BGer 8C_636/2013
 
BGer 8C_636/2013 vom 20.02.2014
{T 0/2}
8C_636/2013
 
Urteil vom 20. Februar 2014
 
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Grünvogel.
 
Verfahrensbeteiligte
A.________ AG,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Perret,
Beschwerdeführerin,
gegen
Amt für Wirtschaft und Arbeit, Davidstrasse 35, 9001 St. Gallen,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Arbeitslosenversicherung (Rückerstattung; Erlass),
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 12. Juli 2013.
 
Sachverhalt:
A. Die A.________ AG bezog von Dezember 2008 bis November 2010 Kurzarbeitsentschädigungen im Gesamtbetrag von Fr. 1'267'885.80. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) forderte diese Gelder mit Verfügung vom 6. Mai 2011 zurück. Mit Einspracheentscheid vom 17. Juni 2011 hielt es daran fest. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Entscheid vom 24. April 2012 ab.
Daraufhin stellte die A.________ AG am 26. Juni 2012 ein Gesuch um Erlass der Rückforderung. Das dafür zuständige Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons St. Gallen wies das Gesuch mangels guten Glaubens ab (Verfügung vom 5. September 2012). Daran hielt es auf Einsprache hin fest (Entscheid vom 18. Dezember 2012).
B. Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 12. Juli 2013 ab.
C. Die A.________ AG lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag auf Rückweisung der Angelegenheit an das kantonale Versicherungsgericht zur Neubeurteilung. Eventualiter macht sie geltend, in Aufhebung des vorinstanzlichen und des Einspracheentscheids sei der Rückforderungsbetrag direkt zu erlassen.
 
Erwägungen:
1. Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Immerhin prüft es grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zu Grunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG) und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Dies ist auf Grund der Vorbringen in der Beschwerde zu prüfen (Urteil 8C_763/2008 vom 19. Juni 2009 E. 1, nicht publ. in: BGE 135 V 306, aber in: SVR 2009 IV Nr. 52 S. 161).
2. Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze zu den Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit die Rückerstattung zu Unrecht bezogener Leistungen ganz oder teilweise erlassen werden kann, nämlich die Gutgläubigkeit beim Leistungsbezug einerseits und - kumulativ - die grosse Härte der Rückerstattung andererseits (Art. 25 Abs. 1 ATSG [anwendbar gemäss Art. 95 Abs. 1 AVIG] in Verbindung mit Art. 4 ATSV), zutreffend dargelegt. Ebenso richtig sind die Ausführungen zu den Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit allfällige Ausstandsgründe erfolgreich angerufen werden können (BGE 132 II 485 E. 4.3 mit Hinweisen). Darauf wird verwiesen.
3. Soweit die Beschwerdeführerin die Befangenheitsrüge gegen die den Einspracheentscheid verfassende Mitarbeiterin des kantonalen Amtes letztinstanzlich wiederholt, kann auf das bereits vom kantonalen Gericht Gesagte verwiesen werden. Hervorzuheben ist, dass es der Beschwerdeführerin bereits im Anschluss an die Eröffnung der Verfügung vom 5. September 2012 klar sein musste, dass die Angelegenheit vorbehältlich besonderer Umstände von Seiten der Beschwerdegegnerin weiterhin durch die selbe Mitarbeiterin betreut wird wie bisher, wurde ihr doch mitgeteilt, eine allfällige Einsprache sei direkt an diese Person zu richten, was sie denn auch tat. Vor diesem Hintergrund hätte es an der Beschwerdeführerin gelegen, gleichzeitig mit der Einspracheerhebung formell um Ausstand wegen Vorbefassung zu ersuchen. Abgesehen davon wäre einer solchen Rüge ohnehin kein Erfolg beschieden gewesen. Denn das Einspracheverfahren ist zumindest in Fällen wie dem vorliegenden, in denen die Einsprache von der Behörde beurteilt wird, die bereits die Verfügung erlassen hat, ohnehin zum originären Verwaltungsverfahren zu zählen. Innerhalb dieses Verfahrens lässt sich kein allgemeiner Ausstandsgrund begründen, nur weil eine bestimmte Person sich bereits mit der Sache befasst hat. Es ist daher nicht nur zulässig, sondern kommt häufig vor, dass - wie vorliegend - dieselbe Person, welche die Verfügung erlassen hat, diese auf Einsprache hin erneut überprüft ( UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 2. Auflage, Art. 36 N. 12 und Art. 52 N. 14 mit weiteren Hinweisen).
 
4.
4.1. Die Vorinstanz stellte fest, die Beschwerdeführerin sei bei der Beantragung der Kurzarbeit unbestrittenermassen auf Folgendes aufmerksam gemacht worden:
- dass Arbeitnehmende, deren Arbeitsausfall nicht bestimmbar oder deren Arbeitszeit nicht ausreichend kontrollierbar sei, keinen Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung hätten,
- dass die genügende Kontrollierbarkeit des Arbeitsausfalls eine betriebliche Arbeitszeitkontrolle voraussetze und
- dass die Arbeitgeberin verpflichtet sei, diese Unterlagen während fünf Jahren aufzubewahren.
Trotz dieser Hinweise habe die Beschwerdeführerin die effektiven Zeiterfassungen nicht nur jährlich gelöscht, sondern darüber hinaus die bei der Arbeitgeberkontrolle als Arbeitszeitnachweis vorgelegten Zeiterfassungsausdrucke zugegebenermassen teilweise nachträglich abgeändert; darüber hinaus stünden diese zumindest punktuell im Widerspruch zu den sich aus den anlässlich der Arbeitgeberkontrolle mit untersuchten Personalakten wie Urlaubskarten, Arztzeugnissen Unfallscheinen oder weiteren Dokumentenergebenden effektiv geleisteten Arbeitsstunden.
4.2. Bei diesen Feststellungen handelt es sich um solche tatsächlicher Natur, welche für das Bundesgericht vorbehältlich offenkundiger Unrichtigkeit verbindlich sind (E. 1 hiervor). Letzteres wird indessen weder geltend gemacht, noch ist solches erkennbar.
 
5.
5.1. Das kantonale Gericht erachtete diese im Rückerstattungsverfahren aufgedeckten Fehler und Manipulationen der betrieblichen Arbeitszeitkontrolle als nicht mehr mit dem unter den gegebenen Umständen gebotenen Mindestmass an Sorgfalt zur Sicherstellung der Kontrollierbarkeit des geltend gemachten Arbeitszeitausfalls vereinbar. Es folgerte weiter, dieses Fehlverhalten könne insgesamt nicht mehr als leichte Nachlässigkeit eingestuft werden, womit es an dem für den Erlass der Rückforderung vorauszusetzenden guten Glauben fehle.
5.2. Diesen Ausführungen ist beizupflichten. Die Beschwerdeführerin scheint bei ihren Vorbringen zu übersehen, dass die Frage nach der Überprüfbarkeit der Arbeitsausfälle im Erlassverfahren nicht mehr zum Gegenstand erhoben werden kann (Urteil C 269/03 vom 25. Mai 2004 E. 3.1), worauf das kantonale Gericht bereits hingewiesen hat. Zu prüfen ist vorliegend einzig, ob sie sich unter den gegebenen Umständen auf den guten Glauben berufen kann oder ob sie bei zumutbarer Aufmerksamkeit den bestehenden Rechtsmangel hätte erkennen müssen. Der Hinweis auf die fehlende Erfahrung und gesundheitlichen Probleme des von der Firma mit der Abrechnung der Kurzarbeitszeit betrauten Mitarbeiters sowie die angeblichen EDV-Probleme hilft in diesem Zusammenhang nicht weiter und vermag die Beschwerdeführerin insbesondere nicht zu entlasten. Vielmehr wäre in einer solchen Situation zu erwarten gewesen, dass sie sich bei der Kasse mangels vorhandener Erfahrungswerte und/oder infolge erkannter EDV-Probleme über die genaueren Anforderungen an die Arbeitszeitkontrolle informiert bzw. ein (besonderes) Augenmerk auf das Führen einer den Nachweis der geltend gemachten Arbeitszeitausfälle erbringenden betrieblichen Arbeitszeitkontrolle gelegt hätte. Dies gilt umso mehr, als die beantragten Kurzarbeitsentschädigungen ein gewichtiges Standbein zur Überlebenssicherung bzw. Weiterführung des Betriebs in der bisherigen Form darstellten und damit deren rechtmässiger Bezug für die Firma auch von entsprechender Bedeutung war. Einfach darauf zu vertrauen, eine teils nachträglich angepasste, zudem offenbar nicht immer die tatsächlichen Geschehnisse wiedergebende Zeiterfassung würde den ihr bei Geltendmachung der Kurzarbeitsentschädigung mitgeteilten Anforderungen genügen, reicht unter diesem Umständen nicht aus. Von einer leichten Nachlässigkeit kann dergestalt nicht mehr die Rede sein, wie die Vorinstanz in zutreffender Entkräftung der weiteren Parteivorbringen im angefochtenen Entscheid näher dargelegt hat. Darauf wird verwiesen.
6. Die Gerichtskosten sind ausgangsgemäss der Beschwerdeführerin zu überbinden (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 16'000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 20. Februar 2014
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Leuzinger
Der Gerichtsschreiber: Grünvogel