BGer 2P.290/2006
 
BGer 2P.290/2006 vom 15.05.2007
Tribunale federale
{T 0/2}
2P.290/2006 /zga
Urteil vom 15. Mai 2007
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Müller,
Gerichtsschreiber Häberli.
Parteien
X.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Fürsprecher Dr. Hansulrich Weber,
gegen
Anwaltskammer des Kantons Bern,
Postfach 7475, 3012 Bern,
Obergericht des Kantons Bern,
Postfach 7475, 3001 Bern.
Gegenstand
Art. 9 und 29 Abs. 2 BV (Ablehnungsgesuch),
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den
Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern
vom 25. September 2006.
Sachverhalt:
A.
Mit Moderationsentscheid vom 8. Juni 2004 reduzierte die Anwaltskammer des Kantons Bern eine Honorarforderung von Fürsprecher X.________ von 4'500 auf 2'900 Franken. Gestützt hierauf eröffnete sie am 4. August 2004 ein Disziplinarverfahren, in dessen Rahmen sie gegen Fürsprecher X.________ eine Verwarnung aussprach, weil dieser bei der Rechnungsstellung gegen die anwaltliche Sorgfaltspflicht (vgl. Art. 12 lit. a des Bundesgesetzes vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte; SR 935.61) verstossen habe (Entscheid vom 22. März 2005).
B.
Fürsprecher X.________ gelangte in der Folge an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern, welches den angefochtenen Disziplinarentscheid wegen Verletzung der Ausstandspflichten des kantonalen Verfahrensrechts aufhob. Zwar waren an diesem Entscheid, dem gestellten Ablehnungsantrag entsprechend, keine Mitglieder der Anwaltskammer beteiligt, die bereits beim Moderationsentscheid mitgewirkt hatten; indes amtete in beiden Fällen der Obergerichtsschreiber als Sekretär der Anwaltskammer (Urteil vom 20. Januar 2006).
C.
Nachdem die Anwaltskammer das Disziplinarverfahren wieder an die Hand genommen und die Zusammensetzung des Spruchkörpers bestimmt hatte, ersuchte Fürsprecher X.________ um Abschreibung des Verfahrens wegen Verjährung und stellte gleichzeitig ein Ablehnungsbegehren gegen alle jene Mitglieder der Anwaltskammer, die am aufgehobenen Disziplinarentscheid vom 22. März 2005 mitgewirkt hatten. Das Ablehnungsbegehren wurde vom Obergericht des Kantons Bern behandelt und mit Urteil vom 25. September 2006 abgewiesen; auf das Gesuch um Abschreibung des Verfahrens trat das Obergericht nicht ein.
D.
Am 26. Oktober 2006 hat Fürsprecher X.________ beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde eingereicht mit dem Antrag, den Obergerichtsentscheid vom 25. September 2006 aufzuheben; er macht eine Verletzung des Willkürverbots (Art. 9 BV) und des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) geltend.
E.
Der Beschwerdeführer ersuchte um Sistierung des bundesgerichtlichen Verfahrens, weil er gleichzeitig an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern gelangt war. Nachdem Letzteres mit Urteil vom 8. Dezember 2006 auf die Eingabe des Beschwerdeführers nicht eingetreten war, wies der Präsident der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts das (hinfällig gewordene) Sistierungsgesuch ab (Verfügung vom 20. Februar 2007).
F.
Das Obergericht des Kantons Bern hat auf Vernehmlassung zur staatsrechtlichen Beschwerde verzichtet (Schreiben vom 20. März 2007); die Anwaltskammer hat sich nicht vernehmen lassen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Der Beschwerdeführer rügt zunächst, das Obergericht habe durch seine Handhabung der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung gegen das Willkürverbot (Art. 9 BV; vgl. BGE 127 I 60 E. 5a S. 70) verstossen. Gemäss Art. 9 Abs. 2 des Berner Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege (VRPG) müssten Ablehnungsbegehren von der zuständigen Rechtsmittelbehörde beurteilt werden. Rechtsmittelbehörde für die Entscheide der Anwaltskammer sei nicht das Obergericht, sondern das Verwaltungsgericht, weshalb Letzteres über das gegen die Mitglieder der Anwaltskammer eingereichte Ablehnungsbegehren hätte befinden müssen.
1.2 Art. 9 Abs. 2 VRPG regelt die Zuständigkeit zur Beurteilung von Ablehnungsbegehren wie folgt:
"Über Ablehnungsbegehren sowie über den bestrittenen Ausstand entscheidet die in der Sache zuständige Rechtsmittelbehörde oder, wenn Mitglieder einer Kollegialbehörde in den Ausstand treten, die Behörde unter Ausschluss der Betroffenen endgültig. Ist die Regierungsstatthalterin oder der Regierungsstatthalter betroffen, so entscheidet in jedem Fall die Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion endgültig."
Mithin entscheidet entweder die "zuständige Rechtsmittelbehörde" oder "die [Kollegial-]Behörde unter Ausschluss der Betroffenen" oder im dritten - hier nicht interessierenden - Fall die Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion.
1.3 Der Beschwerdeführer weist an sich zu Recht darauf hin, dass Rechtsmittelbehörde hier nicht das Obergericht, sondern das Verwaltungsgericht ist (Art. 26a des bis Ende 2006 gültigen Berner Fürsprechergesetzes in Verbindung mit Art. 76 Abs. 2 VRPG; vgl. auch Art. 22 des am 1. Januar 2007 in Kraft getretenen Kantonalen Anwaltsgesetzes). Er verkennt jedoch, dass Art. 9 Abs. 2 VRPG für den vorliegenden Fall nicht zwingend die Behandlung des Ablehnungsbegehrens durch die in der Sache zuständige Rechtsmittelinstanz vorschreibt. Die Bestimmung besagt an sich nur, dass die Rechtsmittelinstanz jene Ablehnungsbegehren zu beurteilen hat, die sich gegen ein Einzelorgan richten, während über Begehren, welche Mitglieder einer Kollegialbehörde betreffen, Letztere selber befindet. Die genannte Bestimmung gibt damit keine (oder jedenfalls keine direkte) Antwort auf die Frage, wie vorzugehen ist, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Mehrheit der Mitglieder der Anwaltskammer abgelehnt wird. Die Zuständigkeit für die Behandlung eines solchen Ablehnungsgesuchs ergibt sich nicht - zumindest nicht unmittelbar - aus der auf Einzelorgane zugeschnittenen Vorschrift in Art. 9 Abs. 2 VRPG, sondern es besteht Raum für die Frage, ob und wieweit allenfalls auf die für analoge Sachverhalte aufgestellten anderweitigen Regelungen zurückgegriffen werden darf (Art. 9 Abs. 4 VRPG: Zuständigkeit des Obergerichts bei Ablehnung der Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungsgerichts; Art. 36 Ziff. 6 des Berner Strafverfahrens: Zuständigkeit des Obergerichts bei Ablehnung der Mehrheit der Anklagekammer, des Wirtschaftsstrafgerichts, einer Strafkammer oder des Kassationshofs). Der Beschwerdeführer setzt sich mit dieser Frage nicht in einer den Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG genügenden Weise auseinander; er stützt sich für seinen Standpunkt einzig auf die in Art. 9 Abs. 2 VRPG für die Ablehnung von Einzelorganen getroffene Regelung, die er als allein massgebend betrachtet. Damit vermag er den Vorwurf der Willkür noch nicht zu begründen.
2.
2.1 Der Beschwerdeführer beanstandet weiter, dass sein Ausstandsbegehren abgewiesen worden ist. Er macht insoweit allerdings keine Verletzung von Art. 30 BV geltend, sondern rügt lediglich eine qualifiziert fehlerhafte Handhabung der Ausstandsregeln des kantonalen Verfahrensrechts und mithin einen Verstoss gegen das Willkürverbot (Art. 9 BV). Am Rande erwähnt er zwar zusätzlich eine angebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV; vgl. BGE 129 I 232 E. 3.2 S. 236; 126 I 97 E. 2b 102 f.). Indes genügen seine dahingehenden Ausführungen den gesetzlichen Begründungsanforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG (vgl. BGE 110 Ia 1 E. 2 S. 3 f.; 119 Ia 197 E. 1d S. 201) offensichtlich nicht, weshalb insoweit nicht auf die Beschwerde einzutreten ist.
2.2 Der Beschwerdeführer rügt zunächst, Fürsprecher Z.________, welcher am (zweiten) Disziplinarentscheid mitwirken soll, sei konkret befangen, weil er sich öffentlich über das Disziplinarverfahren geäussert habe. Der Beschwerdeführer verweist diesbezüglich auf die Berichterstattung über die Praxis der Anwaltskammer im Jahre 2005, welche in der Zeitschrift "in dubio" (Heft 4/2006) erschienen ist. Ob dieser (offenbar nach dem angefochtenen Entscheid publizierte) Artikel im vorliegenden Verfahren überhaupt berücksichtigt werden könnte, kann offen bleiben: Es ist offensichtlich, dass Fürsprecher Z.________ in der vom Beschwerdeführer beanstandeten Passage auf S. 195 nicht über das streitbetroffene Verfahren berichtet. Die Anwaltskammer hatte nämlich das fragliche Disziplinarverfahren - trotz der nach Auffassung des Berichterstatters "doch stark nach Schutzbehauptungen" riechenden nachträglichen Argumente des beschuldigten Rechtsanwalts - aufgrund der angewandten "recht grosszügige[n] Massstäbe" aufgehoben.
2.3 Das Obergericht hat verneint, dass die Beteiligung am kassierten Disziplinarentscheid ein Mitwirken an einem "Vorentscheid" gemäss Art. 9 Abs. 1 lit. b VRPG darstellt. Weiter hat es ausgeführt, die erneute Beurteilung der gleichen Disziplinarsache nach der Aufhebung des ersten Entscheids führe bei den betroffenen Mitgliedern der Anwaltskammer auch nicht zu einer Befangenheit aus "andern Gründen" im Sinne von Art. 9 Abs. 1 lit. f VRPG. Von den Betroffenen dürfe erwartet werden, dass sie die Streitsache objektiv und unparteiisch behandeln würden. Was der Beschwerdeführer gegen diese Erwägungen des Obergerichts vorbringt, vermag den gesetzlichen Begründungsanforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG (vgl. BGE 110 Ia 1 E. 2 S. 3 f.; 119 Ia 197 E. 1d S. 201) kaum zu genügen; seine Ausführungen beschränken sich im Wesentlichen auf appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid, welche mit Bezug auf die geltend gemachte Verletzung des Willkürverbots ungenügend ist (vgl. BGE 117 Ia 10 E. 4b S. 12). Es fragt sich deshalb, ob insoweit überhaupt auf die staatsrechtliche Beschwerde eingetreten werden kann. Weil die Rüge aber ohnehin nicht durchzudringen vermag, braucht hier nicht abschliessend geprüft zu werden, ob sie denn rechtsgenüglich begründet wäre:
2.4 Die betroffenen Mitglieder der Anwaltskammer haben am Moderationsverfahren nicht teilgenommen, so dass das Obergericht eine Vorbefassung zu Recht verneint hat. Weiter entspricht der angefochtene Entscheid der kantonalen Praxis, gemäss der keine Befangenheit vorliegt, wenn nach der Aufhebung des ersten Entscheids die gleichen Personen zur erneuten Beurteilung einer Streitsache berufen sind (vgl. Thomas Merkli/Arthur Aeschlimann/Ruth Herzog, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Bern, Bern 1997, N 16 zu Art. 9). Die entsprechende Rechtsauffassung ist nicht verfassungswidrig, begründet doch der blosse Umstand, dass ein Richter aufgrund eines gutheissenden Rechtsmittelentscheids über den ihm unterbreiteten Streitfall nochmals urteilen muss, auch nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 30 BV für sich alleine keine Ausstandspflicht (vgl. etwa BGE 116 Ia 28 E. 2a S. 30). Die formellen Fehler, derentwegen der Disziplinarentscheid vom 22. März 2005 aufgehoben worden ist, waren - entgegen den Behauptungen des Beschwerdeführers - relativ geringfügig und lassen per se nicht auf eine Befangenheit der am betreffenden Entscheid beteiligten Mitglieder der Anwaltskammer schliessen.
3.
Eine Verletzung des Willkürverbots sieht der Beschwerdeführer ferner darin, dass das Obergericht weder die erhobene Verjährungseinrede noch den Einwand prüfte, das Disziplinarverfahren sei durch den Entscheid des Verwaltungsgerichts definitiv aufgehoben worden. Der Beschwerdeführer verkennt, dass diese Vorbringen den materiellen Streit betreffen, zu dessen Beurteilung die Anwaltskammer zuständig ist, während sich das Obergericht lediglich mit der rein formellen Ausstandsfrage befasst hat.
4.
Nach dem Gesagten ist die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens werden die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer auferlegt (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 153 und Art. 153a OG). Parteientschädigung ist keine auszurichten (vgl. Art. 159 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'500.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie der Anwaltskammer und dem Obergericht des Kantons Bern schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 15. Mai 2007
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: