BGer 2C_1020/2018
 
BGer 2C_1020/2018 vom 03.12.2018
 
2C_1020/2018
 
Urteil vom 3. Dezember 2018
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Seiler, Präsident,
Bundesrichter Zünd,
Bundesrichter Stadelmann,
Gerichtsschreiber Kocher.
 
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
gegen
Gemeinderat U.________,
Kantonales Steueramt Aargau.
Gegenstand
Staats- und Gemeindesteuern des Kantons Aargau, Steuerperiode 2010,
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 2. Kammer, vom 17. Oktober 2018 (WBE.2018.325).
 
Erwägungen:
 
1.
1.1. A.________ (nachfolgend: der Steuerpflichtige) war in der hier interessierenden Steuerperiode 2010 im Kanton Aargau steuerpflichtig. Am 29. März 2011 reichte er dort seine Steuererklärung zur Steuerperiode 2010 ein. Zweieinhalb Jahre später, am 8. Oktober 2013, lud die Steuerkommission der Einwohnergemeinde U.________/AG den Steuerpflichtigen zu einer Besprechung ein. Aus verschiedenen Gründen mussten die vereinbarten Termine vom 28. November und 19. Dezember 2013 entfallen. Mit E-Mail vom 18. Dezember 2013 ersuchte der Steuerpflichtige um Anberaumung eines neuen Termins im Januar/ Februar 2014. Die örtliche Steuerkommission will den Steuerpflichtigen mit E-Mail vom 10. Januar 2014 auf den 30. Januar 2014 eingeladen haben. Die Sitzung kam nicht zustande. Der Steuerpflichtige macht geltend, das E-Mail nicht erhalten zu haben. In der Folge schritt die Gemeinde unmittelbar zur Veranlagung. Mit Veranlagungsverfügung, die das Datum vom 18. März 2014 trägt, setzte sie das steuerbare Einkommen auf Fr. 106'800.-- (zum Steuersatz von Fr. 128'400.--) fest. Der Versand erfolgte mit eingeschriebener Briefpost. Der Briefträger traf den Steuerpflichtigen nicht an und legte einen Abholschein (Abholfrist: 25. März 2014) in den Briefkasten. Der Steuerpflichtige verlängerte am 26. März 2014 die Abholfrist per Internet bis zum 8. April 2014 und holte die Veranlagungsverfügung am letzten Tag ab. Am 6. Mai 2014 erhob er Einsprache, wobei er beantragte, der in seiner Einzelunternehmung entstandene Verlust von Fr. 91'030.-- sei zu berücksichtigen. Die örtliche Steuerkommission trat auf die Eingabe mit Einspracheentscheid vom 22. November 2017 nicht ein, was sie damit begründete, dass die Frist versäumt worden sei.
1.2. Das vom Steuerpflichtigen angerufene Spezialverwaltungsgericht des Kantons Aargau, Abteilung Steuern, hiess den Rekurs des Steuerpflichtigen mit Entscheid vom 21. Juni 2018 gut. Das Spezialverwaltungsgericht erwog, die Zustellung des E-Mails vom 10. Januar 2014 sei unbewiesen geblieben. Der Steuerpflichtige, der den Empfang bestreite, habe am 18. Dezember 2013 ausdrücklich um einen neuen Besprechungstermin ersucht, weshalb er habe davon ausgehen dürfen, dass die Steuerkommission nicht verfügen werde, ohne zuvor die Sitzung angesetzt zu haben. Entsprechend habe der Steuerpflichtige nicht mit einer Verfügung rechnen müssen. Die Einsprachefrist habe richtigerweise erst am 9. April 2014 zu laufen begonnen, womit die Eingabe vom 6. Mai 2014 fristwahrend erfolgt sei.
1.3. Dagegen gelangte das Steueramt des Kantons Aargau (KStA/AG) an das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau. Mit Entscheid WBE.2018.325 vom 17. Oktober 2018 hiess dieses die Beschwerde gut und bestätigte es den Einspracheentscheid vom 22. November 2017. Das Verwaltungsgericht ging davon aus, dass das für die Zustellungsfiktion unerlässliche Prozessrechtsverhältnis am 29. März 2011 (Einreichung der Steuererklärung zur Steuerperiode 2010) entstanden sei. Die Steuerkommission habe den Steuerpflichtigen am 8. Oktober 2013 zur Besprechung eingeladen, worauf dieser mit E-Mail vom 14. Oktober 2013 reagiert habe. Fortan sei der Steuerpflichtige verpflichtet gewesen, "mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit" zu erwarten, dass er einen behördlichen Akt zugestellt erhalten könnte. Insgesamt frage sich, ob der Steuerpflichtige "nicht gehalten gewesen wäre, aktiv im Hinblick auf die Vereinbarung eines neuen Termins bei der Steuerkommission nachzufragen". Wenn er, der Steuerpflichtige, für "die Sendung aus V.________, die nach Lage der Dinge nur seine Besteuerung in der Gemeinde U.________ für das Jahr 2010 betreffen konnte", die Abholfrist verlängert habe, so widerspreche dies Treu und Glauben, zumal er bei Abholung noch über ausreichende Zeit verfügt hätte, um die Einsprache zu formulieren.
1.4. Mit Eingabe vom 16. November 2018 erhebt der Steuerpflichtige beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Er beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und der Entscheid der Unterinstanz zu bestätigen.
1.5. Der Abteilungspräsident als Instruktionsrichter (Art. 32 Abs. 1 BGG [SR 173.110]) hat von Instruktionsmassnahmen - namentlich von einem Schriftenwechsel (Art. 102 Abs. 1 BGG) - abgesehen.
 
2.
2.1. Die Voraussetzungen der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten liegen vor (Art. 82 lit. a, Art. 83
2.2. Das Bundesgericht prüft das Bundesrecht, wozu auch das harmonisierte Steuerrecht von Kantonen und Gemeinden zählt (Art. 129 BV), von Amtes wegen (Art. 106 Abs. 1 BGG; BGE 143 V 19 E. 2.3 S. 23 f.) und mit uneingeschränkter (voller) Kognition (Art. 95 lit. a BGG; BGE 144 II 313 E. 5.1 S. 319).
2.3. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG; BGE 143 IV 500 E. 1.1 S. 503).
 
3.
3.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die Einsprache des Steuerpflichtigen vom 6. Mai 2014, welche dieser gegen die Veranlagungsverfügung vom 18. März 2014 gerichtet hatte, rechtzeitig erfolgt sei. Die Vorinstanz verneint dies, wobei sie sich - wie die Unterinstanz, die freilich zum gegenteiligen Schluss gelangt war - auf die Zustellfiktion stützt.
 
3.2.
3.2.1. Gegen die Veranlagungsverfügung kann die steuerpflichtige Person innert 30 Tagen nach Zustellung bei der Veranlagungsbehörde schriftlich Einsprache erheben (Art. 48 Abs. 1 StHG). Die von der Praxis entwickelte Zustellungsfiktion wird weder im DBG noch im StHG ausdrücklich angesprochen, sie herrscht aber auch hier (Urteil 2C_298/2015 vom 26. April 2017 E. 3.1). Stellt die Veranlagungsbehörde ein Schriftstück, eine Verfügung oder einen Entscheid durch eingeschriebene Briefpost zu und wird die Postsendung nicht entgegengenommen bzw. abgeholt, so gilt die Zustellung am siebenten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch als erfolgt, vorausgesetzt allerdings, dass der Adressat mit einer Zustellung überhaupt rechnen musste. Das Bundesgericht hat hinsichtlich der gebotenen Aufmerksamkeitsdauer verschiedentlich einen Zeitraum von bis zu einem Jahr seit der letzten verfahrensrechtlichen Handlung der Behörde als vertretbar bezeichnet (Urteile 2C_298/2015 vom 26. April 2017 E. 3.4; 6B_110/2016 vom 27. Juli 2016 E. 1.2, nicht publ. in: BGE 142 IV 286; YVES DONZALLAZ, La notification en droit interne suisse, Bern 2002, S. 501). Das relevante Prozessrechtsverhältnis setzt erst mit der Rechtshängigkeit der Streitsache ein. Die Zustellfiktion greift auch, wenn der Post für eine gewisse Dauer ein Zurückbehalteauftrag erteilt wurde (BGE 141 II 429 E. 3.1 S. 432). Für die Annahme der Zustellfiktion ist in jedem Fall zu verlangen, dass der Empfänger diejenige Behörde als Absender erkennen kann, mit deren Sendung er rechnen muss (BGE 142 IV 286 E. 1.6.2 S. 287 f.).
3.2.2. Nach den Feststellungen der Vorinstanz legte die Post am 18. März 2014 einen Abholschein mit einer Abholfrist bis zum 25. März 2014 in den Briefkasten. Am 26. März 2014 verlängerte der Steuerpflichtige die Abholfrist bis zum 8. April 2014 und holte die Veranlagung am letzten Tag der (durch ihn verlängerten) Abholfrist, das heisst am 8. April 2014, bei der Post ab. In der Folge reichte er am 6. Mai 2014 Einsprache ein. Diese Feststellungen werden vom Beschwerdeführer nicht bestritten und sind für das Bundesgericht verbindlich (Art. 105 Abs. 1 BGG; vorne E. 2.3).
3.2.3. Der Steuerpflichtige macht hauptsächlich geltend, die Einladung zur Besprechung vom 30. Januar 2014 habe ihn nicht erreicht. Die Schweizerische Post sei im Raum W.________/BL, wo er zu dieser Zeit gewohnt habe, notorisch unzuverlässig. In der Folge trägt er vor, die Veranlagungsbehörde habe ihn (vor Erlass der Veranlagungsverfügung) weder per E-Mail noch telefonisch zu erreichen versucht, obwohl ihr die Koordinaten durchaus bekannt gewesen seien. Die Gemeinde habe nicht alles ihr Mögliche getan, um ihn "vorzuwarnen". Mit einer Zustellung (der Veranlagungsverfügung) habe er nicht rechnen müssen. Die Zustellfiktion greife daher nicht.
3.2.4. Die Ausführungen des Steuerpflichtigen treffen nicht den rechtserheblichen Punkt: Die Zustellfiktion und die dafür geltende Voraussetzung, dass der Adressat mit einer Zustellung rechnen musste, kommen zum Tragen, wenn die Postsendung nicht entgegengenommen bzw. abgeholt wird (vorne E. 3.2.1; BGE 127 I 31 E. 2b S. 35). Vorliegend ist unbestritten, dass der Steuerpflichtige die Veranlagungsverfügung am 8. April 2014 bei der Post abgeholt hat (vorne E. 3.2.2). Sodann hatte er offensichtlich den Abholschein samt der darin angesetzten Abholfrist bis zum 25. März 2014 erhalten, hätte er doch sonst weder Anlass noch Möglichkeit gehabt, am 26. März 2014 die Abholfrist zu verlängern. Es musste ihm daher auch bekannt sein, dass die Abholungseinladung am 18. März, jedenfalls aber vor dem 26. März in seinen Briefkasten gelegt worden war. Die Geschehnisse vor diesem Zeitpunkt sind für die Frage der Zustellung nicht von Bedeutung. Sodann kann nach ständiger Rechtsprechung der Empfänger den Beginn der Rechtsmittelfrist nicht einseitig über die sieben Tage hinaus verlängern, etwa durch einen Postrückbehaltungsauftrag oder indem er die Sendung verspätet in Empfang nimmt (BGE 141 II 429 E. 3.3.3 S. 433; 127 I 31 E. 2a/aa S. 34; Urteil 2C_990/2015 vom 19. Februar 2015 E. 3.4). Vorbehalten sind besondere Vertrauensschutzsituationen, die hier aber nicht geltend gemacht werden.
3.2.5. Die 30-tägige Einsprachefrist begann am siebten Tag nach dem ersten erfolglosen Zustellungsversuch, mithin am 25. März 2014. Sie endete am Donnerstag, 24. April 2014. Die Einsprache vom 6. Mai 2014 erfolgte damit klarerweise verspätet. Die Beschwerde ist mithin unbegründet und abzuweisen (Art. 109 BGG).
 
4.
4.1. Nach dem Unterliegerprinzip (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG) sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens dem Steuerpflichtigen aufzuerlegen.
4.2. Dem Kanton Aargau, der in seinem amtlichen Wirkungskreis obsiegt, steht keine Entschädigung zu (Art. 68 Abs. 3 BGG).
 
 Demnach erkennt der Präsident:
 
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 3. Dezember 2018
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Seiler
Der Gerichtsschreiber: Kocher