BGE 115 Ia 343
 
53. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 27. September 1989 i.S. Erben X. gegen Stadt Wädenswil und Regierungsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde)
 
Regeste
Art. 4 und 22ter BV; Revision der Ortsplanung; Zuweisung eines Grundstücks zur Reservezone gemäss § 65 des Zürcher Planungs- und Baugesetzes.
2. Begriff der Nichteinzonung (E. 5c).
3. Prüfung, ob sich die Nichteinzonung eines Grundstücks zufolge seiner Lage und des Zusammenhangs mit bereits überbautem Gebiet als sachlich nicht gerechtfertigt erweist (E. 5d).
4. Besteht in einer Gemeinde ein Defizit an Bauzonenland und sind für die Einzonung mehrere Grundstücke vorhanden, so steht der Gemeinde eine Wahl- und Entscheidungsfreiheit zu. Es ist eine Abwägung aller auf dem Spiele stehenden Interessen vorzunehmen, weshalb dem Überbauungswillen der Eigentümer eines für die Einzonung in Frage kommenden Grundstücks allein keine ausschlaggebende Bedeutung zukommt und die kantonale Aufsichtsbehörde daher zu Recht von einer bindenden Weisung an die Gemeinde absieht (E. 5e).
 
Sachverhalt
Die Erben X. sind Eigentümer des Grundstückes Nr. 8022 im Gebiet Oberleihhof-Rötiboden in der Stadtgemeinde Wädenswil. Das Grundstück liegt oberhalb der Speerstrasse, an die es auf einer Länge von rund 170 m angrenzt. Es befindet sich am oberen Rand des Baugebietes von Wädenswil und erstreckt sich ungefähr 330 m hangaufwärts, wo es in das Landwirtschaftsgebiet übergeht. Gemäss der früheren Bauordnung mit Zonenplan vom 11. März 1964 war das Grundstück der Wohnzone W3w zugeteilt. Bei der vom Gemeinderat am 3. April 1984 beschlossenen Revision des Zonenplanes, die der Regierungsrat des Kantons Zürich am 6. März 1985 genehmigte, wurde das Grundstück der Reservezone zugewiesen. Gegen diese Zuteilung wandten sich die Erben X. mit Rekurs an die Baurekurskommission II. Am 26. Mai 1987 hiess diese Kommission den Rekurs im Sinne der Erwägungen gut, hob die angefochtene Reservezonenzuweisung auf und lud den Gemeinderat Wädenswil ein, das Grundstück der Erben X. in einem planerisch zweckmässigen Umfang einer adäquaten Bauzone zuzuweisen.
Gegen diesen Entscheid der Baurekurskommission II erhob der Stadtrat von Wädenswil Rekurs beim Regierungsrat. Am 14. Dezember 1988 hiess der Regierungsrat diesen Rekurs bezüglich des Grundstücks Nr. 8022 im Sinne der Erwägungen gut. Dementsprechend hob er den Beschluss der Baurekurskommission II vom 26. Mai 1987 auf und lud die Stadt Wädenswil ein, ihre Ortsplanung im Sinne der Erwägungen zu ergänzen. Der Regierungsrat erwog, gemäss Berechnungen über den durchschnittlichen Gesamtverbrauch an Bauland in den vergangenen Jahren verfüge die Stadtgemeinde Wädenswil über zu wenig Wohnzonenland, um den voraussichtlichen Bedarf der kommenden 15 Jahre zu befriedigen. Aus diesem Grunde wies er die Stadt Wädenswil an, weitere Bauzonen festzulegen. Er bezeichnete es jedoch als unzulässig, die Stadt anzuweisen, ein bestimmtes Grundstück einzuzonen. Indem die Baurekurskommission dies getan habe, sei in unzulässiger Weise in den Ermessensspielraum der kommunalen Legislative eingegriffen worden.
Das Bundesgericht weist die staatsrechtliche Beschwerde der Erben X. ab.
 
Aus den Erwägungen:
5. b) Die an einer Verwertung des Grundstückes als Bauland interessierten Erben X. sind der Meinung, es fehle ein ausreichendes öffentliches Interesse an der Zuweisung ihres Grundstückes in die Reservezone. Dazu ist zunächst ganz allgemein festzuhalten, dass die Stadt Wädenswil nicht nur mit gutem Grund, sondern in Erfüllung einer sowohl durch das kantonale Recht (§ 8, 45, 47 und 342 ff. des Zürcher Gesetzes über die Raumplanung und das öffentliche Baurecht vom 7. September 1975, PBG) als auch das Bundesrecht (Art. 2, 14 ff. und 35 Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979, RPG) auferlegten Verpflichtung ihre diesen gesetzlichen Anforderungen nicht entsprechende frühere Ortsplanung aus dem Jahre 1964 revidiert hat. Die Verbindlichkeit der übergeordneten Planungen und des vom Regierungsrat am 30. Juni 1982 genehmigten kommunalen Gesamtplanes (§ 16 PBG) verlangt, dass ein dem geltenden Raumplanungsrecht entsprechender Zonenplan erlassen wird. Dass der altrechtliche Zonenplan aus dem Jahre 1964 im Sinne von Art. 35 Abs. 3 RPG durch den Regierungsrat genehmigt worden wäre, wird von keiner Seite geltend gemacht.
Der nun vorliegende Zonenplan ist somit der erste der Raumplanungsgesetzgebung des Bundes und des Kantons entsprechende Nutzungsplan der Stadtgemeinde Wädenswil. Insbesondere kannte das frühere, im Jahre 1964 geltende Recht keine Verpflichtung zur Begrenzung der Bauzonen, um die zweckmässige Nutzung des Bodens und die geordnete Besiedlung des Landes zu sichern, wie dies der 1969 angenommene Art. 22quater BV vorsieht. Nach der Grundsatzgesetzgebung des Bundes besagt diese Verpflichtung für die Festsetzung von Bauzonen neben weiteren, hiefür massgebenden Gesichtspunkten, dass das voraussichtlich innert 15 Jahren für die Überbauung benötigte Land einer Bauzone zugewiesen werden soll (Art. 15 lit. b RPG; § 47 Abs. 2 lit. b PBG; BGE 113 Ia 461 E. ea; 112 Ia 157 E. 2b mit Hinweisen).
c) Die Beschwerdeführer bestreiten die Notwendigkeit der Festsetzung eines verfassungs- und gesetzmässigen Zonenplanes nicht. Sie sprechen im wesentlichen von einer unzulässigen Auszonung ihres Grundstückes, weil gemäss dem angefochtenen Entscheid feststehe, dass die Gemeinde zu wenig Bauzonenareal ausgeschieden habe und sich ihr Grundstück am besten für die Belassung in der Bauzone eigne.
Soweit die Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang geltend machen, ihr Grundstück sei von einer eigentlichen Auszonung betroffen, kann ihrer Auffassung nicht gefolgt werden. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung liegt im Falle einer Gemeinde, deren bisheriges Planungsinstrument aus dem Jahre 1964 stammt und die sich bemüht, in Beachtung der gesetzlichen Fristen (§ 343 PBG; Art. 35 RPG) erstmals eine dem eidgenössischen und kantonalen Recht entsprechende Ortsplanung zu schaffen, eine Nichteinzonung in die Bauzone vor (BGE 112 Ib 487 E. 4a mit Hinweisen). Diese Feststellung schliesst freilich nicht aus, dass bei der Schaffung des Nutzungsplanes auch die für ein Grundstück früher geltende Rechtslage mitberücksichtigt wird.
d) Dementsprechend ist aufgrund der Einwendungen der Beschwerdeführer in erster Linie zu prüfen, ob die Nichteinweisung ihres Grundstückes in eine Bauzone sich zufolge seiner örtlichen Lage und des Zusammenhanges mit bereits überbautem Gebiet als sachlich nicht gerechtfertigt erweist. Die Baurekurskommission II hat dies angenommen, während der Regierungsrat diese Frage verneint hat.
Der Augenschein hat bestätigt, dass sich auf der Liegenschaft Nr. 8022 nur Bauten befinden, die der landwirtschaftlichen Nutzung dienen; im übrigen ist das grosse Grundstück, das auf einer Breite von ca. 170 m an die Speerstrasse anstösst und sich rund 330 m den Hang hinaufzieht, unüberbaut. Eine Einzonung im Sinne von Art. 15 lit. a RPG, wonach das weitgehend überbaute Gebiet zur Bauzone gehört, kommt somit nicht in Betracht (BGE 113 Ia 450 E. da).
Es trifft zwar zu, dass die Gebiete östlich und nordwestlich des Grundstückes der Beschwerdeführer, welche durch die obere Leihhofstrasse und die Rötibodenholzstrasse erschlossen werden, mit Wohnliegenschaften überbaut sind und sich in den Wohnzonen W2 und W3 für zwei- bzw. dreigeschossige Überbauung befinden. Die Beschwerdeführer sprechen daher von einer planerisch unmotivierten "Zahnlücke". Bergseits der Speerstrasse wurde jedoch auch das weiter östlich gelegene, grosse Grundstück der Eidgenossenschaft bis auf einen an die Speerstrasse anstossenden, bereits mit Wohnhäusern überbauten Landstreifen in Berücksichtigung seiner landwirtschaftlichen Nutzung durch die eidgenössische Forschungsanstalt für Obst-, Wein- und Gartenbau nicht eingezont. Dies bestätigt die - auch an anderer Stelle aus dem Zonenplan hervorgehende - Tatsache, dass die Berücksichtigung der landwirtschaftlichen Eignung von Land (Art. 3 Abs. 2 lit. a RPG) dazu führen kann, solche Grundstücke nicht in eine Bauzone einzuteilen, selbst wenn dadurch die Zonengrenzen unregelmässig verlaufen.
Der Augenschein hat sodann gezeigt, dass die über 5,5 ha umfassende Reservezonenfläche des Grundstückes Nr. 8022 zufolge ihrer Ausdehnung keineswegs den Eindruck einer unmotivierten Lücke zwischen Bauzonen macht und dass sie daher nicht etwa zum weitgehend überbauten Gebiet im Sinne von Art. 36 Abs. 3 RPG gerechnet werden könnte (BGE 113 Ia 451 E. da). Zu beachten ist überdies, dass das Grundstück im oberen, südlichen Teil an das Landwirtschaftsgebiet angrenzt. Die Nichteinzonung erscheint daher durchaus als sachgerecht.
Es ergibt sich hieraus, dass die von der Gemeinde beschlossene und vom Regierungsrat lediglich wegen ungenügend grosser Baulandreserven noch nicht definitiv genehmigte Reservezonenzuweisung den Planungsgrundsätzen des eidgenössischen und kantonalen Rechts - trotz der seitlich und unterhalb der Speerstrasse angrenzenden Bauzonen - nicht widerspricht.
e) Eine Aufhebung der getroffenen Reservezonenfestsetzung wegen Verletzung der Eigentumsgarantie und Verstosses gegen Art. 4 BV käme daher nur in Betracht, wenn sich ergeben sollte, dass das vom Regierungsrat festgestellte Defizit an Bauzonenfläche zweckmässigerweise nur im Bereiche des Grundstückes der Beschwerdeführer ganz oder teilweise behoben werden könnte, dass somit von einer echten Wahl- und Entscheidungsfreiheit der Gemeinde nicht die Rede sein könnte.
Entgegen der Meinung der Beschwerdeführer trifft dies nicht zu. Der Augenschein hat vielmehr bestätigt, dass auch weitere von der Gemeinde festgesetzte Reservezonenflächen in eine Bauzone eingewiesen werden könnten. Dies gilt namentlich für die Gebiete Oberort und Mittelort wie auch für die Halbinsel Giessen.
Die Beschwerdeführer wenden in diesem Zusammenhang ein, sie seien gewillt, ihre Liegenschaft zu überbauen, was bei den andern Eigentümern, deren Grundstücke einer Reservezone zugewiesen worden seien, nicht der Fall sei. Dieses Argument kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Wie erwähnt, ist eine umfassende Abwägung aller auf dem Spiele stehenden Interessen vorzunehmen, weshalb dem Überbauungswillen allein keine ausschlaggebende Bedeutung zukommt. Ausserdem sind die Gemeinden verpflichtet, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln die Überbauung der eingezonten Gebiete zu fördern. Den Gemeinden obliegt namentlich die Erschliessungspflicht (Art. 19 Abs. 2 RPG, Art. 5 des Wohnbau- und Eigentumsförderungsgesetzes, WEG), und zwar auch für die Feinerschliessung (Art. 5 Abs. 1 und 2 WEG). Wird diese den Eigentümern überbunden, so ist die Ersatzvornahme durch die öffentlichrechtlichen Körperschaften vorzusehen, falls die Feinerschliessung nicht innert den vorgesehenen Etappen ausgeführt wird (Art. 5 Abs. 2 WEG). Auch sind von den Eigentümern Beiträge zu erheben, die kurz nach Fertigstellung der Anlagen fällig werden. Die Kosten der Feinerschliessung können in vollem Umfange den Eigentümern überbunden werden (Art. 6 Abs. 2 WEG). Diese seit dem 1. Januar 1975 geltende Regelung des Bundesrechts, die sich mit den Zielen und Grundsätzen des Raumplanungsgesetzes über die haushälterische, den Bedürfnissen der Bevölkerung entsprechende Nutzungsordnung deckt (Art. 1 und 3 Abs. 3, Art. 15 und 19 RPG), bringt klar zum Ausdruck, dass eine sachgerechte Nutzungsplanung, insbesondere in bezug auf die Bauzonenfestsetzung, nicht entscheidend auf die Absichten einzelner Eigentümer abstellen kann (vgl. dazu BGE 112 Ia 157 f.; BGE 110 Ia 54; ALFRED KUTTLER, Erschliessungsrecht und Erschliessungshilfe im Dienste der Raumordnung, ZBl 75/1974 S. 69 ff.; MARTIN LENDI, Die Funktion der Erschliessung in der Raumplanung und ihre rechtliche Bedeutung, in Mélanges André Grisel, Neuchâtel 1983, S. 539 ff.).
Die in der Beschwerde hervorgehobenen Unterschiede gegenüber weiteren Reservezonen in der Stadtgemeinde Wädenswil sind keineswegs so gewichtig, dass beim Entscheid über die Einzonung deutlich das Grundstück der Beschwerdeführer bevorzugt werden müsste. Zu beachten ist namentlich, dass alle genannten Gebiete durch das öffentliche Verkehrsmittel einwandfrei erschlossen sind und dass für die Zugsverbindung nach Zürich nicht nur die Station Wädenswil, sondern auch die Haltestelle Au in Frage kommt. Bei dieser Sachlage hat der Regierungsrat zu Recht den Entscheid der Baurekurskommission II aufgehoben. Mit der Anweisung, das Grundstück der Beschwerdeführer ganz oder teilweise einzuzonen, wäre in unzulässiger Weise in die Entscheidungsfreiheit der Stadt Wädenswil eingegriffen und dadurch die Gemeindeautonomie verletzt worden.