BGE 107 Ia 187
 
38. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 14. Oktober 1981 i.S. Erben des Arnold Wittwer gegen Einwohnergemeinde Langnau und Regierungsrat des Kantons Bern (Revisionsgesuch)
 
Regeste
Art. 137 lit. b OG; Revision eines bundesgerichtlichen Entscheides
2. Gegen einen bundesgerichtlichen Entscheid, welcher aufgrund einer staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV ergangen ist, kommt eine Revision wegen Entdeckung neuer Tatsachen und Beweismittel grundsätzlich nicht in Frage (E. 2a).
3. Ausnahmen hievon (E. 2b).
 
Sachverhalt
Die Erben von Arnold Wittwer sind als Erbengemeinschaft Gesamteigentümer der Liegenschaft "Vordere Hängelen" (Grundbuchblatt Nr. 963) in Langnau im Emmental. Am 25. September 1977 nahmen die Stimmbürger von Langnau einen neuen Zonenplan an, in dem die Liegenschaft der Erben von Arnold Wittwer dem übrigen Gemeindegebiet zugewiesen wurde. Die Baudirektion des Kantons Bern genehmigte den neuen Zonenplan, und eine Beschwerde an den Regierungsrat blieb erfolglos. Am 24. April 1980 wies die I. öffentlichrechtliche Abteilung des Bundesgerichts eine gegen den Entscheid des Regierungsrates gerichtete Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV ab. In den Erwägungen führte das Bundesgericht aus, es sei vertretbar anzunehmen, dass in der Gemeinde Langnau keine eigentliche Baulandknappheit bestehe.
Die Stimmbürger der Gemeinde Langnau stimmten am 28. September 1980 einer Erweiterung des Zonenplanes durch Einzonung von 6900 m2 Wohnzone und 5000 m2 Gewerbezone in "Brüggschachen" zu. Aus der Botschaft an die Stimmberechtigten ergibt sich, dass der Regionalplanungsverband Oberes Emmental im Einvernehmen mit den beteiligten Gemeinden bereits im Frühjahr 1975 die Durchführung einer umfassenden Gesamtplanung im Raume Emmenmatt beschlossen hatte. Am 23. Dezember 1980 beantragten die Erben von Arnold Wittwer die Revision des bundesgerichtlichen Urteils vom 24. April 1980. Sowohl der Gemeinderat Langnau als auch die Baudirektion des Kantons Bern hätten in ihren Vernehmlassungen an das Bundesgericht verschwiegen, dass der neue Überbauungsplan "Brüggschachen" bereits am 8. Januar 1979 zur Vorprüfung eingereicht und am 16. Mai 1979 positiv beurteilt worden sei. Dieser Umstand sei eine neue erhebliche Tatsache bzw. ein neues erhebliches Beweismittel, das die Gesuchsteller im früheren Verfahren nicht hätten beibringen können.
Am 5. April 1981 genehmigten die Stimmbürger von Langnau die Abänderung des Zonenplanes im Ilfisschachen. Dabei wurden ca. 10'000 m2 der zum Hofe des Landwirts Hans Berger gehörenden Parzelle Nr. 428 vom übrigen Gemeindegebiet in die Bauzone umgezont. Die Erben von Arnold Wittwer reichten hierauf am 5. Juni 1981 ein ergänzendes Revisionsgesuch ein. Sie machten geltend, aus den von ihnen eingesehenen Planungsakten ergebe sich, dass die Einzonung im Ilfisschachen bereits im Zusammenhang mit der Ortsplanung 1977 von der kantonalen Baudirektion befürwortend geprüft worden sei und dass der Gemeinderat auf Ersuchen von zwei Söhnen Bergers vom August 1978 zuerst beim Planungsamt die Einzonung von zwei Bauparzellen beantragt, in der Folge von Berger die 10'000 m2 zu kaufen versucht und am 28. Mai 1979 der Baudirektion einen befürwortenden Vorprüfungsbericht für die Einzonung dieser grösseren Fläche zugestellt habe. Das habe der Gemeinderat von Langnau in seiner Vernehmlassung ebenfalls verschwiegen. Es sei daher der Revisionsgrund von Art. 137 lit. b OG gegeben.
Der Regierungsrat des Kantons Bern beantragt, auf beide Revisionsgesuche sei nicht einzutreten, eventuell seien sie abzuweisen. Der Gemeinderat von Langnau beantragt, auf das erste Revisionsgesuch sei nicht einzutreten, eventuell sei es abzuweisen, und das zweite Revisionsgesuch sei abzuweisen.
 
Erwägungen:
a) Eine Ausnahme besteht bei Urteilen, die der Kassationshof gestützt auf Art. 268 ff. BStP fällt (Art. 139 OG und Art. 229 BStP). Dies erklärt sich daraus, dass der Kassationshof mit Bezug auf den Strafpunkt reine Kassationsinstanz ist. Das heisst, dass er bei abweichender Beurteilung der Strafsache nicht selbst entscheiden darf; nach Art. 277ter BStP hat er die Sache vielmehr zu neuer Entscheidung an die kantonale Behörde zurückzuweisen, die dann ihrem neuen Entscheid die rechtliche Begründung des bundesgerichtlichen Urteils zugrunde zu legen hat. Das hat zur Folge, dass die Revision des Strafurteils immer gegen das kantonale Urteil nach den Vorschriften des kantonalen Verfahrens durchzuführen ist (BGE 95 IV 44).
b) Nach Art. 137 lit. b OG ist die Revision bundesgerichtlicher Entscheide dann zulässig, wenn der Gesuchsteller nachträglich neue erhebliche Tatsachen erfährt oder entscheidende Beweismittel auffindet, die er im früheren Verfahren nicht beibringen konnte. Dabei ist die Revision nach Art. 137 lit. b OG keineswegs nur auf erstinstanzliche Urteile des Bundesgerichts zugeschnitten, sondern mindestens ebensosehr auf seine Beschwerde- und Berufungsentscheide (Forni, Svista manifesta, fatti nuovi e prove nuove nella procedura di revisione davanti al Tribunale federale, in Festschrift M. Guldener, Zürich 1973, S. 84). Die Revision kann demnach bundesgerichtliche Rechtsmittelentscheide betreffen, obwohl das Bundesgericht als Rechtsmittelinstanz grundsätzlich nur die Anwendung des Bundesrechts und nur in beschränktem Masse die Sachverhaltsfeststellungen der kantonalen Behörden überprüft.
Das Bundesgericht ist in Zivilsachen, in denen die Revision am häufigsten verlangt wird, als Rechtsmittelinstanz an die tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Vorinstanz grundsätzlich gebunden (Art. 63 Abs. 2 und Art. 74 OG). Neue Tatsachen und Beweismittel können daher mit Berufung oder Beschwerde beim Bundesgericht nicht vorgebracht werden. Dennoch hat das Bundesgericht in ständiger Rechtsprechung die Revision seiner Beschwerde- und Berufungsentscheide wegen neuer Tatsachen und Beweismittel zugelassen, soweit die neuen Tatsachen oder Beweismittel für die seinem früheren Urteil zugrunde gelegten tatsächlichen Feststellungen von Bedeutung und die übrigen Voraussetzungen einer Revision erfüllt sind (BGE 60 II 357, vgl. auch BGE 98 II 250, BGE 95 II 283, BGE 92 II 68 u.a.).
a) Was die Revision wegen neuer Tatsachen und Beweismittel im Sinne von Art. 137 lit. b OG betrifft, sind erhebliche Einschränkungen bei der Zulassung der Revision mit der Natur der staatsrechtlichen Beschwerde verbunden. Das staatsrechtliche Beschwerdeverfahren bildet keine Fortsetzung des vorausgegangenen kantonalen Verfahrens, sondern es stellt ein neues Verfahren mit einem selbständigen Streitgegenstand dar (MARTI, Die staatsrechtliche Beschwerde, 4. A., S. 24). Mit der staatsrechtlichen Beschwerde können dann, wenn diese nach Art. 86 und 87 OG die Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges voraussetzt, grundsätzlich neue Einwendungen nicht erhoben und neue Tatsachen oder Beweismittel nicht vorgebracht werden. Dies gilt namentlich bei der staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV (BGE 104 Ia 26 E. 3b mit Hinweisen). Insoweit kommt auch eine Revision eines bundesgerichtlichen Urteils wegen Entdeckung neuer Tatsachen und Beweismittel nach Art. 137 lit. b OG grundsätzlich nicht in Betracht, weil diese mit der staatsrechtlichen Beschwerde nicht hätten vorgebracht werden können (Birchmeier, Handbuch des OG, Art. 137 N. 2a, S. 506). Dies bedeutet aber nicht, dass nicht eventuell nach kantonalem Recht eine Revision von seiten der kantonalen Behörden möglich ist.
b) Unter bestimmten Voraussetzungen können im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren neue Tatsachen und Beweismittel vor Bundesgericht ausnahmsweise berücksichtigt werden. Dabei handelt es sich einmal um die selbständige Feststellung des massgeblichen Sachverhalts durch das Bundesgericht, bei der nach Art. 95 OG die Offizialmaxime zur Anwendung kommt (MARTI, a.a.O., S. 147 Ziff. 269). Bei der Feststellung dieses Sachverhalts kann sich unter Umständen die Berücksichtigung von Tatsachen oder Beweismitteln rechtfertigen, welche im kantonalen Verfahren nicht von Bedeutung waren und deshalb nicht vorgetragen werden konnten. Ausserdem können im kantonalen Verfahren nicht vorgetragene Tatsachen und Beweismittel in der staatsrechtlichen Beschwerde noch zugelassen werden, soweit sie sich auf neue rechtliche Einwendungen beziehen, die noch vor Bundesgericht erhoben werden können, weil die letzte kantonale Instanz volles Überprüfungsrecht besass, das Recht von Amtes wegen anzuwenden hatte und nicht nur Art. 4 BV angerufen wird (BGE 102 Ia 246 E. 2 mit Hinweis). Nova sind ferner zulässig, soweit sie einen rechtlichen Gesichtspunkt betreffen, der erstmals im letztinstanzlichen kantonalen Entscheid aufgegriffen wurde (BGE 94 I 144 /5; BGE 89 I 250 E. 2b mit Hinweis). Schliesslich sind neue Vorbringen zulässig bei staatsrechtlichen Beschwerden, die nicht die Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges voraussetzen, jedenfalls soweit sie Tatsachen zum Gegenstand haben, die vor dem angefochtenen Entscheid eingetreten sind (BGE 102 Ia 79 E. 2 f. mit Hinweis; vgl. OTTO K. KAUFMANN, Die beiden Brillen des Bundesgerichts, St. Galler Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 1981, S. 170).
In diesen Ausnahmefällen muss auch im staatsrechtlichen Verfahren eine Revision nach Art. 137 lit. b OG zulässig sein.
Im Urteil vom 24. April 1980 wurde ausschliesslich eine behauptete Verletzung von Art. 4 BV geprüft. Neue Tatsachen und Beweismittel hätten deshalb nur vorgebracht werden können, wenn der Regierungsrat im angefochtenen Entscheid solche rechtliche Gesichtspunkte erstmals herangezogen und zur Begründung verwendet hätte, welche von der Gemeinde Langnau und der kantonalen Baudirektion vorher nicht beachtet worden waren und deshalb auch nicht Gegenstand der Beschwerde an den Regierungsrat gebildet hatten.
Das öffentliche Interesse an der Auszonung eines Teils des Grundstücks der Gesuchsteller, d.h. an der Reduktion des Baugebietes der Gemeinde im Hinblick auf das Planungsziel einer Anpassung an die Bedürfnisse der Gemeinde für die nächsten 10-15 Jahre, war bereits Gegenstand der Einsprache der Gesuchsteller und des Einspracheentscheids der Baudirektion vom 14. Dezember 1978. Ebenfalls vor dem Regierungsrat behaupteten die Gesuchsteller, es bestehe ein Missverhältnis zwischen dem Angebot und der grossen Nachfrage nach Bauland für Einfamilienhäuser in der Gemeinde. Neue Tatsachen, welche für die behauptete Baulandknappheit und das bestrittene öffentliche Interesse an einer Reduktion der Bauzonen sprachen, sowie Beweismittel für solche Tatsachen, konnten die Beschwerdeführer daher mit der auf Art. 4 BV gestützten staatsrechtlichen Beschwerde vom 19. September 1979 nicht mehr neu vortragen. In ihren beiden Revisionsgesuchen behaupten sie auch gar nicht, es habe damals die seltene Ausnahmesituation vorgelegen, wo dies noch möglich gewesen wäre. Auf die beiden Revisionsgesuche ist daher nicht einzutreten.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Revisionsgesuche wird nicht eingetreten.