BGE 109 Ia 188 - Erbengemeinschaft Candrian |
37. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung |
vom 5. Oktober 1983 |
i.S. Erbengemeinschaft Candrian gegen Gemeinde Flims und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden |
(staatsrechtliche Beschwerde) |
Regeste |
Ausnützungsziffer; anrechenbare Grundstückfläche; Baugesetz der Gemeinde Flims. |
Liegt ein Grundstück zwar vollständig in der Bauzone, ist es jedoch in zwei Flächen verschiedener Erschliessungsetappen unterteilt, so darf bei der Überbauung der Fläche in der Erschliessungsetappe I die in der Erschliessungsetappe II liegende Fläche nicht in die Berechnung der Ausnützungsziffer einbezogen werden, es sei denn, eine ausdrückliche Vorschrift lasse diese Ausnahme zu (E. 2-4). |
Sachverhalt |
A.- Die Parzelle Nr. 2457 des Grundbuches Flims mit einer Fläche von ca. 6600 m2 Fläche liegt an der Kantonsstrasse nach Fidaz. Gemäss dem Bauzonenplan der Gemeinde Flims von 1981 gehört sie mit ihrer ganzen Fläche der Bauzone A an (Ausnützungsziffer 0,25; Art. 40 Baugesetz der Gemeinde Flims vom 27. März 1977, BauG). Nach dem Strassenplan der Gemeinde Flims von 1981 befindet sich indessen der untere, an die Kantonsstrasse angrenzende Teil der Parzelle im Ausmass von ca. 2030 m2 in der Erschliessungsetappe I (EE I), der obere Teil im Ausmass von ca. 4570 m2 hingegen in der Erschliessungsetappe II (EE II) (vgl. Art. 20 und 21 BauG).
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Die Erben Candrian, Eigentümer der Parzelle, planen auf dem Parzellenteil der EE I den Bau von zwei Mehrfamilienhäusern, von denen eines bei der Kantonsstrasse, das andere jedoch an die Trennlinie zwischen EE I und EE II zu stehen käme. Damit dieses Projekt unter Beachtung der zulässigen Ausnützungsziffer verwirklicht werden könnte, wäre eine Grundstückfläche von 3600 m2 erforderlich. Da der Parzellenteil in der EE I jedoch nur 2030 m2 umfasst, müssten zusätzlich aus der EE II noch 1570 m2 beansprucht werden. Die Grundeigentümer ersuchten daher die Gemeindebehörde um einen Vorentscheid über die Zulässigkeit dieser Nutzungsübertragung. Die Baubehörde Flims beantwortete das Gesuch abschlägig. Einen Rekurs der Grundeigentümer wies das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden am 14. Juli 1982 ab.
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Das Bundesgericht weist die von den Erben Candrian gestützt auf Art. 4 und 22ter BV erhobene staatsrechtliche Beschwerde ab.
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Auszug aus den Erwägungen: |
Aus den Erwägungen:
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Erwägung 2 |
Das Erfordernis der gesetzlichen Grundlage ist erfüllt, wenn ein staatlicher Eingriff in einem Gesetz im materiellen Sinn, d.h. in einer generell-abstrakten Norm vorgesehen ist, die sich ihrerseits als verfassungsmässig erweist. Bei Anrufung der Eigentumsgarantie prüft das Bundesgericht Auslegung und Anwendung kantonalen Gesetzesrechts grundsätzlich nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür; die Frage der gesetzlichen Grundlage prüft es hingegen frei, wenn es um einen besonders schweren Eingriff geht. Ein solcher liegt in der Regel vor, wenn Grundeigentum zwangsweise entzogen wird, oder wenn durch Verbote und Gebote der bisherige oder künftig mögliche bestimmungsgemässe Gebrauch des Grundstücks verunmöglicht oder stark erschwert wird (BGE 108 Ia 35 E. 3a mit Hinweisen). Ob die Erschliessungsetappierung einer Bauzone einen besonders schweren Eingriff in das Grundeigentum darstellt, kann offen gelassen werden, da selbst bei freier Prüfung der gesetzlichen Grundlage die Rüge der Beschwerdeführer nicht zu schützen wäre.
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Die Beschwerdeführer behaupten nicht, dass die von der Gemeinde Flims vorgenommene Erschliessungsetappierung einer gesetzlichen Grundlage ermangle, hingegen rügen sie, Art. 21 und 18 BauG bildeten keine genügende gesetzliche Grundlage für das Verbot der Beanspruchung von baulicher Ausnützung einer in der 2. Etappe gelegenen Bodenfläche, da das Ausnützungsübertragungsverbot im Ergebnis auf eine Nutzungsetappierung hinauslaufe. Ob dies zutrifft, kann offengelassen werden. Es genügt, wenn sich aus den Art. 19 ff. BauG mit genügender Deutlichkeit ergibt, dass die Gemeinde die Nutzungsübertragung verbieten kann.
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Erwägung 3 |
3.- Die Frage, ob eine Nutzungsübertragung von einer Zone in eine solche mit anderen Nutzungsvorschriften zulässig sei, hat das Bundesgericht in ständiger Rechtsprechung verneint. Es hat als zulässig erklärt, in die Berechnung der überbaubaren Fläche eines Grundstückes angrenzendes, nicht überbautes Land eines Dritten einzubeziehen, unter der Bedingung, dass dieses nicht schon bei der Berechnung der überbaubaren Fläche einer anderen Liegenschaft berücksichtigt worden ist und hiefür später nicht mehr in Frage kommen kann. Vorausgesetzt wurde jedoch, dass die fraglichen Grundstücke oder Grundstückteile der nämlichen Zone angehören und den gleichen Nutzungsvorschriften unterstehen (BGE 101 Ia 289 ff., 96 I 542). Liegen hingegen zwei benachbarte Grundstücke in verschiedenen Bauzonen, so ist es gerechtfertigt, bei der Ermittlung der anrechenbaren Landfläche des einen den nicht ausgeschöpften Teil der Ausnützungsziffer des andern Grundstückes nicht zu berücksichtigen. Denn eine interzonale Ausnützungsanrechnung hätte zur Folge, dass für das Gebiet längs der Zonengrenze verschiedene Nutzungsziffern gelten würden und damit Bauten mit unterschiedlicher Ausnützung des Bodens entstünden, was nicht dem Sinn des Gesetzes entsprechen kann (BGE 104 Ia 332 E. 5). Es würde zudem bedeuten, dass die vom Zonenplan festgelegten Zonengrenzen missachtet und durch gewöhnliche Verwaltungsverfügung die vom kommunalen Gesetzgeber beschlossene Unterteilung des Baugebietes verändert würden (BGE 108 Ia 121 E. 3). In seinem neuesten Entscheid hat das Bundesgericht seine Praxis in dem Sinne präzisiert, dass eine Ausnahme von der Regel des Übertragungsverbots nur aufgrund einer ausdrücklichen Gesetzesvorschrift zulässig sei (BGE 109 Ia 31 E. a). Die Gemeinde Flims kennt keine solche Sonderregel. Im Gegenteil gilt gemäss Art. 31 BauG der Grundsatz der Nichtübertragbarkeit.
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Erwägung 4 |
Die Unterteilung von Bauzonen in verschiedene, räumlich abgegrenzte Abschnitte (Etappen) ist ein planerisches Mittel, um den Nachteilen, die sich aus der Ausscheidung eines grossen oder überdimensionierten Baugebietes ergeben können, zu begegnen (BGE 104 Ia 140 E. 4). Sie entspricht dem in Art. 15 RPG enthaltenen Planungsgrundsatz, die Bauzonen auf den voraussichtlichen Bedarf von 15 Jahren zu beschränken. Die Gemeinde kann für Erschliessungsetappen planerische Weisungen erteilen. Es wäre mit den Grundsätzen einer geregelten baulichen Entwicklung einer Gemeinde kaum vereinbar, wollte man den einzelnen Privaten die für seine Bauprojekte erforderlichen Parzellierungen und Erschliessungen einfach nach seinen individuellen Bedürfnissen und Vorstellungen ausführen lassen. Das Gemeinwesen kann sich der Verantwortung für eine geordnete Besiedlung seines Gebietes nicht entziehen (BGE 109 Ib 23 f. E. 4c; vgl. auch Art. 19 Abs. 3 RPG und die Bestimmungen von Art. 5 ff. des Wohnbau- und Eigentumsförderungsgesetzes sowie EJPD/BRP, Erläuterungen RPG, N 44 zu Art. 19 RPG).
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Diesen Grundsätzen entspricht die in Flims geltende Regelung. Der Strassenplan vom März 1981 unterteilt die Bauzone A in die durch die Kantonsstrasse erschlossene EE I und in die weiter von der Kantonsstrasse entfernte EE II. Die Art. 20 und 21 BauG enthalten die für die 1. und 2. Etappe massgebenden Vorschriften. Diese sind sehr verschieden. Nach Art. 20 ist für die EE I primär die Gemeinde erschliessungspflichtig; in diesem erschlossenen und baureifen Gebiet kann ohne Verzug nach den Regeln der Bauzone A gebaut werden. Demgegenüber besteht nach Art. 21 für die EE II umgekehrt grundsätzlich eine Erschliessungsmöglichkeit nur zu Lasten der Grundeigentümer. Doch sind diese auch dann, wenn sie die Kosten aufbringen wollen, nicht völlig frei in ihrem Vorgehen. Sie haben vielmehr vor Baubeginn sämtliche Erschliessungsanlagen nach den von der Gemeinde in Berücksichtigung des Gemeinderichtplanes erteilten Weisungen zu erstellen. Die Gemeinde kann ferner die Baubewilligung davon abhängig machen, dass zunächst ein Quartierplan geschaffen wird. Eine Umteilung der Gebiete der EE II in die EE I nimmt die Gemeinde nur nach Bedarf vor.
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Die Flimser Regelung bedeutet, dass für die Gebiete in der EE I einerseits und für diejenigen in der EE II andererseits wesentliche Unterschiede in der Möglichkeit baulicher Nutzung bestehen. Es ist müssig, darüber zu streiten, ob diese Vorschriften dem Gehalte nach als Erschliessungsetappierung oder als Baugebietsetappierung zu betrachten sind. Entscheidend ist hier, dass die Regelung in Art. 21 BauG die Überbauung des Bodens in der EE II zwar schon vor einer Umteilung in die EE I grundsätzlich zulässt, dass der genannte Artikel sie aber aus ortsplanerischen Gründen doch praktisch in mancher Hinsicht erschwert.
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Die Beschwerdeführer machen geltend, durch das Bauvorhaben werde die Erschliessung der EE II nicht beeinträchtigt, und wollten dies anlässlich eines Augenscheins demonstrieren. Dieses Argument ist jedoch unerheblich. Die Beschwerdeführer sind in jenem Gebiet nicht alleinige Grundeigentümer mit Eigentum in beiden Etappen. Auf ihre planerischen Vorstellungen kommt es nicht entscheidend an, sondern auf diejenigen der für das ganze Gebiet verantwortlichen Gemeindeorgane. Massgeblich ist, dass die nach Art. 21 BauG zulässige Überbauung Hindernissen und Verzögerungen begegnet, die in der EE I nicht bestehen.
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Diese Erschwernisse haben denn auch die Beschwerdeführer dazu geführt, bei ihrer Projektierung eine direkte Überbauung ihres in der EE II gelegenen Grundstückteils zu vermeiden und den Standort auch des zweiten Gebäudes noch in der EE I, wenn auch entlang der Trennlinie, vorzusehen. Die Gemeindebehörde erklärt, dass noch weitere Grundeigentümer sich in ähnlicher Lage wie die Beschwerdeführer befinden. Würde man Ausnützungsübertragungen von der EE II in die EE I zulassen, so hätte dies die genau gleiche Folge wie eine Übertragung von Zone zu Zone. Auch hier würden längs der Trennlinie nach rein zufälligen Kriterien überdimensionierte Baukuben in unbestimmter Zahl und gemäss verschiedenen Ausnützungsziffern entstehen. Gerade das aber will beim Fehlen einer besonderen Vorschrift die Rechtsprechung des Bundesgerichtes verhindern. Eine Ausnützungsübertragung kann nur in Betracht fallen, wo eine ausdrückliche baurechtliche Vorschrift dies gestattet. Nachdem das in Flims nicht der Fall ist, entspricht der von der Gemeindebehörde getroffene und vom Verwaltungsgericht geschützte Vorentscheid einer sinn- und zweckgemässen Auslegung des Baugesetzes. Er entbehrt weder im Blick auf Art. 22ter BV der gesetzlichen Grundlage noch ist er willkürlich. Gegenteils erscheint er auch bei freier Überprüfung als zutreffend.
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