BGE 102 Ib 249
 
41. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 26. November 1976 i.S. Accola gegen Regierung des Kantons Graubünden
 
Regeste
Art. 45 Ziff. 3 StGB, Art. 4 BV. Rückversetzung in den Massnahmevollzug.
Schriftliche Anhörung genügt.
 
Aus den Erwägungen:
3. Art. 45 StGB schreibt nur für den Entscheid über die bedingte Entlassung aus der Verwahrung (Ziff. 1 Abs. 3), nicht aber für die Rückversetzung des bedingt Entlassenen ausdrücklich vor, dass der Betroffene vorher angehört werden müsse. Das heisst indessen nicht, dass die Behörde nicht aufgrund von Art. 4 BV dazu verpflichtet ist. Nach ständiger Rechtsprechung darf die Rechtsstellung eines Bürgers grundsätzlich nicht zu seinem Nachteil geändert werden, ohne dass ihm vorher Gelegenheit geboten wird, sich zu den Gründen zu äussern, die zu einer solchen Änderung führen könnten (BGE 98 Ib 175 mit Verweisungen). Dieses unmittelbar aus Art. 4 BV folgende Recht des Betroffenen auf rechtliches Gehör steht dem Bürger insbesondere zu, wenn seine Einweisung in den Strafvollzug oder in den Vollzug einer Verwahrungs- oder Versorgungsmassnahme in Frage steht. Dementsprechend wurde im Widerruf des bedingten Strafvollzuges ohne vorausgehende Anhörung des Verurteilten eine Verletzung des rechtlichen Gehörs erblickt (BGE 85 I 202). Ferner entschied das Bundesgericht, dass der aus der Strafanstalt bedingt Entlassene oder der mit bedingtem Strafaufschub Verurteilte, der wegen eines in der Probezeit begangenen Delikts erneut zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wird, in jedem Falle anzuhören sei, selbst wenn die Rückversetzung in die Strafanstalt oder der Widerruf des bedingten Strafvollzuges vom Gesetz zwingend vorgeschrieben wird (BGE 98 Ib 175). Diese für den Widerruf des bedingten Strafvollzuges (Art. 41 Ziff. 3 StGB) und die Rückversetzung in den Strafvollzug (Art. 38 Ziff. 4 Abs. 1 StGB) geltenden Grundsätze müssen in gleicher Weise für die Rückversetzung eines bedingt Entlassenen in den Massnahmevollzug nach Art. 45 Ziff. 3 StGB Geltung haben. Dazu besteht umsomehr Anlass, als es sich bei den Massnahmen der Art. 42-44 StGB um schwere Eingriffe in die persönliche Freiheit handelt. Entlassenen ist somit vor der Rückversetzung das rechtliche Gehör zu gewähren. Dazu genügt eine schriftliche Anhörung des Entlassenen oder seines Vertreters; Art. 4 BV gibt nicht das Recht, sich vor der Behörde, die den Entscheid fällt, mündlich zu äussern (BGE 96 I 312, BGE 98 Ia 132, BGE 99 Ib 349). Zur persönlichen Anhörung des Betroffenen wären die Behörden nur verpflichtet, wenn Art. 45 Ziff. 3 eine den Art. 38 Ziff. 1 Abs. 3 und 45 Ziff. 1 Abs. 3 entsprechende Bestimmung enthielte, eine Voraussetzung, die nicht zutrifft.
Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Im erwähnten Verwarnungsschreiben wurde nicht die Absicht der Behörden angekündigt, den Beschwerdeführer auf Grund seines bisherigen Verhaltens in die Verwahrung zurückzuversetzen, und er wurde auch nicht aufgefordert, dazu Stellung zu nehmen. Aus dem letzten Satz des Briefes ergibt sich im Gegenteil eindeutig, dass die Verwirklichung der Androhung nicht unmittelbar in Aussicht gestellt wurde, sondern davon abhängig gemacht worden ist, dass die künftigen Führungsberichte wieder ungünstig lauten. Die Androhung war also an eine Bedingung geknüpft, welche die Möglichkeit einräumte, die Rückversetzung durch Bewährung zu verhindern. Wenn das kantonale Departement im Juli 1976 gestützt auf neue Führungsberichte zur Ansicht gelangte, dass die Rückversetzung nunmehr anzuordnen sei, so hätte es daher dem Beschwerdeführer hievon Mitteilung machen müssen, damit er sich zur neuen Sachlage und zu den erhobenen Vorwürfen äussern konnte. Das wurde unterlassen, weshalb seine Rüge, es sei ihm das rechtliche Gehör verweigert worden, begründet ist.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen, der Beschluss der Regierung des Kantons Graubünden vom 12. Juli 1976 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.