BGer 6B_715/2009
 
BGer 6B_715/2009 vom 08.01.2010
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
6B_715/2009
Urteil vom 8. Januar 2010
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Favre, Präsident,
Bundesrichter Mathys, Bundesrichterin
Jacquemoud-Rossari,
Gerichtsschreiber Borner.
Parteien
X.________, vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. Ruedi Lang,
Beschwerdeführer,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn, 4502 Solothurn,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Gewerbsmässiger Betrug; Zusatzstrafe, Strafzumessung,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn, Strafkammer, vom 7. Mai 2009.
Sachverhalt:
A.
Das Amtsgericht Olten-Gösgen verurteilte X.________ am 29. August 2007 wegen mehrfacher qualifizierter Veruntreuung und Unterlassung der Buchführung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren als Zusatzstrafe zu einem Urteil derselben Instanz vom 8. April 2003 (2 Jahre Gefängnis wegen mehrfacher unrechtmässiger Aneignung sowie mehrfacher Urkundendelikte).
Auf Appellation des Verurteilten und Anschlussappellation des Leitenden Staatsanwalts des Kantons Solothurn sprach das Obergericht des Kantons Solothurn X.________ am 7. Mai 2009 schuldig des gewerbsmässigen Betrugs. Es setzte die Freiheitsstrafe auf 1 ½ Jahre fest als Zusatzstrafe zum erwähnten Urteil.
B.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt zur Hauptsache, das angefochtene Urteil sei aufzuheben, und er sei vom Vorwurf des gewerbsmässigen Betrugs freizusprechen.
Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer beanstandet, die Vorinstanz habe den Anklagegrundsatz verletzt (§ 100 Abs. 2 StPO/SO, Art. 29 Abs. 1 und Art. 32 Abs. 2 BV, Art. 6 Ziff. 3 lit. a EMRK). In der Anklageschrift sei nicht beschrieben, inwiefern er arglistig gehandelt habe.
1.1 Am 30. Juni 2004 überwies das Untersuchungsrichteramt Wirtschaftsdelikte des Kantons Solothurn die Schlussverfügung ans Amtsgericht. Dieses sistierte das Verfahren, weil der Beschwerdeführer unbekannten Aufenthalts war. Nach seiner Verhaftung führte die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn eine Schlusseinvernahme durch. Dabei bestätigte der Beschwerdeführer unterschriftlich, dass er die Schlussverfügung vom 30. Juni 2004 detailliert studiert habe. Am 5. Oktober 2006 überwies die Staatsanwaltschaft die Anklageschrift erneut dem Amtsgericht, und zwar gestützt auf die inzwischen revidierte Strafprozessordnung. Deren § 100 Abs. 2 lautet neu:
"Die Anklageschrift bezeichnet möglichst kurz, aber genau die dem Beschuldigten vorgeworfenen Straftaten mit Beschreibung von Ort und Zeit der Tatausführung, der Verletzten sowie des täterischen Vorgehens. Sie führt die nach Auffassung des Staatsanwalts erfüllten Straftatbestände und die Beweisanträge des Staatsanwalts an."
1.2 Die Verfassung und die EMRK verlangen bloss, dass das Prozessthema klar umgrenzt sein muss, damit sich der Angeschuldigte wirksam verteidigen kann. Sie schreiben aber nicht vor, wie eine Strafprozessordnung diese Ziele konkret umsetzen muss.
In der Anklageschrift wird auf die Schlussverfügung verwiesen, die sich zur Arglist des Beschwerdeführers ausführlich äussert (S. 6 - 15). Nachdem dieser die Schlussverfügung detailliert studiert hatte (E. 1.1), kannte er auch die Vorwürfe betreffend sein arglistiges Verhalten. Unter diesen Umständen sind die gerügten Bestimmungen der Verfassung bzw. der EMRK offensichtlich nicht verletzt.
1.3 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von § 100 Abs. 2 StPO/SO. Die Staatsanwaltschaft habe die Anklageschrift nicht so verfasst wie vorgeschrieben. Es liege ein grober formaler Fehler im Zusammenhang mit dem Anklagegrundsatz vor.
Der Beschwerdeführer spricht weder von willkürlicher Anwendung kantonalen Rechts noch nennt er den entsprechenden Verfassungsartikel (Art. 9 BV), weshalb auf die Rüge nicht einzutreten ist (BGE 134 I 140 E. 5.4). Im Übrigen wäre ein Willkürvorwurf unbegründet, weil der Wortlaut des § 100 Abs. 2 StPO/SO jedenfalls für die Übergangszeit, in welcher zunächst eine Schlussverfügung und anschliessend eine Anklageschrift verfasst wurden, eine Verweisung auf erstere nicht grundsätzlich verbietet.
2.
2.1 Der Beschwerdeführer beanstandet, die Vorinstanz habe entgegen seinem Antrag nicht gutachterlich abklären lassen, ob er vermindert schuldfähig sei. Damit habe sie Art. 19 Abs. 2 und Art. 20 StGB verletzt.
Am 10. Oktober 1990 habe er einen Unfall erlitten. Ein ärztlicher Bericht vom 30. September 1992 zuhanden der Versicherung halte nebst einer Konzentrations- und Gedächtnisstörung fest:
"Zusätzlich (er)geben sich Hinweise auf eine frontale Hirnleistungsschwäche mit gestörter Suppressionsfähigkeit, gestörter Selbstkontrolle, eingeschränkter Selbstkritik sowie auch eine Wesensveränderung mit gestörter Affektmodulation, verminderter Libido (S. 2)".
Ein ärztliches Gutachten vom 14. Juli 1993 führt dazu aus:
"... mässige frontale und limbische Funktionsstörung mit einer erhöhten Ablenkbarkeit, verminderten Suppressionsfähigkeit von Störstimuli, gestörter Affektregulation mit verminderter Selbstkontrolle und Neigung zu Affektausbrüchen, sowie im Wechsel, mit einer verminderten psychischen Frustrationskapazität mit depressiven Reaktionen und einer verminderten Libido (S. 16)".
Namentlich die verminderte Selbstkontrolle und die verminderte psychische Frustrationskapazität seien Elemente, die bei der Deliktsbegehung und bei der Frage, einsichtsgemäss handeln zu können, eine zentrale Rolle spielten. In dieses Bild passe auch, dass der Beschwerdeführer die Versicherungssumme, wofür er viele Jahre lang habe kämpfen müssen, verspekuliert habe.
2.2 Wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, bestehen im Fall des Beschwerdeführers keine ernsthaften Zweifel an dessen Schuldfähigkeit. Eine verminderte Selbstkontrolle sowie Frustrationskapazität könnten sich allenfalls bei Affektdelikten auf die Schuldfähigkeit auswirken. Der Beschwerdeführer beging jedoch einen klassischen Anlagebetrug: Er spiegelte mit einer Aktiengesellschaft eine seriöse Tätigkeit im Treuhandbereich und in der Vermögensverwaltung vor, verwendete einen gefälschten Doktortitel und gab sich als ehemaliger Arzt aus. Mit fiktiven Zahlen und einer eindrücklichen Grafik täuschte er vor, seit Jahren erfolgreich Finanzanlagen zu tätigen. Der Prospekt seiner AG strotzte von falschen und kaum überprüfbaren Angaben. Anlegern wurden professionell wirkende Verträge unterbreitet. Den Anlagevermittlern gaukelte er vor, mit der Bank A.________ seriöse Anlagegeschäfte zu tätigen. Mit gefälschten Kontoauszügen und Renditeberechnungen verstand er es, die Anleger noch für eine gewisse Zeit bei der Stange zu halten (angefochtener Entscheid S. 19 ff. Ziff. 5).
Dieses raffiniert aufeinander abgestimmte Sammelsurium von täuschenden Angaben und Machenschaften (a.a.O., S. 21) zeigt, dass der Beschwerdeführer ganz gezielt und über längere Zeit den Anlagebetrug verwirklichte und nicht etwa im Affekt handelte. Weder die Tat als solche noch die Art und Weise der Ausführung lassen auf eine herabgesetzte Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Beschwerdeführers schliessen. Im Übrigen liefert auch die Wesensveränderung (Bericht vom 30. September 1992, S. 2) keinen derartigen Hinweis, wurde der Beschwerdeführer doch bereits vor seinem Unfall 1976 und 1980 wegen wiederholten Betrugs verurteilt (Urteil des Amtsgerichts S. 20 Abs. 2). Die verspekulierte Versicherungssumme lässt lediglich schliessen, dass der Beschwerdeführer an "leicht verdientem Geld" interessiert war.
3.
Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe sich seit der Tat während langer Zeit wohl verhalten. Die Vorinstanz hätte deshalb Art. 48 lit. e StGB anwenden müssen.
Der Beschwerdeführer delinquierte bis zum 28. April 2000. Bis zum vorinstanzlichen Urteil vom 7. Mai 2009 vergingen 9 Jahre und ein paar Tage. Die Schwelle von zwei Dritteln der Verjährungsfrist von 15 Jahren war somit noch nicht erreicht, weshalb die Vorinstanz den Strafmilderungsgrund des Art. 48 lit. e StGB auch nicht anwenden musste (BGE 132 IV 1). Inwiefern andere Gründe dafür sprechen würden, macht der Beschwerdeführer nicht geltend und ist auch nicht ersichtlich. Im Übrigen hat die Vorinstanz ausdrücklich erwähnt, dass seit 9 Jahren keine neuen strafbaren Handlungen bekannt geworden sind (angefochtener Entscheid S. 30), und damit die deliktsfreie Zeit im Rahmen der Strafzumessung strafmindernd berücksichtigt.
Der Beschwerdeführer rügt das Beschleunigungsgebot (Art. 6 Ziff. 1 EMRK) als verletzt. Soweit er dabei das rechtskräftige Urteil aus dem Jahre 2003 kritisiert, ist darauf nicht einzutreten. Im Übrigen kann auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (angefochtener Entscheid S. 28 f. lit. i).
Schliesslich wirft der Beschwerdeführer der Vorinstanz vor, Art. 47 StGB verletzt zu haben, weil sie die harte Auslieferungshaft nicht strafmindernd berücksichtigt habe. Da die Beschreibung der Verhältnisse in Prag durch den Beschwerdeführer äusserst vage ausfiel und Belege dafür fehlen (angefochtener Entscheid S. 29 lit. j), ist der Vorwurf unberechtigt.
Insgesamt ist die vorinstanzliche Strafzumessung nicht zu beanstanden.
4.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Gemäss Berechnung seines Existenz-Minimums beläuft sich die pfändbare Lohnquote auf Fr. 495.95 pro Monat (act. 2 Beilage 8). Darin ist ein monatlicher Mietzins von Fr. 3'200.-- eingerechnet. Gesteht man dem Beschwerdeführer monatliche Mietkosten von Fr. 2'000.-- zu, so beträgt die pfändbare Lohnquote beinahe Fr. 1'700.--. Bei einem solchen Betrag kann nicht gesagt werden, er verfüge nicht über die erforderlichen Mittel. Im Übrigen erschien das Rechtsbegehren des Beschwerdeführers von vornherein als aussichtslos. Folglich ist das Gesuch abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG).
Mit dem Entscheid in der Sache ist das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Solothurn, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 8. Januar 2010
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Favre Borner