25. Urteil vom 20. Juni 1973 i.S. Kiechler und Mitbeteiligte gegen Kanton Schwyz.
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Regeste
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Art. 85 lit. a OG. Volksabstimmung über die Wiedereinführung des Frühjahrsschulbeginns. Formulierung der Abstimmungsfrage. Schulkonkordat.
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2. Anforderungen an die Klarheit der Abstimmungsfrage und an die Richtigkeit und Vollständigkeit des behördlichen Berichtes (Erw. 2 b und c).
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3. Wegen Verletzung von Konkordatsvorschriften, die sich nur an die Kantone richten und kein unmittelbar auf die einzelnen Bürger anwendbares Recht enthalten, kann nicht staatsrechtliche Beschwerde geführt werden (Erw. 3).
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Sachverhalt
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A.- Am 22. April 1971 beschloss der Kantonsrat des Kantons Schwyz, dem Interkantonalen Schulkonkordat beizutreten. Dieses Konkordat vom 29. Oktober 1970 enthält in Art. 2 unter dem Titel "Verpflichtungen" folgende Vorschrift:
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"Die Konkordatskantone verpflichten sich, ihre Schulgesetzgebung in den folgenden Punkten anzugleichen:
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a) ...
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b) ...
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c) ...
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d) Das Schuljahr beginnt zwischen Mitte August und Mitte Oktober."
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Der Schwyzer Kantonsrat beschloss gleichzeitig mit dem Beitritt die sich aus dem Konkordat ergebende Revision der kantonalen Schulverordnung und setzte dabei in § 12 den Schulbeginn auf den Zeitpunkt nach den Sommerferien fest. Der Kantonsratsbeschluss vom 22. April 1971 war dem fakultativen Referendum unterstellt. Dieses wurde nicht benützt, so dass der Beschluss und die darin angeordnete Verlegung des Schuljahrbeginns rechtskräftig geworden sind.
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B.- Am 7. Dezember 1972 wurde der Staatskanzlei ein Initiativbegehren mit folgendem Text eingereicht:
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"Die unterzeichneten stimmberechtigten Einwohner des Kantons Schwyz stellen dem Regierungsrat das Begehren, dass im Sinne von Art. 31 Abs. 2 der Kantonsverfassung möglichst bald eine Volksabstimmung betreffs Beibehaltung des Schulbeginns im Frühjahr anzuordnen sei (in Abänderung des § 12 der revidierten Schulverordnung)."
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Diese Initiative wurde den Stimmberechtigten vom Regierungsrat mit dem Antrag auf Verwerfung unterbreitet. Die Frage auf dem Stimmzettel lautete:
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"Wollt Ihr die Initiative 'betreffs Beibehaltung des Schulbeginns im Frühjahr (in Abänderung des § 12 der revidierten Schulverordnung)' annehmen?"
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Mit einem knappen Mehr von 10544 Ja gegen 10202 Nein nahmen die Stimmbürger am 4. März 1973 die Initiative an.
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C.- Gegen diesen Volksentscheid reichte eine Gruppe von fünf Lehrern am 15. März 1973 eine staatsrechtliche Beschwerde ein mit folgenden Anträgen:
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"1. Die Volksinitiative sei wegen der Unklarheit der Fragestellung und wegen der Unvereinbarkeit mit dem Konkordatsrecht als unzulässig zu erklären.
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2. Das Resultat der Volksabstimmung vom 4. März 1973 sei aus denselben Überlegungen als nichtig zu erklären."
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Zur Begründung wird geltend gemacht, Initiativtext und Abstimmungsfrage seien irreführend gewesen, weil von einer "Beibehaltung" des Schulbeginns im Frühjahr gesprochen wurde, obwohl die Umstellung auf den Herbstschulbeginn rechtskräftig beschlossen und auch praktisch so weit vorbereitet gewesen sei, dass ein Abbruch des auf 1973 angesetzten Langschuljahres nicht mehr in Betracht kam. Viele Stimmbürger hätten angenommen, die vorgeschlagene "Beibehaltung" des Frühjahrsschulbeginnes hebe das Langschuljahr auf; die frühere Ordnung könne einfach beibehalten werden. Weil der Grundsatz der Klarheit und Unmissverständlichkeit der Fragstellung missachtet worden sei, liege eine Verletzung des Stimmrechts vor, und die Abstimmung sei aus diesem Grunde zu kassieren. Die Initiative verletze aber auch das Konkordat über die Schulkoordination.
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D.- Am 3. April 1973 wurde von den gleichen Beschwerdeführern und einem weitern Unterzeichner eine zweite staatsrechtliche Beschwerde eingereicht mit dem materiellen Hauptantrag, der Volksentscheid vom 4. März 1973 über die Initiative "betreffs Beibehaltung des Schulbeginns im Frühjahr" sei nichtig zu erklären und aufzuheben.
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Die Begründung der zweiten Beschwerde unterscheidet sich von der Begründung der ersten Beschwerde nicht grundsätzlich. Zur Rüge der Unklarheit der Abstimmungsfrage wird die Einvernahme namentlich genannter Zeugen beantragt. Überdies wird dem Regierungsrat vorgeworfen, er habe im Bericht zur Initiative erklärt, die Umstellung auf den Frühjahrsschulbeginn wäre im Frühling 1974 möglich; das treffe jedoch nicht zu, weil ein Austritt aus dem Konkordat vor 1976 nicht zulässig sei und die Verlegung des Schulbeginns auf das Frühjahr erst 1977 in Frage komme. Die vom Regierungsrat verschuldete falsche Information habe manchen Stimmbürger veranlasst, für die Initiative zu stimmen oder nicht an die Urne zu gehen. Schliesslich wiederholen die Beschwerdeführer die schon in der ersten staatsrechtlichen Beschwerde erhobene Rüge, die Initiative verletze das Konkordat, die durch den Beitritt zum Konkordat eingegangene vertragliche Bindung könne durch die Initiative nicht gelöst werden.
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E.- Der Regierungsrat des Kantons Schwyz beantragt, die erste Beschwerde abzuweisen und auf die zweite Beschwerde nicht einzutreten, eventuell sie ebenfalls abzuweisen. Auf die in den Vernehmlassungen vorgebrachten Argumente wird - soweit notwendig - in den nachfolgenden Erwägungen Bezug genommen.
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F.- Der Präsident der staatsrechtlichen Kammer hat das in beiden Beschwerdeschriften enthaltene Gesuch, es sei den Beschwerden aufschiebende Wirkung zu erteilen, abgewiesen, da die Schwyzer Behörden ohnehin beschlossen, bis zur Entscheidung über die beiden staatsrechtlichen Beschwerden dem Ergebnis der Volksabstimmung vorläufig keine Folge zu geben.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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a) Als im Kanton Schwyz stimmberechtigte Bürger sind die Beschwerdeführer legitimiert, mit staatsrechtlicher Beschwerde gemäss Art. 85 lit. a OG eine Verletzung der politischen Stimmberechtigung zu rügen.
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Wird die Formulierung der Abstimmungsfrage angefochten, so läuft die dreissigtägige Frist zur Einreichung der staatsrechtlichen Beschwerde von dem Zeitpunkt an, in welchem der massgebende Beschluss über die beanstandete Formulierung publiziert wurde (BGE 74 I 22, BGE 81 I 208, BGE 89 I 400 und 442, BGE 90 I 72, BGE 99 Ia 180, E.1). Im vorliegenden Fall ist die Abstimmungsfrage den Stimmberechtigten mit dem Bericht des Regierungsrates zur Initiative "betreffs Beibehaltung des Schulbeginns im Frühjahr" bekanntgegeben worden. Dieser vom 29. Januar 1973 datierte Bericht wurde im Bezirk Küssnacht am 15. Februar 1973 zuhanden der Stimmberechtigten verschickt. Durch die am 15. März 1973 der Post übergebene erste staatsrechtliche Beschwerde ist die mit der Publikation der Abstimmungsfrage beginnende Frist somit auf jeden Fall gewahrt. Hingegen ist die zweite, erst am 3. April 1973 der Post übergebene Beschwerde, soweit darin ebenfalls die Formulierung der Abstimmungsfrage angefochten wird, verspätet, und es kann daher auf Vorbringen zu diesem Punkt, die nur in der zweiten Beschwerde enthalten sind, nicht eingetreten werden.
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b) Die Beschwerdeführer beanstanden vor allem die Verwendung des Wortes "Beibehaltung" im Initiativtext und in der Abstimmungsfrage und machen geltend, es hätte korrekterweise von "Wiedereinführung" gesprochen werden müssen.
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Der Ausdruck "Beibehaltung" konnte die Rechtslage nicht vollständig zum Ausdruck bringen. Dadurch, dass aber sowohl im Initiativtext als auch auf dem Stimmzettel in einer Klammer deutlich gesagt wurde, es gehe um eine Abänderung des § 12 der revidierten Schulverordnung, konnte selbst einem Stimmbürger, der nur die Abstimmungsfrage las, nicht entgehen, dass der Vorstoss eine Änderung der beschlossenen Ordnung anstrebte und nicht eine blosse Bestätigung des geltenden Rechtszustandes. Von "Beibehaltung" des Frühjahrschulbeginns zu sprechen, liess sich damit rechtfertigen, dass der Herbstschulbeginn wohl beschlossen, aber noch nicht eingeführt war. Da der Frühjahrsschulbeginn wohl rechtlich (für die Zukunft), aber nicht faktisch abgeschafft war, hätte es der wirklichen Situation nur teilweise entsprochen, wenn das Ziel der Initiative mit "Wiedereinführung" umschrieben worden wäre; grössere Klarheit hätte man damit nicht erreicht. Jeder Stimmberechtigte, der sich auch nur einigermassen für das sachliche Problem interessierte, konnte nicht darüber im Zweifel sein, dass die Initianten die bereits beschlossene Umstellung auf den Herbstschulbeginn verhindern und durch Änderung der revidierten Schulverordnung die Beibehaltung der bisherigen Regelung erreichen wollten.
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Aus der Formulierung der Abstimmungsfrage war nicht ersichtlich, welche Lösung bei Annahme der Initiative im Frühling 1973 Platz greifen würde. Es mag auch sein, dass einzelne von Sachkenntnis unbelastete Stimmbürger davon ausgingen, bei einer Annahme der Initiative in der Volksabstimmung vom 4. März 1973 könne das zur Umstellung auf den Herbstschulbeginn eingeschaltete Langschuljahr einfach abgebrochen werden und es bleibe ohne Schwierigkeit beim herkömmlichen Schulbeginn im Frühjahr. Im Bericht des Regierungsrates an die Stimmberechtigten (S. 6/7, 9) wurde jedoch in unmissverständlicher Weise dargelegt, dass es eigentlich irreführend sei, von "Beibehaltung" des Frühjahrsschulbeginns zu sprechen, weil das im Gang befindliche Langschuljahr nicht abgebrochen werden könne und so auf jeden Fall für 1973 der Schulbeginn im Spätsommer sich nicht vermeiden lasse. "Unmöglichkeit einer Rückkehr zum Schulbeginn im Frühjahr 1973" lautet ein fettgedruckter Zwischentitel des Berichtes (S. 7), und auf die Notwendigkeit eines Kurzschuljahres 1973/74 im Falle der Annahme der Initiative wird nachdrücklich hingewiesen (S. 10 Randtitel). Der Leser des Berichtes des Regierungsrates war über die mit der Annahme der Initiative verbundenen praktischen Komplikationen sicher nicht im Zweifel. Das wird von den Beschwerdeführern auch nicht behauptet. In der Abstimmungsfrage selber konnten natürlich nicht alle eventuellen Übergangsschwierigkeiten zum Ausdruck kommen. Vom Stimmberechtigten muss erwartet werden, dass er nicht nur den Stimmzettel liest, sondern auch die ihm zugestellten Unterlagen. In den meisten Fällen stellt die Abstimmungsfrage bei weitem keine genügende, mögliche Irrtümer ausschliessende Information dar. Die Formulierung der Frage war im vorliegenden Fall nicht irreführend, sondern umschrieb die Rechtslage genau, ohne die praktischen Schwierigkeiten einer nochmaligen Änderung des revidierten § 12 der Schulverordnung zum Ausdruck bringen zu können. Der Bericht des Regierungsrates beleuchtete die Konsequenzen einer Annahme der Initiative in klarer und eindeutiger Weise. Die Beanstandung der Abstimmungsfrage erweist sich somit als unbegründet.
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c) Im Sinne einer Kritik der Abstimmungsvorbereitung wird - vor allem in der zweiten staatsrechtlichen Beschwerde - noch geltend gemacht, die Auswirkungen einer Annahme der Initiative auf das Verhältnis zu den übrigen Konkordatskantonen sei im Bericht der Regierung nicht richtig dargestellt worden. Es fragt sich, ob diese Rüge in der ersten Beschwerde schon mitenthalten ist oder ob sie sich erst aus der - in diesem Punkt verpäteten - zweiten Beschwerde ergibt.
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Auf jeden Fall kann auch diese Rüge aus materiellen Gründen nicht zu einer Aufhebung der Volksabstimmung führen. Der Regierungsrat hat in seinem Bericht (S. 6) recht deutlich dargelegt, dass die Annahme der Initiative den Verpflichtungen des Konkordates zuwiderlaufe und als "Änderung der Marschrichtung um 180 Grad" zu werten sei. Er hat allerdings nicht erklärt, bei Annahme der Initiative müsse der Kanton Schwyz das Konkordat kündigen, und er hat im Gegensatz zu den Beschwerdeführern auch nicht angenommen, es müsse auf jeden Fall bis zum Ablauf der dreijährigen Kündigungsfrist der Schuljahrbeginn im Spätsommer beibehalten werden. Dass Kantone, welche den Herbstschulbeginn noch nicht einführen können, zur Kündigung des Konkordates veranlasst werden, ist nach der neuesten Entwicklung unwahrscheinlich. Auch nach dem Wortlaut des Konkordates (insbes. Art. 8 Abs. 3) durfte der Regierungsrat davon ausgehen, dass die Mitgliedschaft auch bei Nichterfüllung der Verpflichtungen von Art. 2 lit. d mindestens vorläufig geduldet werde. Wenn der Regierungsrat sich im Bericht darauf beschränkte, die negativen politischen und praktischen Folgen einer Annahme der Initiative aufzuzeigen, und es vermied, aus dem erst in Realisierung begriffenen Konkordat in dieser oder jener Richtung formelle Konsequenzen zu ziehen, so blieb er damit auf dem Boden der Realität des schweizerischen Konkordatsrechts, und diese Zurückhaltung kann ihm nicht als Irreführung der Stimmberechtigten zum Vorwurf gemacht werden.
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a) Gemäss Art. 84 Abs. 1 lit. b OG kann wegen Verletzung von Konkordaten staatsrechtliche Beschwerde erhoben werden. Diese Möglichkeit besteht aber nur, wenn eine interkantonale Vereinbarung die Privaten direkt berechtigt oder verpflichtet und nicht nur Rechte und Pflichten der beteiligten Kantone begründet (BGE 47 I 321ff,BGE 61 I 196ff; Urteil des Bundesgerichtes vom 22. Dezember 1965, publiziert in ZBl 1966 S. 306 E. 3; HÄFELIN, Aktuelle Fragen des Konkordatsrechts, SJZ 1973 S. 259). Ob man dies als eine Frage der Legitimation oder als eine solche der materiellen Begründetheit der Beschwerde ansehen will (vgl. BGE 96 I 645, BGE 88 I 358 E. 3), ist praktisch ohne Bedeutung.
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b) Das Konkordat über die Schulkoordination enthält in Art. 2 lit. d eine Verpflichtung der beteiligten Kantone, das Schuljahr zwischen Mitte August und Mitte Oktober beginnen zu lassen. Bei den Übergangsbestimmungen in Art. 8 Abs. 3 findet sich die Regel, dass die Festsetzung des Schuljahrbeginns im Sinne von Art. 2 lit. d grundsätzlich auf den Beginn des Schuljahres 1973/74 erfolgen soll. Diese Vorschriften bilden kein in den Vertragskantonen direkt anwendbares Recht, auf das sich der Bürger unmittelbar berufen könnte, sondern es handelt sich eindeutig um eine Verpflichtung der beteiligten Kantone, ihr internes Recht entsprechend anzupassen.
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Dem irgendwie betroffenen Privaten fehlt somit von vornherein die Möglichkeit, mit staatsrechtlicher Beschwerde die Nichteinhaltung dieser Konkordatsverpflichtung zu rügen. Ob Lehrer an sich zur staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung direkt anwendbaren interkantonalen Schulrechts legitimiert sein könnten, ist hier nicht zu prüfen. Auf die Rüge der Verletzung des Konkordates über die Schulkoordination kann wegen Fehlens der Legitimation nicht eingetreten werden.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Beschwerden werden im Sinne der Erwägungen abgewiesen.
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