BGer 9C_148/2011 |
BGer 9C_148/2011 vom 29.04.2011 |
Bundesgericht
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Tribunal fédéral
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Tribunale federale
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{T 0/2}
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9C_148/2011
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Urteil vom 29. April 2011
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II. sozialrechtliche Abteilung
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Besetzung
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Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
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Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
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Gerichtsschreiberin Dormann.
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Verfahrensbeteiligte |
IV-Stelle des Kantons Aargau,
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Kyburgerstrasse 15, 5000 Aarau,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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G.________, vertreten durch
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Rechtsanwalt lic. iur. Richard Eichenberger,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Invalidenversicherung (unentgeltliche Rechtspflege, vorinstanzliches Verfahren),
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Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 14. Dezember 2010.
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Sachverhalt:
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A.
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Die 1954 geborene G.________ meldete sich im November 2002 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach Durchführung eines Einsprache- und Beschwerdeverfahrens (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 14. Februar 2006) traf die IV-Stelle des Kantons Aargau weitere Abklärungen, bevor sie mit Vorbescheid vom 25. September 2007 die Abweisung des Leistungsbegehrens in Aussicht stellte. Dagegen liess G.________ mit Schreiben vom 26. Oktober 2007 Einwände erheben. Das gleichzeitig gestellte Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wies die IV-Stelle unter Verweis auf fehlende Bedürftigkeit mit Verfügung vom 29. Februar 2008 ab.
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B.
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In Gutheissung der dagegen erhobenen Beschwerde hob das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 14. Dezember 2010 die Verfügung vom 29. Februar 2008 auf, bewilligte der Versicherten die unentgeltliche Rechtspflege für das Vorbescheidverfahren und ernannte Rechtsanwalt Richard Eichenberger zu ihrem unentgeltlichen Vertreter (Dispositiv-Ziffer 1). Sodann verpflichtete es die IV-Stelle, G.________ die Parteikosten in Höhe von Fr. 866.20 zu bezahlen (Dispositiv-Ziffer 3).
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C.
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Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, den Entscheid vom 14. Dezember 2010 in Bezug auf die Zusprechung einer Parteientschädigung (Dispositiv-Ziffer 3) aufzuheben.
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G.________ schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten ist, während das kantonale Gericht beantragt, nicht auf das Rechtsmittel einzutreten. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.
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Erwägungen:
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1.
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1.1 Die IV-Stelle macht geltend, sie habe ihre Beurteilung der Bedürftigkeit auf das von der Versicherten eingereichte Zeugnis des Gemeinderates B.________ vom 4. Januar 2005 gestützt. Das kantonale Gericht habe ihr zwar die Beschwerde, nicht aber das nachträglich eingereichte Zeugnis des Gemeinderates vom 30. April 2008 zugestellt, was eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) darstelle. Hätte sie Kenntnis vom neuen Zeugnis gehabt, hätte sie die Verfügung vom 29. Februar 2008 lite pendente in Wiedererwägung ziehen können, wodurch das vorinstanzliche Verfahren als gegenstandslos abgeschrieben worden wäre. Ausserdem habe die Versicherte in Verletzung ihrer Mitwirkungspflicht einen unnötigen Prozess verursacht, indem sie - für die Verwaltung nicht erkennbar - mit dem Gesuch Unterlagen eingereicht habe, welche nicht die aktuelle finanzielle Situation spiegelten. Zudem hätte sie nach Erhalt der Verfügung aktuelle Unterlagen einreichen und um deren Wiedererwägung ersuchen oder erneut ein Gesuch stellen können. Unter diesen Umständen wäre bei Gegenstandslosigkeit der vorinstanzlichen Beschwerde eine Parteientschädigung ausser Betracht gefallen.
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1.2 Aus dieser Begründung ergibt sich ohne weiteres ein schutzwürdiges Interesse im Sinne von Art. 89 Abs. 1 lit. c BGG; auf die Beschwerde ist daher einzutreten (vgl. auch SVR 2009 UV Nr. 12 S. 49, 8C_530/2008 E. 2).
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2.
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Nach Art. 61 lit. g ATSG (SR 830.1) hat im kantonalen Verfahren die obsiegende Beschwerde führende Person Anspruch auf Ersatz der Parteikosten. Unnötige Kosten indessen hat gemäss dem Verursacherprinzip zu bezahlen, wer sie verursacht hat (vgl. auch Art. 66 Abs. 3 und Art. 68 Abs. 4 BGG). Dementsprechend kann keine Parteientschädigung beanspruchen, wer zwar im Prozess obsiegt, sich aber den Vorwurf gefallen lassen muss, er habe es wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht selber zu verantworten, dass ein unnötiger Prozess geführt worden sei. Diese Einschränkung des Entschädigungsanspruchs gilt analog auch bei Gegenstandslosigkeit einer erstinstanzlich eingereichten Beschwerde. (RKUV 2006 Nr. U 583 S. 245, U 260/05 E. 3 mit Hinweisen). Ebenso können einer Partei, die sich mutwillig oder leichtsinnig verhält, trotz grundsätzlicher Kostenlosigkeit des Verfahrens vor dem kantonalen Versicherungsgericht (Art. 61 lit. a ATSG) eine Spruchgebühr und die Verfahrenskosten auferlegt (Anwaltsrevue 2009 6 S. 333, 8C_903/2008 E. 2) oder der Ersatz der Parteikosten versagt werden.
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3.
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3.1 Gemäss Art. 29 Abs. 3 BV hat jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint.
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Eine Person ist bedürftig, wenn sie nicht in der Lage ist, für die Prozesskosten aufzukommen, ohne in das Existenzminimum einzugreifen, welches für ihren Unterhalt und denjenigen ihrer Familie notwendig ist. Bei der entsprechenden Prüfung ist die gesamte finanzielle Lage des Gesuchstellers im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung zu berücksichtigen. Dieser muss seine Einkünfte, seine Vermögenslage und seine finanziellen Lasten vollständig angeben und soweit möglich belegen. Schuldverpflichtungen können nur berücksichtigt werden, wenn sie tatsächlich erfüllt werden.
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Der Teil der finanziellen Mittel, welcher das zur Deckung der persönlichen Bedürfnisse Notwendige überschreitet, muss mit den voraussichtlichen Kosten des Verfahrens verglichen werden, für das um unentgeltliche Rechtspflege ersucht wird. Es besteht grundsätzlich kein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn der verfügbare Teil ausreicht, um bei relativ einfachen Prozessen die Gerichts- und Anwaltskosten binnen höchstens eines Jahres zu tilgen. Bei anderen Prozessen beträgt der massgebliche Zeitraum zwei Jahre (Urteil 5D_82/2010 vom 15. Oktober 2010 e. 2; zum Ganzen BGE 135 I 221 E. 5.1 S. 223 f. mit Hinweisen).
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3.2 Unter Hinweis auf das Zeugnis des Gemeinderates vom 4. Januar 2005 und den Entscheid des Versicherungsgerichts vom 14. Februar 2006 - woraus ein monatlicher Überschuss von Fr. 230.- resultierte -stellte die Verwaltung in der Verfügung vom 29. Februar 2008 fest, die finanziellen Verhältnisse der Versicherten hätten sich nicht geändert; folglich verneinte sie die Bedürftigkeit. Die Vorinstanz hat gestützt auf das Zeugnis des Gemeinderates vom 30. April 2008 ein monatliches Manko von Fr. 38.70 festgestellt. Die unterschiedliche Beurteilung beruht im Wesentlichen auf dem Umstand, dass der bisherige Anspruch des invaliden Ehemannes der Versicherten auf eine Ehegatten-Zusatzrente aufgrund der auf den 1. Januar 2008 in Kraft getretenen 5. IV-Revision ab diesem Zeitpunkt entfiel (vgl. ULRICH MEYER, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung [IVG], 2. Aufl. 2010, S. 408 f.). Mit dem lediglich während rund zwei Monaten anfallenden Überschuss können die Kosten für die Verbeiständung nicht gedeckt werden, weshalb die Vorinstanz die Bedürftigkeit zu Recht bejaht hat.
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3.3 Die Versicherte reichte mit dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege u.a. das Zeugnis des Gemeinderates vom 4. Januar 2005 ein; die Beschwerdeführerin stellt nicht in Abrede, dass diese Dokumentation grundsätzlich der Situation im Oktober 2007 entsprach. Eine Änderung der invalidenversichungsrechtlichen Grundlagen (E. 3.2) sowie deren Auswirkungen auf die finanzielle Situation der Versicherten und folglich den streitigen Anspruch wären indessen Anlass für entsprechende Abklärungen oder Rückfragen durch die IV-Stelle gewesen. Die Pflicht zur Sachverhaltsabklärung von Amtes wegen (Art. 43 Abs. 1 ATSG) betrifft im Bereich der Sozialversicherungen grundsätzlich - unter Vorbehalt der Mitwirkung des Leistungsansprechers - auch den Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege im Vorbescheidverfahren (vgl. demgegenüber im Zivilprozess BGE 120 Ia 179 E. 3a S. 181 f.; Urteil 5A_382/2010 vom 22. September 2010 E. 3.1). Obwohl sie wusste, dass der Ehemann der Versicherten eine Invalidenrente samt Zusatzrente für die Ehefrau bezog, und ihm am 6. Dezember 2007 auch mitteilte, dass die Ehegattenrente im Betrag von monatlich Fr. 542.- künftig wegfalle, hat die Verwaltung lediglich die früheren Angaben herangezogen und die neue Rechts- und Finanzlage unberücksichtigt gelassen. Der Versicherten ist unter diesen Umständen keine - die Verweigerung der Parteientschädigung rechtfertigende - Verletzung der Mitwirkungspflicht vorzuwerfen, wenn sie im laufenden Verfahren nicht aus eigener Initiative zu Handen der Verwaltung ein neues Zeugnis des Gemeinderates einholte.
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3.4 Schliesslich kann es auch nicht als mutwillig oder leichtsinnig betrachtet werden, dass die Versicherte gegen die Verfügung vom 29. Februar 2008 mit der Beschwerde beim kantonalen Versicherungsgericht den ordentlichen Rechtsweg beschritt, zumal kein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Wiedererwägung dieser Verfügung besteht (Art. 53 Abs. 2 und 3 ATSG; BGE 133 V 50 E. 4.1 S. 52) und mit einem neuen Gesuch Aufwendungen - welche im Vorbescheidverfahren bereits weitgehend erfolgt waren - grundsätzlich nicht rückwirkend geltend gemacht werden können.
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3.5 Nach dem Gesagten hat das kantonale Gericht der im vorinstanzlichen Verfahren obsiegenden Versicherten zu Recht eine Parteientschädigung zugesprochen. Die Beschwerde ist unbegründet.
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4.
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Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Überdies hat sie der obsiegenden Beschwerdegegnerin eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Die Beschwerde wird abgewiesen.
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2.
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Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
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3.
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Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1000.- zu entschädigen.
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4.
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Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
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Luzern, 29. April 2011
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Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
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Meyer Dormann
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