BGE 103 Ia 242 |
42. Auszug aus dem Urteil vom 13. Juli 1977 i.S. Christian Science Society gegen Kantonale Rekurskommission Solothurn |
Regeste |
Art. 4 BV; gesetzliche Grundlage im Abgaberecht; Rechtsgleichheit; Willkürverbot. |
2. Anspruch auf rechtsgleiche Behandlung bei gesetzwidriger Praxis (E. 3). |
3. Wenden kantonale Behörden eine gesetzwidrige Verordnung während langer Zeit in Kenntnis des genannten Mangels an und wollen sie diese auch in Zukunft zur Anwendung bringen, kann der Bürger verlangen, dass die gesetzwidrige Begünstigung, die der Erlass gewährt, auch ihm zuteil werde (E. 4). |
Sachverhalt |
§ 2 Abs. 1 EStG sieht folgende Ausnahmen vor:
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"Von Vermächtnissen zugunsten von Pfarrkirchen, Pfarrpfründen, öffentlichen Armen- und Unterrichtsanstalten in unserem Kanton wird nur eins von Hundert bezahlt."
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"1. Die in § 2 des Erbschaftssteuergesetzes vom 13. Dezember 1848 vorgesehene Minimalsteuer von Vermächtnissen zugunsten von Pfarrkirchen, Pfarrpfründen, öffentlichen Armen- und Unterrichtsanstalten in unserem Kanton findet für die Zukunft auch Anwendung auf alle Vermächtnisse zugunsten kantonaler oder allgemein schweizerischer kirchlicher, wohltätiger oder gemeinnütziger Institutionen, ohne Rücksicht auf deren öffentlichen oder privaten Charakter."
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Die Christian Science Society, ein privatrechtlicher Verein mit religiöser Zwecksetzung, wurde in einem Erbgang mit einem Vermächtnis von Fr. 10'000.-- bedacht. Die Amtsschreiberei Solothurn erhob auf diesem Betrag eine Erbschaftssteuer von Fr. 1'500.-- (15%). Die beim Finanzdepartement des Kantons Solothurn eingereichte Einsprache blieb ohne Erfolg. Die kantonale Rekurskommission wies den gegen den Einspracheentscheid erhobenen Rekurs mit Urteil vom 14. Juni 1976 ab.
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Die Christian Science Society erhebt gegen diesen Entscheid staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV.
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Die kantonale Rekurskommission schliesst auf Abweisung der Beschwerde; das Bundesgericht heisst sie gut.
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Aus den Erwägungen: |
2. a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts dürfen öffentliche Abgaben nur aufgrund und im Rahmen eines Gesetzes in formellem Sinne erhoben werden (BGE 97 I 347 mit zahlreichen Hinweisen). Das Gesetz hat den Kreis der Abgabepflichtigen, den Gegenstand der Abgabe und deren Bemessung in ihren Grundzügen selber festzulegen (BGE 100 Ia 66; BGE 99 Ia 701; BGE 97 I 804); dabei bedürfen nicht nur die Steuererhebung, sondern auch Ausnahmen von der allgemeinen Steuerpflicht der Grundlage im Gesetz (IMBODEN/RHINOW, Verwaltungsrechtsprechung, 5. Auflage, S. 282, 799). Der Grundsatz der Gesetzmässigkeit im Abgaberecht ist daher verletzt, wenn die Festsetzung der wesentlichen Elemente einer Abgabe der Exekutive überlassen wird (BGE 99 Ia 701). Das gilt auch dann, wenn der durch eine gesetzliche Ausnahmebestimmung privilegierte Personenkreis durch die Exekutive vergrössert wird.
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b) Für das der Beschwerdeführerin ausgerichtete Vermächtnis im Betrage von Fr. 10'000.-- wäre auf Grund des Erbschaftssteuergesetzes von 1848 eine Erbschaftssteuer von Fr. 1'500.-- (15%) geschuldet (§ 1 Abs. 1 lit. d in Verbindung mit § 3 lit. a EStG und Art. 81 KV). Dieser Betrag wurde von den kantonalen Behörden in Rechnung gestellt. Als gesetzliche Grundlage für das von der Beschwerdeführerin beanspruchte Privileg kommt nur § 2 Abs. 1 EStG in Frage, welcher Vermächtnisse zugunsten (römisch-katholischer) Pfarrkirchen und Pfarrpfründen sowie öffentlicher Armen- und Unterrichtsanstalten einer Minimalsteuer von 1% unterwirft. In dieser Bestimmung sind die hier in Betracht fallenden Ausnahmen von der ordentlichen Erbschaftssteuer abschliessend geregelt, und der Vollzugsbehörde wird keine Kompetenz zu weiterer Privilegierung erteilt. Die kantonalen Behörden und die Beschwerdeführerin verkennen nicht, dass der Regierungsratsbeschluss von 1919 wesentlich über die vom Gesetz von 1848 gesteckten Grenzen hinausgeht und insoweit das Legalitätsprinzip verletzt. Sie sind sich auch bewusst, dass der Regierungsratsbeschluss grundsätzlich unverbindlich ist, soweit er über die gesetzliche Regelung hinaus weitere Steuersubjekte privilegiert. Da die Beschwerdeführerin nicht geltend macht, sie falle unter einen der vier in § 2 Abs. 1 EStG genannten Ausnahmetatbestände, müsste die Beschwerde in Anwendung des Legalitätsprinzips abgewiesen werden.
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a) Das Bundesgericht hat wiederholt ausgeführt, dass der Grundsatz der Gesetzmässigkeit der Verwaltung in der Regel der Rücksicht auf die gleichmässige Rechtsanwendung vorgeht und der Umstand, dass das Gesetz in andern Fällen nicht oder nicht richtig angewendet worden ist, dem Bürger grundsätzlich keinen Anspruch gibt, ebenfalls abweichend vom Gesetz behandelt zu werden (BGE 99 Ib 383; BGE 90 I 159 mit Hinweisen). Das kann jedoch nur gelten, wenn lediglich in einem einzigen oder in einigen wenigen Fällen eine abweichende Behandlung dargetan ist. Wenn dagegen die Behörden die Aufgabe der in andern Fällen geübten, gesetzwidrigen Praxis ablehnen, kann der Bürger verlangen, dass die gesetzwidrige Begünstigung, die dem Dritten zuteil wird, auch ihm gewährt werde (BGE 98 Ia 161 E. 7b, 658 mit Hinweisen). Der Gleichheitssatz des Art. 4 BV ist aber nur dann verletzt, wenn wesentlich Gleiches ungleich oder wesentlich Ungleiches gleich behandelt wird. Auf das Steuerrecht angewendet, verbietet er insbesondere, einzelne Personen oder Personenkreise trotz im wesentlichen gleicher tatsächlicher Voraussetzungen von der Besteuerung auszunehmen (BGE 90 I 162).
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b) Die kantonalen Behörden haben in ihrer ständigen Praxis nicht nur die im Erbschaftssteuergesetz vorgesehenen (römisch-katholischen) Pfarrkirchen und Pfarrpfründen, sondern alle drei Landeskirchen und ihre verselbständigten Institutionen mit der Minimalsteuer belegt. Die Vergünstigung wurde zudem von den öffentlichen Armen- und Unterrichtsanstalten auf alle öffentlichen und privaten gemeinnützigen und wohltätigen Institutionen ausgedehnt. Die Beschwerdeführerin behauptet nicht, dass die solothurnischen Behörden in ihrer bisherigen Praxis andern privaten kirchlichen Institutionen das Steuerprivileg gewährt hätten; bei den Akten liegen auch keine kantonalen Entscheide, welche eine solche Annahme zuliessen. Es stellt sich deshalb einzig die Frage, ob die unterschiedliche steuerliche Behandlung der von der Praxis privilegierten Institutionen einerseits und der privaten kirchlichen Institutionen andererseits gegen die Rechtsgleichheit verstösst. Die Frage müsste wohl verneint werden, weil wesentliche tatsächliche Unterschiede bestehen; sie braucht aber nicht abschliessend entschieden zu werden, weil die Beschwerde aus einem andern Grund gutgeheissen werden muss.
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4. a) Wie in Erwägung 2 ausgeführt wurde, entbehrt der Regierungsratsbeschluss von 1919 der Grundlage im formellen Gesetz, wie sie für die betroffene Regelungsmaterie erforderlich wäre. Wenden jedoch kantonale Behörden eine solche Verordnung während Jahrzehnten in Kenntnis des genannten Mangels an und wollen sie diese auch in Zukunft zur Anwendung bringen, kann der Bürger verlangen, dass die gesetzwidrige Begünstigung, die der Erlass gewährt, auch ihm zuteil werde. Die Beschwerdeführerin kann deshalb mit staatsrechtlicher Beschwerde geltend machen, das im Beschluss vorgesehene Steuerprivileg sei ihr aus unhaltbaren Gründen verweigert worden. Das Bundesgericht überprüft die von der kantonalen Rekurskommission vorgenommene Auslegung des Regierungsratsbeschlusses auf Willkür hin und hebt deren Entscheid auf, wenn er mit sachlichen Gründen nicht vertreten werden kann.
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b) Die kantonalen Behörden vertreten die Rechtsauffassung, der Regierungsratsbeschluss von 1919 privilegiere nur die Landeskirchen und alle gemeinnützigen und wohltätigen Institutionen, nicht aber die privaten kirchlichen Institutionen. Diese Auslegung hält einer Überprüfung nicht stand. Der Wortlaut ist klar und eindeutig. Werden die zur Beurteilung des Sachverhalts nicht erforderlichen Bestandteile der Bestimmung weggelassen, wird ersichtlich, dass die Minimalsteuer auch Anwendung finden soll auf alle Vermächtnisse zugunsten kirchlicher Institutionen, ohne Rücksicht auf deren öffentlichen oder privaten Charakter. Demnach sind nach dem klaren Wortlaut auch private kirchliche Institutionen dem Privileg unterstellt. Dass es sich bei der Beschwerdeführerin um eine private kirchliche Institution handelt, wird von keiner Partei bestritten.
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Unter diesen Umständen kann die Anwendung des Regierungsratsbeschlusses auf die Beschwerdeführerin auch nicht mit dem Hinweis unterbleiben, es sei nicht der Wille der Regierung gewesen, über die Landeskirchen hinaus auch private kirchliche Institutionen zu privilegieren; der Wortlaut der Bestimmung gebe insoweit nicht deren wahren Sinn wieder. Gegen diese Betrachtungsweise ist zunächst einzuwenden, dass der dem Wortlaut entgegengesetzte Wille des Regierungsrats aus dem von der Rekurskommission angerufenen erläuternden Ingress zum Regierungsratsbeschluss keineswegs klar hervorgeht. Es ist dort weder von Landeskirchen noch von Freikirchen die Rede, sondern ausschliesslich von kirchlichen Institutionen; der Ingress lässt offen, ob darunter nur die öffentlichen oder auch die privaten kirchlichen Institutionen zu verstehen sind. Wenn der Regierungsrat nur die Landeskirchen hätte privilegieren wollen, hätte er den Ingress und den Beschluss entsprechend formulieren können; das hat er nicht getan. Er hat gegenteils im Beschluss die privaten kirchlichen Institutionen ausdrücklich der Minimalsteuer unterworfen und noch Jahre später, also in Kenntnis des behaupteten Irrtums, in mehreren Gegenrechtserklärungen im wesentlichen dieselbe Formulierung gewählt und damit den Wortlaut des Regierungsratsbeschlusses von 1919 bestätigt (vgl. Gegenrechtserklärungen vom 14. Juni 1930 an den Kanton St. Gallen, vom 7. April 1931 an den Kanton Glarus und vom 15. September 1944 an den Kanton Zug). Unter diesen Umständen kann nicht von einer irrtümlicherweise falschen Formulierung des Beschlusses gesprochen werden.
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Aber selbst wenn der Wortlaut der Bestimmung nicht deren wahren Sinn wiedergeben würde, dürfte die kantonale Behörde keine neuen, im Gesetz nicht vorgesehenen Besteuerungstatbestände schaffen und keine gesetzlichen Steuerprivilegien verweigern (BGE 95 I 326; vgl. auch BGE 99 Ia 578; BGE 95 I 510; BGE 94 I 308; IMBODEN/RHINOW, a.a.O., S. 150, 801). Auch in diesem Fall müsste der Beschwerdeführerin das Steuerprivileg gewährt werden.
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c) Der Regierungsratsbeschluss privilegiert nach seinem Wortlaut nur die kantonalen oder allgemein schweizerischen Institutionen. Aus dem Text des Beschlusses und aus dessen erläuternden Ingress ist nicht klar zu entnehmen, was darunter zu verstehen ist. Aus Ziffer 2 des Regierungsratsbeschlusses ist ersichtlich, dass die kantonalen Institutionen im Gegensatz zu den ausserkantonalen stehen und entsprechend die allgemein schweizerischen im Gegensatz zu den ausländischen Institutionen. Die kantonale Rekurskommission verneint den kantonalen Charakter der Beschwerdeführerin lediglich mit dem Hinweis, diese sei der Mutterkirche in Boston (USA) zumindest insofern hierarchisch unterstellt, als sie deren Prinzipien und Ideologie unterworfen sei. Das kann nicht massgeblich sein, weil auch die Landeskirchen international gültigen Prinzipien verpflichtet sind und der Minimalsteuer demnach auch nicht unterworfen werden dürften, wenn dieses Kriterium angewendet würde. Vielmehr ist zu würdigen, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um einen Verein im Sinne der Art. 60 ff. ZGB mit Sitz in Solothurn handelt. In der Gegenrechtserklärung vom 7. April 1931 an den Kanton Glarus wird ausdrücklich auf das Kriterium des Sitzes der Anstalt abgestellt. Die Beschwerdeführerin ist im weiteren rechtlich selbständig und steht in keinem Abhängigkeitsverhältnis zur Mutterkirche. Es bestehen weder Aufsichtsrechte, noch gegenseitige finanzielle Verpflichtungen oder Abhängigkeiten. Nach den unbestritten gebliebenen Ausführungen der Beschwerdeführerin sind zur Zeit 34 entsprechende Vereine in der Schweiz tätig; die Beschwerdeführerin und ein weiterer Verein betreuen die Anhänger der Christian Science im Kanton Solothurn. Unter diesen Umständen kann der Beschwerdeführerin der kantonale Charakter nicht mit sachlichen Gründen abgesprochen werden.
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