BGer 4A_11/2011
 
BGer 4A_11/2011 vom 16.05.2011
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
4A_11/2011
Urteil vom 16. Mai 2011
I. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
Bundesrichterinnen Rottenberg Liatowitsch, Kiss,
Gerichtsschreiber Luczak.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________ AG, vertreten durch
Rechtsanwältin Marie-Christine Müller Leu
Beschwerdeführerin,
gegen
Y.________,
vertreten durch Advokat Simon Rosenthaler,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Arbeitsvertrag; Kündigung während der Probezeit,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
des Kantons Solothurn, Zivilkammer,
vom 22. November 2010.
Sachverhalt:
A.
Y.________ (Beschwerdegegner) arbeitete seit dem 1. Februar 2010 für die X.________ AG (Beschwerdeführerin). Am Freitag, den 23. April 2010, innerhalb der vertraglich vereinbarten Probezeit von drei Monaten, kündigte die Beschwerdeführerin dem Beschwerdegegner mit der gesetzlich vorgesehenen Kündigungsfrist von sieben Tagen auf den 30. April 2010, stellte ihn für die restliche Dauer des Arbeitsverhältnisses frei und ordnete an, er müsse während der Freistellung die ihm zustehenden Ferien beziehen.
B.
Am 29. Mai 2010 machte der Beschwerdegegner beim Arbeitsgericht von Thal-Gäu eine Klage hängig und verlangte von der Beschwerdeführerin Fr. 969.30 für sein Ferienguthaben von fünf Tagen. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab, da dem Beschwerdegegner der Bezug der Ferien in der Zeit bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses möglich und mit Blick darauf, dass die Kündigung in der Probezeit erfolgte, auch zumutbar gewesen sei. Der Beschwerdegegner habe jederzeit mit der Kündigung rechnen müssen, zumal Gespräche stattgefunden hatten, in denen er auf seine ungenügenden Arbeitsleistungen angesprochen worden war. Das vom Beschwerdegegner angerufene Obergericht des Kantons Solothurn hiess die Klage dagegen gut. Aus der Tatsache, dass der Beschwerdegegner bereits am 6. Mai 2010, zwei Wochen nach der Kündigung, eine neue Stelle in Aussicht hatte, schloss das Obergericht, der Beschwerdegegner habe sich unmittelbar nach der Kündigung auf Stellensuche begeben, wodurch der Erholungszweck der Ferien nicht habe gewahrt werden können.
C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen und subsidiärer Verfassungsbeschwerde beantragt die Beschwerdeführerin dem Bundesgericht, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und dasjenige des Arbeitsgerichts zu bestätigen. Der Beschwerdegegner beantragt, auf die Beschwerde in Zivilsachen nicht einzutreten und die subsidiäre Verfassungsbeschwerde abzuweisen. Zudem stellt er mit Bezug auf die Gerichtskosten ein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Das Obergericht schliesst unter Hinweis auf das angefochtene Urteil und die Akten auf Abweisung der Beschwerde und verzichtet im Übrigen darauf, sich vernehmen zu lassen.
Erwägungen:
1.
Die Beschwerdeführerin anerkennt, dass der für eine Beschwerde in Zivilsachen an sich erforderliche Streitwert nicht erreicht wird. Sie ist aber der Auffassung, es stelle sich die Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, ob das Ferienabgeltungsverbot auch gelte, wenn bereits während der Probezeit gekündigt werde. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung äussere sich nur zu Kündigungen nach Ablauf der Probefrist. Diese Rechtsprechung kann nach Ansicht der Beschwerdeführerin indessen nicht einfach auf den zu beurteilenden Fall übertragen werden. Die Beschwerdeführerin möchte wissen, ob die Anordnung von Ferienbezug im gekündigten Arbeitsverhältnis trotz der kurzen Kündigungsfristen während der Probezeit möglich sei, oder ob die Abgeltung der Ferien generell in Geld zu erfolgen habe.
1.1 Der Begriff der Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG ist sehr restriktiv auszulegen. Soweit es bei der aufgeworfenen Frage lediglich um die Anwendung von Grundsätzen der Rechtsprechung auf einen konkreten Fall geht, handelt es sich nicht um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (BGE 135 III 1 E. 1.3 S. 4; 134 III 115 E. 1.2 S. 117; 133 III 493 E. 1 S. 494 ff. mit Hinweisen).
1.2 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist der Zweck der Ferien die Erholung des Arbeitnehmers. Der Anspruch auf Ferien hat rechtlich eine Doppelnatur. Einerseits stellt er eine Forderung des Arbeitnehmers dar; andererseits ist er als Ausfluss der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers anzusehen. Die Ferien dürfen während der Dauer des Arbeitsverhältnisses nicht durch Geld abgegolten werden (Art. 329d Abs. 2 OR), sondern sind tatsächlich zu beziehen. Auch nach der Kündigung des Arbeitsverhältnisses gilt grundsätzlich das Abgeltungsverbot. Es ist indessen im Einzelfall in Berücksichtigung der konkreten Umstände einzuschränken. So sind die Ferien in Geld abzugelten, wenn deren Bezug in der bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses verbleibenden Zeit nicht möglich oder zumutbar ist. Dabei spielt eine Rolle, dass der Arbeitnehmer in dieser Zeit die Möglichkeit haben muss, nach einer neuen Stelle zu suchen (Art. 329 Abs. 3 OR). Diesem Anspruch des Arbeitnehmers kommt Vorrang gegenüber dem Ferienbezug zu (BGE 128 III 271 E. 4a/aa S. 280 f. mit Hinweisen).
1.3 Die Probezeit soll den Parteien die Möglichkeit bieten, einander kennenzulernen, was zur Schaffung eines Vertrauensverhältnisses notwendig ist. Sie erlaubt den Parteien abzuschätzen, ob sie die gegenseitigen Erwartungen erfüllen, und sie werden in die Lage versetzt, über die in Aussicht genommene langfristige Bindung in Kenntnis der konkreten Umstände zu urteilen (BGE 134 III 108 E. 7.1.1 S. 111 mit Hinweisen). Vor Ablauf der Probezeit können beide Parteien mithin nicht darauf vertrauen, das Arbeitsverhältnis werde langfristig Bestand haben. Eine langfristige Planung ist in dieser Zeit nicht im gleichen Masse möglich, wie nach Ablauf der Probefrist. Die Probezeit ändert aber weder etwas am Erholungszweck der Ferien noch am Zweck der Kündigungsfrist, die es dem Arbeitnehmer erlauben soll, eine andere Arbeit zu suchen. Die von der Beschwerdeführerin aufgeworfene Frage lässt sich nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ohne Weiteres beantworten. Die Ferien sind auch während der Probezeit tatsächlich zu beziehen (Art. 329d Abs. 2 OR), soweit deren Bezug in der bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses verbleibenden Zeit möglich und zumutbar ist, wobei auch in der Probezeit der Anspruch, nach einer neuen Stelle zu suchen (Art. 329 Abs. 3 OR), dem Ferienbezug gegenüber Vorrang zukommt (BGE 128 III 271 E. E. 4a/aa S. 281 mit Hinweisen). Ob der Bezug der Ferien zumutbar ist, muss anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles entschieden werden.
1.4 Die Vorinstanz nimmt Bezug auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung, und auch die Beschwerdeführerin selbst weicht genau besehen nicht davon ab. Sie führt aus, der Beschwerdegegner habe weder gegen den Ferienbezug opponiert, noch geltend gemacht, dass er die Zeit zur Stellensuche benötigt hätte. Sie weist darauf hin, dass nur ein Teil der Arbeitszeit für die Stellensuche verwendet werden dürfe und beanstandet insbesondere die von der Vorinstanz erwähnte Faustregel, wonach eine kurze Kündigungsfrist gegen die Zumutbarkeit des Ferienbezugs spreche. Damit kritisiert sie die konkrete Anwendung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung im Einzelfall und thematisiert keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Auf die Beschwerde in Zivilsachen ist daher nicht einzutreten.
1.5 Damit erweist sich die subsidiäre Verfassungsbeschwerde an sich als zulässig. Mit dieser kann indessen nur die Verletzung von verfassungsmässigen Rechten gerügt werden (Art. 116 BGG). Indem die Beschwerdeführerin weitgehend ihre Argumente aus der Beschwerde in Zivilsachen wieder aufnimmt und den angefochtenen Entscheid als willkürlich bezeichnet, verfehlt sie aber über weite Strecken die im Vergleich zur Beschwerde in Zivilsachen strengeren Begründungsanforderungen der subsidiären Verfassungsbeschwerde (Art. 106 Abs. 2 i.V.m. Art. 117 BGG; 133 III 439 E. 3.2 S. 444 mit Hinweis). Zudem verkennt sie, dass Willkür nicht schon dann anzunehmen ist, wenn auch eine andere Lösung denkbar wäre oder Teile der Begründung willkürlich sind. Der Entscheid muss sich vielmehr auch im Ergebnis als offensichtlich unhaltbar erweisen (BGE 134 II 124 E. 4.1 S. 133). Zu beurteilen ist daher nicht, ob der Bezug von Ferien im gekündigten Arbeitsverhältnis zufolge der Kürze der Kündigungsfrist in der Probezeit generell unzumutbar ist, sondern ob die Vorinstanz die Zumutbarkeit im konkret zu beurteilenden Fall im Ergebnis ohne Willkür verneinen konnte.
1.6 Die Vorinstanz hat aus der Tatsache, dass der Beschwerdegegner schon sehr bald eine Stelle gefunden hat, geschlossen, er habe sich umgehend um Arbeit bemüht, so dass der Ferienzweck nicht habe gewahrt werden können. Angesichts der Tatsache, dass dem Beschwerdegegner bei Bezug der Ferien kein gewöhnlicher Werktag verblieben wäre, um nach Arbeit zu suchen, ist dieser Schluss im Ergebnis nicht offensichtlich unhaltbar.
1.7 Der Einwand der Beschwerdeführerin, der Arbeitgeber habe dem Arbeitnehmer nach Art. 329 Abs. 3 OR nur die üblichen freien Stunden und Tage für das Aufsuchen einer anderen Arbeitsstelle zu gewähren und arbeitsvertraglich seien zwei Halbtage pro Woche vereinbart, ist nicht stichhaltig. Dass der Arbeitnehmer seiner Arbeit mit Ausnahme der üblichen Zeit zum Aufsuchen einer anderen Arbeitsstelle auch während der Stellensuche im gekündigten Arbeitsverhältnis nachgehen muss, bedeutet, dass seine Arbeitstätigkeit durch die Stellensuche unterbrochen wird. Es ist im Ergebnis aber nicht offensichtlich unhaltbar anzunehmen, durch eine derartige Unterbrechung der fünf Ferientage würde der Erholungszweck der Ferien beeinträchtigt. Damit gelingt es der Beschwerdeführerin nicht, eine Verletzung ihrer verfassungsmässigen Rechte aufzuzeigen.
2.
Auf die Beschwerde in Zivilsachen ist demnach nicht einzutreten, während die subsidiäre Verfassungsbeschwerde abzuweisen ist, soweit darauf eingetreten werden kann. Die Beschwerdeführerin wird kosten- und entschädigungspflichtig. Bei Streitigkeiten aus einem Arbeitsverhältnis mit einem Streitwert bis zu Fr. 30'000.-- kommt ein reduzierter Kostenansatz zur Anwendung (Art. 65 Abs. 4 lit. c BGG). Es bleibt aber die volle Parteientschädigung geschuldet. Das Gesuch des Beschwerdegegners um unentgeltliche Rechtspflege wird gegenstandslos, da es nur die Gerichtskosten betrifft (für seine Anwaltskosten ist er nach eigenen Angaben rechtschutzversichert).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Auf die Beschwerde in Zivilsachen wird nicht eingetreten.
2.
Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
4.
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Solothurn, Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 16. Mai 2011
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber:
Klett Luczak