BGer 9C_447/2019 |
BGer 9C_447/2019 vom 08.10.2019 |
9C_447/2019 |
Urteil vom 8. Oktober 2019 |
II. sozialrechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin,
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Bundesrichter Meyer, Parrino,
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Gerichtsschreiberin Stanger.
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Verfahrensbeteiligte |
IV-Stelle des Kantons Zürich,
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Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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A.________,
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vertreten durch Pro Infirmis Zürich,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Invalidenversicherung,
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Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich
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vom 17. Mai 2019 (IV.2018.01097).
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Sachverhalt: |
A. Mit Verfügung vom 9. Juni 2010 sprach die IV-Stelle des Kantons Zürich der 1973 geborenen A.________ vom 1. August bis 31. Dezember 2009 eine ganze und ab 1. Januar 2010 eine halbe Rente der Invalidenversicherung zu. Mit Verfügung vom 20. November 2018 hob die IV-Stelle die Verfügung vom 9. Juni 2010 wiedererwägungsweise auf und setzte die bisher ausgerichtete halbe Rente mit dem ersten Tag des zweiten Monats nach Zustellung der Verfügung auf eine Viertelsrente herab.
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B. Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich gut und änderte die Verfügung der IV-Stelle dahingehend ab, dass die Versicherte weiterhin Anspruch auf eine halbe Invalidenrente habe (Entscheid vom 17. Mai 2019).
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C. Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid vom 17. Mai 2019 sei aufzuheben, und die Verfügung vom 20. November 2018 zu bestätigen. Ferner sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu gewähren.
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A.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen und beantragt unentgeltliche Prozessführung.
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Erwägungen: |
1. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), die Feststellung des Sachverhalts durch die Vorinstanz nur, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
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2. Das kantonale Gericht bejahte einen Wiedererwägungsgrund im Sinne von Art. 53 Abs. 2 ATSG und prüfte in der Folge den Rentenanspruch neu, wobei es gestützt auf die RAD-ärztliche Beurteilung vom 27. Juli 2015 zum Ergebnis gelangte, dass in einer angepassten Tätigkeit von einer 50%igen Arbeitsfähigkeit auszugehen sei. Im Rahmen des Einkommensvergleichs nach Art. 16 ATSG setzte es das Invalideneinkommen anhand der Tabellenlöhne der Lohnstrukturerhebung (LSE) des Bundesamtes für Statistik (LSE 2016, Tabelle TA1, Kompetenzniveau 1, Frauen), unter Berücksichtigung eines Tabellenlohnabzugs von 15 %, auf Fr. 23'282.- fest. Bei einem Valideneinkommen von Fr. 47'199.- resultierte ein Invaliditätsgrad von 50.7 %, was (weiterhin) Anspruch auf eine halbe Rente gibt (Art. 28 Abs. 2 IVG).
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Im Gegensatz zur Vorinstanz berücksichtigte die IV-Stelle beim Invalideneinkommen keinen Tabellenlohnabzug, weshalb sie von einem Invaliditätsgrad von (lediglich) 42 % und demzufolge von einer Viertelsrente ausging. Streitig und zu prüfen ist der von der Vorinstanz gewährte Tabellenlohnabzug.
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3. |
3.1. Mit dem Abzug vom Tabellenlohn nach BGE 126 V 75 soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass persönliche und berufliche Merkmale, wie Art und Ausmass der Behinderung, Lebensalter, Dienstjahre, Nationalität oder Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad Auswirkungen auf die Lohnhöhe haben können und je nach Ausprägung die versicherte Person deswegen die verbliebene Arbeitsfähigkeit auch auf einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt nur mit unterdurchschnittlichem erwerblichem Erfolg verwerten kann (BGE 135 V 297 E. 5.2 S. 301; Urteil 8C_114/2017 vom 11. Juli 2017 E. 3.1). Der Abzug soll aber nicht automatisch erfolgen. Er ist unter Würdigung der Umstände im Einzelfall nach pflichtgemässem Ermessen gesamthaft zu schätzen und darf 25 % nicht übersteigen (BGE 135 V 297 E. 5.2 S. 301; 134 V 322 E. 5.2 S. 327 f.; 126 V 75 E. 5b/bb-cc S. 80).
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3.2. Die Frage, ob ein (behinderungsbedingt oder anderweitig begründeter) Abzug vom Tabellenlohn vorzunehmen ist, stellt eine vom Bundesgericht frei überprüfbare Rechtsfrage dar. Dagegen ist die Höhe des (im konkreten Fall grundsätzlich angezeigten) Abzugs eine Ermessensfrage und somit letztinstanzlich nur bei Ermessensüberschreitung, -missbrauch oder -unterschreitung korrigierbar (BGE 137 V 71 E. 5.1 S. 72).
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4. |
4.1. Das kantonale Gericht erwog, die IV-Stelle habe der Beschwerdegegnerin anlässlich der erstmaligen Rentenzusprache einen Tabellenlohnabzug von 15 % gewährt und als Begründung angeführt, das Belastbarkeitsprofil (leichte Tätigkeiten mit überwiegendem Sitzen, in Wechselbelastung, ohne Heben, Tragen und Bewegen von Lasten, ohne Besteigen von Leitern und Gerüsten, ohne kniende oder kniebeugende Körperhaltungen) sei als lohnmindernder Faktor zu berücksichtigen. Das Belastbarkeitsprofil habe sich seit damals nicht geändert, so die Vorinstanz weiter, und die körperlichen Einschränkungen seien nicht bereits darin enthalten, dass die Beschwerdegegnerin nur noch in leichten Tätigkeiten arbeitsfähig sei, sondern es seien nur leichte Tätigkeiten mit weiteren einschränkenden Faktoren zumutbar. Es scheine daher gerechtfertigt, vom hypothetischen Einkommen weiterhin einen Abzug von 15 % zu gewähren.
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4.2. Zunächst rügt die beschwerdeführende IV-Stelle eine Verletzung der Begründungspflicht (Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 61 lit. h ATSG; vgl. auch Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG). Die Vorinstanz habe ausgeführt, dass beim Tabellenlohnabzug zusätzliche Faktoren zu berücksichtigen seien, ohne jedoch darzulegen, welche Faktoren damit gemeint seien und wie sich diese lohnmindernd auswirken sollen. Vor diesem Hintergrund sei eine sachgemässe Überprüfung des vorinstanzlichen Entscheids nicht möglich.
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Die Vorinstanz stellte fest, dass der Versicherten nur noch leichte Tätigkeiten "mit weiteren einschränkenden Faktoren" zumutbar seien, wobei sie sich bei diesen Faktoren unzweifelhaft auf das zuvor genannte Belastbarkeitsprofil bezogen hat (vgl. E. 4.1). Mit Blick auf diese Begründung war die Beschwerdegegnerin ohne Weiteres in der Lage, den kantonalen Entscheid sachgerecht anzufechten, weshalb von einer Verletzung der Begründungspflicht nicht die Rede sein kann (vgl. statt vieler: BGE 142 II 49 E. 9.2 S. 65).
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4.3. In materieller Hinsicht stellt sich die Frage, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie der Beschwerdegegnerin einen Tabellenlohnabzug gewährte (vgl. E. 3.2).
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4.3.1. Gemäss unbestritten gebliebener vorinstanzlicher Auffassung sind die Voraussetzungen für eine Wiedererwägung der Rentenverfügung vom 9. Juni 2010 gegeben, womit eine freie Beurteilung der Rentenanspruchsvoraussetzungen nach den Verhältnissen im Zeitraum bis zum Erlass der die Rente ex nunc aufhebenden Wiederwägungsverfügung stattzufinden hat (Urteil 9C_868/2015 vom 22. Dezember 2015 E. 2.2 mit Hinweis). Indem die Vorinstanz nun aber einen Abzug vom Tabellenlohn im Wesentlichen damit begründet hat, dass bereits bei der erstmaligen Rentenzusprache im Jahr 2010 aufgrund des Belastbarkeitsprofils der Versicherten ein Abzug gewährt worden sei und sich dieses Profil seither nicht geändert habe, nimmt sie keine freie Prüfung vor, wie in der Beschwerde zu Recht gerügt wird.
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4.3.2. Eine freie Beurteilung durch das kantonale Gericht hätte zum Ergebnis führen müssen, dass ein Tabellenlohnabzug nicht gerechtfertigt ist: Die Vorinstanz begründet den Leidensabzug einzig mit dem Belastbarkeitsprofil der Versicherten. Dass der Beschwerdegegnerin nur noch leichte Tätigkeiten zumutbar sind, ist indes kein Grund für einen leidensbedingten Abzug, zumal der Tabellenlohn im hier zugrunde gelegten Kompetenzniveau 1 bereits eine Vielzahl von leichten und mittelschweren Tätigkeiten umfasst (Urteile 8C_82/2019 vom 19. September 2019 E. 6.3.2 und 9C_284/2018 vom 17. Juli 2018 E. 2.2.1). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Beschwerdegegnerin gemäss Vorinstanz nur noch für leichte Tätigkeiten "mit weiteren einschränkenden Faktoren" (leichte Tätigkeiten mit überwiegendem Sitzen, in Wechselbelastung, ohne Heben, Tragen und Bewegen von Lasten, ohne Besteigen von Leitern und Gerüsten, ohne kniende oder kniebeugende Körperhaltungen) arbeitsfähig ist. Denn, soweit es sich bei diesen weiteren Faktoren nicht ohnehin nur um eine nähere Umschreibung der leichten Tätigkeit handelt, führen sie zu keinem lohnrelevanten Nachteil. Angesichts des genannten Belastbarkeitsprofils ist von einem genügend breiten Spektrum an zumutbaren Verweisungstätigkeiten auszugehen.
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4.3.3. Nach dem Gesagten verletzt der von der Vorinstanz gewährte Tabellenlohnabzug Bundesrecht. Folglich ist der angefochtene Entscheid, gemäss welchem die Versicherte Anspruch auf eine halbe Invalidenrente anstelle der von der IV-Stelle zugesprochenen Viertelsrente hat (vgl. E. 2), als bundesrechtswidrig aufzuheben.
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5. Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos.
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6. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdegegnerin grundsätzlich die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Ihrem Gesuch um unentgeltliche Prozessführung kann jedoch entsprochen werden (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Sie hat der Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten, wenn sie später dazu in der Lage ist (Art. 64 Abs. 4 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 17. Mai 2019 wird aufgehoben und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 20. November 2018 bestätigt.
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2. Der Beschwerdegegnerin wird die unentgeltliche Prozessführung gewährt.
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3. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt, indes vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.
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4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
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Luzern, 8. Oktober 2019
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Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Die Präsidentin: Pfiffner
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Die Gerichtsschreiberin: Stanger
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