BGE 98 Ia 179
 
26. Urteil vom 22. März 1972 i.S. Vonarburg gegen Staatsrat des Kantons Freiburg.
 
Regeste
Beamtenrecht. Willkür.
 
Sachverhalt
A.- Das freiburgische Gesetz vom 15. November 1951 über das Dienstverhältnis der Staatsbeamten (Beamtengesetz) enthält im Abschnitt über die Besoldung u.a. folgende Bestimmungen:
Art. 22. - Die Besoldung der Beamten wird gemäss der besonderen Gesetzgebung über die Besoldungen vorbehaltlich nachstehender allgemeiner Grundsätze festgesetzt.
Art. 23. - 1 ...
2 Das Gesetz über die Besoldungen des Staatspersonals setzt die Zahl der Besoldungsklassen, die Mindest- und Höchstansätze und die jährlichen Gehaltserhöhungen fest.
3 Der Staatsrat nimmt die Einreihungen in die Besoldungsklassen vor...
Art. 26. - Das Höchstgehalt einer Besoldungsklasse wird spätestens nach 10 Jahren erreicht. Der Beamte hat auf die Gehaltserhöhung nur Anrecht, wenn seine Leistungen befriedigen.
Das freiburgische Gesetz vom 20. November 1964 über die Besoldungen des Staatspersonals (Besoldungsgesetz) setzte die Besoldungen der Magistraten, Beamten und Angestellten in Art. 5 gemäss einer Skala fest, welche für 20 Klassen das Minimum, das Maximum und die jährliche, einen Zehntel der Differenz zwischen Minimum und Maximum betragende Aufbesserung angab.
Durch Gesetz vom 14. Mai 1970 wurde Art. 5 des Besoldungsgesetzes dahin abgeändert, dass für die Gehälter am 1. Januar 1970 und am 1. Januar 1971 je eine neue Skala festgesetzt wurde, welche das Minimum und das Maximum der 20 Gehaltsklassen, nicht aber die Höhe der jährlichen Aufbesserungen angibt.
B.- Dr. iur. Josef Vonarburg ist als Generalsekretär der Universität Freiburg in die zweite Gehaltsklasse eingereiht. Vor der Gesetzesrevision vom 14. Mai 1970 hatte er die Gehaltsstufe (échelon) 8 erreicht und mit einer Zulage von 1/6 gemäss Art. 24 des Beamtengesetzes eine Bruttobesoldung von Fr. 34'156.20 bezogen. Durch Verfügung vom 20. Juni 1970 setzte die kantonale Erziehungs- und Kultusdirektion seine Besoldung aufgrund des neuen Gesetzes rückwirkend auf den 1. Januar 1970 wie folgt fest:
"classe 2, échelon 6
+ suppl. 1/6
Fr. 35'870.40 brut p. année"
Gegen diese Verfügung rekurrierte Vonarburg an den Staatsrat des Kantons Freiburg. Zur Begründung machte er vor allem geltend, er sei ohne gesetzliche Grundlage von der 8. in die 6. Stufe zurückversetzt worden.
Der Staatsrat wies den Rekurs mit Entscheid vom 5. Februar 1971 ab, im wesentlichen aus folgenden Gründen: Die Rechtslehre spreche den Rechten der Beamten den Charakter wohlerworbener Rechte ab. Bei einer allgemeinen Besoldungserhöhung, mit welcher eine Änderung der Skala verbunden sei, könne eine niedrigere Stufe eine höhere Besoldung bedeuten. Entscheidend sei, dass jedermann eine Gehaltserhöhung von 5% erhalten habe, und das treffe für den Beschwerdeführer unbestrittenermassen zu. Wie aus den Beratungen des Grossen Rates klar hervorgehe, habe die Gesetzesänderung vom 14. Mai 1970 zum Hauptziel gehabt, allen Beamten eine lineare Besoldungserhöhung von 5% zu gewähren. Ausserdem seien bei dieser Gelegenheit die Klassen 1, 2 und 20 der Gehaltsskala verändert und die Abstände zwischen den Klassen 1, 2 und 3 verdoppelt worden. Dies habe aber den Grundsatz der linearen Besoldungserhöhung nicht berührt. Auch die Beamten der Klassen 1 und 2 sollten, wie der Regierungsvertreter im Grossen Rat ausgeführt habe, auf den 1. Januar 1970 die gleiche Besoldungserhöhung von 5% wie die übrigen Beamten erhalten, doch hätten sie nun die Möglichkeit, auf dem Wege der jährlichen Aufbesserung zu dem für diese Klassen festgesetzten höheren Maximum aufzusteigen.
C.- Mit der staatsrechtlichen Beschwerde stellt Josef Vonarburg den Antrag, der Entscheid des Staatsrates des Kantons Freiburg vom 5. Februar 1971 sei wegen Verletzung des Art. 4 BV aufzuheben. Die Begründung ergibt sich, soweit wesentlich, aus den nachstehenden Erwägungen.
D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg beantragt namens des Staatsrates Abweisung der Beschwerde.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
a) Weder das Beamtengesetz noch das Besoldungsgesetz des Kantons Freiburg sieht die Rückversetzung eines Beamten in den Jahresstufen seiner Besoldungsklasse vor. Dass eine solche Rückversetzung grundsätzlich ausgeschlossen ist, ergibt sich daraus, dass Art. 19 lit. c des Beamtengesetzes in der Fassung vom 15. November 1967 als Disziplinarstrafe nur die Versetzung ins Provisorium mit Einstellung der jährlichen Gehaltsaufbesserungen, nicht aber den Entzug bisheriger Gehaltsaufbesserungen oder die Rückversetzung in den Stufen vorsieht. Umso weniger kann eine solche Rückversetzung ohne disziplinarische Gründe zulässig sein. Das Gleiche ist auch aus Art. 26 des Beamtengesetzes zu schliessen, wonach das Höchstgehalt einer Besoldungsklasse spätestens nach zehn Jahren erreicht wird, sowie aus den in Art. 5 enthaltenen Besoldungsskalen, nach denen die Spanne zwischen Minimum und Maximum einer Klasse in zehn Jahren erreicht wird (vgl. auch Art. 4 des Besoldungsgesetzes).
b) Der Staatsrat behauptet denn auch nicht, die Rückversetzung eines Beamten in den Jahresstufen sei generell zulässig. Er begründet die angefochtene Rückversetzung des Beschwerdeführers mit einer Übergangsregelung, die der Gesetzgeber im Gesetz vom 14. Mai 1970 getroffen habe. Dieses Gesetz enthält jedoch, im Gegensatz zum Besoldungsgesetz vom 20. November 1964, keine Übergangsbestimmung über die Einreihung der Beamten in die Klassen und Stufen der neuen Besoldungsskalen. Im Grossen Rat haben das Grossratsmitglied Baillif und der Regierungssprecher noch besonders darauf hingewiesen, dass sich bei der Anwendung der im Gesetz von 1964 enthaltenen Übergangsbestimmung Schwierigkeiten ergeben haben (Protokoll S. 589/90 und 594/95). Da die Revision von 1970 keine grundsätzliche Änderung der Besoldungsskala mit sich brachte, vielmehr die bisherigen 20 Klassen mit 10 Stufen zwischen Minimum und Maximum beibehielt und lediglich die Besoldungsansätze erhöhte, mochten Übergangsbestimmungen als entbehrlich erscheinen. Ihr Fehlen stellt keine echte Lücke des Gesetzes dar, die von den Verwaltungsbehörden auszufüllen wäre. Wurden aber durch die Revision vom 14. Mai 1970 nur die Besoldungsansätze erhöht, so blieben die Klasseneinteilung und die Einstufung der Beamten unverändert und fehlt die gesetzliche Grundlage für eine Verfügung, welche einen Beamten in eine frühere Jahresstufe zurückversetzt.
c) Der Staatsrat ist der Auffassung, eine solche Rückversetzung sei trotz dem Fehlen einer dem Art. 13 des Besoldungsgesetzes entsprechenden Übergangsbestimmung zulässig, weil die Absicht des Gesetzgebers dahin gegangen sei, für 1970 den Beamten aller Klassen eine Besoldungserhöhung von nur 5% zu gewähren. Diese Absicht einer linearen Besoldungserhöhung ist dem Wortlaut des Gesetzes, das nirgends Prozentsätze nennt, nicht zu entnehmen. Der Staatsrat beruft sich denn auch für die angebliche Absicht des Gesetzgebers ausschliesslich auf die Entstehungsgeschichte des Gesetzes.
In der Botschaft Nr. 158 vom 14. April 1970 führte der Staatsrat u.a. aus, er schlage eine allgemeine Besoldungserhöhung von 8% in zwei Etappen, 5% ab 1. Januar 1970 und 3% ab 1 Januar 1971, vor; dass die Skala für die Klassen 1, 2 und 20 grössere Erhöhungen vorsehe, blieb unerwähnt. Im Grossen Rat erklärte der Finanzdirektor in seinem einleitenden Referat u.a., dass die vorgeschlagenen neuen Skalen einer linearen Besoldungserhöhung entsprächen, ausgenommen für die Klassen 1, 2 und 20; was die zwei obersten Klassen betreffe, so sei der Abstand zwischen den Minima der Klassen 1, 2 und 3 verdoppelt worden, doch werde an dem für die Gesamtheit des Staatspersonals angewandten Grundsatz der linearen Erhöhung von 5% auch bei diesen Klassen festgehalten (Protokoll S. 583). Als in der Folge das Grossratsmitglied Baillif auf die stärkere Erhöhung der Ansätze für die Klassen 1 und 2 hinwies und sich nach den Gründen dieser Sonderbehandlung erkundigte (Protokoll S. 589), erwiderte ihm der Finanzdirektor in seinem Schlusswort, dass der Staat bei der Rekrutierung der höheren Kader nicht mehr konkurrenzfähig und dies der Grund dafür sei, dass bei den Klassen 1 und 2 trotz Anwendung des Grundsatzes der absolut linearen Besoldungserhöhung der Abstand zwischen den Klassen erhöht worden sei, um zu einem höheren Maximum als bisher zu gelangen (Protokoll S. 594). Hierauf nahm der Grosse Rat den vorgeschlagenen Art. 5 des Besoldungsgesetzes mit den neuen Gehaltsskalen ohne Änderung an.
Der Staatsrat schliesst aus diesem Gang der Verhandlungen, der Grosse Rat habe sich mit der Anwendung des neuen Art. 5 gemäss den Erklärungen des Finanzdirektors einverstanden erklärt. Selbst wenn dem so wäre, dann wäre damit noch keine gesetzliche Grundlage für die angefochtene Rückversetzung des Beschwerdeführers von der 8. in die 6. Jahresstufe geschaffen worden. Die Gesetzesmaterialien können Anhaltspunkte für die Auslegung unklarer Gesetzesbestimmungen geben. Dagegen sind Meinungsäusserungen des Regierungssprechers oder einzelner Parlamentarier, auch wenn sie unwidersprochen geblieben sind, für die Gesetzesauslegung nicht massgeblich, wenn sie nicht im Gesetzestext selber Ausdruck gefunden haben (vgl. BGE 92 I 308 /9 und BGE 95 I 510 /11 je mit Hinweis auf frühere Urteile). Das Gesetz vom 14. Mai 1970, durch das Art. 5 des Besoldungsgesetzes geändert wurde, weist keine Unklarheiten auf, zu deren Aufhellung auf die Beratung im Grossen Rat zurückgegriffen werden müsste. Der Staatsrat tut denn auch nicht dar, welche konkrete Gesetzesbestimmung der Auslegung in dem von ihm vertretenen Sinne zugänglich wäre. Wird das Gesetz entsprechend seinem klaren Wortlaut angewendet und ausserdem berücksichtigt, dass der Gesetzgeber offenbar bewusst auf Übergangsbestimmungen verzichtet hat, so bleibt jeder Beamte in seiner bisherigen Klasse und Jahresstufe. Diese Folge kann nicht als unvernünftig und sinnwidrig bezeichnet werden, was allenfalls eine Auslegung gegen den klaren Wortlaut des Gesetzes rechtfertigen würde (vgl. BGE 93 I 262 /63 mit Hinweis auf frühere Urteile, BGE 95 I 326 E. 3). Die Sonderbehandlung der Klassen 1 und 2 bezweckte deren besoldungsmässige Bevorzugung, hat doch der Staatsrat sowohl in der Botschaft (S. 1/2) als auch bei der Beratung im Grossen Rate (Protokoll S. 582) besonders auf die grossen Schwierigkeiten hingewiesen, denen die Erhaltung und die Rekrutierung der höheren Kader begegnen. Eine Übergangslösung, welche die den Beamten dieser Klassen nach Gesetz zukommende Besserstellung hinausschiebt, beeinträchtigt die angeführte Zielsetzung. Sie drängt sich im Hinblick auf eine reibungslose Einführung der neuen Bestimmungen keineswegs auf, sondern beschränkt lediglich den finanziellen Mehraufwand des Staates in den der Revision unmittelbar folgenden Jahren. Damit lässt sich aber eine vom Gesetz nicht vorgesehene Rückversetzung eines Beamten in den Jahresstufen nicht rechtfertigen.
d) Der im angefochtenen Entscheid enthaltene Hinweis des Staatsrates darauf, dass die Ansprüche der Beamten keine wohlerworbenen Rechte darstellen, ist unbehelflich. Auch wenn die Rechtsstellung des Beamten grundsätzlich gegenüber Massnahmen des Gesetzgebers nicht geschützt ist, so ist damit nicht gesagt, dass eine Rückversetzung in den Jahresstufen ohne gesetzliche Grundlage erfolgen darf.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Staatsrates des Kantons Freiburg vom 5. Februar 1971 aufgehoben.