BGer 6B_369/2013 |
BGer 6B_369/2013 vom 31.10.2013 |
{T 0/2}
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6B_369/2013
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Urteil 31. Oktober 2013 |
Strafrechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter Mathys, Präsident,
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Bundesrichter Denys, Oberholzer,
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Gerichtsschreiberin Siegenthaler.
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Verfahrensbeteiligte |
X.M.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Urs Wüthrich,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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1. Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Maulbeerstrasse 10, 3011 Bern,
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2. A.M.________,
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vertreten durch Fürsprecherin Franziska Marti,
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Beschwerdegegner.
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Gegenstand
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Sexuelle Handlung mit einem Kind; willkürliche Beweiswürdigung, Grundsatz in dubio pro reo,
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Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, Strafabteilung, 2. Strafkammer, vom 5. Juli 2012.
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Sachverhalt: |
A. |
B. |
C. |
D. |
Erwägungen: |
1. |
1.1. Die (damalige) Ehefrau des Beschwerdeführers erstattete im November 2003 Strafanzeige wegen des Verdachts auf sexuelle Handlungen mit einem Kind. Die Kinderschutzgruppe des Kinderspitals Bern befragte am 24. November 2003 das mutmassliche Opfer im Rahmen einer Videobefragung zu den behaupteten Vorfällen. Am 1. Dezember 2003 wurde B.M.________, ein Bruder des mutmasslichen Opfers, polizeilich befragt. An beiden Befragungen nahm der Beschwerdeführer nicht teil, und es wurde ihm auch keine Gelegenheit gegeben, Ergänzungsfragen zu stellen.
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1.2. Das (damalige) Untersuchungsrichteramt Berner Jura - Seeland eröffnete am 20. Januar 2004 die Untersuchung, ordnete zwei Jahre später die amtliche Verteidigung des Beschwerdeführers an und überwies ihn am 28. Dezember 2006 zur gerichtlichen Beurteilung an das Einzelgericht des (damaligen) Gerichtskreises Biel-Nidau. Im Rahmen der Vorbereitung der Gerichtsverhandlung beantragte der Beschwerdeführer, die Protokolle über die beiden Befragungen sowie die sich darauf beziehenden Ausführungen in den Ermittlungsberichten seien aus dem Recht zu weisen. Das Gerichtspräsidium wies diese Verfahrensanträge ab, räumte aber dem Beschwerdeführer die Gelegenheit ein, eine weitere Einvernahme zu verlangen. Am 18. Juni 2008 erfolgte eine zweite Befragung des mutmasslichen Opfers unter Wahrung der Teilnahmerechte der Parteien.
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1.3. Das Regionalgericht Berner Jura - Seeland sprach den Beschwerdeführer von der Anklage der sexuellen Handlung mit einem Kind frei. Es erachtete die ersten beiden Befragungen des mutmasslichen Opfers vom 24. November 2003 und dessen Bruders vom 1. Dezember 2003 mangels Gewährung der Teilnahmerechte als nicht verwertbar. Allein gestützt auf die übrigen Beweise könne ein rechtsgenügender Nachweis für die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte sexuelle Handlung mit einem Kind nicht erbracht werden.
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1.4. Die Vorinstanz erklärte die beiden Befragungen vom 24. November und 1. Dezember 2003 als verwertbar und stellte zur Begründung ihres Schuldspruchs wesentlich auf die ersten Aussagen des mutmasslichen Opfers und dessen Bruders ab (Urteil, S. 6-9, 13-14, 16-17).
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2. |
2.1. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Berücksichtigung der beiden Befragungen vom 24. November und 1. Dezember 2003. Jene Aussagen könnten nur verwertet werden, wenn die Rechte der Verteidigung gewährleistet sind. Dies sei bei einer nachträglichen Einräumung des Teilnahmerechts nur der Fall, wenn das Fragerecht auch tatsächlich wirksam ausgeübt werden kann, was jedenfalls bei Aussagen von Kindern eine zeitnahe Wiederholung der Einvernahme voraussetze.
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2.2. Die umstrittenen Befragungen fanden unter der Geltung des kantonalen Strafprozessrechts statt. Nach den massgebenden Übergangsbestimmungen behalten sie ihre Gültigkeit, auch wenn sie den Anforderungen der Strafprozessordnung nicht genügen sollten (Art. 448 Abs. 2 StPO). Dies gilt allerdings nur, soweit sie im Einklang mit BV und EMRK stehen (Hanspeter Uster, in: Basler Kommentar, Strafprozessordnung, 2011, N. 3 zu Art. 448; Niklaus Schmid, Übergangsrecht der Schweizerischen Strafprozessordnung, 2010, N. 18; derselbe, Schweizerische Strafprozessordnung, Kommentar, 2009, N. 3 f. zu Art. 448; a.M. Franz Riklin, Schweizerische Strafprozessordnung, Kommentar, 2010, N. 2 zu Art. 448, und Goldschmid/Maurer/Sollberger (Hrsg.), 2008, S. 443).
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2.3. |
2.3.1. Der in Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK garantierte Anspruch des Angeschuldigten, den Belastungszeugen Fragen zu stellen, ist ein besonderer Aspekt des Rechts auf ein faires Verfahren. Eine belastende Zeugenaussage ist grundsätzlich nur verwertbar, wenn der Beschuldigte wenigstens einmal während des Verfahrens angemessene und hinreichende Gelegenheit hatte, das Zeugnis in Zweifel zu ziehen und Fragen an den Belastungszeugen zu stellen. Dieser Anspruch wird als Konkretisierung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) auch durch Art. 32 Abs. 2 BV gewährleistet (BGE 131 I 476 E. 2.2 S. 480; 129 I 151 E. 3.1 S. 153 f. mit Hinweisen).
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2.3.2. Soweit der Konfrontationsanspruch zur Diskussion steht, werden auch die in der Voruntersuchung gegenüber der Polizei gemachten Aussagen als Zeugenaussagen betrachtet (BGE 125 I 127 E. 6a S. 132 mit Hinweisen). Dass die Strafprozessordnung ein Teilnahmerecht der Parteien nur bei Beweiserhebungen nach eröffneter Untersuchung, nicht aber auch für das polizeiliche Ermittlungsverfahren, vorsieht (Art. 147 Abs. 1 StPO), berührt den Konfrontationsanspruch - entgegen der Auffassung der Vorinstanz (Urteil, S. 5 f.) - nicht.
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2.3.3. Dem Beschwerdeführer wurde keine Gelegenheit gegeben, an den beiden Erstbefragungen vom 24. November und 1. Dezember 2003 teilzunehmen. Im Rahmen der Vorbereitung der erstinstanzlichen Hauptverhandlung wurde A.M.________ am 18. Juni 2008 ein zweites Mal befragt, und an der Hauptverhandlung vom 22. April 2010 erfolgte eine zweite Befragung seines Bruders B.M.________.
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3. |
Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, Strafabteilung, 2. Strafkammer, vom 5. Juli 2012 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
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2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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3. Der Kanton Bern hat dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Urs Wüthrich, eine Parteientschädigung von Fr. 3'000.-- auszurichten.
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4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, Strafabteilung, 2. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 31. Oktober 2013
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Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Mathys
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Die Gerichtsschreiberin: Siegenthaler
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