BGE 113 Ia 407
 
61. Urteil der I. Zivilabteilung vom 17. November 1987 i.S. Firma A. gegen Firma B. und Obergericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde)
 
Regeste
Ablehnung eines Schiedsrichters.
2. Anspruch des Einzelnen auf Beurteilung seiner Streitsache durch ein unparteiisches Gericht: Zum Begriff der Unparteilichkeit; Anforderungen an den Nachweis der Befangenheit, insbesondere nach Aufhebung eines Entscheides wegen Verfahrensfehlern (E. 2a und b). Sinngemässe Anwendung von Konkordatsrecht (E. 2c)?
 
Erwägungen:
Am 16. Juni 1987 stellte die Beklagte gegen den Obmann des Schiedsgerichts ein Ablehnungsbegehren, das von der Verwaltungskommission des Obergerichts mit Beschluss vom 23. Juni 1987 abgewiesen wurde, soweit darauf einzutreten war. Die Beklagte führt gegen diesen Beschluss staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Verletzung von Art. 58 Abs. 1 BV aufzuheben. Die Klägerin beantragt, auf die Beschwerde nicht einzutreten oder sie abzuweisen. Das Obergericht und der Obmann des Schiedsgerichts haben auf eine Stellungnahme verzichtet.
Mit Verfügung vom 30. Juli 1987 wurde ein Gesuch der Beschwerdeführerin um aufschiebende Wirkung abgelehnt. Mit "Noveneingabe" vom 4. November 1987 erneuerte die Beschwerdeführerin ihr Gesuch, wobei sie eine Verfügung des Obmannes zum Anlass nahm, dessen Befangenheit mit weiteren Vorbringen zu erhärten. Neue tatsächliche Vorbringen sind im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde indes nur ausnahmsweise und zudem nur innerhalb der Frist des Art. 89 Abs. 1 OG zulässig (BGE 109 Ia 314 E. und BGE 105 Ib 40 E. 2). Daran ändert nichts, dass es sich angeblich um eine Tatsache handelt, die erst nach Ablauf der Beschwerdefrist eingetreten ist (BGE 107 Ia 191 E. 2b mit Hinweisen). Da die Beschwerdeführerin ausschliesslich eine Verletzung von Art. 58 Abs. 1 BV geltend macht, braucht dagegen nicht geprüft zu werden, ob ein letztinstanzlicher Entscheid vorliegt (Art. 86 Abs. 2 OG; BGE 112 Ia 86).
2. Die Beschwerdeführerin begründet diese Verletzung vor Bundesgericht nur noch damit, dass bereits die Verfahrensmängel, welche am 28. November 1986 zur Aufhebung des Schiedsurteils geführt hätten, den Obmann des Schiedsgerichts als befangen erscheinen liessen. Dass sich dessen Ablehnbarkeit unmittelbar nach dem Konkordat über die Schiedsgerichtsbarkeit (SR 279) beurteile, dem der Kanton Zürich erst mit Wirkung ab 1. Juli 1985 beigetreten ist, macht die Beschwerdeführerin nicht geltend. Sie behauptet auch nicht, das Obergericht habe kantonale Verfahrensvorschriften über den Ausstand oder die Ablehnung von Schiedsrichter willkürlich angewendet. Es geht ihr vorweg vielmehr um die verfassungsmässige Garantie für einen unbefangenen Richter, welche das Obergericht angeblich verkannt hat. Wie es sich mit dieser Rechtsfrage verhält, kann das Bundesgericht auf Beschwerde hin frei prüfen (BGE 112 Ia 292 E. 2a mit Hinweisen).
a) Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichts hat der Einzelne gemäss Art. 58 Abs. 1 BV auch Anspruch auf Beurteilung seiner Streitsache durch ein unparteiisches und unabhängiges Gericht (BGE 112 Ia 143 und 292/93 mit Hinweisen). Diese Verdeutlichung der verfassungsmässigen Garantie wird von der Lehre allgemein gebilligt (GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht, 3. Aufl. S. 15; MÜLLER/MÜLLER, Grundrechte, Besonderer Teil, S. 275 ff.; HALLER/HÄFELIN, Schweiz. Bundesstaatsrecht, S. 472 Rz. 1659; VOGEL, Grundriss des Zivilprozessrechts, S. 51 Rz. 71). Bereits aus BGE 92 I 276 erhellt sodann, dass Schiedsgerichte dieselbe Gewähr für Unparteilichkeit bieten müssen wie ordentliche Gerichte, die Unbefangenheit ihrer Mitglieder folglich nach dem gleichen Massstab zu beurteilen ist. Das Bundesgericht hat daran seither festgehalten, und die herrschende Lehre steht auf dem gleichen Standpunkt (BGE 105 Ia 247 f. mit Zitaten; ferner VOGEL, S. 51 Rz. 72 und S. 302 Rz. 46; RÜEDE/HADENFELDT, Schweiz. Schiedsgerichtsrecht, S. 168 und 170; JOLIDON, Commentaire du Concordat suisse sur l'arbitrage, S. 257).
Richterliche Unparteilichkeit, auf welche die Beschwerdeführerin sich beruft, gebietet Gleichbehandlung der Parteien und ist deshalb nicht mit richterlicher Unabhängigkeit gleichzusetzen, mag Parteilichkeit in einem Einzelfall auch auf fehlende Unabhängigkeit zurückgehen. Zu bedenken ist ferner, dass die Verfahrensgarantie des Art. 58 Abs. 1 BV nicht besagt, der abgelehnte Richter müsse tatsächlich befangen sein; es genügt, dass Umstände bei einer Partei den Eindruck von Befangenheit erwecken können (BGE 112 Ia 293 E. 3a; MÜLLER/MÜLLER, S. 276 Anm. 16). Dies beurteilt sich jedoch nicht bloss nach dem subjektiven Empfinden der Partei; deren Misstrauen muss vielmehr bei objektiver Betrachtung der Umstände als gerechtfertigt erscheinen (BGE 92 I 276; RÜEDE/HADENFELDT, S. 173).
Da es sich um einen innern Zustand handelt, sind an den Nachweis der Befangenheit keine allzu strengen Anforderungen zu stellen (BGE 105 Ia 160 E. 4b). Das heisst nicht, im Zweifelsfall sei stets auf Befangenheit zu erkennen. Gewiss ist das Vertrauen einer Partei in die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Richters in hohem Mass schützenswert, und ist auch einfühlbar, dass eine Partei einem Richter misstraut, vor dem sie schon früher unterlegen ist. Dem steht aber das Interesse der andern Partei und der Allgemeinheit an einem geordneten Verlauf des Prozesses gegenüber. Wollte man einen Richter schon wegen seiner früheren Mitwirkung an Zwischen- oder Endentscheiden als befangen ablehnen, so würde die Rechtsprechung erheblich erschwert. Auch allgemeine Verfahrensverstösse, die in Rechtsmittelverfahren beanstandet und beseitigt werden können, genügen dafür nicht. Es müssen vielmehr zusätzliche Tatsachen, die den Schluss auf Parteilichkeit zulassen, vorgebracht werden (BGE 112 Ia 293 mit Hinweisen und BGE 105 Ib 303 f.). Daran fehlt es hier.
b) Daran ändert nichts, dass ein Richter, dem in einem Entscheid über ein rein kassatorisches Rechtsmittel zum Beispiel prozessuale Fehler vorgeworfen werden, diese selbst zu beheben hat. Das gilt insbesondere für kantonale Nichtigkeitsbeschwerden, da die Kassationsinstanz bei Gutheissung des Rechtsmittels in der Regel nicht selbst entscheidet, sondern die Streitsache oft wie hier zur Ergänzung des Beweisverfahrens an den Sachrichter zurückweist, der alsdann an die dem Rückweisungsentscheid zugrunde liegende Auffassung gebunden ist (GULDENER, S. 528; VOGEL, S. 267 Rz. 41). Bei staatsrechtlichen Beschwerden, die wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte gutgeheissen werden, verhält es sich nicht anders (BGE 111 II 95 mit Hinweisen). In solchen Fällen hat sich in der Regel wieder der gleiche Sachrichter mit der Streitsache zu befassen, was der Garantie des verfassungsmässigen Richters nicht widerspricht. Vom Richter darf diesfalls ohne weiteres erwartet werden, dass er die Streitsache nach Aufhebung seines Entscheides objektiv und unparteiisch weiterbehandelt, zumal er sich dabei an die Auffassung der Kassationsinstanz zu halten hat. Die blosse Tatsache, dass sein erster Entscheid wegen Verfahrensfehlern oder unrichtiger Anwendung materiellen Rechts erfolgreich angefochten worden ist, reicht für sich allein nicht aus, um ihn im neuen Verfahren als parteiisch und damit als befangen abzulehnen (STRÄULI/MESSMER, N. 11 zu § 244 ZPO/ZH; RÜEDE/HADENFELDT, S. 359 f.). Das muss wegen der gebotenen Gleichbehandlung auch für Schiedsgerichte gelten. Im gleichen Sinn hat das Bundesgericht im Fall eines Revisionsgesuches entschieden (BGE 107 Ia 16 ff.).
In seiner jüngsten Rechtsprechung hat das Bundesgericht der Kumulation von Aufgaben des Strafrichters freilich Schranken gesetzt und kantonale Prozessordnungen, die den Untersuchungsrichter auch als Sachrichter vorsehen, gestützt auf Art. 58 Abs. 1 BV als verfassungswidrig bezeichnet (BGE 112 Ia 292 ff. und seitherige Entscheide). Diese Rechtsprechung lässt sich indes, wie inzwischen entschieden worden ist (Urteil der II. Zivilabteilung vom 11. November 1986 i.S. U.), nicht auf den Zivilprozess übertragen, der von der Verhandlungsmaxime beherrscht wird und ein gewöhnliches Zweiparteienverfahren darstellt. Mehrfache Funktionen eines Zivilrichters, der sich im selben Verfahren wiederholt mit einer Streitsache zu befassen hat, begründen daher für sich allein ebenfalls keinen Ablehnungsgrund.
c) Schliesslich vermag die Beschwerdeführerin auch auf dem Umweg über Art. 40 Abs. 4 des Konkordates über die Schiedsgerichtsbarkeit nichts zu ihren Gunsten abzuleiten, zumal der Kanton Zürich dem Konkordat erst nach Beginn des Schiedsverfahrens beigetreten ist, Konkordatsrecht vorliegend folglich nicht anwendbar ist; davon ist das Bundesgericht bereits im Urteil vom 28. November 1986 ausgegangen. Dass ein Schiedsrichter nach der zitierten Bestimmung wegen seiner Teilnahme am früheren Verfahren voraussetzungslos abgelehnt werden kann, wenn das Schiedsurteil auf Beschwerde hin aufgehoben wird, hilft der Beschwerdeführerin daher nicht (BGE 112 Ia 344; JOLIDON, S. 538). Es bleibt vielmehr bei der Auffassung, die sich nach den vorstehenden Erwägungen einerseits aus Art. 58 Abs. 1 BV und anderseits aus den kantonalen Vorschriften über den Ausschluss und die Ablehnung von Schiedsrichtern (§ 244 ZPO/ZH in Verbindung mit § 95 ff. GVG) ergibt (STRÄULI/MESSMER, N. 11 zu § 244 ZPO/ZH; WALDER, Die neuen Zürcher Bestimmungen über die Schiedsgerichtsbarkeit im Lichte des Konkordats, in SJZ 72/1976 S. 249 ff. insbes. S. 260; RÜEDE/HADENFELDT, S. 359 f.).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.