BGer 9C_665/2018
 
BGer 9C_665/2018 vom 26.11.2018
 
9C_665/2018
 
Urteil vom 26. November 2018
 
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin,
Bundesrichter Parrino, Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiberin Fleischanderl.
 
Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdeführerin,
gegen
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Invalidenversicherung (vorinstanzliches Verfahren; Invalidenrente),
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 31. März 2016 (VSBES.2015.92).
 
Sachverhalt:
 
A.
A.a. Der 1985 geborene A.________ bezog eine ganze Invalidenrente vom 1. November 2007 bis 31. März 2009 (Verfügung der IV-Stelle des Kantons Solothurn vom 12. September 2012). Im Juli 2013 meldete er sich erneut bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle holte u. a. ein polydisziplinäres Gutachten des BEGAZ Begutachtungszentrums vom 6. Juni 2014 (einschliesslich der Expertise des Dr. med. B.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 14. April 2014) ein. Nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens ermittelte sie einen Invaliditätsgrad von 19 %; folglich verneinte sie mit Verfügung vom 10. März 2015 einen Leistungsanspruch.
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn mit Entscheid vom 31. März 2016 in dem Sinne gut, als es die Verfügung vom 10. März 2015 aufhob und die Sache an die IV-Stelle zurückwies, damit diese im Sinne der Erwägungen verfahre (Dispositiv-Ziff. 1). Des Weitern verpflichtete es die IV-Stelle, dem Versicherten eine Parteientschädigung in der Höhe von Fr. 1'681.10 (inkl. Auslagen und Mehrwertsteuer) zu bezahlen (Dispositiv-Ziff. 2) sowie die Verfahrenskosten im Betrag von Fr. 600.- zu tragen (Dispositiv-Ziff. 3). Auf die hierauf von der IV-Stelle erhobene Beschwerde trat das Bundesgericht nicht ein (Urteil 9C_326/2016 vom 4. Juli 2016).
A.b. Die IV-Stelle gab in der Folge eine psychiatrische Expertise bei Dr. med. C.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, in Auftrag, welche am 7. Februar 2017 erstattet wurde. Mit Verfügung vom 29. September 2017 lehnte sie einen Leistungsanspruch wiederum ab.Die von A.________ eingereichte Beschwerde beschied das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn mit - in Rechtskraft erwachsenem - Entscheid vom 23. August 2018 abschlägig.
B. Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit den Rechtsbegehren, die Dispositiv-Ziffern 2 und 3 des Entscheids des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 31. März 2016 seien aufzuheben; ferner seien die Kosten des psychiatrischen Gutachtens des Dr. med. C.________ vom 7. Februar 2017 in der Höhe von Fr. 3'487.45 der Vorinstanz respektive dem Kanton Solothurn zu überbinden.
 
Erwägungen:
1. Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die (weiteren) Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 142 V 551 E. 1 S. 555 mit Hinweisen).
1.1. Angefochten ist die Kostenregelung im Entscheid vom 31. März 2016, mit dem die Angelegenheit zur erneuten medizinischen Begutachtung und anschliessenden neuen Verfügung an die Beschwerdeführerin zurückgewiesen worden ist. Dieser Entscheid stellt einen Zwischenentscheid dar (BGE 139 V 604 E. 3.2 S. 607; 133 V 645 E. 2 S. 647 f.), der gemäss Art. 93 Abs. 3 BGG im Nachgang zu dem auf Grund des Rückweisungsentscheids neu ergehenden Endentscheid in der Sache angefochten werden kann (BGE 142 V 551 E. 3.3.2 S. 557 f. mit Hinweisen).
1.2. Im vorliegenden Fall hat das kantonale Gericht mit seinem - unangefochten gebliebenen und somit fristauslösenden (Art. 100 BGG; BGE 142 II 363 E. 1.3 S. 366 ff.; 142 V 551 E. 3.3.2 S. 558) - Entscheid vom 23. August 2018 über den Leistungsanspruch entschieden. Dieser ist am 27. August 2018 bei der IV-Stelle eingegangen. Die am 24. September 2018 der Post übergebene Beschwerde ist daher rechtzeitig erfolgt, weshalb darauf eingetreten werden kann.
2. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung auf Rüge hin oder von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht, und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 105 Abs. 2 und Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG) und ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden (BGE 142 V 551 E. 5 S. 559 f.).
 
3.
3.1. Die Beschwerdeführerin begründet ihren Antrag auf vorinstanzliche Kostenbefreiung damit, dass die Motive, welche das kantonale Gericht im Rahmen seines Entscheids vom 31. März 2016 zur Rückweisung der Angelegenheit zwecks erneuter medizinischer Abklärung bewogen hätten, als bundesrechtswidrig zu qualifizieren seien. Der Vorinstanz wäre es ohne Weiteres möglich gewesen, auf der Basis der bereits bestehenden, spruchreifen medizinischen Aktenlage die dem Beschwerdegegner verbliebene Arbeitsfähigkeit im Rahmen eines strukturierten Beweisverfahrens anhand der sogenannten Standardindikatoren gemäss BGE 141 V 281 (vom 3. Juni 2015) zu beurteilen.
3.2. Letzterer Punkt ist nachstehend vorab zu prüfen, wobei für die entscheidwesentlichen rechtlichen Grundlagen auf die sachbezüglichen Erwägungen im angefochtenen Entscheid zu verweisen ist.
4. In der Beschwerde wird im Einzelnen geltend gemacht, der Rückweisungsentscheid vom 31. März 2016 verstosse gegen Bundesrecht. Es wäre nicht Sache des Versicherungsgerichts gewesen, gestützt auf Zitate aus dem Artikel "Schmerzrechtsprechung 2.0" von Thomas Gächter und Michael E. Meier (in: Jusletter vom 29. Juni 2015) dem psychiatrischen BEGAZ- (Teil-) Gutachten des Dr. med. B.________ vom 14. April 2014 den Beweiswert im Lichte von BGE 141 V 281 abzusprechen und damit die vom Bundesgericht aufgestellte intertemporalrechtliche Beweiswürdigungsregel "ad absurdum zu führen". Das kantonale Gericht wärevielmehr gehalten gewesen - so die IV-Stelle im Folgenden -, eingehend zu prüfen, ob das psychiatrische Administrativgutachten, gegebenenfalls im Kontext mit weiteren fachärztlichen Berichten, eine schlüssige Beurteilung im Lichte der massgeblichen Indikatoren erlaubte oder nicht. Es hätte sodann daraus folgern müssen, dass die fraglichen Standardindikatoren ohne Weiteres auf Grund der anlässlich der Neuanmeldung im Juli 2013 eingeholten Stellungnahmen des Dr. med. D.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH und Konsiliararzt der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva), vom 6. Dezember 2012 und des Dr. med B.________ hätten beurteilt werden können. Basierend darauf hätte die Vorinstanz schliesslich abzuleiten gehabt, dass der Versicherte über genügend Ressourcen verfügte, um eine adaptierte Tätigkeit vollschichtig mit einer Einschränkung von nur 10 % auszuüben. Zudem rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs, indem das Versicherungsgericht es unterlassen habe, ihr Gelegenheit zu geben, sich zur Rechtsprechungsänderung gemäss BGE 141 V 281 zu äussern.
 
5.
5.1. Entgegen den Vorbringen der Beschwerdeführerin hat das vorinstanzliche Versicherungsgericht sich nicht damit begnügt, die Beweiskraft des BEGAZ- (Teil-) Gutachtens desDr. med. B.________ vom 14. April 2014 allein mit Bezugnahme auf eine Lehrmeinung zu verneinen. Zwar hat es auf den erwähnten Aufsatz von GÄCHTER/MEIER verwiesen, um in allgemeiner Hinsicht aufzuzeigen, dass es vielen (altrechtlichen) Administrativgutachten im Lichte der durch BGE 141 V 281 bewirkten neuen Herangehensweise an der Berücksichtigung aller nunmehr relevanten Umstände fehlte. Es hat aber auchdargelegt, weshalb weder die Einschätzung desDr. med. D.________ vom 6. Dezember 2012, es sei gegenwärtig nicht mit einer Erwerbsfähigkeit des Versicherten zu rechnen, noch diejenige des Dr. med. B.________, wonach sich eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit für körperlich adaptierte Tätigkeiten nicht begründen liesse, eine abschliessende Beurteilung anhand der Indikatoren gestatteten. Insbesondere geht, wie von der Vorinstanz zutreffend erkannt, keiner der beiden Ärzte auf die Frage der Überwindbarkeit ein und zwar auch nicht auf der Grundlage der seinerzeit massgeblichen Foerster-Kriterien (BGE 131 V 49 E. 1.2 S. 50 f.; 130 V 352 E. 2.2.3 S. 354 f. mit Hinweisen). Ebenso fehlen Angaben zum Komplex "Persönlichkeit" (Persönlichkeitsdiagnostik, persönliche Ressourcen; BGE 141 V 281 E. 4.3.2 S. 302). Diese wären aber gerade in Anbetracht der Feststellung desDr. med. D.________, der Versicherte bemühe sich, den Erwartungen des Gegenübers zu entsprechen, und vermittle so einen falschen Eindruck seiner Möglichkeiten, wichtig gewesen. Zudem haben sich die aktuell essenziellen Fragen im Zeitpunkt der Verfügung vom 10. März 2015 noch gar nicht gestellt, weil diese vor dem 3. Juni 2015 (Datum des Urteils BGE 141 V 281) ergangen ist. Sie konnten daher nicht Gegenstand entsprechender gezielter Abklärung bilden.
5.2. Indem die Beschwerdeführerin ferner ohne konkreten Bezug auf die Einschätzungen derDres. med. D.________ undB.________ einzelne, angeblich von ihnen gemachte Aussagen zitiert, zeigt sie nicht auf, inwiefern die von der Vorinstanz angeordnete Rückweisung zu neuer Begutachtung eine bundesrechtswidrige Beweiswürdigung darstellen sollte. Ihre Schilderung, der Versicherte beschäftige sich mit den Kindern, erledige gewisse Haushaltstätigkeiten, unterziehe sichregelmässig einer Psychotherapie, lese, treffe Kollegen und pflege die sozialen Kontakte in der Familie, betrifft zwar einige der in BGE 141 V 281 aufgestellten Standardindikatoren. Der von ihr gezogene Schluss, das kantonale Gericht hätte daraus herleiten müssen,dass der Beschwerdegegner über genügende Ressourcen verfüge, um einer adaptierten Tätigkeit mit einer Einschränkung von 10 % nachzugehen, beruht einzig auf ihrer Sichtweise, wie diese einzelnen Angaben zu würdigen gewesen wären. Ebenso wenig genügt die Behauptung, die Ärzte hätten sich "auch zur Therapierbarkeit und zur Eingliederung" geäussert, um darzutun, dass die beiden Stellungnahmen eine gesamthafte Beurteilung aller - und nicht nur der von der Beschwerdeführerin erwähnten - Indikatoren erlaubt hätten. Auf den Einwand, auch ohne Befassung mit den massgeblichen Beweisthemen sei das Gutachten desDr. med. B.________ in keinem Punkt zu beanstanden, ist nicht weiter einzugehen. Es handelt sich dabei zum einen um eine unzulässige appellatorische Kritik (BGE 138 I 171 E. 1.4 S. 176). Überdies beruft sich die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhangauf die nach dem angefochtenen Entscheid erstellte Expertise desDr. med. C.________ vom 7. Februar 2017 und damit auf ein letztinstanzlich unzulässiges echtes Novum (Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 140 V 543 E. 3.2.2.2 S. 548).
5.3. Des Weitern setzt sich die IV-Stelle nicht vertieft mit der vorinstanzlichen Beweiswürdigung auseinander, wonach sich die Differenzen in den Beurteilungen des BEGAZ-Gutachters und desDr. med. D.________, die bei der Festsetzung der Arbeitsfähigkeit diametral entgegengesetzte Meinungen vertraten, nicht auflösen liessen, u.a. da Dr. med. B.________ es unterlassen habe, die von seinem Kollegen erwähnte Möglichkeit, der Versicherte verberge seine wahre Stimmungslage, zu thematisieren. Der Einwand, im nachträglichen Verfahren habe sich die Vorinstanz nicht daran gestört, dass Dr. med. C.________ sich dazu ebenfalls nicht explizit geäussert hatte, ist schon darum nicht stichhaltig, weil sich die Beschwerdeführerin auch hier auf Tatsachen beruft, die erst nach dem angefochtenen Entscheid entstanden und daher im vorliegenden Verfahren unbeachtlich sind. Dass das kantonale Gericht vor dem Hintergrund neuer medizinischer Grundlagen in diesem Punkt zu einer anderen Erkenntnis kommt, genügt ausserdem nicht, um seine ersten Erwägungen als bundesrechtswidrig zu qualifizieren. Indem die Beschwerdeführerin behauptet, die Standardindikatoren liessen sich anhand der Ausführungen der Dres. med. D.________ und B.________ ohne Weiteres überprüfen, vermag siedie vorinstanzliche Fest stellung, es könne nicht auf die Schlussfolgerungen desDr. med. B.________ abgestellt werden, sondern es sei, um die unterschiedliche Betrachtungsweiseder beiden Ärzte klären zu können, eine neue Begutachtung in die Wege zu leiten, nicht in einem willkürlichen Licht erscheinen zu lassen.
Inwiefern damit Art. 5 Abs. 1 und 2 BV sowie Art. 7 Abs. 2 und Art. 61 lit. c ATSG verletzt sein sollten, ist entgegen der Beschwerdeführerin nicht ersichtlich.
5.4. Schliesslich ist auch die Rüge einer Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV unbegründet. Angesichts des vorinstanzlichen Ergebnisses, es könne keine Beurteilung gemäss dem Indikatorenkatalog vorgenommen werden, erübrigte es sich von Vornherein, den Parteien vorgängig die Möglichkeit zu geben, sich zur Rechtsprechungsänderung nach BGE 141 V 281 zu äussern.
6. Da der erstinstanzliche Rückweisungsentscheid nach dem Dargelegten kein Bundesrecht verletzt,kann auf eine Prüfung der weiteren Vorbringen der IV-Stelle zur Überbindung der Kosten des Gutachtens des Dr. med. C.________vom 7. Februar 2017 auf die Vorinstanz respektive den Kanton Solothurn verzichtet werden.
7. Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 26. November 2018
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Pfiffner
Die Gerichtsschreiberin: Fleischanderl