BGer 6B_821/2018
 
BGer 6B_821/2018 vom 26.10.2018
 
6B_821/2018
 
Urteil vom 26. Oktober 2018
 
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Rüedi,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiber Traub.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführer,
gegen
Amt für Justizvollzug des Kantons Thurgau Vollzugs- und Bewährungsdienste, Zürcherstrasse 194a, 8510 Frauenfeld,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Anordnung einer Zwangsmedikation,
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 15. August 2018 (VG.2018.72/E).
 
Erwägungen:
 
1.
1.1. Das Obergericht des Kantons Thurgau verurteilte X.________ wegen versuchter eventualvorsätzlicher Tötung, Veruntreuung und Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren. Gleichzeitig ordnete es eine stationäre Massnahme nach Art. 59 StGB an (Entscheid vom 24. April 2017). Das Bundesgericht wies die dagegen erhobene Beschwerde ab, soweit es auf sie eintrat (Urteil 6B_864/2017 vom 5. Oktober 2017).
1.2. Im Rahmen des Massnahmenvollzugs empfahlen die Universitären Psychiatrischen Dienste (UPD) Bern den "Versuch einer massnahmeninduzierten antipsychotischen Medikation". Das Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau bestätigte die neuroleptische Zwangsmedikation, welche das Amt für Justizvollzug (AJV) des Kantons Thurgau am 17. Mai 2018 für die Dauer von vorderhand sechs Monaten angeordnet hatte (Entscheid vom 8. Juni 2018).
1.3. Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau wies die gegen den Entscheid vom 8. Juni 2018 erhobene Beschwerde ab, soweit es auf sie eintrat (Beschluss vom 15. August 2018).
1.4. X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er verlangt, die Massnahme (Zwangsmedikation) sei aufzuheben. Ausserdem ersucht er um Bestellung einer amtlichen Rechtsvertretung. Das Bundesgericht teilte ihm mit, es sei ihm überlassen, einen Anwalt zu mandatieren. Daraufhin wandte sich X.________ mit weiteren Eingaben vom 11. und 19. September 2018 an das Bundesgericht. Die Letztere ist verspätet (Art. 100 Abs. 1 BGG).
 
2.
2.1. Die Vollzugsbehörden sind für die Anordnung einer Zwangsmedikation zuständig, wenn sie dem Massnahmezweck und der Behandlungsart entspricht, die der Richter im Strafurteil vorgezeichnet hat (BGE 130 IV 49 E. 3). Die funktionellen Zuständigkeitsvoraussetzungen sind gegeben (dazu das den Beschwerdeführer betreffende Urteil 6B_864/2017 vom 5. Oktober 2017 E. 2.3 zweiter Abs.).
2.2. Die Anordnung einer Zwangsmedikation während eines strafrechtlichen Massnahmevollzugs ist ein Entscheid über den Vollzug von Massnahmen im Sinne von Art. 78 Abs. 2 lit. b BGG. Dagegen kann Beschwerde in Strafsachen erhoben werden. Zuständig ist die Strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts (Urteil 6B_1126/2016 vom 10. Oktober 2016 E. 1.3).
 
3.
Nach Art. 41 Abs. 1 BGG bestellt das Gericht einer Partei einen Anwalt, wenn sie offensichtlich nicht imstande ist, ihre Sache selber zu führen und sie, nach entsprechender Aufforderung, nicht von sich aus einen Vertreter beizieht. Der Beschwerdeführer konnte verständlich machen, was er mit dem Verfahren erreichen will. Das Gesuch um Einsetzung eines amtlichen Anwalts ist abzuweisen. Wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerdeführung (dazu unten E. 4) fällt auch die Beigabe eines unentgeltlichen Rechtsanwalts nach Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG ausser Betracht (vgl. Urteil 6B_516/2018 vom 29. August 2018 E. 7).
 
4.
4.1. Der Beschwerdeführer bestreitet zunächst die medizinische Begründetheit der Zwangsmedikation. Er sei nicht krank. Im Rahmen der stationären Behandlung willige er nur in psychologische Gespräche und Bewährungshilfe ein. Zu prüfen sei eine "freiwillige Verwahrung" ohne Psychopharmaka und persönlichkeitsverändernde Drogen. Das zwangsweise verabreichte Medikament zeitige starke Nebenwirkungen wie einen zeitweisen Kontrollverlust und Suizidgedanken, schwere Schlaf- und Sehstörungen, Müdigkeit und Depressivität. Weiter stellt er die gesetzliche Grundlage der Massnahme infrage und macht eine Verletzung von verschiedenen Verfassungsbestimmungen geltend. Die Behörden hätten sich unzulässiger Mittel bedient, um ihn zur verweigerten medikamentösen Therapie zu bewegen. Die Zwangsmedikation sei unverhältnismässig, das heisst weder zielführend noch erforderlich.
4.2. Soweit sich die Ausführungen des Beschwerdeführers auf die streitgegenständliche Zwangsmedikation beziehen, setzt er sich kaum direkt mit den vorinstanzlichen Erwägungen auseinander. Seine Vorbringen genügen den Begründungsanforderungen grundsätzlich nicht (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG). Insoweit kann auf das Rechtsmittel nicht eingetreten werden.
4.3. Im Übrigen hat die Vorinstanz im angefochtenen Beschluss berücksichtigt, dass eine medikamentöse Zwangsbehandlung einen schweren Eingriff in die persönliche Freiheit darstellt. Die Voraussetzungen für einen solchen Eingriff seien indes erfüllt. Art. 59 StGB sei eine ausreichende gesetzliche Grundlage für ärztliche Zwangsmassnahmen, mithin auch für die zwangsweise Verabreichung von Psychopharmaka. Ausserdem werde die Zwangsmedikation auch in § 57a Abs. 2 der kantonalen Justizvollzugsverordnung vorgesehen. Der Beschwerdeführer leide an paranoider Schizophrenie und habe keine Einsicht in die Krankheit als solche und in die Notwendigkeit ihrer Behandlung. Im Strafverfahren sei die psychiatrische Sachverständige von einer hohen Rückfallgefahr in Bezug auf Gewaltdelikte und von einem erhöhten Risiko für Brandstiftung ausgegangen. Die diagnostizierte schwere psychische Störung sei diesbezüglich ein "stark ungünstiger Faktor". Das Leiden sei nach fachärztlicher Einschätzung grundsätzlich behandelbar, dies mit einem Neuroleptikum. Ungünstig sei im Fall des Beschwerdeführers die langjährig fehlende Behandlung der Psychose. Während der stationären therapeutischen Massnahme (Art. 59 StGB) habe es der Beschwerdeführer konsequent abgelehnt, die Medikamente einzunehmen. Dabei habe die Wahnproblematik eine wichtige Rolle gespielt.
Die vorhandene schwere psychische Störung beeinflusst nach Erkenntnis der Vorinstanz das deliktische Verhalten; das wirke sich auf das Rückfallrisiko aus. Ohne medikamentöse Behandlung werde sich daran nichts ändern. Mit der angestrebten neuroleptischen Medikation bessere sich die Legalprognose möglicherweise. Dies wiederum erhöhe die Chancen auf eine Aufhebung der Massnahme resp. auf eine Vollzugslockerung. Es sei nicht ersichtlich, welche ebenso geeignete mildere Massnahme zur Verfügung stehen könnte. Der Beschwerdeführer lehne die Medikation aufgrund seiner fehlenden Krankheitseinsicht ab. Die möglichen Nebenwirkungen erschienen verglichen mit dem möglichen Therapieerfolg nicht als derart gravierend, dass sie einer Zwangsmedikation von vornherein entgegenstehen. Es sei davon auszugehen, dass die UPD das medizinisch Nötige vorkehren, sollten sich stärkere Nebenwirkungen einstellen. Die für sechs Monate angeordnete neuroleptische Zwangsmedikation sei daher rechtmässig.
4.4. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts stellt die medikamentöse Zwangsbehandlung einen schweren Eingriff in die körperliche und geistige Integrität (Art. 10 Abs. 2 BV und Art. 8 Ziff. 1 EMRK) dar; sie betrifft die menschliche Würde (Art. 7 BV) zentral (BGE 127 I 6 E. 5 S. 10; 130 I 16 E. 3 S. 18). Davon ist auch die Vorinstanz ausgegangen. Nebst der - mit Blick auf den schweren Grundrechtseingriff - erforderlichen formellgesetzlichen Grundlage, die vorliegend in Art. 59 StGB enthalten ist (BGE 134 I 221 E. 3.3.2 S. 228 unten; 130 IV 49 E. 3.3 S. 52; Urteil 5A_96/2015 vom 26. Februar 2015 E. 4.1; vgl. auch § 57a Abs. 2 Ziff. 1 der kantonalen Justizvollzugsverordnung), verlangt der Eingriff eine vollständige und umfassende Interessenabwägung. Zu berücksichtigen sind dabei die öffentlichen Interessen, die Notwendigkeit der Behandlung, die Auswirkungen einer Nichtbehandlung, die Prüfung von Alternativen sowie die Beurteilung von Selbst- und Fremdgefährdung (BGE 130 I 16 E. 4 und 5). In diese Interessenabwägung miteinzubeziehen sind nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung insbesondere auch langfristige Nebenwirkungen einer zwangsweise vorgesehenen Neuroleptika-Behandlung (BGE 130 I 16 E. 5.3 S. 21).
Vorliegend ist der in Art. 59 StGB verlangte Deliktsbezug gegeben. Die Zwangsbehandlung dient dem Massnahmezweck (vgl. oben E. 2.1). Hierin liegt auch das öffentliche Interesse an der strittigen Vorkehr. Dem Prinzip der Verhältnismässigkeit folgend wurde zuerst versucht, den Beschwerdeführer zur freiwilligen Einnahme der Medikamente zu bewegen. Nachdem diese Versuche gescheitert sind, geht die Vorinstanz zu Recht davon aus, dass die Zwangsmedikation die einzige erfolgversprechende Behandlungsart darstellt (vgl. in BGE 130 IV 49 nicht publ. E. 4.3 von Urteil 6A.2/2004 vom 21. Juli 2004). Für das Weitere kann auf die Erwägungen im angefochtenen Beschluss verwiesen werden (Art. 109 Abs. 3 BGG). Insbesondere hat die Vorinstanz auch vorausgesetzt, dass der Problematik der schweren Nebenwirkungen im Rahmen der Behandlung Rechnung getragen wird.
Soweit sich der Beschwerdeführer auf eine Reihe von Grundrechten beruft, genügen die entsprechenden Vorbringen dem strengen Rügeprinzip nach Art. 106 Abs. 2 BGG nicht (BGE 140 III 264 E. 2.3 S. 266 mit Hinweisen).
 
5.
Nach dem Gesagten verletzt der angefochtene Entscheid kein Bundesrecht. Die Beschwerde ist im Verfahren nach Art. 109 BGG abzuweisen, soweit auf sie eingetreten werden kann. Umständehalber ist auf die Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 zweiter Satz BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Das Gesuch um Einsetzung eines amtlichen Anwalts wird abgewiesen.
2. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist.
3. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 26. Oktober 2018
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Jacquemoud-Rossari
Der Gerichtsschreiber: Traub