BGer 5A_401/2015 |
BGer 5A_401/2015 vom 07.09.2015 |
{T 0/2}
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5A_401/2015
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Urteil vom 7. September 2015 |
II. zivilrechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter von Werdt, Präsident,
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Bundesrichter Marazzi, Schöbi,
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Gerichtsschreiber Möckli.
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Verfahrensbeteiligte |
A.________,
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vertreten durch Advokat Peter Bürkli,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) U.________.
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Gegenstand
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Entziehung Aufenthaltsbestimmungsrecht; Ablehnung Beistandwechsel etc.,
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Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht, vom 7. Januar 2015.
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Sachverhalt: |
A. A.________ und ihr geschiedener Mann B.________ haben die gemeinsamen Kinder C.________ (1996), D.________ (1998), E.________ (2000) und F.________ (2003). D.________ und E.________ leben im Waisenhaus G.________ bzw. im Schulheim H.________ in V.________. F.________ und (der inzwischen volljährige) C.________ leben bei der Mutter.
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B. Mit Gutachten vom 22. Juli 2010 betreffend psychische Belastung durch Gewalterfahrung der Kinder empfahl der JKPD I.________ die Einsetzung einer sozialpädagogischen Familienbegleitung und eines Erziehungsbeistandes. Am 6. Oktober 2010 ernannte die Vormundschaftsbehörde W.________ eine Beiständin und betraute sie mit der Umsetzung dieser Massnahmen. Ab Januar 2011 wurde eine sozialpädagogische Familienbegleitung eingesetzt. Ab September 2011 wurde F.________ auf Wunsch der Mutter nach der Schule im Tagesheim "J.________" betreut. Ende 2012 wurden die vorgenannten Massnahmen abgebrochen.
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C. Im April 2014 erhielt die KESB U.________ verschiedene Gefährdungsmeldungen, u.a. von der Primarschule W.________, welche übereinstimmend festhielten, dass das Verhalten von F.________ besorgniserregend sei und ernsthafte Bedenken bezüglich ihrer Weiterentwicklung bestünden (unregelmässiges und unpünktliches Erscheinen im Unterricht; keine Abmeldung bei Versäumnissen; keine Befolgung der Anweisungen der Lehrer; Störung des Unterrichts; Provozieren und Angreifen anderer Schüler; auch auf dem Pausenplatz suche sie ständig die Konfrontation und sie werde nachts verschiedentlich draussen gesehen; sodann fehle die Zusammenarbeit der Mutter mit der Schule vollständig, sie stelle sich gegen die Regeln und verhindere sämtliche Massnahmen und Hilfestellungen).
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D. Mit Entscheid vom 7. November 2014 ordnete die KESB eine stationäre Abklärung für F.________ im Durchgangs- und Beobachtungsheim "K.________" an, verbunden mit dem Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts der Mutter. Sie begründete dies mit den massiven Verhaltensauffälligkeiten von F.________ und einer akuten Kindeswohlgefährdung, weil zuhause ungenügende Strukturen vorhanden seien und kaum Grenzen gesetzt würden.
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E. Gegen diesen Entscheid hat die Mutter am 11. Mai 2015 eine Beschwerde in Zivilsachen erhoben mit den Begehren, es sei ihr in Aufhebung von Ziff. 1 des Entscheides das Aufenthaltsbestimmungsrecht über F.________ zuzuweisen und ein Wechsel der Beiständin zu verfügen, eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Kantonsgericht zurückzuweisen. Ferner verlangt sie die unentgeltliche Rechtspflege. Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt, aber die kantonalen Akten beigezogen.
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Erwägungen: |
1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid über die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes und Unterbringung eines Kindes im Rahmen von Kindesschutzmassnahmen. Dagegen steht die Beschwerde in Zivilsachen offen (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 6, Art. 75 Abs. 1 und Art. 90 BGG).
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2. Das Kantonsgericht ist davon ausgegangen, dass das Durchgangs- und Beobachtungsheim "K.________" angesichts der zeitlichen Dauer der Unterbringung und der eingeschränkten Bewegungsmöglichkeit von F.________ aufgrund der Betreuung, Überwachung und Begutachtung als geschlossene Einrichtung im Sinn von Art. 314b Abs. 1 ZGB anzusehen sei und deshalb die Bestimmungen von Art. 426 ff. ZGB sinngemäss anwendbar seien. Mit dem Einweisungs- und Unterbringungsentscheid gemäss Art. 426 ff. ZGB könne gleichzeitig ein Gutachtensauftrag erteilt werden.
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3. Die Beschwerdeführerin erhebt verschiedene verfahrensrechtliche Rügen.
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3.1. Wegen der formellen Natur vorab zu prüfen (vgl. BGE 132 V 387 E. 5.1 S. 390; 135 I 187 E. 2.2 S. 190; 137 I 195 E. 2.2 S. 197) sind die in verschiedener Hinsicht erhobenen Gehörsrügen (Art. 29 Abs. 2 BV) wegen angeblich ungenügender Begründung des Entscheides (Beschwerde S. 42 f.).
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3.2. Die Beschwerdeführerin macht weiter geltend, das Kantonsgericht habe sich geweigert, von der ihm zukommenden vollen Kognition Gebrauch zu machen.
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3.3. Sodann kritisiert die Beschwerdeführerin, dass für F.________ kein Prozessbeistand ernannt wurde, obwohl es um eine Heimeinweisung gegangen (Art. 314a bis Abs. 2 Ziff. 1 ZGB) und sie damit nicht einverstanden gewesen sei.
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3.4. Die Beschwerdeführerin rügt schliesslich einen Verstoss gegen das Rechtsverzögerungsverbot; sie macht eine Verletzung von Art. 450e Abs. 5 ZGB und Art. 29 Abs. 1 BV geltend. Sie hat indes nie eine Rechtsverzögerungsbeschwerde eingereicht und stellt vorliegend auch kein Begehren um Feststellung einer ungerechtfertigten Verzögerung, weshalb auf die entsprechenden Ausführungen nicht einzugehen ist.
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4. In verschiedener Hinsicht erhebt die Beschwerdeführerin Sachverhaltsrügen (Beschwerde, S. 21 ff.). Die unter diesem Titel gemachten Ausführungen bleiben indes appellatorisch, wobei teilweise Behauptungen aufgestellt werden (das Gericht stütze sich auf alte Berichte; es seien pauschale Aussagen und Vermutungen eingeflossen; mit der Einweisung von F.________ solle sie [Beschwerdeführerin] für ihre fehlende Kooperation bestraft werden) und im Wesentlichen einfach das Gegenteil des Festgestellten behauptet wird (nicht F.________ sei aggressiv gewesen, sondern vielmehr sei sie von den Mitschülern belästigt worden; F.________ sei nie nachts draussen gesehen worden; sie [Beschwerdeführerin] könne sehr wohl Grenzen setzen und Fehlverhalten von F.________ sanktionieren, was sich auch darin zeige, dass F.________ im Heim mit Regeln kein Problem habe; es sei eine Anmassung zu behaupten, sie [Beschwerdeführerin] befinde sich nicht in adäquater ärztlicher Behandlung, vielmehr sei ihre Behandlung durch die Ärzte optimal; dass sie wegen der Temesta-Verschreibung am Morgen Mühe habe aufzustehen, sei nur ganz vereinzelt und keinesfalls die Regel, ihre gegenteiligen Aussagen seien im Protokoll falsch aufgenommen worden; sie könne dem Kind sehr wohl genügende Strukturen und eine aktive Betreuung bieten; sie sei sehr kooperativ; F.________ könne sich gut an Regeln halten). Mit dieser appellatorischen Schilderung der eigenen Sichtweise lässt sich nicht aufzeigen, inwiefern das Kantonsgericht den Sachverhalt in willkürlicher Weise festgestellt haben soll, zumal es sich auf die Akten gestützt und dabei stets die Quellen angegeben hat.
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5. In der Sache selbst bestreitet die Beschwerdeführerin die Notwendigkeit der verfügten Massnahme.
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5.1. Soweit sie rügt, der Einweisungszweck (stationäre Therapie oder Begutachtung) werde nicht klar, so übergeht sie die Ausführungen im angefochtenen Urteil, wonach in dem Sinn eine Kombination vorliegt, als eine Unterbringung zur Gewährung des für die gedeihliche Entwicklung von F.________ nötigen Rahmens erfolgte und gleichzeitig eine Begutachtung angeordnet wurde (angefochtener Entscheid, S. 5 sowie 13 und 14).
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5.2. Was den gesetzlichen Rahmen der Unterbringung eines Kindes in einer geschlossenen Einrichtung anbelangt, sind die Bestimmungen des Erwachsenenschutzes über die fürsorgerische Unterbringung sinngemäss anwendbar. Die materiellen Voraussetzungen für die Unterbringung Minderjähriger richten sich indes nach Art. 310 Abs. 1 ZGB (vgl. Botschaft zum Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht, BBl 2006 7102; ROSCH, Die fürsorgerische Unterbringung im revidierten Kindes- und Erwachsenenschutzrecht, in: AJP 2011 S. 514).
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5.3. In der Sache geht die Mutter wiederum von einer eigenen Sachverhaltsdarstellung aus (Beschwerde, S. 30 ff.), wonach sie sich umfassend und liebevoll um ihre Tochter kümmere und ihr all die Unterstützung zukommen lasse, die sie brauche. Sie stelle die wichtigste Bezugsperson des Mädchens dar und dieses vermisse sie wahnsinnig. In einem Durchgangsheim könne sie niemals die gleiche Geborgenheit und Liebe wie zuhause erhalten, weshalb die Fremdplatzierung massiven Schaden anrichte. F.________ sei sehr anhänglich und brauche eine konstante Bezugsperson, um mit ihren traumatischen Erlebnissen umgehen zu können. Diesen Rahmen könne sie [Beschwerdeführerin] ihrer Tochter trotz der gesundheitlichen Beeinträchtigung bieten und F.________ brauche keinen Rahmen ausserhalb ihres Zuhauses, weil sie auch keine Mühe habe, sich an Regeln zu halten. Aufgrund dieser Umstände liege keine Gefährdung des Kindeswohls vor und die verfügte Massnahme sei nicht erforderlich und unverhältnismässig, zumal allfällige Abklärungen wie die Beobachtung des Verhaltens in der Schule und in der Freizeit ohne weiteres ambulant stattfinden könnten und sie als Mutter auch fähig sei, eine ambulante Begutachtung mitzutragen und ihr Kind zu allen erwünschten Terminen zu begleiten.
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5.4. Die rechtlichen Ausführungen der Beschwerdeführerin, soweit sie überhaupt erfolgen, bauen ausschliesslich auf einer Darstellung des Sachverhaltes aus eigener Sicht, welche in völligem Gegensatz zu den willkürfreien Sachverhaltsfeststellungen des Kantonsgerichts steht (dazu E. 4), aber auch das im angefochtenen Entscheid mehrfach erwähnte fehlende Problembewusstsein und die fehlende Einsicht in die Grenzen der eigenen Fähigkeiten und die Notwendigkeit eines klaren Rahmens für die Tochter eindrücklich dokumentiert.
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5.5. Soweit der Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts und die Fremdplatzierung gestützt auf die gesetzliche Grundlage von Art. 310 ZGB und nach Erörterung der diesbezüglichen Voraussetzungen einschliesslich Erforderlichkeit und Verhältnismässigkeit erfolgen, sind weder Art. 10, 11 oder 13 BV noch Art. 8 EMRK noch die UN-KRK verletzt.
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6. Den Wunsch der Beschwerdeführerin auf einen Wechsel der Beiständin hat das Kantonsgericht abgelehnt mit der Begründung, diese habe keine Pflichtverletzungen begangen und es seien keine Gründe für einen Wechsel ersichtlich.
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7. Dem Vorbringen, der Kostenentscheid stütze sich auf eine Honorarnote, welche nicht alle erbrachten Leistungen umfasse, fehlt es an einem entsprechenden Rechtsbegehren, indem einzig die Aufhebung von Ziff. 1 des angefochtenen Entscheides verlangt wird. Ohnehin aber geht es um die Honorierung durch den Staat im Rahmen des sich bei Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ergebenden Administrativverhältnisses. Diesfalls ist nicht die Partei, sondern der Rechtsvertreter beschwerdelegitimiert (Urteile 6B_45/2012 vom 7. Mai 2012 E. 1.4; 5D_88/2008 vom 14. August 2008 E. 1; 5P.202/2002 vom 21. November 2002 E. 1); die Beschwerde erfolgt aber insgesamt im Namen der Klientin.
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8. Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde abzuweisen ist, soweit auf sie eingetreten werden kann. Wie die vorstehenden Erwägungen zeigen, konnte ihr von Anfang an keine Aussicht auf Erfolg beschieden sein, so dass es an den materiellen Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtspflege fehlt (Art. 64 Abs. 1 BGG) und das entsprechende Gesuch abzuweisen ist. Die Gerichtskosten sind ausgangsgemäss der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
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2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
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3. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
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4. Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der KESB U.________ und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 7. September 2015
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Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: von Werdt
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Der Gerichtsschreiber: Möckli
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