17. Auszug aus dem Urteil vom 30. Januar 1976 i.S. Treuhandverband des Autotransportgewerbes (TAG) gegen Unfalldirektoren-Konferenz und Konsorten und Eidg. Justiz- und Polizeidepartement
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Regeste
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Verwaltungsbeschwerde: Fristenlauf bei mangelhafter Eröffnung (Art. 38 und 50 VwVG).
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Sachverhalt
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Der Treuhandverband des Autotransportgewerbes (TAG) reichte am 7. Januar 1975 Beschwerde beim Eidg. Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) ein gegen eine Verfügung des Eidg. Versicherungsamtes vom 26. Oktober 1974 betreffend die Genehmigung der Tarife für das Jahr 1975 in der Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherung, soweit diese den gewerbsmässigen Transport von Personen und Sachen zum Gegenstand haben. Die angefochtene Verfügung war dem Verband nicht eröffnet worden. Das EJPD trat auf die Beschwerde nicht ein. Es stellte fest, dass der Verband bereits im Oktober 1974 vom Prämientarif Kenntnis nehmen konnte und deshalb in der Lage gewesen wäre, rechtzeitig eine ausreichend begründete Beschwerde einzureichen oder zum mindesten das Beschwerdeverfahren einzuleiten. Selbst wenn davon ausgegangen würde, dass die angefochtene Verfügung mangelhaft eröffnet worden sei, wäre die Beschwerde verspätet. Der betroffene Verband ficht diesen Entscheid mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an und verlangt, der angefochtene Entscheid des EJPD sei aufzuheben und dieses zu verpflichten, auf die bei ihm eingereichte Beschwerde einzutreten und diese materiell zu behandeln. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, hebt den angefochtenen Entscheid auf und weist die Sache zur materiellen Beurteilung und Entscheidung an das EJPD zurück.
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Aus den Erwägungen:
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Es ist unbestritten, dass im vorliegenden Fall die erstinstanzliche Verfügung des Eidg. Versicherungsamtes vom 26. Oktober 1974 schriftlich nur den die Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherung in der Schweiz betreibenden Versicherungsunternehmungen eröffnet wurde; ebenso, dass keine amtliche Publikation erfolgte. Das zwingt zur Feststellung, dass die Eröffnung gegenüber den andern Verfügungsadressaten mangelhaft war und hat zur Konsequenz, dass den Parteien daraus kein Nachteil erwachsen darf (Art. 38 VwVG). Daran ändert nichts, dass es mit grossen Schwierigkeiten verbunden sein mag, die zahlreichen Tarifverfügungen rechtsgenüglich zu eröffnen. Die Schwierigkeiten der Eröffnung von Verfügungen und Entscheiden der hier zur Diskussion stehenden Art haben nicht die Verfügungsadressaten, sondern die Behörden zu vertreten. In diesem Sinne darf eine mangelhafte Eröffnung nicht dazu führen, dass der Verfügungsadressat des Rechtsmittels deshalb verlustig geht, weil es ihm nicht möglich war, dieses rechtzeitig zu ergreifen.
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3. Das Bundesverwaltungsprozessrecht enthält - im Gegensatz zum deutschen Recht (vgl. §§ 57 f. der deutschen Verwaltungsgerichtsordnung; EYERMANN/FROEHLER, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, N. 13 zu § 58 und die dortigen Hinweise auf die Judikatur) und abgesehen vom Grundsatz des Art. 38 VwVG - keine klare Regelung, wie in den Fällen mangelhafter Eröffnung zu verfahren ist. Grundsätzlich ist demnach abzuwägen zwischen den Interessen der Rechtssicherheit und dem Rechtsschutzinteresse des Verfügungsadressaten. Aus Gründen der Rechtssicherheit muss einerseits verlangt werden dürfen, dass der ungewissen Situation über die Rechtskraft einer Verfügung einmal ein Ende gesetzt ist, d.h., dass Verfügungen die dazu bestimmt sind, Rechtskraftswirkungen zu entfalten, nicht auf unbestimmte Zeit beliebig sollen in Frage gestellt werden können. Anderseits ist der gesetzliche Grundsatz zu berücksichtigen, dass nicht der Verfügungsadressat die Nachteile mangelhafter Eröffnung zu vertreten hat (Art. 38 VwVG und, soweit es das Rechtsmittel der Verwaltungsgerichtsbeschwerde betrifft, Art. 107 Abs. 3 OG).
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Die bundesgerichtliche Rechtsprechung hat im Rahmen dieser Interessenabwägung hervorgehoben, dass dem Grundsatz, wonach den Parteien aus mangelhafter Eröffnung keine Nachteile entstehen sollen, schon dann im Blick auf den beabsichtigten Rechtsschutz Genüge getan ist, wenn eine objektiv mangelhafte Eröffnung trotz ihres Mangels ihren Zweck erreicht hat. Es ist nach den Umständen des Einzelfalles zu prüfen, ob die betroffene Partei durch den gerügten Eröffnungsmangel tatsächlich irregeführt und dadurch benachteiligt worden ist. Richtschnur für die Beurteilung dieser Frage ist der Grundsatz von Treu und Glauben (BGE 98 V 278 f. mit Hinweisen). In diesem Sinne hat das Bundesgericht festgestellt, dass die Beschwerdefrist gewahrt ist, wenn eine Beschwerde innert dreissig Tagen seit dem Zeitpunkt, da der Adressat von der Verfügung Kenntnis nehmen konnte, eingereicht wurde (BGE 96 I 687 E. 1d und Bestätigung in BGE 98 Ib 17 E. 4). Sie ist es aber nicht nur dann.
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Wohl erscheint es zumutbar, dass der Verfügungsadressat, hat er einmal von der ihn betreffenden Verfügung Kenntnis erhalten, darum besorgt ist, den Inhalt der Verfügung und deren Begründung zu erfahren, um sich über die Ergreifung eines Rechtsmittels zu entschliessen. Doch erst wenn er einmal im Besitze aller für die erfolgreiche Wahrung seiner Rechte wesentlichen Elemente ist, läuft die Beschwerdefrist. Erst ab diesem Zeitpunkt nämlich ist ihm die selbe Rechtsstellung eingeräumt wie all jenen Verfügungsadressaten, denen eine Verfügung im Sinne des geltenden Verwaltungsprozessrechtes rechtsgenüglich eröffnet wird. Mit dem Grundsatz der Art. 38 VwVG ist es dagegen unvereinbar, wenn gefordert wird, der Adressat einer mangelhaft eröffneten Verfügung habe ab dem Zeitpunkt, da er zufällig von der anzufechtenden Verfügung Kenntnis erhalten hat, das zulässige Rechtsmittel innert dreissig Tagen zu ergreifen. Der Fall, da der Adressat aus einer nicht-offiziellen Quelle von einem ihn belastenden Verwaltungsakt erfährt, kann nämlich schon aus rein praktischen Gründen nicht jenem gleichgeachtet werden, da eine Verfügung gehörig, d.h. schriftlich, begründet und mit vollständiger Rechtsmittelbelehrung versehen, eröffnet worden ist. Allerdings kann, entsprechend dem Grundsatz von Treu und Glauben, der Verfügungsadressat den Zeitpunkt des Beginns des Fristenlaufes nicht beliebig hinauszögern, wenn er einmal von der ihn betreffenden Verfügung Kenntnis erhalten hat. Aus Art. 38 VwVG beziehungsweise Art. 107 Abs. 3 OG kann nämlich nicht gefolgert werden, dass bei mangelhafter Eröffnung die Beschwerdefrist überhaupt nicht zu laufen beginnt, selbst wenn der Adressat von der Verfügung Kenntnis erhalten hat. Vielmehr ist im Einzelfall zu entscheiden, ob der Verfügungsadressat nach Kenntnisnahme vom Bestand einer ihn betreffenden Verfügung im Rahmen des ihm Zumutbaren die sich aufdrängenden Schritte unternommen hat.
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4. Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass die Tarifverfügung des Eidg. Versicherungsamtes vom 26. Oktober 1974 durch die Publizität, die sie in der Presse erfuhr, der Aufmerksamkeit der Organe des beschwerdeführenden Verbandes nicht entgehen konnte. Es kann daher mit der Vorinstanz davon ausgegangen werden, dass der Verband Ende Oktober/Anfang November 1974 aus verschiedenen Quellen vom Bestand einer seine Mitglieder betreffenden Verfügung Kenntnis erhielt. Der Verband hat daraufhin in einer durchaus zumutbaren Frist Schritte unternommen, um die für die Anfechtung der ergangenen Verfügung notwendigen Unterlagen zu erhalten. Der Vorwurf, er habe mit seinem Begehren um Aushändigung der Verfügung vom 26. Oktober 1974 übermässig lange zugewartet, trifft ihn nicht. Mit der Beschwerde vom 7. Januar 1975, die der Verband rund zwanzig Tage nachdem ihm am 18. Dezember 1974 die angefochtene Verfügung durch das Eidg. Versicherungsamt ausgehändigt worden war, eingereicht hat, wurde das Rechtsmittel im Rahmen des Zumutbaren und unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben rechtzeitig ergriffen.
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Der angefochtene Entscheid verletzt somit Bundesrecht. Er ist aufzuheben und die Sache zur materiellen Beurteilung und Entscheidung an das EJPD zurückzuweisen.
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