BGer 6B_608/2015 |
BGer 6B_608/2015 vom 15.01.2016 |
{T 0/2}
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6B_608/2015
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Urteil vom 15. Januar 2016 |
Strafrechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter Denys, Präsident,
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Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
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Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
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Bundesrichterin Jametti,
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Gerichtsschreiber Moses.
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Verfahrensbeteiligte |
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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X.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Torsten Kahlhöfer,
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Beschwerdegegner.
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Gegenstand
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Verjährung,
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Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 15. April 2015.
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Sachverhalt: |
A. |
Am 12. Oktober 2011 erliess das Stadtrichteramt Zürich gegen X.________ einen Strafbefehl wegen Überschreitens der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit innerorts um 16 km/h, begangen am 15. April 2011, und bestrafte ihn mit einer Busse von Fr. 290.--. Dagegen erhob X.________ Einsprache, worauf das Stadtrichteramt die Akten nach ergänzenden Untersuchungshandlungen am 14. November 2013 an das Bezirksgericht Zürich überwies.
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B. |
Am 24. Juni 2014 bestrafte das Bezirksgericht Zürich X.________ wegen Überschreitens der Höchstgeschwindigkeit mit einer Busse von Fr. 290.--. Dagegen erhob X.________ Berufung. Das Obergericht des Kantons Zürich stellte am 15. April 2015 das Verfahren gegen X.________ wegen Verjährung ein.
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C. |
Gegen dieses Urteil erhebt die Oberstaatsanwaltschaft Zürich Beschwerde in Strafsachen vor dem Bundesgericht. Sie verlangt die Aufhebung des obergerichtlichen Urteils und die Bestrafung von X.________, eventualiter eine Rückweisung der Sache an die Vorinstanz.
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Erwägungen: |
1. |
1.1. Die Beschwerdeführerin rügt, das Obergericht habe das Verfahren zu Unrecht wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung eingestellt und damit Bundesrecht verletzt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts (Urteil 6B_775/2009 vom 18. Februar 2010 E. 2.1) stelle eine Strafverfügung des Statthalteramtes ein erstinstanzliches Urteil im Sinne von Art. 97 Abs. 3 StGB dar, wenn sie auf einer umfassenden Grundlage beruht und in einem kontradiktorischen Verfahren erlassen wurde. Vorliegend habe das Stadtrichteramt am 12. Oktober 2011 einen Strafbefehl erlassen, wogegen der Beschwerdegegner Einsprache erhoben habe. Nach ergänzenden Untersuchungen habe das Stadtrichteramt am Strafbefehl festgehalten und das Verfahren am 14. November 2013 an das Gericht überwiesen. Spätestens ab diesem Tag laufe die Verjährung nicht mehr. Die Beschwerdeführerin weist darauf hin, dass Ziel und Zweck der Verjährungsreform gewesen sei, die Verjährung möglichst an einem einheitlich festgelegten prozessualen Punkt und unabhängig von Rechtsmittelwegen anzuknüpfen. Es sei unbestritten, dass der Inhalt des Entscheides (Einstellung des Verfahrens oder Strafbefehl) verjährungsrechtlich keine Rolle spiele. Ebenso werde anerkannt, dass Strafbefehle, welche in formelle Rechtskraft erwachsen, resolutiv bedingt auf den Zeitpunkt der Eröffnung die Verfolgungsverjährung unterbrechen, da sie von Gesetzes wegen Urteilen gleichgestellt sind. Dies müsse folgerichtig auch gelten, wenn gegen den Strafbefehl ein Rechtsmittel ergriffen werde.
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1.2. |
1.2.1. Bei der dem Beschwerdegegner zur Last gelegten Verkehrsregelverletzung handelt es sich um eine Übertretung. Übertretungen verjähren hinsichtlich Strafverfolgung und Strafe in drei Jahren (Art. 109 StGB). Die Verfolgungsverjährung tritt nicht mehr ein, wenn vor Ablauf dieser Frist ein erstinstanzliches Urteil ergangen ist (Art. 97 Abs. 3 StGB).
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Das Bundesgericht hielt in BGE 133 IV 112 E. 9.4.4 fest, dass eine Strafverfügung nach Art. 70 VStrR wie ein erstinstanzliches Urteil im Sinne von aArt. 70 Abs. 3 StGB (heute Art. 97 Abs. 3 StGB) zu behandeln sei. Es erwog, dass im Verwaltungsstrafverfahren der angeschuldigten Person weitgehende Mitwirkungsrechte eingeräumt würden. Gegen einen Strafbescheid der Verwaltung (Art. 64 VStrR) könne diese Einsprache erheben. Die Verwaltung habe alsdann den angefochtenen Bescheid neu zu prüfen und eine Strafverfügung nach Art. 70 VStrR zu treffen, welche zu begründen sei. Jeder Strafverfügung habe damit zwingend ein Strafbescheid voranzugehen, welcher wie ein Strafbefehl auf summarischer Grundlage getroffen werden könne. Die Strafverfügung müsse dagegen - einem erstinstanzlichen Urteil ähnlich - auf einer umfassenden Grundlage beruhen und werde in einem kontradiktorischen Verfahren erlassen. Der Erlass eines Strafbescheids nach Art. 64 VStrR weise somit Parallelen zum Strafbefehl auf. Die in Art. 70 VStrR geregelte Strafverfügung sei hingegen im Ergebnis einem gerichtlichen Entscheid gleichzustellen. Im Urteil 6B_775/2009 vom 18. Februar 2010 entschied das Bundesgericht, dass auch eine Strafverfügung nach dem kantonalen Strafprozessrecht als ein erstinstanzliches Urteil anzusehen sei, wenn sie auf einer umfassenden Grundlage beruht und in einem kontradiktorischen Verfahren erlassen wird (E. 2.1).
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In BGE 139 IV 62 erwog das Bundesgericht, dass in Fällen des Verwaltungsstrafrechts, in welchen das Einspracheverfahren nach Art. 71 VStrR übersprungen wird, nicht der Strafbescheid (Art. 64 VStrR), sondern das erste Urteil im gerichtlichen Verfahren (Art. 73 ff., Art. 79 VStrR) als erstinstanzliches Urteil im Sinne von Art. 97 Abs. 3 StGB zu qualifizieren sei, nach dessen Ausfällung vor Ablauf der Verjährungsfrist die Verjährung nicht mehr eintritt (E. 1.4.5). Ob dies folgerichtig auch gelte, wenn nach dem Strafbescheid eine Strafverfügung ergeht und die Rechtsprechung in diesem Sinne zu ändern wäre, liess das Bundesgericht offen (E. 1.4.6).
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1.2.2. Am 1. Januar 2011 ist die Schweizerische Strafprozessordnung (StPO) in Kraft getreten. Diese regelt einheitlich, dass ohne gültige Einsprache der Strafbefehl zum rechtskräftigen Urteil wird (Art. 354 Abs. 3 StPO). Die Einsprache ist kein Rechtsmittel, sondern ein Rechtsbehelf. Wird sie erhoben, fällt der Strafbefehl dahin (BGE 140 IV 82 E. 2.6; MICHAEL DAPHINOFF, Das Strafbefehlsverfahren in der Schweizerischen Strafprozessordnung, 2012, S. 553 f.). Einem Strafbefehl, gegen welchen Einsprache erhoben wurde, fehlt demnach die Urteilsqualität. Unabhängig davon, ob nach Einspracheerhebung weitere Untersuchungen stattfinden, kann ein solcher Strafbefehl kein "erstinstanzliches Urteil" im Sinne von Art. 97 Abs. 3 StGB sein. Bereits die Botschaft des Bundesrates vom 21. September 1998 zur Änderung des Strafgesetzbuches hielt in diesem Sinne fest, dass als "erstinstanzliches Urteil" auch ein Strafbefehl gilt, das nicht Gegenstand einer Einsprache war (BBl 1999 II 1979, 2134).
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Die dreijährige Verfolgungsverjährung war bereits eingetreten, als das Bezirksgericht Zürich am 24. Juni 2014 sein Urteil fällte. Die Beschwerde ist demnach abzuweisen.
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2. |
Der unterliegenden Staatsanwaltschaft sind keine Kosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 4 BGG). Dem Beschwerdegegner ist keine Entschädigung zuzusprechen, da ihm im bundesgerichtlichen Verfahren keine Umtriebe entstanden sind.
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
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2. Es werden keine Kosten erhoben.
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3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 15. Januar 2016
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Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Denys
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Der Gerichtsschreiber: Moses
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