BGer 6B_754/2010
 
BGer 6B_754/2010 vom 04.04.2011
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
6B_754/2010
Urteil vom 4. April 2011
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Favre, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Wiprächtiger,
Gerichtsschreiber Boog.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Simon Kehl,
Beschwerdeführer,
gegen
Jugendanwaltschaft von Appenzell A.Rh., 9043 Trogen,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Einstellungsverfügung; Parteientschädigung,
Beschwerde gegen den Entscheid der Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell A.Rh. vom 23. Juli 2010.
Sachverhalt:
A.
Die Jugendanwaltschaft Appenzell Ausserrhoden erklärte X.________ am 6. Januar 2009 der sexuellen Handlungen mit Kindern schuldig und bestrafte ihn mit einem Tag Freiheitsstrafe und einer Busse von Fr. 200.--. Das Verfahren wegen Vergewaltigung, sexueller Nötigung sowie Strassenverkehrsdelikten stellte sie ein. Gegen die Straf- und Einstellungsverfügung erhob X.________ sowohl Einsprache bei der Jugendanwaltschaft als auch Rekurs bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell Ausserrhoden. Mit berichtigter Strafverfügung vom 2. März 2009 ergänzte die Jugendanwaltschaft die Begründung der Strafverfügung. Auf erneute Einsprache des Beurteilten hin stellte die Jugendanwaltschaft das Verfahren am 15. Mai 2009 in Anwendung von Art. 52 StGB ein. Sie sprach X.________ eine Parteientschädigung von Fr. 8'989.60 sowie eine Haftentschädigung von Fr. 300.-- zu und verpflichtete ihn zur Tragung der Untersuchungskosten im Umfang von Fr. 300.--. Den gegen die Einstellungsverfügung der Jugendanwaltschaft vom 6. Januar 2009 erhobenen Rekurs hatte die Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell Ausserrhoden am 29. April 2009 abgewiesen, soweit sie darauf eintrat und der Rekurs nicht infolge Rückzugs vom Protokoll abgeschrieben wurde.
Einen von X.________ gegen die Einstellungsverfügung der Jugendanwaltschaft vom 15. Mai 2009 geführten Rekurs wies die Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell Ausserrhoden am 30. Juni 2009 ab. Das Bundesgericht hiess mit Urteil vom 22. Januar 2010 (Verfahren 6B_767/2009) eine vom Beurteilten gegen diesen Entscheid geführte Beschwerde in Strafsachen gut, hob den angefochtenen Entscheid auf und wies die Sache zur neuen Entscheidung an die Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell Ausserrhoden zurück.
B.
Mit Verfügung vom 23. Juli 2010 schützte die Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell Ausserrhoden den Rekurs von X.________ und stellte das gegen ihn geführte Strafverfahren wegen sexueller Handlungen mit einem Kind mangels Beweises bzw. mangels Erfüllung des Tatbestandes ein. Die Verfahrenskosten auferlegte sie dem Staat und sprach X.________ für das kantonale Straf- und Rechtsmittelverfahren eine pauschale Entschädigung von Fr. 12'000.-- zu.
C.
X.________ führt Beschwerde beim Bundesgericht, mit der er beantragt, der angefochtene Rekursentscheid sei im Entschädigungspunkt aufzuheben, und es sei festzustellen, dass er für seine seit dem 16. Dezember 2008 aufgelaufenen Parteikosten vollumfänglich, d.h. im Umfang von Fr. 5'043.75 inklusive MWST zu entschädigen sei. Ferner ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
D.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell Ausserrhoden beantragt in ihrer Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde. X.________ nahm zu dieser Vernehmlassung mit Eingabe vom 24. Januar 2011 Stellung.
Erwägungen:
1.
1.1 Die Beschwerde richtet sich gegen die Zusprechung der Parteientschädigung für das kantonale Verfahren. In dieser Hinsicht nimmt die Vorinstanz an, die Bemessung der Entschädigung für anwaltliche Aufwendungen richte sich in der Regel nach der Kostennote der Verteidigung. Diese erweise sich im zu beurteilenden Fall im Grossen und Ganzen als korrekt. Es bestünden aber in Bezug auf das Untersuchungsverfahren in verschiedenen Punkten Diskrepanzen zwischen der aufgeschriebenen Zeit und der effektiven Dauer der betreffenden Untersuchungshandlungen. Beim ersten Rekursverfahren sei zwar der Rekurs, soweit darauf habe eingetreten werden können, abgewiesen worden, doch wäre es im Ergebnis nicht gerechtfertigt, eine Entschädigung zu verweigern, nachdem die Staatsanwaltschaft dem Beschwerdeführer im Rekursverfahren zugesichert habe, sein Anliegen werde von der Jugendanwaltschaft im gleichzeitig hängigen Einspracheverfahren behandelt. Allerdings sei die geltend gemachte Entschädigung für 14 Stunden in Bezug auf diejenigen Punkte, welche ausdrücklich nicht Gegenstand des Rekurs- und Einspracheverfahrens gewesen seien, oder die zu Doppelspurigkeiten geführt hätten, zu kürzen (angefochtener Entscheid S. 3).
1.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, die Aufwendungen seines Verteidigers für das Untersuchungsverfahren beliefen sich auf 31 Stunden und 25 Minuten bzw. Fr. 8'451.60 (inkl. MWST, Barauslagen und Spesen). Sein Antrag auf Entschädigung in dieser Höhe sei von der Jugendanwaltschaft mit Verfügung vom 15. Mai 2009 vollumfänglich geschützt worden. Diese Entschädigung umfasse die Bemühungen seines Verteidigers bis zum 16. Dezember 2008. Strittig sei die Parteientschädigung für das Rechtsmittelverfahren im Umfang von Fr. 4'371.25 inklusive MWST. Er habe in verschiedenen Einsprache- und Rekursverfahren vollumfänglich obsiegt. Vor diesem Hintergrund verstosse die pauschale Bemessung der Parteientschädigung gegen Art. 9 BV i. V. m. Art. 246 StPO/AR. Seit dem Entscheid des Bundesgerichts vom 12. Januar 2010 seien neue Aufwendungen von Fr. 672.75 (inkl. MWST) dazugekommen. Er mache daher für seine seit dem 16. Dezember 2008 aufgelaufenen Parteikosten noch Fr. 5'043.75 (inkl. MWST) geltend. Diese Aufwendungen im Rechtsmittelverfahren seien geboten gewesen und schliesslich durch Fehlentscheide der Untersuchungsbehörden veranlasst worden (Beschwerde S. 6 ff.).
1.3 Die Vorinstanz führt in ihrer Vernehmlassung aus, die pauschale Entschädigung für die kantonalen Verfahren von Fr. 12'000.-- sei angemessen. Angesichts eines in Rechnung gestellten Aufwandes von rund 31 Stunden im Verfahren vor der Jugendanwaltschaft und eines angenommenen oder teilweise ausgewiesenen Aufwandes im Rekursverfahren von 11 Stunden sei eine zusätzliche Entschädigung nicht gerechtfertigt. Im Rekursentscheid vom 29. April 2009 sei aus verschiedenen Gründen von einer Entschädigung abgesehen worden. Denn teilweise habe auf den Rekurs des Beschwerdeführers nicht eingetreten werden können, weil er Rügen vorgetragen habe, die im Einspracheverfahren bzw. auf dem Zivilweg hätten gelten gemacht werden müssen, oder die ein Verfahren gegen eine Drittperson betroffen hätten. Der Beschwerdeführer habe diesen Entscheid und mit ihm auch den Kostenspruch akzeptiert. Es erstaune daher, wenn er nun trotz des rechtskräftigen Entscheides eine Entschädigung für jenes Rekursverfahren geltend mache. Im Übrigen stünden die in Rechnung gestellten Aufwendungen des Rechtsvertreters in keinem Zusammenhang mit dem nachfolgenden Rekurs gegen den Einspracheentscheid der Jugendanwaltschaft vom 15. Mai 2009. Für das nachfolgende Rekursverfahren habe sich die Tätigkeit des Rechtsvertreters auf zwei kurze Eingaben im Juni 2009 und auf die Beantwortung eines Briefes am 31. Mai 2010 beschränkt. Wenn in diesem Verfahren ein zusätzlicher Aufwand von sechs Stunden berücksichtigt worden sei, erscheine dies angesichts der geringen ausgewiesenen anwaltlichen Bemühungen als angemessen (Vernehmlassung S. 2 f.).
1.4 Der Beschwerdeführer macht in seiner Replik geltend, die Ausführungen der Vorinstanz in der Vernehmlassung stünden im Widerspruch zum angefochtenen Entscheid, nach welchem die Verweigerung einer Entschädigung für das erste Rekursverfahren nicht gerechtfertigt wäre, nachdem die Vorinstanz ihm zugesichert habe, dass sein Anliegen von der Jugendanwaltschaft im gleichzeitig hängigen Einspracheverfahren behandelt werde. Allein deswegen habe er jenen Entscheid mitsamt dem Kostenspruch akzeptiert (Replik S. 2 f.).
2.
2.1 Gemäss Art. 246 Abs. 1 StPO/AR kann dem Beschuldigten, gegen den das Verfahren endgültig eingestellt oder der freigesprochen wird, eine Entschädigung zugesprochen werden.
Gemäss Art. 95 BGG ist die Anwendung einfachen kantonalen Rechts von der Überprüfung durch das Bundesgericht ausgenommen. Sie kann mit Beschwerde an das Bundesgericht nur gerügt werden, wenn geltend gemacht wird, sie verletze gleichzeitig das Willkürverbot von Art. 9 BV (BGE 134 III 379 E. 1.2).
Willkür im Sinne von Art. 9 BV liegt nach ständiger Rechtsprechung nicht schon vor, wenn eine andere Lösung oder Würdigung vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen ist, sondern nur, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 136 I 316 E. 2.2.2 mit Hinweisen).
2.2
2.2.1 Im Falle eines bundesgerichtlichen Rückweisungsentscheids hat die mit der Neubeurteilung befasste kantonale Instanz die rechtliche Beurteilung, mit der die Zurückweisung begründet wird, ihrer Entscheidung zugrunde zu legen. Diese Beurteilung bindet auch das Bundesgericht, falls ihm die Sache erneut unterbreitet wird. Aufgrund dieser Bindungswirkung ist es den erneut mit der Sache befassten Gerichten wie den Parteien verwehrt, der Überprüfung einen anderen als den bisherigen Sachverhalt zu unterstellen oder die Sache unter rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen, die im Rückweisungsentscheid ausdrücklich abgelehnt oder überhaupt nicht in Erwägung gezogen worden sind (BGE 135 III 334 E. 2 und E. 2.1 S. 335 f. mit Hinweisen).
2.2.2 Gegenstand des dem Rückweisungsentscheid vom 22. Januar 2010 zugrunde liegenden Verfahrens bildeten einerseits die Einstellung des gegen den Beschwerdeführer geführten Verfahrens in Anwendung des Opportunitätsprinzips und andererseits die Entschädigung für die Parteikosten seit dem 16. Dezember 2008. Nach Rückweisung der Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz bleibt daher kein Raum, auf die Entschädigung für die Kosten der Verteidigung für das Untersuchungsverfahren, mithin bis zum 15. Dezember 2008 zurückzukommen, die dem Beschwerdeführer mit Einstellungsverfügung der Jugendanwaltschaft vom 15. Mai 2009 in der Höhe von Fr. 8'451.60 (vgl. Beschwerde S. 3 f.). Dementsprechend ist im zu beurteilenden Fall ohne Bedeutung, ob die vom Rechtsvertreter des Beschwerdeführers für das Untersuchungsverfahren in Rechnung gestellten Bemühungen angemessen waren oder nicht.
2.3
2.3.1 Zu prüfen ist, ob die Ausrichtung einer Entschädigung für das kantonale Straf- und Rechtsmittelverfahren von insgesamt Fr. 12'000.-- mit Einschluss des zugesprochenen Betrages von Fr. 8'451.60 für das Untersuchungsverfahren Bundesrecht verletzt.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die von der Jugendanwaltschaft zugesprochene Entschädigung für das Rekursverfahren im Umfang von Fr. 538.-- (vgl. Einstellungsverfügung der Jugendanwaltschaft vom 15. Mai 2009) sei nicht angemessen. Er macht für die Zeit seit dem 16. Dezember 2008 eine zusätzliche Entschädigung von Fr. 5'043.75 (inkl. MWST), d.h. für das Rechtsmittelverfahren Fr. 4'371.25 (inkl. MWST) zuzüglich der seit dem Entscheid des Bundesgerichts angefallenen Kosten von Fr. 672.75 (inkl. MWST) geltend.
Im Rekursentscheid vom 29. April 2009 führte die Staatsanwaltschaft aus, der Rekurs sei in Bezug auf die Anwaltsentschädigung zurückgezogen worden. Diese Frage müsse, da sie in direktem Zusammenhang mit der Strafverfügung der Jugendanwaltschaft stehe, in jenem Verfahren entschieden werden. Für das Rekursverfahren selbst sah sie von einer ausseramtlichen Entschädigung ab. Die Jugendanwaltschaft sprach dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers für das Rekursverfahren eine Entschädigung für zwei weitere Stunden von Fr. 538.-- (inkl. MWST) zu. Dass der Beschwerdeführer den Rekursentscheid der Staatsanwaltschaft vom 29. April 2009 nicht angefochten hat, hindert die Überprüfung der zugesprochenen Entschädigung für das Rekursverfahren entgegen der von der Vorinstanz in ihrer Vernehmlassung geäusserten Ansicht (Vernehmlassung S. 2 Ziff. 3) nicht. Denn über diese Frage wurde von der Jugendanwaltschaft in ihrer Verfügung vom 15. Mai 2009 entschieden (vgl. Rekursentscheid der Staatsanwaltschaft vom 29. April 2009 S. 3 Ziff. 4; Einstellungsverfügung vom 15. Mai 2009 S. 5 Ziff. IV). Dieser Entscheid wurde von der Vorinstanz bestätigt (angefochtener Entscheid S. 3 Ziff. 9).
2.3.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, er sei für die seit dem 16. Dezember 2008 aufgelaufenen Parteikosten mit einem Betrag von Fr. 5'043.75 (inkl. MWST) für einen Zeitaufwand von 16 Stunden und 15 Minuten zuzüglich weiteren 2.5 Stunden vom 28. Januar bis zum 31. Mai 2010 zu entschädigen (vgl. Zeitaufschrieb, Beschwerdebeilage 9). Dies führt zusammen mit der für das Untersuchungsverfahren ausgerichteten Entschädigung von rund Fr. 8'500.-- zu einer Gesamtentschädigung von ca. Fr. 13'500.--. Im Vergleich zu dem von der Vorinstanz pauschal zugesprochenen Betrag ergibt sich eine Differenz von rund Fr. 1'500.--.
Die Kürzung der in Rechnung gestellten Aufwendungen in diesem Umfang scheint in Anbetracht des Umstands, dass im Rechtsmittelverfahren nach Auffassung der Vorinstanz auch Fragen aufgeworfen wurden, die ausdrücklich nicht Gegenstand des Rekurs- und Einspracheverfahrens bildeten, jedenfalls nicht schlechterdings unhaltbar. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass der Rechtsanwalt des Beschwerdeführers gegenüber der Vorinstanz seinerseits eine pauschale Entschädigung im Umfang von Fr. 13'000.-- vorschlug (Beschwerdebeilage 8 S. 2). Ausserdem bringt er in seiner Replik vor, er hätte den Vorschlag der Vorinstanz vermutlich angenommen, wenn die Frage der Einstellung des Verfahrens nicht mit der Zustimmung zur pauschalen Parteientschädigung verknüpft worden wäre (Beschwerde S. 5 und 8; Replik S. 2). Wie es sich damit verhält, bildet nicht Gegenstand der Beschwerde.
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet.
3.
Aus diesen Gründen ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang trägt der Beschwerdeführer die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens (Art. 66 Abs. 1 BGG). Da sein Rechtsbegehren von vornherein als aussichtslos erschien, ist sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Seinen eingeschränkten finanziellen Verhältnissen kann bei der Festsetzung der Gerichtsgebühr Rechnung getragen werden (Art. 65 Abs. 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und der Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell A.Rh. schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 4. April 2011
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Favre Boog