; die Wiederöffnung erfolge im Frühjahr 2000 je nach Schneesituation und Wetterverhältnissen. Mit Schreiben vom 16./17. November 1999 wurden die Gemeinden Gampel und Steg aufgefordert, das betreffende Strassenstück bei Wintereinbruch unverzüglich mit einer abschliessbaren Barriere zu sperren. Am 25. November 1999 ersuchte X.________ das Departement, die inwischen bereits gesperrte Strasse bis zu seinem Einfamilienhaus für die Anwohner wieder zu öffnen. Nachdem er keine Antwort erhalten hatte, wiederholte er am 14. Januar 2000 sein Begehren. Mit Antwortschreiben vom 1. Februar 2000 wies der Rechtsdienst des Departements auf den Grossratsbeschluss hin, welcher im Amtsblatt veröffentlicht worden sei und wogegen staatsrechtliche Beschwerde hätte geführt werden können; die Massnahme sei aus Sicherheitsgründen gerechtfertigt.
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Am 6. Juni 2000 gelangte X.________ an den Staatsrat des Kantons Wallis. Mit seiner Eingabe verlangte er die Feststellung, dass der Grossratsbeschluss betreffend funktionelle Verkehrsbeschränkungen auf der Strasse Steg-Mittal wegen sachlicher Unzuständigkeit des Grossen Rates als nichtig zu erklären sei. Zuständig für Massnahmen nach Art. 3 Abs. 3 und 4 des Strassenverkehrsgesetzes vom 19. Dezember 1958 (SVG; SR 741.01) sei nach Art. 1 des kantonalen Ausführungsgesetzes vom 30. September 1987 über die Bundesgesetzgebung betreffend den Strassenverkehr (im Folgenden: Ausführungsgesetz zum SVG) der Staatsrat; zudem müssten derartige örtliche Verkehrsanordnungen von der Behörde verfügt und mit Rechtsmittelbelehrung veröffentlicht werden. Am 20. Oktober 2000 teilte die Staatskanzlei X.________ mit, sein Gesuch sei dem Departement zur Weiterbearbeitung überwiesen worden; weitere Reaktionen seitens der kantonalen Behörden blieben jedoch aus. In den Jahren 2000, 2001 und 2002 gab das Departement jeweils wiederum die Wintersperre der Strasse Steg-Mittal im Amtsblatt des Kantons Wallis bekannt.
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Am 23. Dezember 2002 erhob X.________ beim Staatsrat des Kantons Wallis Verwaltungsbeschwerde mit dem Begehren um Feststellung der Nichtigkeit des Grossratsbeschlusses sowie um Öffnung des nunmehr seit dem 18. Dezember 2002 mit einer Schranke gesperrten Strassenabschnitts. Erst am 22. Februar 2006 wies der Staatsrat des Kantons Wallis die Beschwerde ab, soweit er darauf eintrat.
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B.
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Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 3. April 2006 beantragt X.________ dem Bundesgericht, den Entscheid des Staatsrates des Kantons Wallis vom 22. Februar 2006 sowie den Beschluss des Grossen Rates des Kantons Wallis vom 19. Mai 1999, soweit dieser die Strasse Steg-Mittal betrifft, aufzuheben.
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Der Staatsrat des Kantons Wallis beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne.
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C.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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1.
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1.1 Die vorliegend streitige Wintersperre untersagt auf der in Frage stehenden Strasse im Winter jeglichen Verkehr. Es handelt sich somit um ein zeitlich beschränktes Totalfahrverbot im Sinne von Art. 3 Abs. 3 SVG, gegen welches letztinstanzlich nur die staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht zulässig ist, und nicht um eine funktionelle Verkehrsbeschränkung im Sinne von Art. 3 Abs. 4 SVG, die nach heutigem Recht mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht angefochten werden kann (vgl. dazu Urteil 2A.23/2006 vom 23. Mai 2006 E. 2.1, mit Hinweisen).
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1.2 Der angefochtene Entscheid ist insoweit entgegen der ihm angefügten Rechtsmittelbelehrung ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid (Art. 76 lit. h und i des kantonalen Gesetzes vom 6. Oktober 1976 über das Verwaltungsverfahren und die Verwaltungsrechtspflege).
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1.3 Der Beschwerdeführer ist als Anstösser des im Winter gesperrten Strassenabschnittes persönlich unmittelbar betroffen und damit gemäss Art. 88 0G zur staatsrechtlichen Beschwerde berechtigt.
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2.
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2.1 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 9 BV. Diese erblickt er darin, dass die streitige Wintersperre vom Grossen Rat erlassen worden sei statt von dem hiefür gemäss dem kantonalen Ausführungsgesetz zum SVG (Art. 1 lit. b und c) zuständigen Staatsrat. Da sich der Staatsrat als an diesen - von ihm als Rechtsetzungsakt eingestuften - Beschluss des Grossen Rates gebunden erachte, fehle es an einer kantonalen Gerichtsinstanz oder Behörde, welche sein Anliegen mit voller Kognition prüfen könne.
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2.2 Ein Entscheid ist im Sinne von Art. 9 BV willkürlich, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwider Iäuft. Willkür Iiegt nicht schon dann vor, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre. Es genügt zudem nicht, dass bloss die Begründung des angefochtenen Entscheids unhaltbar ist. Dessen Aufhebung rechtfertigt sich nur, wenn dies auch in Bezug auf das Ergebnis zu bejahen ist (BGE 125 II 129 E. 5b, S. 134 mit Hinweis).
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2.3 Dem Beschwerdeführer ist darin zuzustimmen, dass die Argumentation der kantonalen Behörden Fragen aufwirft. Soweit unterstellt werden will, die streitige Wintersperre sei bereits vom Grossen Rat verbindlich beschlossen worden, wäre dieser Standpunkt nicht haltbar. Der Grosse Rat hat lediglich die neue Einstufung als Nebenstrasse beschlossen, wozu er auch zuständig war (Art. 18 Abs. 2 des kantonalen Strassengesetzes vom 3. September 1965). Der Zusatz "mit funktionellen Verkehrsbeschränkungen" war zu unbestimmt, um unmittelbare Rechtswirkungen entfalten zu können. Zudem waren darunter, wie oben ausgeführt, nach gängigem Sprachgebrauch keine Totalfahrverbote zu verstehen. Der Hinweis auf die beabsichtigte Wintersperre findet sich lediglich in der Botschaft, deren Ausführungen zwar für die Auslegung des Gesetzes bedeutsam sind, aber keine selbständige Rechtsverbindlichkeit beanspruchen können. Die streitigen Wintersperren wurden zwar in der Folge vom Departement jeden Winter publiziert, allerdings ohne Hinweis auf eine Anfechtungsmöglichkeit, da die Massnahme als Vollzug eines vom Grossen Rat bereits gültig gefassten Beschlusses angesehen wurde.
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Der Staatsrat hat indessen in der Folge die vom Beschwerdeführer am 23. Dezember 2002 erhobene Beschwerde - wenn auch mit grosser Verzögerung von mehr als drei Jahren - materiell behandelt und die Beschwerde gegen die streitige Wintersperre aufgrund der einschlägigen Rechtsnormen und in eigener Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse abgewiesen, soweit er darauf eingetreten ist. Dass der Staatsrat auf das Gesuch des Beschwerdeführers um Feststellung der Nichtigkeit des Grossratsbeschlusses nicht eingetreten ist, Iässt sich im Ergebnis schon deshalb nicht beanstanden, weil dieser Grossratsbeschluss bei korrekter Auslegung die angefochtene Wintersperre noch gar nicht beinhalten konnte. Die periodische Wintersperre auf dem in Frage stehenden Strassenstück ist richtigerweise als zeitlich beschränktes vollständiges Fahrverbot auf einer dem allgemeinen Durchgangsverkehr nicht geöffneten Kantonsstrasse im Sinne von Art. 3 Abs. 3 SVG zu qualifizieren, wofür, wie der Beschwerdeführer zutreffend geltend macht, gemäss Art. 2 lit. a des kantonalen Ausführungsgesetzes zum SVG der Staatsrat zuständig ist. Mit dem vorliegend angefochtenen Entscheid, welcher die Rechtsgrundlage für die Wintersperre bzw. für den Verzicht auf den Winterdienst zwar teilweise auch im Grossratsbeschluss vom 19. Mai 1999 erblickt, aber diese Massnahme zugleich aufgrund eigener Würdigung der Gefahrenlage und des Verhältnismässigkeitsgebotes bestätigt, hat der Staatsrat die ihm in diesem Bereich zustehende Kompetenz im Ergebnis wahrgenommen. Der Vorwurf der willkürlichen Missachtung der für örtliche Verkehrsanordnungen gemäss Art. 3 Abs. 3 SVG geltenden Zuständigkeitsordnung vermag insoweit nicht durchzudringen. Dem Beschwerdeführer wurde, nachdem der Staatsrat die Berechtigung der streitigen Massnahme selber geprüft und durch einen anfechtbaren Entscheid hierüber befunden hat, auch nicht jegliches Rechtsmittel gegen die Strassenschliessung verweigert.
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2.4 Dass die angefochtene Wintersperre mit dem einschlägigen kantonalen Recht nicht vereinbar sei oder sonstwie sachlich gegen das Willkürverbot verstosse, wird in der staatsrechtlichen Beschwerde nicht geltend gemacht, weshalb diese Frage hier nicht weiter zu erörtern ist.
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2.5 Der Staatsrat wird zweckmässigerweise zu prüfen haben, ob und wieweit im Hinblick auf die Rechtsstellung von am vorliegenden Verfahren nicht beteiligten Dritten zur Einhaltung des in Art. 107 Abs. 1 der Signalisationsverordnung vom 5. September 1979 (SSV; SR 741.21) festgelegten Verfahrens allenfalls ein neuer förmlicher Beschluss eröffnet werden sollte, wie dies in der Vernehmlassung des Rechtsdienstes des Departementes vom 30. Januar 2003 zur Verwaltungsbeschwerde des Beschwerdeführers (Ziff. 8 S. 6 in fine) erwogen worden ist.
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3.
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Die staatsrechtliche Beschwerde ist aus diesen Gründen im Sinne der Erwägungen abzuweisen. Bei diesem Ausgang hat der Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens vor Bundesgericht zu tragen (Art. 156 Abs. 1 0G). Da er aufgrund des Vorgehens der kantonalen Behörden indessen zur Beschwerdeführung einen gewissen Anlass hatte, rechtfertigt sich eine Reduktion der ihm aufzuerlegenden Gerichtsgebühr.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Die staatsrechtliche Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen.
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2.
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Die Gerichtsgebühr von Fr. 500.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
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3.
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Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Staatsrat des Kantons Wallis sowie der Gemeinde Steg schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 27. Juli 2006
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Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
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