BGer 1B_19/2014 |
BGer 1B_19/2014 vom 28.05.2014 |
{T 0/2}
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1B_19/2014
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Urteil vom 28. Mai 2014 |
I. öffentlich-rechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
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Bundesrichter Aemisegger, Karlen, Eusebio, Chaix,
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Gerichtsschreiber Härri.
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Verfahrensbeteiligte |
Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach, Wildischachenstrasse 14, 5200 Brugg,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau, Gerichtsgasse 85, 5080 Laufenburg.
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Gegenstand
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E-Mail-Verkehr; Überwachung; Beschlagnahme,
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Beschwerde gegen die Verfügung vom 11. Dezember 2013 des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Aargau.
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Sachverhalt: |
A. Die Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach führt ein Strafverfahren gegen den türkischen Staatsangehörigen X.________. Sie beschuldigt ihn, am 23. Juli 2013 seine schweizerische Ehefrau getötet zu haben. Seit jenem Tag befindet er sich in Untersuchungshaft.
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B. Die Staatsanwaltschaft führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, der Entscheid des Einzelrichters sei aufzuheben und die verfügte aktive E-Mail-Überwachung zu genehmigen.
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C. Der Einzelrichter hat auf Vernehmlassung verzichtet.
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Erwägungen: |
1. |
1.1. Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde in Strafsachen gegeben.
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1.2. Die Beschwerde nach Art. 393 ff. StPO steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde in Strafsachen ist daher gemäss Art. 80 BGG zulässig (BGE 137 IV 340 E. 2.2 S. 343; Urteil 1B_211/2012 vom 2. Mai 2012 E. 1.2, publ. in: SJ 2012 I S. 466).
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1.3. Die Beschwerdeführerin ist gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 3 BGG zur Beschwerde befugt (BGE 137 IV 340 E. 2.3 S. 344 ff.).
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1.4. Der angefochtene Entscheid stellt einen Zwischenentscheid gemäss Art. 93 BGG dar. Gemäss Absatz 1 lit. a dieser Bestimmung ist dagegen die Beschwerde zulässig, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann.
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1.5. Da es um eine Zwangsmassnahme geht, ist Art. 98 BGG, der eine Beschränkung der Beschwerdegründe vorsieht, nicht anwendbar (zur amtlichen Publikation bestimmtes Urteil 1B_326/2013 vom 6. März 2014 E. 2.2; BGE 137 IV 340 E. 2.4 S. 346 mit Hinweisen).
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1.6. Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass.
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2. |
2.1. Art. 23 ff. der Verordnung vom 31. Oktober 2001 über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (VÜPF; SR 780.11) regeln die Überwachung des Internets. Art. 24a VÜPF sieht die Echtzeit-Überwachung vor, Art. 24b die rückwirkende Überwachung. Gemäss Art. 2 VÜPF sind die in dieser Verordnung verwendeten Begriffe im Anhang definiert. Danach ist unter Echtzeit-Überwachung zu verstehen das Abfangen in Echtzeit und die simultane, leicht verzögerte oder periodische Übertragung der Post- oder Fernmeldeverkehrsdaten, inklusive Nutzinformationen, durch die Anbieterinnen von Post- oder Fernmeldediensten gemäss den Angaben der Überwachungsanordnung (Ziff. 3); unter rückwirkender Überwachung die Herausgabe der Verkehrs- und Rechnungsdaten (d.h. der Randdaten) der zurückliegenden sechs Monate durch die Anbieterinnen von Post- oder Fernmeldediensten (Ziff. 4).
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2.2. Der 5. Titel der Strafprozessordnung (Art. 196 ff.) regelt die Zwangsmassnahmen.
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2.3. Gemäss Art. 13 Abs. 1 BV hat jede Person Anspruch auf Achtung ihres Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs. Gleichartige Garantien enthalten Art. 8 Ziff. 1 EMRK und Art. 17 UNO-Pakt II (BGE 126 I 50 E. 5a S. 61 mit Hinweis).
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2.4. Das Fernmeldegeheimnis schützt den Kommunikationsvorgang. Vor dessen Beginn und nach dessen Abschluss greift es nicht ( ANDREAS DONATSCH/ALBERT SCHMID, Der Zugriff auf E-Mails im Strafverfahren - Überwachung [BÜPF] oder Beschlagnahme?, in: Schwarzenegger und andere [Hrsg.], Internet-Recht und Strafrecht, 2005, S. 157; MICHAEL AEPLI, Die strafprozessuale Sicherstellung von elektronisch gespeicherten Daten, 2004, S. 18; MARC JEAN-RICHARD-DIT-BRESSEL, Die Mailbox, Ziel oder Weg?, ZStrR 125/2007, S. 170/171; STEFAN HEIMGARTNER, Strafprozessuale Beschlagnahme, 2011, S. 38/39 und 175).
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2.5. Es stellt sich die Frage, wann ein Brief als beim Empfänger angekommen gelten kann.
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2.5.1. Dies trifft sicher dann zu, wenn der Postbote den Brief dem Empfänger persönlich übergibt, was insbesondere bei eingeschriebenen Sendungen der Fall ist.
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2.5.2. Angekommen ist der Brief ebenso, wenn ihn der Postbote in den Briefkasten des Empfängers wirft. Zwar hat der Empfänger davon in der Regel keine unmittelbare Kenntnis. Der Brief befindet sich jedoch in seinem alleinigen Herrschaftsbereich. Was damit geschieht, bestimmt einzig der Empfänger. Der Übertragungsvorgang ist deshalb abgeschlossen (Jean-Richard-dit-Bressel, a.a.O., S. 172; Aepli, a.a.O., S. 18 Fn. 87).
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2.5.3. Legt die Post den Brief in das Postfach des Empfängers, befindet er sich ebenfalls in dessen Herrschaftsbereich. Der Empfänger kann auf das Postfach wie auf den Briefkasten jederzeit zugreifen und den Brief entnehmen. Im Unterschied zum Briefkasten hat die Post ihre Herrschaft jedoch noch nicht aufgegeben. Sie kann auf das Postfach weiterhin jederzeit zugreifen. Es besteht somit eine geteilte Datenherrschaft ( JEAN-RICHARD-DIT-BRESSEL, a.a.O., S. 172). Die Post kann den in das Postfach gelegten Brief daraus wieder entnehmen und den Behörden von seinem Inhalt Kenntnis geben. Tut sie das, wird der Brief weiterhin abgefangen. Es kann insoweit keinen Unterschied machen, ob die Post den Behörden den Inhalt des Briefes zugänglich macht, kurz bevor sie diesen in das Postfach legt, oder ob sie das tut, nachdem sie den Brief in das Postfach gelegt und daraus sogleich wieder entnommen hat. Da die Post nach wie vor Herrschaftsmacht hat, muss der Empfänger - der das Postfach nicht ständig kontrollieren kann - weiterhin darauf vertrauen können, dass sie ihre Stellung nicht missbraucht und die Vertraulichkeit der Daten wahrt. Der Empfänger verdient deshalb nach wie vor den Schutz des Fernmeldegeheimnisses (ebenso HEIMGARTNER, a.a.O., S. 180).
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2.6. Die Zustellung eines E-Mails ist vergleichbar mit der Zustellung eines Briefes in das Postfach (Jean-Richard-dit-Bressel, a.a.O., S. 172; Heimgartner, a.a.O., S. 180).
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2.7. Danach ergibt sich Folgendes:
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2.8. Die Voraussetzungen für die Echtzeit-Überwachung gemäss Art. 269 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 lit. a StPO sind hier erfüllt.
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2.9. |
2.9.1. Das Bundesgericht genehmigt die Überwachung selber (Art. 107 Abs. 2 Satz 1 BGG), womit eine Rückweisung an die Vorinstanz - und damit eine Verlängerung des Verfahrens - vermieden werden kann.
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2.9.2. Gemäss Art. 274 Abs. 4 StPO äussert sich die Genehmigung ausdrücklich darüber, ob: a. Vorkehren zum Schutz von Berufsgeheimnissen getroffen werden müssen; b. Direktschaltungen zulässig sind.
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2.9.3. Gemäss Art. 274 Abs. 5 StPO ist die Genehmigung zu befristen. Sie kann für höchstens 3 Monate erteilt werden, aber ein- oder mehrmals um jeweils höchstens 3 Monate verlängert werden.
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2.10. Soweit die E-Mails der Beschlagnahme unterliegen, kann der Beschuldigte die Siegelung verlangen (zur Legitimation BGE 140 IV 28 E. 4.3.4 f.). Tut er dies, entscheidet auf entsprechendes Gesuch der Beschwerdeführerin hin das zuständige Gericht über die Zulässigkeit der Durchsuchung.
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3. Kosten sind keine zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und die Verfügung des Einzelrichters des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Aargau vom 11. Dezember 2013 aufgehoben. Die Überwachung des Kontos X.________@Z.________ wird im Sinne der Erwägungen bewilligt. Im übrigen Umfang wird die Beschwerde abgewiesen und die Editionsverfügung der Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach vom 12. November 2013 bestätigt.
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2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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3. Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau und dem Dienst für die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 28. Mai 2014
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Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Fonjallaz
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Der Gerichtsschreiber: Härri
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