BGer 1B_351/2010
 
BGer 1B_351/2010 vom 14.01.2011
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
1B_351/2010, 1B_353/2010
Urteil vom 14. Januar 2011
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Raselli,
Gerichtsschreiber Dold.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Vera Delnon,
gegen
Kantonales Untersuchungsrichteramt Thurgau, Zürcherstrasse 323, 8510 Frauenfeld.
Gegenstand
1B_351/2010
Entsiegelung (Verfügung § 364/2010),
1B_353/2010
Entsiegelung (Verfügung § 364b/2010),
Beschwerden gegen die Verfügungen vom 25. Oktober 2010 der Anklagekammer des Kantons Thurgau, Präsident.
Sachverhalt:
A.
Das Kantonale Untersuchungsrichteramt Thurgau führt gegen X.________ eine Strafuntersuchung wegen Verdachts auf Gehilfenschaft zur Veruntreuung (Art. 138 StGB), Urkundenfälschung (Art. 251 StGB) und Geldwäscherei (Art. 305bis StGB). Im Rahmen dieses Verfahrens wies das Kantonale Untersuchungsrichteramt die Bank Wegelin & Co. mit Verfügung vom 30. August 2010 an, verschiedene Kontounterlagen und Unterlagen über Geschäftsvorfälle herauszugeben. Zudem wurde am 1. September 2010 in den Büroräumlichkeiten von X.________ eine Hausdurchsuchung durchgeführt, bei welcher diverse Unterlagen, ein Personalcomputer und Sicherungen der Serverfestplatten sichergestellt wurden. Sämtliche von der Bank Wegelin & Co. edierten und bei der Hausdurchsuchung sichergestellten Unterlagen wurden auf Antrag hin versiegelt.
Auf das Entsiegelungsbegehren des Kantonalen Untersuchungsrichteramts vom 8. Oktober 2010 hin erwog der Präsident der Anklagekammer des Kantons Thurgau, auch das Kantonale Untersuchungsrichteramt gehe davon aus, dass in den betroffenen Akten Angaben vorhanden seien, welche dem Anwaltsgeheimnis unterliegen, und ordnete in zwei separaten Entscheiden vom 25. Oktober 2010 eine Triage an. Danach sollten am 3. November 2010 mit Ausnahme des Personalcomputers und der Serverdaten sämtliche Unterlagen vorübergehend zur Sichtung entsiegelt werden. Der Untersuchungsrichter und der Angeschuldigte seien zum Erscheinen verpflichtet. Für die Sichtung wurde die Bildung von drei Kategorien vorgesehen. Kategorie A umfasse jene Unterlagen, welche sowohl vom Angeschuldigten als auch vom Untersuchungsrichter als für die Untersuchung relevant bezeichnet würden, Kategorie B jene, welche nach beidseitiger Ansicht für die Untersuchung nicht relevant seien und Kategorie C schliesslich die verbleibenden, welche zwar der Untersuchungsrichter, nicht aber der Angeschuldigte für die Untersuchung als relevant betrachte. Nach durchgeführter Sichtung würden die Unterlagen der Kategorie A dem Untersuchungsrichter und die Unterlagen der Kategorie B dem Angeschuldigten übergeben. Die Unterlagen der Kategorie C dagegen würden erneut versiegelt werden. Dem Angeschuldigten wurde zudem eine Frist angesetzt, um bekannt zu geben, ob er den Beizug eines Mitglieds der sanktgallischen Anwaltskammer oder der thurgauischen Anwaltskommission wünsche.
B.
Mit zwei separaten Beschwerden in Strafsachen vom 30. Oktober 2010 beantragt X.________, die Verfügungen des Präsidenten der Anklagekammer des Kantons Thurgau vom 25. Oktober 2010 seien aufzuheben und es sei ihre Nichtigkeit, eventualiter ihre Ungültigkeit festzustellen. In prozessualer Hinsicht beantragt er, der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung beizulegen und die verfügte Vorladung vorsorglich aufzuheben.
Das Kantonale Untersuchungsrichteramt hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Der Präsident der Anklagekammer teilte mit Schreiben vom 10. November 2010 mit, er habe die Vorladung aufgehoben und seither keinen neuen Termin angesetzt. Er beantrage, die Beschwerden zu vereinigen und nicht darauf einzutreten.
Am 6. Januar 2001 verfügte der Präsident der Anklagekammer, dass das Entsiegelungsgesuch neu in die Zuständigkeit des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Thurgau falle und zur Weiterbehandlung an dieses übergehe.
Erwägungen:
1.
1.1 Beide angefochtenen Entscheide hängen inhaltlich eng zusammen. Es rechtfertigt sich, die Beschwerdeverfahren zu vereinigen und die Sache in einem einzigen Urteil zu behandeln.
1.2 Das Bundesgericht beurteilt Beschwerden in Strafsachen (Art. 78 Abs. 1 BGG). Die angeordnete Triage der sichergestellten Dokumente bereitet einen Entsiegelungsentscheid vor und stellt einen selbstständig eröffneten Zwischenentscheid dar, der nur unter den Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 BGG vor Bundesgericht anfechtbar ist. Nach dieser Bestimmung ist erforderlich, dass der betreffende Zwischenentscheid entweder einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (lit. a) oder dass die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b).
1.3
1.3.1 Da die Gutheissung der Beschwerde vorliegend nicht zu einem das Strafverfahren abschliessenden Endentscheid führen würde, fällt von vornherein nur ein Eintreten unter dem Titel von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG in Betracht. Diesbezüglich ist der Beschwerdeführer der Ansicht, der nicht wieder gutzumachende Nachteil bestehe darin, dass eine Entsiegelung angeordnet würde, ohne dass eine Abklärung, Begründung oder Anhörung zur Frage des hinreichenden Tatverdachts stattgefunden hätte. Es werde unzulässig in alle seine Rechte eingegriffen und er werde rechtswidrig an der Einhaltung seiner Pflichten als Berufsgeheimnisträger gehindert. Würden die Unterlagen dem Untersuchungsrichter herausgegeben, so würde dieser damit hinsichtlich zahlreicher Unbeteiligter und für die Strafuntersuchung irrelevanter Personen nach Aussen in Erscheinung treten.
1.3.2 Die Vorinstanz hat in ihrer Vernehmlassung dargelegt, die thurgauische Strafprozessordnung regle die Siegelung von Schriftstücken nicht ausdrücklich. Auf das Siegelungs- und Entsiegelungsverfahren würden deshalb die bundesrechtlichen Bestimmungen angewendet. Entsprechend dem in BGE 132 IV 63 dargelegten Verfahren sei vor dem Entscheid, welche Unterlagen der Strafverfolgungsbehörde überlassen werden können, eine Triage durchzuführen. Dabei entferne der Richter das Siegel und es erfolge eine Sichtung der Gegenstände. Der Richter habe zu prüfen, welche Gegenstände für eine Verwendung durch die Strafverfolgungsbehörden in Frage kommen und welche von vornherein ausscheiden. Zur Erleichterung der Triage könne der Richter geeignete Sachkundige beiziehen, was namentlich dem Schutz von Geheimnispflichten und Persönlichkeitsrechten diene. Dabei seien die notwendigen Vorkehren zu treffen, um eine unzulässige bzw. verfrühte Einsicht in die Unterlagen durch Drittpersonen, insbesondere durch den Untersuchungsrichter zu vermeiden.
1.3.3 Aus dem angefochtenen Entscheid und den Ausführungen in der Vernehmlassung der Vorinstanz geht klar hervor, dass nicht ein eigentlicher Entsiegelungsentscheid in Frage steht, sondern eine blosse Vorbereitungshandlung dazu. Diese stellt, wie das Bundesgericht im Urteil 1B_200/2007 vom 15. Januar 2008 E. 2.3 dargelegt hat, keinen Zwischenentscheid mit drohendem, nicht wieder gutzumachendem Nachteil dar. Jenem Urteil lag das bereits in BGE 132 IV 63 beschriebene mehrstufige Verfahren zugrunde, das offensichtlich auch im Kanton Thurgau zur Anwendung kommt. Danach ist insbesondere zu gewährleisten, dass bei der Triage Dritte keine Detailkenntnisse über den Inhalt der Daten und Dokumente erhalten, bevor nicht über Zulässigkeit und Umfang der Entsiegelung entschieden wurde. Es gibt keine Anzeichen, dass dies bei der vom Präsidenten der Anklagekammer angeordneten Sichtung nicht der Fall sein wird. Damit kann der angefochtene Entscheid aber keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken und sind die Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG nicht erfüllt.
2.
Es ergibt sich, dass auf die Beschwerden nicht einzutreten ist. Diesem Verfahrensausgang entsprechend werden die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er hat keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Verfahren 1B_351/2010 und 1B_353/2010 werden vereinigt.
2.
Auf die Beschwerden wird nicht eingetreten.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
4.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Kantonalen Untersuchungsrichteramt Thurgau und der Anklagekammer des Kantons Thurgau, Präsident, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 14. Januar 2011
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Fonjallaz Dold