BGer 8C_995/2009 |
BGer 8C_995/2009 vom 26.08.2010 |
Bundesgericht
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Tribunal fédéral
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Tribunale federale
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{T 0/2}
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8C_995/2009
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Urteil vom 26. August 2010
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I. sozialrechtliche Abteilung
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Besetzung
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Bundesrichter Ursprung, Präsident,
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Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard,
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Gerichtsschreiber Holzer.
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Verfahrensbeteiligte |
B.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Dieter Kehl,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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IV-Stelle des Kantons Thurgau,
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St. Gallerstrasse 13, 8500 Frauenfeld,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Invalidenversicherung,
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Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 30. September 2009.
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Sachverhalt:
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A.
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Die 1977 geborene B.________ war zuletzt als kaufmännische Angestellte der Firma H.________ AG erwerbstätig gewesen, als sie sich am 14. August 2007 unter Hinweis auf eine am 5. Oktober 2006 erlittene HWS-Distorsion bei der IV-Stelle des Kantons Thurgau zum Leistungsbezug anmeldete. Nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens verneinte die IV-Stelle mit Verfügung vom 5. März 2009 einen Leistungsanspruch der Versicherten, da diese in der Lage sei, ihre angestammte Tätigkeit ohne Einschränkungen auszuüben.
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B.
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Die von B.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 30. September 2009 ab.
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C.
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Mit Beschwerde beantragt B.________, die IV-Stelle sei unter Aufhebung der Verfügung und des kantonalen Gerichtsentscheides zu verpflichten, die gesetzlichen Leistungen zu erbringen; eventuell sei die Streitsache zu weiteren Abklärungen an die Beschwerdegegnerin oder an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Während die IV-Stelle des Kantons Thurgau und die Vorinstanz auf Abweisung der Beschwerde schliessen, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung.
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Erwägungen:
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1.
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1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 132 II 257 E. 2.5 S. 262; 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen werden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).
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1.2 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Die Beweiswürdigung durch das kantonale Gericht verletzt namentlich dann Bundesrecht, wenn es den Sinn und die Tragweite eines Beweismittels offensichtlich falsch eingeschätzt, ohne sachlichen Grund ein wichtiges und für den Ausgang des Verfahrens entscheidendes Beweismittel nicht beachtet oder aus den abgenommenen Beweisen unhaltbare Schlüsse gezogen hat (BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9; Urteil 8C_727/2009 vom 19. November 2009 E. 1.2).
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2.
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2.1 Der Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung setzt unter anderem voraus, dass die versicherte Person invalid oder von Invalidität unmittelbar bedroht ist. Invalidität ist gemäss Art. 8 Abs. 1 ATSG die voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit.
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2.2 Bei den vorinstanzlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit der versicherten Person handelt es sich grundsätzlich um Entscheidungen über Tatfragen (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.). Dagegen ist die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG Rechtsfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 und 4 S. 397 ff.; Urteil I 865/06 vom 12. Oktober 2007 E. 3.2).
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2.3 Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, als sie einen Anspruch der Beschwerdeführerin auf Leistungen der Invalidenversicherung verneinte.
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3.
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3.1 Das kantonale Gericht hat in umfassender Würdigung der medizinischen Akten, insbesondere gestützt auf das Gutachten der MEDAS vom 21. April 2008 für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich festgestellt, dass der Beschwerdeführerin ihre angestammte Tätigkeit weiterhin ohne Einschränkungen zumutbar wäre. Dabei hat es namentlich erwogen, das von der Versicherten aufgelegte Gutachten des Instituts X.________ vom 2. Februar 2009 erfülle die Anforderungen an eine medizinische Begutachtung (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352 ) nicht, da in ihm nicht begründet werde, weshalb die Gutachtenspersonen zu einer gegenüber der MEDAS abweichenden Einschätzung der Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin gelangten. Diese Feststellung ist offensichtlich unrichtig, erfolgt doch im Gutachten des Instituts X.________ über mehrere Seiten eine Auseinandersetzung mit dem älteren Gutachten der MEDAS.
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3.2 Das Gutachten des Instituts X.________ stützt sich auf spezialärztliche Untersuchungen in neurologischer, neuropsychologischer, psychiatrischer und rheumatologischer Hinsicht, auf eine interdisziplinäre Besprechung sowie auf die Vorakten. Die Experten setzen sich mit den früheren medizinischen Stellungnahmen auseinander und begründen abweichende Einschätzungen. Laut Gutachten des Instituts X.________ leidet die Beschwerdeführerin sowohl an den Folgen der HWS-Distorsionen vom 21. Dezember 2003 und vom 5. Oktober 2006, als auch an unfallfremden Gesundheitsschäden. Die Versicherte klage über Beschwerden, welche als dem nach Schleudertraumata oftmals beobachteten und daher als typisch bezeichneten vielschichtigen Beschwerdebild zugehörig betrachtet werden können. Aus interdisziplinärer Sicht wird die Arbeitsfähigkeit in ihrer bisherigen Tätigkeit auf etwa 50 % eingeschätzt.
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3.3 Im Gutachten der MEDAS wird demgegenüber keine Diagnose mit Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit gestellt. Was die dem Beschwerdebild einer spezifischen HWS-Verletzung zuzurechnenden Beeinträchtigungen anbelangt, halten die Gutachter fest, die Unfallereignisse hätten zu keinen strukturellen diskoligamentären oder gar knöchernen Veränderungen an der Halswirbelsäule geführt. Es sei allenfalls von HWS-Distorsionen leichten Ausmasses auszugehen. Definitionsgemäss würden solche Distorsionen folgenlos abklingen und keine strukturellen Veränderungen hinterlassen. Eine Arbeitsunfähigkeit nach einer solchen HWS-Distorsion könnte maximal in den ersten vier Wochen nach dem Unfall begründet werden.
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Diese Beurteilung, auf welcher die anschliessenden Aussagen zur Arbeitsfähigkeit basieren, lässt sich mit der Rechtsprechung nicht ohne weiteres vereinbaren. Danach kann eine bei einem Unfall erlittene Verletzung im Bereich von HWS und Kopf auch ohne organisch nachweisbare (d.h. objektivierbare) Funktionsausfälle zu länger dauernden, die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigenden Beschwerden führen. Derartige Verletzungen sind durch ein komplexes und vielschichtiges Beschwerdebild mit eng in einander verwobenen, einer Differenzierung kaum zugänglichen Beschwerden physischer und psychischer Natur gekennzeichnet (BGE 134 V 109 E. 7.1 S. 118). Diese mit Bezug auf die obligatorische Unfallversicherung entwickelten Grundsätze sind auch für die Invalidenversicherung massgebend. Auch hier kann eine spezifische HWS-Verletzung ohne organisch nachweisbare Funktionsausfälle mit dem für derartige Verletzungen typischen, komplexen und vielschichtigen Beschwerdebild die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen. Soweit das Gutachten aus dem Fehlen organisch nachweisbarer Befunde direkt auf eine Befindlichkeitsbeeinträchtigung ohne Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit schliesst, kann ihm nicht gefolgt werden (vgl. auch Urteil 8C_437/2008 vom 30. Juli 2009 E. 6.3).
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3.4 Nach dem Gesagten liegen zwei formell gleichwertige Gutachten vor, die sich jedoch inhaltlich, d.h. bei der Einschätzung der zumutbaren Arbeitsfähigkeit, widersprechen. Die Sache ist deshalb an die IV-Stelle zurückzuweisen, damit sie zur massgeblichen Frage der zumutbaren Arbeitsfähigkeit ein Obergutachten einhole und danach über den Anspruch auf eine Invalidenrente neu verfüge.
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4.
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Das Verfahren ist kostenpflichtig. Die Gerichtskosten sind dem Ausgang des Verfahrens entsprechend der IV-Stelle aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Versicherte hat Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Die Beschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 30. September 2009 und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Thurgau vom 5. März 2009 aufgehoben werden. Die Sache wird an die IV-Stelle des Kantons Thurgau zurückgewiesen, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über die Leistungsansprüche der Beschwerdeführerin neu verfüge.
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2.
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Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
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3.
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Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.
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4.
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Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau zurückgewiesen.
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5.
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Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, dem Bundesamt für Sozialversicherungen und der ASGA Pensionskasse, St. Gallen, schriftlich mitgeteilt.
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Luzern, 26. August 2010
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Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
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Ursprung Holzer
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