BGer 8C_28/2007 |
BGer 8C_28/2007 vom 09.10.2007 |
Tribunale federale
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{T 0/2}
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8C_28/2007
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Urteil vom 9. Oktober 2007
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I. sozialrechtliche Abteilung
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Besetzung
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Bundesrichter Ursprung, Präsident,
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Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Lustenberger,
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Gerichtsschreiber Jancar.
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Parteien
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Gemeinde X.________,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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Sozialversicherungsanstalt des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5000 Aarau, Beschwerdegegnerin.
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betreffend S.________,
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handelnd durch den Amtsvormund K.________.
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Gegenstand
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Ergänzungsleistung zur AHV/IV,
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Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 23. Januar 2007.
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Sachverhalt:
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A.
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Die 1926 geborene S.________ (nachfolgend Versicherte), die bisher in der Gemeinde Z.________ im Kanton Aargau gewohnt hatte, trat am 26. April 2004 probehalber ins Alterswohnheim "Y._______" in der Gemeinde X.________ im Kanton Zürich ein. Am 10. Mai 2004 unterzeichnete sie den Heimvertrag, wovon ihre Tochter M.________ als Kontaktperson am 4. Juni 2004 unterschriftlich Kenntnis nahm. Am 6. Juli 2004 meldete diese die Versicherte bei der Sozialversicherungsanstalt des Kantons Aargau, Ausgleichskasse, zum Bezug einer Ergänzungsleistung (EL) zur Altersrente an. Mit Verfügung vom 21. September 2004 stellte diese fest, die Anmeldung müsse im Kanton Zürich als Aufenthaltskanton der Versicherten erfolgen. Dagegen liess die Versicherte am 20. Oktober 2004 Einsprache erheben. Am 18. Februar 2005 ersuchte die Versicherte das Sozialversicherungsamt X.________ um Ausrichtung von EL (im Kanton Zürich Zusatzleistungen genannt) zur AHV/IV. Mit Verfügung vom 22. Februar 2005 verneinte dieses den Anspruch, da die massgebenden Einnahmen höher seien als die anerkannten Ausgaben; sofern sich die finanziellen Verhältnisse wesentlich änderten, könne jederzeit eine Wiederanmeldung gemacht werden. Am 5. Dezember 2005 errichtete die Gemeinde Z.________über die Versicherte eine Beiratschaft nach Art. 395 Abs. 1 und 2 ZGB. Am 1. Juni 2006 beantragte der Beirat bei der Sozialversicherungsanstalt des Kantons Aargau erneut die EL-Ausrichtung. Mit Entscheid vom 11. Juli 2006 wies diese die Einsprache vom 20. Oktober 2004 ab (Dispositiv Ziff. 1). Die Versicherte lebe seit 26. April 2004 in X.________. Mit der Anmeldung vom Juni 2006 sei die Verfügung des Sozialversicherungsamtes X.________ vom 22. Februar 2005 eingereicht worden, womit dieses die Zuständigkeit des Kantons Zürich für die EL-Ausrichtung anerkannt habe.
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B.
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In teilweiser Gutheissung der hiegegen von der Gemeinde X._______ eingereichten Beschwerde hob das Versicherungsgericht des Kantons Aargau Ziff. 1 des Einspracheentscheides auf und stellte fest, dass die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Aargau im Zeitraum ab 26. April 2004 bis 9. Mai 2004 für die Ausrichtung von Ergänzungsleistungen an die Versicherte zuständig war. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab (Entscheid vom 23. Januar 2007).
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C.
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Mit Beschwerde beantragt die Gemeinde X.________ die Aufhebung des kantonalen Entscheides; es sei der Kanton Aargau als zuständig für die Ausrichtung von Ergänzungsleistungen an die Versicherte zu bezeichnen und zu verpflichten, die bisher vorschüssig ausbezahlten Leistungen rückwirkend ab 1. Juni 2006 (recte 2004) und zukünftig zu übernehmen.
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Die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Aargau schliesst auf Abweisung der Beschwerde, während die Versicherte und das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) auf eine Vernehmlassung verzichten.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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1.
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1.1 Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Gemäss Art. 42 Abs. 1 BGG ist die Beschwerde hinreichend zu begründen, andernfalls wird darauf nicht eingetreten (Art. 108 Abs. 1 lit. b BGG). Das Bundesgericht prüft grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen; es ist nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu prüfen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen wurden. Es kann die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).
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1.2 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG) und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. Botschaft zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 S. 4338). Die beschwerdeführende Partei, welche die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz anfechten will, muss substantiiert darlegen, inwiefern die Voraussetzungen einer Ausnahme gemäss Art. 105 Abs. 2 BGG gegeben sind. Andernfalls kann ein von dem im angefochtenen Entscheid festgestellten abweichender Sachverhalt nicht berücksichtigt werden (vgl. BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur soweit vorgebracht werden, als der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt. Neue Begehren sind unzulässig (Art. 99 Abs. 1 und 2 BGG). Das Bundesgericht darf nicht über die Begehren der Parteien hinausgehen (Art. 107 Abs. 1 BGG).
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2.
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Gemäss Art. 38 Abs. 1 ELV (in Kraft seit 1. Januar 2003) sind das Bundesamt und die beteiligten kantonalen Durchführungsstellen befugt, gegen Entscheide des kantonalen Versicherungsgerichts Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Eidgenössischen Versicherungsgericht bzw. seit 1. Januar 2007 Beschwerde beim Bundesgericht zu führen.
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Im Kanton Zürich sind die politischen Gemeinden EL-Durchführungsstellen (§ 2 des Zürcher Gesetzes über die Zusatzleistungen zur eidgenössischen AHV/IV vom 7. Februar 1971 [Zusatzleistungsgesetz; LS 831.3]). Die Gemeinde X.________ ist demnach zur Beschwerdeführung beim Bundesgericht legitimiert (vgl. auch BGE 132 V 74 E. 4.1.1 S. 79 und E. 5 S. 81; Urteil des Bundesgerichts P 53/06 vom 24. September 2007, E. 3).
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Die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Aargau ist passivlegitimiert, da der Kanton Aargau diese mit der EL-Durchführung betraut hat (§ 16 des aargauischen Gesetzes über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV [Ergänzungsleistungsgesetz; SAR 831.200]; vgl. auch BGE 132 V 74 E. 4.1.1 S. 79).
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3.
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Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über die örtliche Zuständigkeit für die Festsetzung und Auszahlung der Ergänzungsleistungen (Art. 1a Abs. 3 ELG) sowie den Begriff des Wohnsitzes (Art. 1 Abs. 1 ELG in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 ATSG; Art. 23 Abs. 1, Art. 24 Abs. 1 und Art. 26 ZGB; BGE 133 V 309 ff., 132 V 74 E. 4.1.2 S. 79, 131 V 59 E. 6.1 S. 65, 127 V 237 ff., je mit Hinweisen; SVR 2006 EL Nr. 7 S. 25 E. 4.1, P 21/04; Rz. 1002 ff. der vom BSV herausgegebenen Wegleitung über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV [WEL]) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
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4.
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4.1 Die Vorinstanz hat in Würdigung der Akten mit einlässlicher Begründung, auf die verwiesen wird (Art. 109 Abs. 3 BGG), richtig erkannt, dass die Versicherte ab 10. Mai 2004, dem definitiven Eintritt ins Alterswohnheim "Y.________" in der Gemeinde X.________, hier Wohnsitz hatte, weshalb ab diesem Zeitpunkt diese Gemeinde und nicht die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Aargau für die Festsetzung und Auszahlung der Ergänzungsleistungen zuständig ist. Hieran hat sich bis zum massgebenden Zeitpunkt des Einspracheentscheides vom 11. Juli 2006 (BGE 129 V 167 E. 1 S. 169) nichts geändert. Der Vorinstanz ist beizupflichten, dass die am 5. Dezember 2005 durch die Gemeinde Z.________ über die Versicherte errichtete Beiratschaft nach Art. 395 Abs. 1 und 2 ZGB auf ihren Wohnsitz keinen Einfluss hatte (Hans Michael Riemer, Personenrecht des ZGB, 2. Aufl., Bern 2002, S. 105 Rz. 199; derselbe, Grundriss des Vormundschaftsrechts, 2. Aufl., Bern 1997, S. 115 Rz. 16; Mario M. Pedrazzini/Niklaus Oberholzer, Grundriss des Personenrechts, 4. Aufl., Bern 1993, S. 110; Eugen Bucher, Berner Kommentar, Das Personenrecht, 2. Abteilung, 1. Teilbd., Bern 1976, N. 94 zu Art. 25 ZGB).
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4.2 Die letztinstanzlichen Einwendungen der Beschwerdeführerin vermögen zu keinem anderen Ergebnis zu führen.
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4.2.1 Sie macht geltend, die Versicherte sei vermindert urteilsfähig gewesen und habe eigentlich gar keine Wahl gehabt, in welches Heim sie eintrete wolle; der Entscheid für den Eintrit ins Alterswohnheim "Y.________" sei von Dritten gefällt worden.
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Diesbezüglich ist festzuhalten, dass Feststellungen über innere oder psychische Tatsachen, wie beispielsweise was jemand wollte oder wusste, Tatfragen sind (BGE 130 IV 58 E. 8.5 S. 62, 125 III 435 E. 2a/aa S. 436, 124 III S. 182 E. 3 184; Urteil des Bundesgerichts 9C_402/2007 vom 18. Juli 2007, E. 1.2, und des Eidg. Versicherungsgerichts I 693/06 vom 20. Dezember 2006, E. 4.1).
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Die Vorinstanz stellte auf Grund der Akten fest, die Versicherte habe sich am 10. Mai 2004, dem Datum der Unterzeichnung des Vertrages mit dem Alterswohnheim "Y.________", für einen Wohnsitzwechsel nach X.________ entschieden und sei bezüglich dieser Entscheidung urteilsfähig gewesen. Es kann nicht gesagt werden, dass sie den Sachverhalt diesbezüglich offensichtlich unrichtig respektive auf Grund einer Rechtsverletzung festgestellt hat (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG), zumal an die erforderliche (Art. 18 ZGB), vom Gesetz vermutete (Art. 16 ZGB) Urteilsfähigkeit im Bereich der Wohnsitzfrage ohnehin keine strengen Anforderungen gestellt werden (BGE 127 V 237 E. 2c S. 240 mit Hinweisen).
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4.2.2 Unbehelflich ist weiter das Vorbringen der Beschwerdeführerin, im Kanton Aargau habe im Frühjahr 2004 eine Unterversorgung von Heimplätzen für Demenzkranke geherrscht, weshalb die Versicherte z.B. vom Altersheim an ihrem Wohnort nicht hätte aufgenommen werden können; die fehlende Wahlmöglichkeit habe schliesslich zur Unterbringung der Versicherten im Kanton Zürich geführt. Die Vorinstanz hat zu Recht erkannt, dass es irrelevant ist, ob der Heimeintritt allenfalls unter dem Zwang der Umstände (etwa Angewiesensein auf Betreuung, finanzielle Gründe) erfolgte. Nicht massgebend ist auch, dass die Versicherte ihre Schriften weiterhin in Z.________ hinterlegt hatte (BGE 133 V 309 E. 3.1 und E. 3.3 S. 312 f., 127 V 237 E. 2c S. 241, je mit Hinweisen).
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5.
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Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Die Beschwerde wird abgewiesen.
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2.
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Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.
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3.
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Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau, dem Bundesamt für Sozialversicherungen und S.________ zugestellt.
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Luzern, 9. Oktober 2007
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Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
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