BGer 8C_776/2017 |
BGer 8C_776/2017 vom 30.05.2018 |
8C_776/2017 |
Urteil vom 30. Mai 2018 |
I. sozialrechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter Maillard, Präsident,
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Bundesrichter Frésard, Wirthlin,
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Gerichtsschreiber Hochuli.
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Verfahrensbeteiligte |
vertreten durch Rechtsanwalt Markus Zimmermann,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Unfallversicherung (Invalidenrente; Arbeitsunfähigkeit),
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Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 19. September 2017 (VBE.2017.325).
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Sachverhalt: |
A. |
A.a. A.________ arbeitete seit 2015 als Ressortleiter Logistik des Spitals B.________ und war in dieser Eigenschaft bei der Unfallversicherung der Stadt Zürich (nachfolgend: UVZ oder Beschwerdegegnerin) obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen und Berufskrankheiten versichert. Seit Januar 2014 war er ambulant in spezialärztlicher Abklärung und Behandlung in der HNO-Klinik am Spital C.________ wegen einer seit der Kindheit bestehenden Taubheit rechts. Am 10. April 2015 wurde ihm deshalb eine knochenverankerte Titanschraube für einen Oticon Pronto Plus Audioprozessor rechts implantiert. Bei einer Bauabnahme liess ein Arbeiter am 9. Juli 2015 ein Eisenblech auf eine Stahlplatte fallen, wobei der Versicherte ein Knalltrauma erlitt. Anlässlich der ärztlichen Erstbehandlung diagnostizierte Dr. med. D.________, am 14. Juli 2015 eine anhaltende Hörminderung und einen Tinnitus links. Die UVZ lehnte eine Leistungspflicht mangels Erreichens der erforderlichen Lautstärke des Knalles ab (Verfügung vom 17. November 2015). Die vom zuständigen Krankenpflegeversicherer und vom Versicherten erhobenen Einsprachen wies die UVZ ab (Einspracheentscheide vom 13. Januar 2016). Die hiegegen von beiden Einsprechern erhobenen Beschwerden hiess das Versicherungsgericht des Kantons Aargau teilweise gut, hob die Einspracheentscheide auf und wies die Sache zur weiteren Abklärung und zum Neuentscheid über die Leistungspflicht an die UVZ zurück (Entscheid vom 1. Juni 2016).
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A.b. Nach Einholung eines akustischen Gutachtens sowie gestützt auf das othorhinolaryngologische Gutachten des Dr. med. E.________ vom 28. November 2016 (nachfolgend: ORL-Gutachten) anerkannte die UVZ ihre Leistungspflicht nach UVG für die Folgen des Knalltraumas vom 9. Juli 2015. Für die dem Versicherten dauerhaft verbleibende unfallbedingte Beeinträchtigung seiner gesundheitlichen Unversehrtheit sprach ihm die UVZ mit Verfügung vom 6. Dezember 2016 eine Integritätsentschädigung basierend auf einer Integritätseinbusse von 5% zu. Im Übrigen schloss die UVZ den Fall folgenlos ab und hielt mit Einspracheentscheid vom 1. März 2017 daran fest.
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B. Dagegen beantragte A.________ beschwerdeweise, ihm seien unter Aufhebung des Einsprachenentscheides vom 1. März 2017 die gesetzlichen Leistungen, insbesondere eine Invalidenrente nach UVG basierend auf einer unfallbedingten Erwerbseinbusse von mindestens 10% zuzusprechen. Eventualiter sei die Sache zur weiteren Abklärung an die UVZ zurückzuweisen. Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wies die Beschwerde ab (Entscheid vom 19. September 2017).
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C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten hält A.________ unter Aufhebung des angefochtenen Gerichtsentscheids an seinen vorinstanzlichen Rechtsbegehren fest.
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Während die UVZ auf Beschwerdeabweisung schliesst, verzichten das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und die Vorinstanz auf eine Vernehmlassung.
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Erwägungen: |
1. |
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).
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1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).
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2. Strittig ist, ob die Vorinstanz zu Recht den am 6. Dezember 2016 verfügten und mit Einspracheentscheid vom 1. März 2017 bestätigten Fallabschluss geschützt und insbesondere einen Rentenanspruch verneint hat.
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2.1. Soweit die UVZ dem Versicherten für die ihm aus dem Unfall vom 9. Juli 2015 dauerhaft verbleibenden unfallbedingten Einschränkungen seiner gesundheitlichen Unversehrtheit eine Integritätsentschädigung basierend auf einer Integritätseinbusse von 5% zuerkannt hat, erhebt der Beschwerdeführer vor Bundesgericht hiegegen keine Einwände. Vielmehr sind sich alle Beteiligten einig, dass hinsichtlich Diagnose, Kausalität, ärztlicher Behandlung und Integritätsschaden auf das diesbezüglich beweiskräftige ORL-Gutachten abzustellen ist. Demnach ist die Zusprache einer Integritätsentschädigung von 5% nach der mit Einspracheentscheid vom 1. März 2017 bestätigten Verfügung vom 6. Dezember 2016 insoweit unangefochten in Teilrechtskraft erwachsen (BGE 119 V 347 E. 1b S. 350; Urteil 8C_665/2016 vom 24. November 2016 E. 2).
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2.2. Zu prüfen ist demgegenüber die Arbeitsfähigkeitsbeurteilung. Fest steht diesbezüglich, dass gemäss ORL-Gutachten der Tinnitus und die Hörverminderung im Hochtonbereich links als unfallbedingte Gesundheitsschäden bis heute anhaltende Hörbeeinträchtigungen zur Folge haben, wobei deren Intensität variiert. Infolge des Tinnitus könne der Versicherte schlechter einschlafen und weniger an sozialen Anlässen teilnehmen. Wegen Problemen beim Verstehen in Sitzungen und einer verminderten Konzentrationsfähigkeit müsse er seinen Arbeitstag anders gestalten. Er könne nicht mehr an zu vielen Sitzungen pro Tag teilnehmen. Auch das klare Zuhören und Mitverfolgen von Konversationen sei eingeschränkt. Ebenso störe das Ohrgeräusch beim Lesen und Schreiben. Laut ORL-Gutachter hat der unfallbedingte Gehörschaden Einschränkungen der Konzentrationsfähigkeit, der Anpassungsfähigkeit (bei Stresssituationen) und der Belastbarkeit (reduzierte Arbeitsmenge pro Zeiteinheit) zur Folge.
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2.3. Gemäss ORL-Gutachten hatte der Beschwerdeführer "deswegen [...] seine Arbeit
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3.
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3.1. Verwaltung und Vorinstanz stellten - auch in Bezug auf die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit - auf das ORL-Gutachten ab. Sie gingen davon aus, der Beschwerdeführer habe sein Arbeitspensum ohne gesundheitsbedingte Veranlassung aus freien Stücken auf 90% reduziert und erleide daher keine unfallbedingte Einschränkung der Leistungsfähigkeit.
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3.2. Demgegenüber macht der Versicherte geltend, er habe sein Vollzeit-Arbeitspensum als Leiter des Ressorts Logistik des Spitals B.________ mit mehrmals täglich erforderlichen Besprechungen infolge seiner unfallbedingten Gehörseinschränkungen umstrukturieren und das Pensum von 100 auf 90% reduzieren müssen. Dies gehe zweifelsfrei aus der Gesprächsnotiz vom 23. Oktober 2015 zur Vereinbarung der Pensumsreduktion zwischen ihm und seinem Vorgesetzten hervor.
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4.
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4.1. Weder die UVZ noch das kantonale Gericht würdigte diese unbestritten echtzeitlich erstellte und vom Beschwerdeführer und seinem Vorgesetzten handschriftlich unterzeichnete Gesprächsnotiz mit einem einzigen Wort. Stattdessen verwiesen sie auf das ORL-Gutachten sowie darauf, dass der Gutachter das Wort "freiwillig" sogar durch Unterstreichung hervorgehoben habe. Gemäss angefochtenem Entscheid ist der Versicherte - bezogen auf sein freiwillig auf 90% reduziertes Arbeitspensum - weder arbeits- noch erwerbsunfähig.
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4.2. Das Hörvermögen des Beschwerdeführers ist einerseits durch die vorbestehende Taubheit rechts und andererseits durch den erheblichen unfallbedingten Tinnitus sowie die Hörverminderung im Hochtonbereich links beeinträchtigt. Soweit er jedoch unter Berufung auf die aktuellsten Messungen (Ton-Audiogramm vom 14. März 2017) eine Verschlimmerung des Gesundheitszustandes seit der ORL-Begutachtung im November 2016 sowie eine stationäre Behandlungsbedürftigkeit im April 2017 geltend macht, betrifft dies die Sachverhaltsentwicklung nach Erlass des Einspracheentscheides. Insoweit hat die Vorinstanz zutreffend erkannt, dass diese Umstände im vorliegenden Verfahren praxisgemäss der richterlichen Überprüfungsbefugnis - infolge der zeitlichen Grenze bei Erlass des Einspracheentscheides - entzogen bleiben (BGE 143 V 409 E. 2.1 S. 411; 129 V 167 E. 1 S. 169; je mit Hinweis). Die Leistungspflicht der UVZ für die nach Erlass des Einspracheentscheides geltend gemachte Verschlechterung des Gesundheitszustandes wird gegebenenfalls im Rahmen der Anmeldung eines Rückfalles zu prüfen sein.
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4.3. Aufgrund des - unbestrittenermassen als beweiskräftig geltenden - ORL Gutachtens steht hinsichtlich der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit fest, dass der Versicherte insbesondere angesichts des Anforderungsprofils bei seiner angestammten Tätigkeit in leitender Stellung täglich mehrmals während Sitzungen und Besprechungen auf ein funktionierendes Gehör angewiesen ist. Auch nach Einschätzung des ORL-Guachters ist der Beschwerdeführer unfallbedingt hinsichtlich des Konzentrationsvermögens, der Anpassungsfähigkeit und der Belastbarkeit ausdrücklich eingeschränkt (vgl. E. 2.2 hievor). Unter diesen Umständen verletzt die vorinstanzliche Beweiswürdigung Bundesrecht, indem Verwaltung und Vorinstanz der vom Versicherten mit Einsprache vom 20. Januar 2017 eingereichten Gesprächsnotiz betreffend Begründung der Reduktion des Arbeitspensums keinerlei Beachtung schenkten. Der Vergleich des Wortlautes dieser Gesprächsnotiz vom 23. Oktober 2015 mit dem ORL-Gutachten (S. 5) lässt vielmehr darauf schliessen, dass der ORL-Gutachter genau diese Einschränkungen, welche den Beschwerdeführer zur Pensumsreduktion von 100 auf 90% veranlassten, als unfallbedingte Limitierungen der Leistungsfähigkeit anerkannt hat.
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4.4. War der Versicherte demnach infolge seiner unfallbedingten Einschränkung der "Arbeitsmenge pro Zeit" zu einer Pensumsreduktion von 10% gezwungen, ist davon auszugehen, dass diese unfallbedingte Einschränkung der Leistungsfähigkeit in der angestammten Tätigkeit auch der entsprechenden unfallbedingten Erwerbseinbusse entspricht. Der angefochtene Gerichts- und der Einspracheentscheid vom 1. März 2017 sind folglich aufzuheben und die Sache zur Festsetzung von Beginn und Umfang des Rentenanspruchs nach UVG an die UVZ zurückzuweisen.
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5. Der obsiegende Beschwerdeführer hat Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 BGG) zulasten der Beschwerdegegnerin, welche überdies die Gerichtskosten zu tragen hat (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 19. September 2017 und der Einspracheentscheid der Unfallversicherung Stadt Zürich vom 1. März 2017 werden aufgehoben. Die Sache wird an die Unfallversicherung Stadt Zürich zurückgewiesen, damit sie über den Anspruch des Beschwerdeführers auf eine Invalidenrente nach UVG neu verfüge.
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2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
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3. Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.
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4. Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons Aargau zurückgewiesen.
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5. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
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Luzern, 30. Mai 2018
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Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Maillard
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Der Gerichtsschreiber: Hochuli
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