BGer 1B_122/2016
 
BGer 1B_122/2016 vom 21.03.2017
{T 0/2}
1B_122/2016
 
Urteil vom 21. März 2017
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Fonjallaz, Eusebio, Chaix, Kneubühler,
Gerichtsschreiber Härri.
 
Verfahrensbeteiligte
Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, 4502 Solothurn,
Beschwerdeführerin,
gegen
A.________,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Advokat Alain Joset.
Gegenstand
Strafverfahren; Observation,
Beschwerde gegen das Urteil vom 3. Februar 2016
des Obergerichts des Kantons Solothurn, Beschwerdekammer.
 
Sachverhalt:
A. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn führt eine Strafuntersuchung gegen A.________ und B.________ (im Folgenden: die Beschuldigten). Sie wirft ihnen vor, ihren im Mai 2010 geborenen gemeinsamen Sohn am 26. Juli 2010 vorsätzlich getötet zu haben. Schon ab einem Zeitpunkt kurz nach der Geburt hätten sie dem Sohn zudem vorsätzlich verschiedene schwere und einfache Körperverletzungen zugefügt. Überdies hätten die Beschuldigten ihrer im Februar 2012 geborenen gemeinsamen Tochter, als diese ca. 7 Wochen alt gewesen sei, eine schwere Körperverletzung zugefügt. Die bei der Tochter festgestellten medizinischen Befunde seien typisch für ein Schütteltrauma. Am 27. April 2012 habe die Tochter neurochirurgisch operiert werden müssen.
B. Am 22. Oktober 2013 ordnete die Staatsanwaltschaft die Observation von A.________ an, um ein Bewegungsbild von dieser, insbesondere Angaben zum Wohn- und Arbeitsort, zu erhalten. Die Staatsanwaltschaft befristete die Massnahme bis zum 8. November 2013.
In der Folge verlängerte die Staatsanwaltschaft mit mehreren Verfügungen jeweils die Observation. Diese dauerte gesamthaft vom 22. Oktober 2013 bis zum. 13. Juni 2014.
C. Am 20. August 2015 brachte die Staatsanwaltschaft A.________ die Observation zur Kenntnis.
Am 3. September 2015 erhob A.________ gegen die Observation Beschwerde.
Am 3. Februar 2016 hiess das Obergericht des Kantons Solothurn (Beschwerdekammer) die Beschwerde gut und hob die Observationsanordnungen auf. Es befand, die Observation sei unverhältnismässig gewesen.
D. Die Staatsanwaltschaft, vertreten durch den Oberstaatsanwalt, führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, den Entscheid des Obergerichts aufzuheben und die Beschwerde von A.________ vom 3. September 2015 abzuweisen. Eventualiter sei der Entscheid des Obergerichts aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an dieses zurückzuweisen.
E. Das Obergericht beantragt unter Hinweis auf seinen Entscheid die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.
A.________ hat sich vernehmen lassen mit dem Antrag, auf die Beschwerde nicht einzutreten; eventualiter sei sie abzuweisen.
 
Erwägungen:
 
1.
1.1. Die Beschwerdegegnerin bringt vor, die Beschwerdeführerin habe kein aktuelles rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids (Vernehmlassung S. 2 Ziff. 3).
1.2. Gemäss Art. 81 Abs. 1 ist zur Beschwerde in Strafsachen berechtigt, wer: a. vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat (...); und b. ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat, insbesondere die Staatsanwaltschaft (Ziff. 3).
Das rechtlich geschützte Interesse muss ein aktuelles sein. Das Bundesgericht entscheidet keine lediglich theoretischen Fragen. Sein Entscheid muss vielmehr eine praktische Auswirkung haben. Auch die Beschwerdeführung durch die Staatsanwaltschaft setzt ein aktuelles praktisches Interesse voraus (BGE 137 IV 87 E. 1 S. 88 f. mit Hinweisen).
1.3. Nach der Rechtsprechung muss der Beschwerdeführer - wenn das nicht offensichtlich ist - darlegen, inwiefern die Eintretensvoraussetzungen erfüllt sind (BGE 137 III 324 E. 1.1 S. 329; 134 II 120 E. 1 S. 121). Er muss insbesondere sagen, weshalb ein aktuelles Interesse bestehen soll.
Die Beschwerdeführerin legt nicht dar, inwiefern sie ein aktuelles praktisches Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids habe. Auf die Beschwerde könnte somit nur eingetreten werden, wenn das offensichtlich wäre. Dies trifft nicht zu. Im Gegenteil ist davon auszugehen, dass es am aktuellen praktischen Interesse fehlt.
Die Beschwerdeführerin ordnete die Observation der Beschwerdegegnerin gemäss Art. 282 f. StPO an. Die Beschwerdeführerin tat dies nach ihren eigenen Angaben einzig zwecks Vorbereitung des Einsatzes der verdeckten Ermittler. Die Beschwerdeführerin wollte ein Bewegungsprofil der Beschwerdegegnerin erstellen (Wohnort, Arbeitsort usw.), um die verdeckten Ermittler gezielt an sie heranführen zu können. Die Beschwerdeführerin erhob mit der Observation keine Beweise. Entsprechend hat die Vorinstanz auch keine Beweise als unverwertbar bezeichnet. Unter diesen Umständen ist nicht ersichtlich, welchen praktischen Vorteil die Gutheissung der Beschwerde der Beschwerdeführerin bringen könnte. Ihre Stellung im Strafverfahren würde dadurch nicht verbessert. Die Frage der Zulässigkeit der Observation ist somit lediglich theoretischer Natur.
1.4. Das Bundesgericht sieht vom Erfordernis des aktuellen praktischen Interesse ab, wenn sich die aufgeworfenen Fragen unter gleichen oder ähnlichen Umständen jederzeit wieder stellen können, eine rechtzeitige Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre und die Beantwortung wegen deren grundsätzlicher Bedeutung im öffentlichen Interesse liegt (BGE 142 I 135 E. 1.3.1 S. 143 mit Hinweisen).
Die Vorinstanz verneint die Verhältnismässigkeit der Observation. Die Vorinstanz ist insbesondere der Auffassung, die Observation sei nicht erforderlich gewesen, da weniger weit gehende Massnahmen zur Verfügung gestanden wären. Insoweit geht es um keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern um die Würdigung der Umstände des Einzelfalles. Die Voraussetzungen, unter denen das Bundesgericht vom Erfordernis des aktuellen praktischen Interesses absieht, sind hier damit nicht erfüllt.
1.5. Auf die Beschwerde wird deshalb nicht eingetreten.
2. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton hat dem Vertreter der Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung nach Art. 64 BGG ist damit hinfällig.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3. Der Kanton Solothurn hat dem Vertreter der Beschwerdegegnerin, Advokat Alain Joset, eine Parteientschädigung von Fr. 1'500.-- zu bezahlen.
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Solothurn, Beschwerdekammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 21. März 2017
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Merkli
Der Gerichtsschreiber: Härri