BGE 100 Ia 89 |
14. Urteil vom 27. März 1974 i.S. Gemeinde Bassersdorf gegen Kappeler und Regierungsrat des Kantons Zürich. |
Regeste |
Art. 4 BV; Gemeindeautonomie; Art. 48 KV Zürich. |
Sachverhalt |
"Verlangen grosse Bauvorhaben eine umfassende Erweiterung des Leitungsnetzes (Leitungen und Transformerstationen), so wird die Erstellung solcher Verteilanlagen von einer angemessenen Kostenbeteiligung durch die Bauherrschaft abhängig gemacht."
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B.- Gegen den Beschluss der Gemeindeversammlung reichte der Stimmberechtigte Walter Kappeler einen Rekurs ein, den der Bezirksrat Bülach am 24. Juni 1971 abwies.
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Der Regierungsrat des Kantons Zürich hiess die hiegegen eingereichte Beschwerde Kappelers gut und hob die angefochtenen Vorschriften des Reglementes (Art. 5 Ziff. 1 Abs. 2-4 und Ziff. 5 Abs. 2) auf. Nach seiner Meinung erweist sich zwar der Einwand des Rekurrenten, die Erhebung von Beiträgen an die Erweiterungsbauten des EW Bassersdorf sei ungesetzlich, als unbegründet. Doch erachtet der Regierungsrat die von der Gemeinde Bassersdorf getroffene Regelung als sachlich unbefriedigend und unbillig.
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C.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde beantragt die politische Gemeinde Bassersdorf die Aufhebung des regierungsrätlichen Entscheides mit der Begründung, er verletze die Gemeindeautonomie und verstosse gegen Art. 4 BV.
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Der Regierungsrat und Walter Kappeler beantragen die Abweisung der Beschwerde. Die einzelnen von den Parteien vorgebrachten Argumente ergeben sich, soweit erforderlich, aus den nachfolgenden Erwägungen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: |
b) Zur selbständigen Rüge einer Verletzung von Art. 4 BV ist eine Gemeinde nicht legitimiert; sie kann sich jedoch im Zusammenhang mit der Beschwerdeführung wegen Verletzung der Gemeindeautonomie auch auf Art. 4 BV berufen (BGE 97 I 511, BGE 94 I 455). Die Beschwerdeführerin macht geltend, die von ihr getroffene Regelung der Beitragspflicht verstosse nicht gegen Art. 4 BV; hingegen habe der Regierungsrat willkürlich entschieden, indem er von aktenwidrigen Annahmen ausgegangen sei und die effektive Berechnungsart der Baubeiträge einfach übergangen habe. Diese Argumentation bezieht sich mittelbar auf die Rüge einer Verletzung der Gemeindeautonomie und hat keine selbständige Bedeutung. In diesem Sinne kann darauf eingetreten werden.
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c) Das zürcherische Gesetz über das Gemeindewesen vom 6. Juni 1926 (GG) bestimmt in § 155 Abs. 2, dass ein Entscheid des Bezirksrates, der einen Beschluss der Gemeindeversammlung aufhebt - von bestimmten Ausnahmen abgesehen - stets der Gemeindeversammlung vorzulegen ist zur Entscheidung, ob ein Rechtsmittel ergriffen werden soll.
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Im vorliegenden Fall wurde der Beschluss der Gemeindeversammlung vom Bezirksrat bestätigt, aber vom Regierungsrat aufgehoben. § 155 Abs. 2 GG bezieht sich nach seinem Wortlaut nicht auf diesen Fall. Immerhin liegt die Folgerung nahe, dass die für die Anfechtung eines Bezirksratsbeschlusses notwendige Zustimmung der Gemeindeversammlung auch für die Einlegung eines Rechtsmittels gegen einen entsprechenden Entscheid des Regierungsrates erforderlich sei. Dass der Gemeinderat die staatsrechtliche Beschwerde ohne Beschluss der Gemeindeversammlung eingereicht hat, ist unbestritten. Zwar wurde am 11. Juni 1971 von der Gemeindeversammlung - im Hinblick auf die Eingaben des Beschwerdegegners - ein Kredit von Fr. 30 000.-- für die Führung von Verwaltungsrekursen bewilligt. Doch stellt diese allgemeine Kreditbewilligung keine dem § 155 Abs. 2 entsprechende Entscheidung dar.
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Der Regierungsrat hat in seiner Vernehmlassung keine formellen Einwände gegen die Zulässigkeit der Beschwerde erhoben und insbesondere nicht geltend gemacht, es fehle ein Beschluss der Gemeindeversammlung. Er legt offenbar dem § 155 Abs. 2 GG keine über den Wortlaut hinausgehende Bedeutung bei. Es scheint auch keine kantonale Praxis zu bestehen, wonach diese Vorschrift analog für die Anfechtung von Beschlüssen des Regierungsrates gelten soll. Für das Bundesgericht besteht daher kein Anlass, den Anwendungsbereich dieser speziellen Verfahrensvorschrift durch Analogie zum Nachteil der beschwerdeführenden Gemeinde auszudehnen.
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Musste § 155 Abs. 2 GG bei der Einreichung der staatsrechtlichen Beschwerde nicht beachtet werden, so bestehen keine Zweifel an der Befugnis des Gemeinderates zur Vertretung der Gemeinde in diesem Verfahren. § 64 GG gibt der Gemeindevorsteherschaft eine subsidiäre Zuständigkeit zur Besorgung der Gemeindeangelegenheiten, soweit sie nicht andern Behörden zugewiesen sind. Aus der in der Gemeindeordnung von Bassersdorf dem Gemeinderat eingeräumten Kompetenz zur Erteilung einer Prozessvollmacht bis zu einem Streitwert von Fr. 50 000.-- darf gefolgert werden, dass der Gemeinderat auch ein staatsrechtliches Verfahren ohne bestimmten Streitwert und ohne erhebliches Kostenrisiko selbständig einleiten kann.
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Der Betrieb eines Elektrizitätswerkes (Verteilwerkes) gehört unbestrittenermassen zum autonomen Wirkungskreis zürcherischer Gemeinden. Die Aktivität der Gemeinde auf diesem Gebiet steht unter dem Schutz von Art. 48 KV, der folgenden Wortlaut hat:
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"Die Gemeinden sind befugt, ihre Angelegenheiten innerhalb der Schranken der Verfassung und Gesetze selbständig zu ordnen. Gemeindebeschlüsse können in sachlicher Beziehung nur angefochten werden, wenn sie offenbar über die Zwecke der Gemeinde hinausgehen und zugleich eine erhebliche Belastung der Steuerpflichtigen zur Folge haben, oder wenn sie Rücksichten der Billigkeit in ungebührlicher Weise verletzen."
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Der Regierungsrat erklärte jedoch, die von der Beschwerdeführerin getroffene Regelung der Beitragspflicht sei inhaltlich unbefriedigend und verstosse gegen Rücksichten der Billigkeit. Die teilweise Aufhebung der Vorschriften des EW-Reglementes erfolgte also gestützt auf die im 2. Satz von Art. 48 KV eingeräumte Befugnis, Gemeindebeschlüsse aufzuheben, "wenn sie Rücksichten der Billigkeit in ungebührlicher Weise verletzen".
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a) Der Regierungsrat beanstandet an der durch die Gemeinde Bassersdorf beschlossenen Regelung, dass sie die Beitragspflicht von Voraussetzungen abhängig mache, welche als Kriterien zur Bestimmung des auszugleichenden Sondervorteils ungeeignet seien:
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aa) Grosse Bauvorhaben könnten zwar grosse Aufwendungen seitens des Elektrizitätswerks erfordern, doch ständen in solchen Fällen den Ausgaben des Werkes in der Regel entsprechend hohe Gebühreneinnahmen gegenüber. Grosse einheitliche Überbauungen gestatteten oft eine rationelle Anlage des Leitungsnetzes. Aus der Grösse des Bauvorhabens könne nicht auf einen auszugleichenden Sondervorteil geschlossen werden. Die Kritik des Regierungsrates an der gewählten Formulierung ist überzeugend. Entfallen hohe Gesamtkosten eines Netzausbaus auf eine grosse Zahl von Wohnungen und sind entsprechende Einnahmen aus Stromlieferungen zu erwarten, so entsteht weder seitens des Bauherrn ein auszugleichender Sondervorteil, noch seitens des Werkes eine im Vergleich zu andern Anschlüssen überdurchschnittliche Belastung durch Baukosten. Ohne dass hier die von verschiedenen Faktoren abhängigen Kosten des Leitungsbaus für einzelne Arealüberbauungen verschiedenen Ausmasses konkret erörtert werden müssten, erscheint es als ganz offensichtlich, dass die Grösse des Bauvorhabens an sich kein taugliches Kriterium zur Bestimmung der Beitragspflicht bildet. Auch bei einem grossen Bauvorhaben kann die nach der Zahl der Wohnungen berechnete Anschlussgebühr einen durchaus angemessenen Beitrag an die vom Werk zu erstellenden Leitungen bilden. Umgekehrt erfordert unter Umständen ein kleineres Bauvorhaben Aufwendungen des Elektrizitätswerks, die zum Ausmass des künftigen Strombezuges in einem Missverhältnis stehen, so dass die vom Werk zu leistende Erschliessungsarbeit dem Bauherrn einen Sondervorteil verschafft, dessen Ausgleich durch einen Baubeitrag gerechtfertigt ist.
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bb) Durch die weitere, kumulative Voraussetzung, dass nur die Notwendigkeit einer "umfassenden Erweiterung des Leitungsnetzes (Leitungen und Transformerstationen)" eine Beitragspflicht nach sich zieht, wird die ganze Regelung nicht entscheidend verbessert. Vor allem muss aus der gewählten Formulierung der Schluss gezogen werden, dass ein Bauvorhaben, welches nicht als "gross" zu bezeichnen ist, in keinem Fall zur Beitragspflicht führt, selbst wenn es eine umfassende, nicht rentable Erweiterung des Leitungsnetzes auslöst.
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b) In der sachlich nicht begründeten Beschränkung der Beitragspflicht auf grosse Bauvorhaben sieht der Regierungsrat mit Recht einen Verstoss gegen Art. 4 BV: Bei grossen Bauvorhaben, die eine umfassende Erweiterung des Leitungsnetzes verlangen, kann nach dem Wortlaut von Art. 5 Ziff. 1 Abs. 2 EW-Reglement ein Baubeitrag verlangt werden, selbst wenn bei wirtschaftlicher Beurteilung der Gesamtanlage weder ein überdurchschnittlicher Erschliessungsaufwand des Werkes noch ein Sondervorteil des Bauherrn nachgewiesen ist. Ist andererseits ein Bauvorhaben nicht als gross zu bezeichnen, so entfällt die Beitragspflicht von vornherein, obschon durch das Werk eventuell ein ausgleichwürdiger Sondervorteil geschaffen wird.
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Indem der Regierungsrat diese Regelung als die Rücksichten der Billigkeit in ungebührender Weise verletzend aufhob, griff er nicht unbefugt in den autonomen Bereich der Gemeinde ein, sondern hielt sich an die in Art. 48 KV fixierte Grenze.
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6. a) Auf die Ausführungen der Beschwerdeschrift über die wirtschaftliche Lage des Elektrizitätswerkes Bassersdorf ist nicht einzutreten. Denn es geht ja hier nicht um die Feststellung der Notwendigkeit von Mehreinnahmen durch Baubeiträge, sondern um die rechtliche Umschreibung einer sachlich begründeten Ordnung der Beitragspflicht.
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b) In der Beschwerde werden die Belastungen des Werkes durch die Erweiterung des Leitungsnetzes bei verschiedenen Überbauungen berechnet. Alle Berechnungen basieren auf dem Vergleich zwischen den Anlagekosten des Werkes und dem zu erwartenden Gebührenertrag. Als Belastung, die durch Baubeiträge gedeckt werden sollte, wird dabei die Differenz zwischen dem "dreifachen Jahresstromertrag" und den Anlagekosten gewertet.
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Der Regierungsrat verlangt von der Gemeinde lediglich ein Reglement, das im wesentlichen den diesen Berechnungen zugrunde liegenden Überlegungen folgt. Die sehr unbestimmten Kriterien "grosses Bauvorhaben" und "umfassende Erweiterung des Leitungsnetzes" sollen durch eine Regelung ersetzt werden, welche im Prinzip auf das Verhältnis zwischen Netzausbaukosten und mutmasslichem Gebührenertrag abstellt. Soziale Rücksichten - etwa bei abgelegenen Siedlungen - sind durch eine klare Festlegung sachlicher Kriterien nicht ausgeschlossen. - Die Frage, ob nicht schon die ungenügende Bestimmtheit der Abgabepflicht nach allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen zur Aufhebung der angefochtenen Vorschriften hätte führen müssen, kann offen bleiben.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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