BGer 6B_1313/2018
 
BGer 6B_1313/2018 vom 19.07.2019
 
6B_1313/2018
 
Urteil vom 19. Juli 2019
 
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichter Oberholzer,
Bundesrichter Rüedi,
Gerichtsschreiberin Bianchi.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Erich Vogel,
Beschwerdeführer,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Spisergasse 15, 9001 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte; Willkür, Grundsatz in dubio pro reo,
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Strafkammer, vom 5. September 2018 (ST.2018.74-SK3).
 
Sachverhalt:
A. Am 9. Februar 2018, in der Nacht vom "schmutzigen Donnerstag", kam es in Mels um ca. 2:10 Uhr zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen Y.________ und X.________. Die Polizeibeamten A.________ und B.________ führten Y.________ deswegen weg, während die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes C.________, D.________ und E.________, sich um X.________ kümmerten. Daraufhin löste sich X.________ vom Sicherheitsdienst und lief Y.________ hinterher. Er prallte mit der sich ihm in den Weg stellenden Polizeibeamtin B.________ zusammen, die eine Verletzung des Oberkiefers erlitt.
B. Am 23. April 2018 sprach das Kreisgericht Werdenberg-Sarganserland X.________ der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte sowie der Hinderung einer Amtshandlung schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je Fr. 70.-- unter Ansetzung einer Probezeit von zwei Jahren.
Das Kantonsgericht St. Gallen hob den Entscheid des Kreisgerichts am 5. September 2018 auf und sprach X.________ vom Vorwurf der Hinderung einer Amtshandlung frei. Es sprach ihn der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte schuldig und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 18 Tagessätzen zu je Fr. 70.-- unter Ansetzung einer Probezeit von zwei Jahren.
C. X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, der Entscheid des Kantonsgerichts sei betreffend Schuldspruch und Strafe aufzuheben und er sei vollständig freizusprechen.
 
Erwägungen:
 
1.
1.1. Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung und eine Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo" und bringt vor, er habe den Tatbestand der Drohung und Gewalt gegen Beamte weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht erfüllt.
 
1.2.
1.2.1. Die Feststellung des Sachverhalts gemäss Art. 97 Abs. 1 BGG kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann. Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 143 IV 500 E. 1.1; 143 IV 241 E. 2.3.1; je mit Hinweisen; zum Begriff der Willkür BGE 143 IV 500 E. 1.1; 142 V 513 E. 4.2; je mit Hinweisen). Bei der Willkürrüge kommen die erhöhten Begründungsanforderungen zum Tragen (Art. 106 Abs. 2 BGG).
Der Grundsatz "in dubio pro reo" leitet sich aus der in Art. 10 StPO, Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ab. Ihm kommt in der vom Beschwerdeführer angerufenen Funktion als Beweiswürdigungsregel im Verfahren vor Bundesgericht keine über das Willkürverbot hinausgehende selbständige Bedeutung zu (BGE 143 IV 500 E. 1.1 S. 503 mit Hinweis).
1.2.2. Gemäss Art. 285 Ziff. 1 StGB wird bestraft, wer eine Behörde, ein Mitglied einer Behörde oder einen Beamten durch Gewalt oder Drohung an einer Handlung, die innerhalb ihrer Amtsbefugnisse liegt, hindert, zu einer Amtshandlung nötigt oder während einer Amtshandlung tätlich angreift. Der subjektive Tatbestand verlangt Vorsatz, wobei Eventualvorsatz genügt.
Vorsätzlich begeht ein Verbrechen oder Vergehen, wer die Tat mit Wissen und Willen ausführt oder wer die Verwirklichung der Tat für möglich hält und in Kauf nimmt (Art. 12 Abs. 2 StGB), aber dennoch handelt, weil er sich mit dem Erfolg abfindet, mag er ihm auch unerwünscht sein (BGE 137 IV 1 E. 4.2.3).
Die Abgrenzung zwischen Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit kann im Einzelfall schwierig sein. Sowohl der eventualvorsätzlich als auch der bewusst fahrlässig handelnde Täter weiss um die Möglichkeit des Erfolgseintritts bzw. um das Risiko der Tatbestandsverwirklichung. Hinsichtlich der Wissensseite stimmen somit beide Erscheinungsformen des subjektiven Tatbestands überein. Unterschiede bestehen beim Willensmoment. Der bewusst fahrlässig handelnde Täter vertraut (aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit) darauf, dass der von ihm als möglich vorausgesehene Erfolg nicht eintreten, das Risiko der Tatbestandserfüllung sich mithin nicht verwirklichen werde. Demgegenüber nimmt der eventualvorsätzlich handelnde Täter den Eintritt des als möglich erkannten Erfolgs ernst, rechnet mit ihm und findet sich mit ihm ab. Wer den Erfolg dergestalt in Kauf nimmt, "will" ihn im Sinne von Art. 12 Abs. 2 StGB. Nicht erforderlich ist, dass der Täter den Erfolg "billigt" (BGE 133 IV 9 E. 4.1 S. 16; Urteil 6B_870/2018 vom 29. April 2019 E. 2019).
Ob der Täter die Tatbestandsverwirklichung in diesem Sinne in Kauf genommen hat, muss das Gericht aufgrund der Umstände entscheiden. Dazu gehören die Grösse des dem Täter bekannten Risikos der Tatbestandsverwirklichung, die Schwere der Sorgfaltspflichtverletzung, die Beweggründe des Täters und die Art der Tathandlung. Je grösser die Wahrscheinlichkeit der Tatbestandsverwirklichung ist und je schwerer die Sorgfaltspflichtverletzung wiegt, desto näher liegt die Schlussfolgerung, der Täter habe die Tatbestandsverwirklichung in Kauf genommen (BGE 135 IV 12 E. 2.3.2). Für den Nachweis des Vorsatzes darf der Richter vom Wissen des Täters auf den Willen schliessen, wenn sich diesem die Verwirklichung der Gefahr als so wahrscheinlich aufdrängte, dass die Bereitschaft, sie als Folge hinzunehmen, vernünftigerweise nur als Inkaufnahme des Erfolgs ausgelegt werden kann (BGE 137 IV 1 E. 4.2.3). Eventualvorsatz kann indessen auch vorliegen, wenn der Eintritt des tatbestandsmässigen Erfolgs nicht in diesem Sinne sehr wahrscheinlich, sondern bloss möglich war. Doch darf nicht allein aus dem Wissen des Täters um die Möglichkeit des Erfolgseintritts auf dessen Inkaufnahme geschlossen werden. Weitere Umstände müssen hinzukommen (BGE 133 IV 9 E. 4.1 S. 17). Solche Umstände liegen namentlich vor, wenn der Täter das ihm bekannte Risiko nicht kalkulieren und dosieren kann und das Opfer keine Abwehrchancen hat (BGE 133 IV 1 E. 4.5 S. 7; 131 IV 1 E. 2.2 S. 5; Urteil 6B_881/2018 vom 15. März 2019 E. 1.3)
1.3. Strittig ist, ob sich der Beschwerdeführer mit erhobenem Arm und geballter Faust der Polizeibeamtin angenähert und wer ihre Verletzung verursacht hat.
Die Vorinstanz erwägt diesbezüglich, die beiden Polizeibeamten sowie der Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes hätten übereinstimmend und detailreich wiedergegeben, dass der Beschwerdeführer seinen Arm erhoben und seine Faust geballt habe, als er auf die zwei Polizeibeamten und Y.________ zugekommen sei. Belegt werde dies durch die im Polizeijournal enthaltenen Einträge sowie die Aussage von E.________, wonach der Arm des Beschwerdeführers auf Schulterhöhe gewesen sei.
Zur Frage, ob der Beschwerdeführer die Verletzung verursacht habe, hielt die Vorinstanz fest, die Polizeibeamtin habe glaubhaft ausgesagt, dass es zu einer Kollision zwischen ihr und dem Beschwerdeführer gekommen sei, wobei er sie an der Oberlippe und Nase getroffen habe. Die Kollision sei ferner auch von D.________, E.________ und dem ebenfalls anwesenden F.________ direkt sowie G.________, einem weiteren Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes, indirekt bestätigt worden. Dass sich B.________ nicht mehr daran erinnern könne, wie der Zusammenstoss genau vor sich gegangen sei, vermöge keine Zweifel daran zu erwecken, dass sie vom Beschwerdeführer und nicht von einem Dritten getroffen worden sei. Schliesslich sei angesichts der festgestellten Armhaltung des Beschwerdeführers im Zeitpunkt des Zusammenpralls und seiner Landung auf den Oberschenkeln von B.________ nicht davon auszugehen, dass sich diese ihre Verletzungen beim Sturz auf den Boden zugezogen habe.
In subjektiver Hinsicht ist nach den vorinstanzlichen Erwägungen zu berücksichtigen, dass es sich um eine angespannte Situation gehandelt habe, in der die Polizei und ein privater Sicherheitsdienst haben eingreifen müssen und der Beschwerdeführer von hinten auf die Polizeibeamten zugekommen sei. In dieser Situation habe der Beschwerdeführer mit der Möglichkeit rechnen müssen, dass sich die Polizeibeamten umdrehen und ihn am Fortkommen hindern werden und es dabei zu einer Verletzung der Polizeibeamten kommen könne. Der Beschwerdeführer habe in Kauf genommen, die Polizeibeamtin zu verletzen und habe damit eventualvorsätzlich gehandelt.
1.4. Der Beschwerdeführer bestreitet, sich mit erhobenem rechten Arm und geballter Faust der Polizeibeamtin genähert und sie verletzt zu haben. Er wendet ein, seine Armhaltung erkläre sich als Folge eines dynamischen Bewegungsablaufs, und bringt insbesondere vor, die Polizeibeamtin habe den Ablauf nicht genau schildern können. Ferner beruft er sich auf Aussagen von Personen, welche den genauen Ablauf nicht gesehen haben, und leitet daraus ab, dass sich die Geschehnisse nicht wie von der Vorinstanz angenommen ereignet haben. Er bestreitet ebenfalls, die Verletzung verursacht zu haben.
Dabei beschränkt sich der Beschwerdeführer darauf, der Würdigung der Vorinstanz seine eigene Sicht der Dinge gegenüber zu stellen, ohne dabei Willkür darzutun. Auf seine rein appellatorische Kritik ist nicht einzutreten.
 
1.5.
1.5.1. Der Beschwerdeführer kritisiert die vorinstanzlichen Ausführungen zum subjektiven Tatbestand von Art. 285 Ziff. 1 StGB. Er macht geltend, er habe nicht damit rechnen müssen, mit der Polizeibeamtin derart unglücklich zu Boden zu fallen, und die Verletzungen nicht gewollt zu haben. Zudem habe die Vorinstanz in willkürlicher Weise von dem ihm vorgeworfenen Wissen um die Möglichkeit einer Verletzung der Polizeibeamtin auf seinen Willen geschlossen, sich nicht mit der Unterscheidung zwischen eventualvorsätzlicher und grobfahrlässiger Tatbegehung auseinandergesetzt und damit eine zu seinen Gunsten ausfallende Würdigung unterlassen.
1.5.2. Der Beschwerdeführer beschränkt sich darauf, in pauschaler Weise sein Wissen um die Möglichkeit der Verletzung der Polizeibeamtin zu bestreiten. Damit vermag er keine willkürliche Sachverhaltsfeststellung darzulegen.
Die Vorinstanz konnte aus den von ihr dargelegten Umständen (oben E. 1.3) willkürfrei auf den Willen des Beschwerdeführers zur Tatbegehung schliessen. Der Beschwerdeführer bringt keine Umstände vor, aus denen sich ergeben würde, dass er das ihm bekannte Risiko hätte kalkulieren können oder dass die Polizeibeamtin angesichts seiner beschleunigten Annäherung von hinten wesentliche Abwehrchancen gehabt hätte. Entgegen seinen Ausführungen war die Vorinstanz nicht gehalten, sich ausdrücklich mit der Unterscheidung zwischen eventualvorsätzlicher und fahrlässiger Tatbegehung auseinandersetzen, sondern hatte unter Berücksichtigung der Umstände über die subjektive Tatbestandsmässigkeit zu befinden.
Vor dem Hintergrund des willkürfrei festgestellten Sachverhaltes ist nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz davon ausgeht, der Beschwerdeführer habe eine Verletzung der Polizeibeamtin in Kauf genommen. Der Schuldspruch wegen eventualvorsätzlicher Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte ist bundesrechtskonform.
2. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 19. Juli 2019
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Denys
Die Gerichtsschreiberin: Bianchi