BGer 8C_610/2014
 
BGer 8C_610/2014 vom 05.11.2014
8C_610/2014
{
T 0/2
}
 
Urteil vom 5. November 2014
 
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiberin Polla.
 
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Ronald Pedergnana,
Beschwerdeführer,
gegen
IV-Stelle Appenzell Ausserrhoden,
Neue Steig 15, 9102 Herisau,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts Appenzell Ausserrhoden vom 18. Juni 2014.
 
Sachverhalt:
A. Der 1954 geborene, kosovarische Staatsangehörige A.________ reiste erstmals im Jahr 1999 und nach erfolgter Ausschaffung erneut im März 2003 als Asylbewerber in die Schweiz ein. Hier war er einzig als Mitarbeiter eines Elektroladens vom 15. Oktober 2008 bis 31. Oktober 2012 im zweiten Arbeitsmarkt bei der Stiftung B.________ tätig gewesen. Am 21. November 2012 meldete er sich wegen Schulterproblemen und Diabetes bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 25. Oktober 2013 verneinte die IV-Stelle des Kantons Appenzell Ausserrhoden einen Rentenanspruch, da die gesundheitlichen Beeinträchtigungen schon vor der erstmaligen Einreise in die Schweiz, spätestens aber vor der Wiedereinreise im Jahr 2003 bestanden hätten, weshalb er nicht während mindestens eines vollen Jahres Beiträge entrichtet habe und damit die versicherungsmässigen Voraussetzungen für eine Invalidenrente nicht erfülle.
B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht Appenzell Ausserrhoden mit Entscheid vom 18. Juni 2014 ab.
C. A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei ihm eine (evtl. halbe) Invalidenrente zuzusprechen.
Auf die Durchführung eines Schriftenwechsels wurde verzichtet.
 
Erwägungen:
1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die vorinstanzlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit der versicherten Person sind grundsätzlich Entscheidungen über eine Tatfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.). Das Bundesgericht kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
2. Streitig ist der Anspruch auf eine Invalidenrente. Zu prüfen ist, ob Vorinstanz und Verwaltung zu Recht unter dem Gesichtspunkt der versicherungsmässigen Voraussetzungen einen Anspruch auf Invalidenrente mangels Erfüllung der Mindestbeitragszeit verneint haben.
3. Der Anspruch von Schweizern und ausländischen Staatsangehörigen auf eine ordentliche Invalidenrente der schweizerischen Invalidenversicherung setzt voraus, dass sie bei Eintritt der Invalidität während mindestens eines Jahres Beiträge geleistet haben (Art. 36 Abs. 1 IVG in der hier anwendbaren, bis 31. Dezember 2007 gültig gewesenen Fassung; vgl. zur intertemporalrechtlichen Problematik: BGE 139 V 335). Die Mindestbeitragszeit muss vor Eintritt der Invalidität geleistet sein (Meyer/Reichmuth, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung, 3. Aufl., 2014, S. 478 Rn. 2).
Nichts anderes gilt für anerkannte Flüchtlinge und Staatenlose mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz. Art. 1 Abs. 1 des Bundesbeschlusses über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und Staatenlosen in der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung vom 4. Oktober 1962 (FlüB, SR 831.131.11) sieht vor, dass Flüchtlinge und Staatenlose mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz unter den gleichen Voraussetzungen wie Schweizer Bürger Anspruch auf eine ordentliche Rente der Alters- und Hinterlassenen- sowie der Invalidenversicherung haben. Überdies findet bei einem Eintritt der Invalidität vor dem 1. April 2010 das Abkommen vom 8. Juni 1962 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der (ehemaligen) Föderativen Volksrepublik Jugoslawien über Sozialversicherung (SR 0.831.109.818.1 [in Kraft getreten am 1. März 1964]; nachfolgend: Sozialversicherungsabkommen) Anwendung, da diese im Verhältnis zwischen der Schweiz und der unabhängigen Republik Kosovo erst per 31. März 2010 beendet wurde (vgl. Mitteilung der Direktion für Völkerrecht vom 23. März 2010, AS 2010 S. 1203; BGE 139 V 335 E. 6.2 S. 338 f. mit Hinweisen). Das in Art. 2 des Sozialversicherungsabkommens festgehaltene Gleichbehandlungsgebot ("Die schweizerischen und jugoslawischen Staatsangehörigen sind in den Rechten und Pflichten aus den in Art. 1 genannten Gesetzgebungen einander gleichgestellt, soweit in diesem Abkommen und seinem Schlussprotokoll nichts Abweichendes bestimmt ist.") führt indes ebenso wenig wie die anderen Bestimmungen des Abkommens zu etwas Anderem.
Die Invalidität gilt sodann als eingetreten, sobald sie die für die Begründung des Anspruchs auf die jeweilige Leistung erforderliche Art und Schwere erreicht hat (Art. 4 Abs. 2 IVG). Im Falle einer Rente gilt die Invalidität in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem der Anspruch nach Art. 8 Abs. 1 ATSG und Art. 4 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 28 ff. IVG entsteht, das heisst, frühestens wenn die versicherte Person während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens 40 % arbeitsunfähig (Art. 6 ATSG) gewesen und nach Ablauf dieses Jahres zu mindestens 40 % bleibend oder für längere Zeit erwerbsunfähig (Art. 7 und 8 ATSG) ist (BGE 137 V 417 E. 2.2.1 S. 421).
 
4.
4.1. Das kantonale Gericht stellte in Würdigung der medizinischen Aktenlage fest, der Beschwerdeführer sei bereits im Jahr 1999, spätestens im Jahr 2003, im gleichen Masse an der geltend gemachten posttraumatischen Belastungsstörung erkrankt gewesen. Dr. med. C.________, Facharzt FMH Allgemeine Medizin, habe am 28. Juli 2000 zuhanden der Schweizerischen Asylrekurskommission die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung gestellt und ausgeführt, der Beschwerdeführer sei in einem sichtbar schlechten Zustand in die Praxis gekommen und habe um Überweisung an einen Psychiater gebeten. Die Probleme hätten von Anfang an bestanden, seien aber in den letzten zwei Monaten schlimmer geworden; die gemäss Diagnosekriterien verlangte zeitliche Latenz von Wochen bis Monaten sei erfüllt (Schreiben des Dr. med. C.________ vom 3. Juli 2002). Die Psychiatrischen Dienste D.________ hätten in ihrem Bericht vom 22. August 2000 die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10 F43.1) bestätigt und angegeben, der Versicherte fühle sich seit seiner Einreise in die Schweiz zunehmend nervös, leide unter starken Schlafschwierigkeiten, Albträumen und Gedankenkreisen. Am 28. Oktober 2003 habe auch die Psychiatrische Klinik E.________ eine posttraumatische Belastungsstörung festgehalten und ausgeführt, vor der ersten Einreise in die Schweiz sei die Familie mannigfaltigen Belastungsfaktoren ausgesetzt gewesen, mit neuerlichen Repressionen nach der Rückführung in den Kosovo, sodass die reale Bedrohung reaktiviert worden sei. Dr. med. F.________, Praktischer Arzt, habe im Bericht vom 15. Dezember 2012 eine schwere posttraumatische Belastungsstörung mit rezidivierenden depressiven Verstimmungen seit 1999 attestiert. Dementsprechend habe Frau Dr. med. G.________, Fachärztin FMH Psychiatrie und Psychotherapie, Regionaler Ärztlicher Dienst (RAD) der IV-Stelle, am 15. August 2013 festgehalten, dass die traumatischen Ereignisse schon vor 1999 stattgefunden hätten. Die posttraumatische Belastungsstörung und die Depressionen lägen gemäss damaligem Hausarzt seit 1999 vor; fachärztlich seien diese erstmals 2000 durch die Psychiatrischen Dienste D.________ diagnostiziert worden, allerdings seien die Kriterien für eine posttraumatische Belastungsstörung nicht vollumfänglich erfüllt. Der Gesundheitsschaden sei spätestens bei der Wiedereinreise im Jahr 2003 ausgewiesen gewesen. Hieraus schloss die Vorinstanz, der Invaliditätsfall sei daher im Jahr 1999, spätestens im Jahr 2003, bereits eingetreten gewesen und daher das für den Anspruch auf eine ordentliche Invalidenrente vor Eintritt des Versicherungsfalls erforderliche Beitragsjahr nicht erfüllt.
 
4.2.
4.2.1. Die vom Beschwerdeführer dagegen erhobenen Einwände führen zu keinem anderen Ergebnis. In medizinischer Hinsicht ist nach Lage der Akten der vom kantonalen Gericht gezogene Schluss, es sei aufgrund der bestandenen posttraumatischen Belastungsstörung von einem Eintritt der Invalidität spätestens bei der Wiedereinreise im Jahr 2003 auszugehen, nicht als offensichtlich unrichtig oder als Ergebnis willkürlicher oder sonst rechtsfehlerhafter Beweiswürdigung zu sehen, auch wenn die Vorinstanz zum Ausmass der Arbeitsunfähigkeit zwischen 1999 und 2003 keine Feststellungen traf. Der Beschwerdeführer hat jedenfalls mit Blick auf den Eintritt des Versicherungsfalls zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht, entgegen der hausärztlichen Einschätzung eines zumutbaren dreistündigen Arbeitspensums pro Tag seit Diagnosestellung im Jahr 1999 (Bericht des Dr. med. F.________ vom 15. Dezember 2012), erst nach Beginn seiner Arbeit bei der Stiftung B.________, bei der er zuletzt mit einem 80%igen Pensum tätig gewesen war, in invalidisierendem Ausmass (E. 3 hiervor) arbeitsunfähig geworden zu sein.
4.2.2. Namentlich unbehelflich ist sodann das Vorbringen, er habe zum Verfügungszeitpunkt (im Oktober 2013) während zehn Jahren Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz gehabt. Denn zur Begründung des Leistungsanspruchs ist vielmehr vorausgesetzt, dass er sich, sofern die Mindestbeitragszeit nicht erfüllt ist, vor Eintritt der Invalidität - und nicht wie vorgetragen im Verfügungszeitpunkt - ununterbrochen während zehn Jahren in der Schweiz aufhielt (E. 3 hiervor), was nicht der Fall war. Mit der durch die Tätigkeit bei der Stiftung B.________ vom 15. Oktober 2008 bis 30. September 2012 generierten Beitragszeit wird daher ebenso wenig die geforderte Mindestbeitragszeit vor Eintritt des Versicherungsfalls erreicht, weshalb die versicherungsmässigen Voraussetzungen für den geltend gemachten Rentenanspruch nicht erfüllt sind. Demnach verneinte die Vorinstanz einen Anspruch auf Invalidenrente in bundesrechtskonformer Weise und ohne den Grundsatz auf ein faires Verfahren gemäss Art. 6 EMRK verletzt zu haben.
5. Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Dem unterliegenden Beschwerdeführer werden die Gerichtskosten auferlegt (Art. 65 Abs. 4 lit. a in Verbindung mit Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht Appenzell Ausserrhoden und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 5. November 2014
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Leuzinger
Die Gerichtsschreiberin: Polla