BGer 4A_125/2014
 
BGer 4A_125/2014 vom 02.06.2014
{T 0/2}
4A_125/2014
 
Urteil vom 2. Juni 2014
 
I. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
Bundesrichterinnen Hohl, Kiss,
Gerichtsschreiber Kölz.
 
Verfahrensbeteiligte
A.________ AG,
vertreten durch Rechtsanwalt Damian Keel,
Beschwerdeführerin,
gegen
B.________ AG,
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Stadelmann,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Mietvertrag, Grundlagenirrtum,
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, III. Zivilkammer, vom 13. Januar 2014.
 
Sachverhalt:
A. Die A.________ AG (Vermieterin, Beschwerdeführerin), vertreten durch die C.________ AG, und die B.________ AG (Mieterin, Beschwerdegegnerin) unterzeichneten am 21. September 2011 bzw. 19. Oktober 2011 einen Mietvertrag für gewerbliche Räume im Wohn- und Geschäftshaus D.________ in St. Gallen. Die Mieterin mietete ab dem 1. Januar 2012 ein Büro mit einer Fläche von ca. 86 m2 im 2. OG und ein Archiv/Lager mit einer Fläche von ca. 43 m2 im 4. UG für einen monatlichen Bruttomietzins von Fr. 2'544.15.
B. Mit Klage vom 17. August 2012 verlangte die Vermieterin beim Kreisgericht St. Gallen die Verurteilung der Mieterin zur Zahlung der bisher aufgelaufenen Mietzinse aus dem Vertragsverhältnis in der Höhe von Fr. 33'073.95 sowie die Beseitigung der von der Mieterin gegen die diversen Betreibungen erhobenen Rechtsvorschläge. Die Mieterin beantragte die Abweisung der Klage, wobei sie sich auf Willensmangel und Täuschung, eventualiter auf den sofortigen Vertragsrücktritt berief. Zudem stellte sie einer allfälligen Forderung der Vermieterin verrechnungsweise eigene Ansprüche auf Schadenersatz für die im Zusammenhang mit dem Umzug entstandenen Kosten und Aufwendungen entgegen. Schliesslich machte sie auch eine Mietzinsreduktion in der Höhe des gesamten Monatsmietzinses geltend.
C. Die Vermieterin beantragt mit Beschwerde in Zivilsachen, den Entscheid des Kantonsgerichts aufzuheben und die Mieterin zu verpflichten, ihr Fr. 33'073.95 (Mietzins Januar 2012 bis Januar 2013) nebst Zins zu 8 % seit 15. Juli 2012 zu bezahlen, den Rechtsvorschlag in den angehobenen Betreibungen aufzuheben und die beim Betreibungsamt hinterlegte Sicherheit freizugeben. Eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
 
Erwägungen:
1. Das angefochtene Urteil des Kantonsgerichts ist ein verfahrensabschliessender Endentscheid (Art. 90 BGG) einer letzten kantonalen Instanz im Sinne von Art. 75 Abs. 1 und 2 BGG. Sodann übersteigt der Streitwert die Grenze nach Art. 74 Abs. 1 lit. a BGG in mietrechtlichen Fällen. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist - unter Vorbehalt einer hinlänglichen Begründung (Erwägung 2) - grundsätzlich auf die Beschwerde einzutreten.
 
2.
2.1. Mit Beschwerde in Zivilsachen können Rechtsverletzungen nach Art. 95 und 96 BGG gerügt werden. Die Beschwerde ist hinreichend zu begründen, andernfalls wird darauf nicht eingetreten. In der Beschwerdeschrift ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG). Unerlässlich ist, dass die Beschwerde auf die Begründung des angefochtenen Entscheids eingeht und im Einzelnen aufzeigt, worin eine Verletzung von Bundesrecht liegt (BGE 140 III 86 E. 2 S. 89). Die beschwerdeführende Partei soll in der Beschwerdeschrift nicht bloss die Rechtsstandpunkte, die sie im kantonalen Verfahren eingenommen hat, erneut bekräftigen, sondern mit ihrer Kritik an den als rechtsfehlerhaft erachteten Erwägungen der Vorinstanz ansetzen (vgl. BGE 134 II 244 E. 2.1).
2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 140 III 115 E. 2 S. 117; 135 III 397 E. 1.5). Überdies muss die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein (Art. 97 Abs. 1 BGG).
3. Die Beschwerdeführerin stellt in Abrede, dass die Beschwerdegegnerin sich beim Abschluss des Mietvertrags in einem Grundlagenirrtum im Sinne von Art. 23 und Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR befunden habe. Sie rügt, die Vorinstanz habe diese Bestimmungen verletzt, indem sie das Gegenteil erkannt habe.
3.1. Ein Vertrag ist für denjenigen unverbindlich, der sich beim Abschluss in einem wesentlichen Irrtum befunden hat (Art. 23 OR). Wesentlich ist ein Irrtum namentlich, wenn er einen bestimmten Sachverhalt betraf, der vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet wurde (Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR). Neben der subjektiven Wesentlichkeit ist erforderlich, dass der zu Grunde gelegte Sachverhalt auch objektiv, vom Standpunkt oder nach den Anforderungen des loyalen Geschäftsverkehrs, als notwendige Grundlage des Vertrages erscheint (BGE 136 III 528 E. 3.4.1; 132 II 161 E. 4.1; 123 III 200 E. 2; 118 II 58 E. 3b S. 62).
3.2. Die Vorinstanz stellte fest, die Beschwerdegegnerin sei bei Vertragsunterzeichnung am 19. Oktober 2011 davon ausgegangen, die Lüftung sei Ursache des störenden Geräuschs, und die Lärmproblematik könne mit geringem Aufwand noch vor Mietbeginn behoben werden. Für die Beschwerdegegnerin sei es notwendige Grundlage des Vertrages gewesen, dass in den angemieteten Büroräumlichkeiten ruhiges und konzentriertes Arbeiten grundsätzlich möglich sei, dass die gesetzlichen Lärmwertgrenzen eingehalten würden und nicht anhaltend störende Geräusche zu hören seien und dass nicht kurz nach dem Einzug während Wochen grössere Umbauarbeiten erfolgen würden, um die Lärmproblematik - mit ungewissem Erfolg - zu lösen. Dagegen - so die Vorinstanz - spreche auch nicht die Tatsache, dass die Beschwerdegegnerin am 19. Dezember 2011 in das Mietobjekt eingezogen und darin bis zum 2. März 2012 verweilt sei. Einerseits sei der Beschwerdegegnerin nichts anderes übrig geblieben, als die gemieteten Räumlichkeiten zu beziehen, da der alte Standort habe geräumt werden müssen. Andererseits habe die Beschwerdegegnerin beim Einzug noch keine Kenntnis gehabt vom Bericht der E.________ GmbH und damit auch nicht davon, dass sich die Behebung der Lärmproblematik als aufwendig, langwierig und unsicher herausgestellt hatte. Als sie am 5. Januar 2012 davon Kenntnis genommen habe, sei sie daher mangels Alternativen gezwungen gewesen, die vollständig eingerichteten Räumlichkeiten noch einige Wochen zu belegen.
3.3. Die Beschwerdeführerin tritt diesen Erwägungen mit gegenteiligen Behauptungen entgegen. Sie behauptet, der Beschwerdegegnerin sei die Schallproblematik vor Vertragsabschluss bekannt gewesen, und ebenso der Umstand, dass die Behebung des Schallproblems unter Umständen schwierig bzw. nicht möglich sei. Trotzdem habe sie den Mietvertrag am 19. Oktober 2011 unterzeichnet. Sie könne sich daher nicht auf Irrtum berufen. Indem sie den Vertrag trotz dieser Kenntnis unterzeichnet habe, habe sie überdies gezeigt, dass diese Sachverhalte für sie gerade nicht subjektiv wesentlich gewesen seien. Entgegen der Vorinstanz sei für sie (die Beschwerdeführerin) auch nicht erkennbar gewesen, dass die genannten Umstände eine unerlässliche Voraussetzung für den Vertragsabschluss gebildet hätten. Die Beschwerdegegnerin habe den Lärm selbst gehört und trotzdem den Vertrag unterzeichnet. Auch bezüglich der Einhaltung der Lärmgrenzwerte habe kein Irrtum vorgelegen. Die Beschwerdegegnerin habe damit rechnen müssen, dass die Grenzwerte (zeitweilig) überschritten würden.
3.4. Die Rüge der Beschwerdeführerin gebricht bereits an der Bindung des Bundesgerichts an den vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt (vgl. Erwägung 2.2). Die Vorinstanz stellte fest, die Beschwerdegegnerin sei bei Vertragsunterzeichnung am 19. Oktober 2011 davon ausgegangen, die Lüftung sei Ursache des störenden Geräuschs und die Lärmproblematik könne mit geringem Aufwand noch vor Mietbeginn behoben werden. Es ist also gerade 
 
4.
4.1. Die Beschwerdeführerin beanstandet die von der Vorinstanz für die Zeit des Verbleibs der Beschwerdegegnerin in den Mieträumlichkeiten gewährte Mietzinsreduktion. Dabei wendet sie sich nicht gegen das Ausmass der Reduktion (30 %), sondern gegen deren grundsätzliche Berechtigung: Sie meint, die Beschwerdegegnerin sei verpflichtet gewesen, den Mietzins im Voraus am Verfalltag zu bezahlen. Die Beschwerdegegnerin habe aber keinen Mietzins bezahlt und sei somit seit dem 1. Januar 2012 in Verzug. Vor dem 11. Januar 2012 sei zudem keine Herabsetzungserklärung erfolgt. Damit könne die Beschwerdegegnerin gemäss Art. 82 OR ihre Mängelrechte nach Art. 259 ff. OR nicht geltend machen, und ihr Recht auf Mietzinsreduktion sei ausgeschlossen.
4.2. Die Vorinstanz ging für die Zeit, während der die Beschwerdegegnerin die Räumlichkeiten belegte, von einem faktischen Vertragsverhältnis aus. Sie erwog, am 11. Januar 2012 habe die Beschwerdegegnerin mitgeteilt, dass sie den Mietvertrag für unverbindlich bzw. aufgelöst betrachte; eventualiter habe sie den sofortigen Vertragsrücktritt geltend gemacht. Die Mietsache sei mit einem Mangel behaftet gewesen, der den Parteien von Beginn des Mietverhältnisses an bekannt gewesen sei. Spätestens an der Hauptverhandlung habe die Beschwerdegegnerin die Herabsetzung explizit verlangt, zuvor aber bereits konkludent kundgetan, indem sie keinen Mietzins an die Beschwerdeführerin überwiesen und von sich aus eine Reduktion in der vollen Höhe des Mietzinses vorgenommen habe. Dazu sei sie berechtigt gewesen, und sie habe sich nicht in Verzug befunden.
4.3. Inwiefern die - auf zwei Lehrmeinungen (Schweizerisches Mietrecht, SVIT-Kommentar, 3. Aufl. 2008, N. 25 zu Art. 259d OR; Weber, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht I, 5. Aufl. 2011, N. 4 zu Art. 259d OR) gestützte - Auffassung der Vorinstanz, dass die Beschwerdegegnerin grundsätzlich berechtigt gewesen sei, die Mietzinsreduktion von sich aus vorzunehmen, bundesrechtswidrig sein soll, legt die Beschwerdeführerin nicht dar. Auf ihre Rüge ist daher mangels zureichender Begründung nicht einzutreten (vgl. Erwägung 2.1), und die Berufung auf Art. 82 OR geht fehl.
5. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend wird die Beschwerdeführerin kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 2 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3. Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, III. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 2. Juni 2014
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Klett
Der Gerichtsschreiber: Kölz