BGer 12T_3/2015 |
BGer 12T_3/2015 vom 02.05.2016 |
{T 0/2}
|
12T_3/2015
|
Entscheid vom 2. Mai 2016
|
Verwaltungskommission
|
Besetzung
|
Bundesrichter Kolly, Präsident,
|
Bundesrichter Meyer,
|
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
|
Generalsekretär Tschümperlin.
|
Eidgenössische Schätzungskommission Kreis 10,
|
1. A.________,
|
2. B.________,
|
3. C.________,
|
Anzeigerin,
|
gegen
|
Bundesverwaltungsgericht, Verwaltungskommission,
|
Angezeigter.
|
Gegenstand
|
Aufsichtsanzeige (BGG); Personnelle Unterstützung der Eidgenössischen Schätzungskommission Kreis 10.
|
Sachverhalt: |
A. Die Eidgenössische Schätzungskommission Kreis 10 (ESchK 10) ist ein erstinstanzliches eidgenössisches Fachgericht in Enteignungssachen gemäss Bundesgesetz vom 20. Juni 1930 über die Enteignung (EntG, SR 711). Die ESchK 10 ist für das Gebiet des Kantons Zürich zuständig. Aufsichtsbehörde ist seit dem 1. Januar 2007 das Bundesverwaltungsgericht. Dieses hat die Aufgabe der Aufsichtsdelegation ESchK übertragen.
|
Bei den Eidgenössischen Schätzungskommissionen (ESchK) handelt es sich um Milizgerichte, deren Mitglieder (Präsident, Vizepräsident und Fachrichter) nebenamtlich tätig sind. Sie sind unabhängige und grundsätzlich selbstständige Organisationseinheiten, verfügen aber im Normalfall über kein eigenes Sekretariat. Für ihre Tätigkeit erhalten die Mitglieder und der Aktuar ein Taggeld.
|
B. Bei der ESchK 10 arbeitet der Präsident neben einer festen hauptberuflichen Tätigkeit zu 20% für die Schätzungskommission. Die erste Vizepräsidentin arbeitet hauptberuflich als Anwältin in einer Anwaltskanzlei. Der zweite Vizepräsident ist im Hauptberuf Dozent an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Daneben stehen der ESchK 10 aktuell zwei Jurastudenten je zu 20% als Aktuare zur Verfügung. Diese können vorwiegend für Abschreibungsentscheide, Protokollierungen und Administratives eingesetzt werden mit einem Pensum, das unterhalb der Schwelle für die Pensionskassenbeitragspflicht liegt. Die Studenten können jedoch nicht für die Redaktion von Schätzungsentscheiden eingesetzt werden.
|
C. Die ESchK 10 ist seit 1999 mit einer hohen Geschäftslast konfrontiert, insbesondere mit einer grossen Anzahl von Entschädigungsbegehren aus dem Betrieb des Flughafens Zürich. Dabei tritt die Flughafen Zürich AG als Enteignerin auf. Im Jahresbericht 2015 der ESchK 10 werden 1'581 hängige Verfahren ausgewiesen. Im Berichtsjahr sind weitere 163 Entschädigungsbegehren eingegangen.
|
D. Am 1. März 2012 erhob die Flughafen Zürich AG betreffend Kostenverfügung der ESchK 10 Beschwerde beim Bundesgericht gegen ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (1C_224/2012). In diesem Verfahren ging es unter anderem um die Frage der Kostentragungspflicht für die Bearbeitung von Enteignungsfällen der ESchK 10.
|
E. Am 8. Mai 2012 reichte die damalige Präsidentin der ESchK 10 beim Bundesgericht bezüglich der Organisation der ESchK 10 Aufsichtsanzeige ein. Sie forderte, es sei dafür zu sorgen, dass der Amtsbetrieb der ESchK 10 im Hinblick auf die Flughafenfälle unter finanzieller Verantwortung des Bundes professionell und unabhängig von der Enteignerseite ausgestaltet und sie persönlich von den unzumutbaren finanziellen Risiken des Amtes entlastet werde. Das Bundesgericht gab der Aufsichtsanzeige mit Entscheid vom 24. August 2012 keine Folge (12T_3/2012). Es verwies unter anderem auf die damals laufende Revision der Kostenverordnung.
|
F. Das Bundesgericht hat sich im Aufsichtsentscheid vom 24. August 2012 (12T_3/2012) und im Urteil der Ersten öffentlich-rechtlichen Abteilung vom 6. September 2012 (1C_224/2012) ausführlich mit der Situation der ESchK 10 befasst. Anhand der damaligen organisatorischen Probleme der ESchK 10 hat das Bundesgericht ausgeführt, dass bei diesen Schätzungskommissionen das heutige Milizsystem und die Kostenverordnung nicht ausreichen, um Massenverfahren zu bewältigen. Zudem müsse, wer die Voraussetzungen nach BVG erfülle, zwingend in der Pensionskasse des Bundes versichert werden. Das Bundesgericht hat festgehalten, dass den Präsidenten und anderen Mitgliedern der Schätzungskommissionen durch ihre Tätigkeit für die Eidgenossenschaft keine erheblichen finanziellen Risiken entstehen dürfen. Der Bund müsse alle Kosten übernehmen, die den Enteignern nicht auferlegt werden können. Auch müsse der Bund die Beiträge vorfinanzieren, die den Enteignern erst später auferlegt werden können (1C_224/2012, E. 7).
|
G. Im Februar 2013 beschloss der Bundesrat die Totalrevision der Kostenverordnung und setzte sie auf den 1. April 2013 in Kraft. Das Bundesgericht hatte in seiner Stellungnahme an das UVEK festgehalten, es sei dringend geboten, das Kostensystem bei den ESchK so umzustellen, dass der Bund den Aufwand für Löhne, Entschädigungen und Infrastruktur der ESchK trage. Der dringende gesetzgeberische Handlungsbedarf sei daher trotz Revision der Kostenverordnung gegeben.
|
Das UVEK schickte daraufhin am 1. Februar 2015 eine Vorlage in die öffentliche Anhörung, welche die Ablösung der Kostenverordnung vom Jahr 2013 durch zwei Verordnungen über Gebühren und Entschädigungen im Enteignungsverfahren vorsah. Das Bundesgericht, das Bundesamt für Justiz und die hauptsächlich betroffene ESchK 10 haben die Revisionsvorschläge grundsätzlich begrüsst. Aufgrund der Opposition des Bundesverwaltungsgerichts hat das UVEK die erneute Revision der Verordnung jedoch eingestellt.
|
H. Am 20. Juli 2015 reichte der Präsident der ESchK 10 A.________ (Anzeiger 1), deren erste Vizepräsidentin B.________ (Anzeigerin 2) und deren zweiter Vizepräsident C.________ (Anzeiger 3) eine erneute Aufsichtsanzeige beim Bundesgericht gegen das Bundesverwaltungsgericht ein. Sie stellen folgende Anträge:
|
1. Das Bundesverwaltungsgericht sei zu verpflichten, dem Beschwerdeführer 1 leihweise einen Angestellten für den Einsatz als Aktuar der ESchK 10 zur Verfügung zu stellen.
|
2. Im Hinblick auf diesen Einsatz seien unter anderem folgende Randbedingungen zu erfüllen:
|
- Der Einsatz sei vollzeitlich auszugestalten und für die Bearbeitung von Flughafenfällen vorzusehen.
|
- Der Einsatz habe bis zum Abbau der Pendenzenlast bei den Flughafenfällen auf ein milizübliches Mass zu dauern.
|
- Das Bundesverwaltungsgericht habe dieser Person während ihres ESchK-Einsatzes regelmässig den Lohn (inkl. aller Sozialleistungen) auszurichten und schliesslich die Einsatzkosten definitiv zu tragen, soweit diese nicht den Verfahrensparteien in den betroffenen Enteignungsverfahren überwälzt werden können.
|
3. Eventualiter habe das Bundesgericht die minimal gebotenen, personellen Entlastungsmassnahmen zu einem wirksamen Abbau der Pendenzenlast bei der ESchK 10 in Flughafenfällen festzulegen.
|
Im Grossen und Ganzen fordern die Anzeiger somit, dass ihnen eine Hilfskraft zur Seite gestellt wird, um die schleppende Fallerledigung anzukurbeln. Mit dieser zusätzlichen Arbeitskraft könnte die Kommission Entscheid-Gebühren einnehmen, welche wiederum für Salärzahlungen verwendet werden könnten. Mit den Sozialleistungen, die das Bundesverwaltungsgericht zu tragen habe, ist insbesondere auch die ungelöste Frage der Pensionskasse angesprochen.
|
I. Das Bundesverwaltungsgericht als Aufsichtsbehörde beantragt in seiner Stellungnahme vom 20. August 2015, der Aufsichtsbeschwerde keine Folge zu leisten. Die Aufsichtsdelegation ESchK habe Kenntnis von der grossen Geschäftslast und der schwierigen Lage der ESchK 10 und befasse sich regelmässig mit deren Situation. Sie unterstütze diese im Rahmen des Möglichen bei der Lösung von Problemen. Die Anstellung und die Ausleihe von Personal an eine Vorinstanz finde aber keine gesetzliche Grundlage.
|
J. Die Verwaltungskommission des Bundesgerichts hat das Bundesverwaltungsgericht in verschiedenen Gesprächen eingeladen, das Funktionieren der ESchK 10 mit eigenen Mitteln zu unterstützen. Anlässlich der Aufsichtssitzung vom 2. Oktober 2015 hat sie das Bundesverwaltungsgericht auf den Handlungsbedarf hingewiesen. Das aus dem Jahre 1930 stammende Enteignungsgesetz regle die Verwaltungszuständigkeiten letztlich ungenügend; die Bestimmungen müssten geltungszeitlich ausgelegt werden. Als mögliche Lösung wurde konkret vorgeschlagen, einen Gerichtsschreiber des Bundesverwaltungsgerichts temporär für sechs bis zwölf Monate der ESchK 10 zur Verfügung zu stellen. Namentlich könnte damit das Problem der Vorfinanzierung des Personals gelöst werden; das Kostenrisiko würde nicht mehr vom Anzeiger 1 persönlich getragen, sondern im Sinne des Urteils 1C_224/2012 vom 6. September 2012 von der Gerichtskasse des Bundesverwaltungsgerichts.
|
Das Bundesgericht hat aber ebenfalls betont, dass der Variantenentscheid als direkter Aufsichtsbehörde dem Bundesverwaltungsgericht obliege.
|
K. Die Verwaltungskommission des Bundesverwaltungsgerichts hat diesen Vorschlag der Aufsichtsdelegation unterbreitet. In der Folge hat sich der Generalsekretär des Bundesverwaltungsgerichts am 3. November 2015 mit dem Anzeiger 1 getroffen, um mögliche Lösungen zu besprechen.
|
L. Am 14. Dezember 2015 fand eine Sitzung zwischen der ESchK 10, der Flughafen Zürich AG und der Aufsichtsdelegation statt. Anlässlich dieser Sitzung wiederholte der Anzeiger 1, dass er grundsätzlich bereit wäre, mehr für die ESchK zu arbeiten, wenn es eine Pensionskassenlösung gäbe. Hierfür wurden verschiedene Möglichkeiten diskutiert. Die in Aussicht genommene Pensionskasse erklärte später, sie würde den Anzeiger 1 nur aufnehmen, wenn die Ausgleichskasse des Kantons Zürich seine Tätigkeit für die ESchK 10 als selbstständig anerkenne. Letztere betrachtete diese Tätigkeit jedoch als unselbstständig, weshalb diese Lösung ausschied.
|
Im Nachgang zur erwähnten Sitzung erklärte der Anzeiger 3 seinen Rücktritt als Vizepräsident der ESchK 10 auf Ende Mai 2016.
|
M. An der Sitzung der Verwaltungskommission des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Januar 2016 wurden erneut verschiedene Möglichkeiten behandelt, der ESchK 10 für die Anhandnahme ihrer Pendenzen eine Lösung aufzuzeigen.
|
Gleichentags präsentierte der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts den Vorschlag der Aufsichtsdelegation. Schliesslich wurde vereinbart, dass die Aufsichtsdelegation mit dem Anzeiger 1 das Gespräch suche, um von ihm die Zusage für die Erhöhung seines Pensums zu erhalten und ihn zu überzeugen, einen Gerichtsschreiber über ein Temporärbüro anzustellen. Zudem wurde vereinbart, schnellstmöglich eine Lösung für die fehlende Pensionskassenversicherung der drei Anzeiger zu finden.
|
N. Am 23. März 2016 fand am Bundesgericht eine Besprechung des Präsidenten und des Vizepräsidenten des Bundesgerichts mit dem Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts und der Präsidentin der Aufsichtsdelegation des Bundesverwaltungsgerichts statt.
|
Am 14. April 2016 trafen sich die Mitglieder der Aufsichtsdelegation mit dem Anzeiger 1. Gleichentags fasste die Aufsichtsdelegation verschiedene Beschlüsse zur Bewältigung der Arbeitslast. Danach sollte der Anzeiger 1 unter anderem seine Tätigkeit spätestens bis am 1. August 2016 im erforderlichen Umfang erhöhen und mit der Anzeigerin 2 klären, inwieweit diese ihr Pensum für die ESchK 10 erhöhen könne. Zudem sollte er bis zum 1. Juni 2016 seine konkreten Bedürfnisse an Hilfskräften definieren, die erforderlichen Hilfskräfte suchen und befristet anstellen. Für administrative Hilfestellungen im Rahmen der Rekrutierung stehe der Personaldienst des Bundesverwaltungsgerichts zur Verfügung.
|
O. Am 21. April 2016 erklärte der Anzeiger 1 seinen Rücktritt als Präsident der ESchK 10 auf Ende Dezember 2016. Als Begründung gab er unter anderem die grundlegenden Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und der Aufsichtsdelegation des Bundesverwaltungsgerichts über die sachgerechte Führung der ESchK 10 und die Tragweite des damit im Zusammenhang stehenden Milizprinzips an. Die von der Aufsichtsdelegation angeordnete Erhöhung seines Pensums für die ESchK auf 40% könne er sich ohne Pensionskasse nicht leisten.
|
Erwägungen: |
1. Beim vorliegenden Verfahren handelt es sich um eine Aufsichtsanzeige im Sinne von Art. 1 Abs. 2Bundesgerichtsgesetz (BGG; SR 173.110), Art. 3 lit. f Aufsichtsreglement des Bundesgerichts (AufRBGer; SR 173.110.132) und Art. 3 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsgesetz (VGG; SR 173.32) i.V.m. Art. 71 Abs. 1 Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren (VwVG; SR 172.021).
|
2. Gegenstand der Aufsichtsanzeige vom 20. Juli 2015 ist in der Hauptsache die personelle Unterstützung der Schätzungskommission.
|
Auf welche Weise eine als notwendig anerkannte personelle Unterstützung bei einer Schätzungskommission realisiert wird, ist grundsätzlich Sache des Bundesverwaltungsgerichts. Das Bundesgericht prüft als Aufsichtsbehörde über das Bundesverwaltungsgericht nicht, welche von mehreren möglichen Massnahmen besser geeignet wäre.
|
3. Das Bundesgericht hat Kenntnis von den Rücktritten des Präsidenten und des zweiten Vizepräsidenten genommen. Die mit der Aufsichtsanzeige thematisierte Ressourcenfrage stellt sich mit diesen Rücktritten bzw. der Wahl von noch unbekannten Nachfolgern völlig neu. Die Aufsichtsanzeige ist deshalb abzuschreiben.
|
4. Aufsichtsbeschwerden sind grundsätzlich kostenlos. Die Voraussetzungen für eine Ausnahme gemäss Art. 10 der Verordnung über Kosten und Entschädigungen im Verwaltungsverfahren (SR 172.041.0) sind vorliegend nicht gegeben.
|
Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Aufsichtsanzeige wird abgeschrieben.
|
2. Es werden keine Kosten erhoben.
|
3. Dieser Entscheid wird dem Bundesverwaltungsgericht schriftlich mitgeteilt. Der Anzeigerin wird eine Orientierungskopie zugestellt.
|
Lausanne, 2. Mai 2016
|
Im Namen der Verwaltungskommission
|
des Schweizerischen Bundesgerichts
|
Der Präsident: Kolly
|
Der Generalsekretär: Tschümperlin
|